Als ich den Brief sah, den Brief ohne Absender, sorgfältig in seine Lederhülle eingeschlagen... da machte mein Herz einen Sprung.
Konnte es sein...?!
Nein, sagte ich mir, ruhig Blut, Faustus, jetzt dreh nicht gleich durch... aber ich konnte es nicht verhindern, dass eine heiße Hoffnung in mir aufflackerte. Es war kurz nach dem großen Marsopfer, ich trug noch immer die blutbesudelten Sachen. Camurius und ich hatten uns ins Principa-Zelt begeben, wo er mir die Korrespondenz überreichen wollte, die er für mich aus Nikopolis mitgebracht hatte. Ich stand wie auf glühenden Kohlen, während ich darauf wartete, dass er auch die übrigen Schreiben zusammensuchte.
"Den hier hat übrigens ein ganz merkwürdiger Kerl für dich abgegeben!" meinte Camurius, auf den Brief deutend. "Als meine Vexillatio in der Nähe von Syene campiert hat. Verwachsen war der, und kein Wort hat er gesagt, aber immer so gewittert..."
"Gewittert?" wiederholte ich mit einem versonnenen Lächeln. Diese Geschichte nährte meine Hoffnung, denn sie war so ungewöhnlich, so malerisch, sie passte zur "lachenden Hyäne" und dem "Läufer der Sonne", sie entsprach genau dem bisherigen Geist der geheimen Korrespondenz!
"Na, fast wie ein Hund!" Camurius reckte die Nase gen Himmel und schnüffelte, um mir das zu demonstrieren. "Echt eigentümlich..."
Seine Neugier war deutlich, er erwartete wohl eine Erklärung, aber ich tat als wäre mir das völlig entgangen.
"Mhm. Danke Kamerad! Dann werde ich mich mal meiner Post widmen, vale!"
Und weg war ich. Der geheimnisvolle Brief lag schwer und verheißungsvoll in meiner Hand. Ich strich mit dem Daumen langsam über das rote Siegel, blank und glänzend, das kein Wappen zeigte, während ich durch die Castra eilte, durch die sonnendurchflirrte Hitze, vorüber an den langen Zeltreihen, und den unzähligen Soldaten, bis ich endlich mein Zelt erreichte. Heiß und stickig war es da drin, aber schattig – und vor allem war ich endlich alleine!
Ich setzte mich im Schneidersitz auf mein Bett. Meine Finger waren ganz fahrig, und mein Magen fühlte sich an, als hätte ich einen Schwarm Fledermäuse verschluckt, als ich das Siegel brach. Ein kleines Bild fiel mir entgegen, auf Pergament gemalt, die Seiten waren etwa daumenlang. Ganz aufgewühlt nahm ich es in meine Hände und betrachtete es, war vollkommen hingerissen. Aton! Manius.... Das war er, unverkennbar, mit diesem charakteristischen schrägen Lächeln, als ob er sich nicht wirklich entscheiden könne, ob er lächelte oder doch ernst dreinblickte. Ein wenig skeptisch, ein wenig distanziert, sehr aristokratisch, sehr feinsinnig... es war das schönste Lächeln der Welt!!!
Ich lächelte auch, aber ganz, und spürte auf einmal, wie mir etwas nasses über die Wange rann. Es war eine Freudenträne. Er hatte meiner Bitte entsprochen, er hatte mir wirklich sein Bildnis geschickt! Ich führte es an die Lippen und hauchte einen Kuss darauf. Ach! Mein Geliebter!
Im gleichen Augenblick verspürte ich einen Anflug von Schuldgefühl. Da saß ich, auf dem selben Bett, auf dem ich mich mit anderen verlustiert hatte, und küsste sein Bild. Ich sagte mir natürlich, dass das albern war, schließlich war er in Rom und ich im wilden Zwölfmeilenland, und ich war nicht aus Mamor, und es wäre vollkommen unnatürlich und überspannt, sich so lange in Enthaltsamkeit zu üben, ungesund sogar, und meine Bettgeschichten hatten auch nichts, aber rein gar nichts, mit dem hehren Gefühl zu tun, das uns beide verband. So beruhigte ich meine Skrupel.... größtenteils. Trotzdem stand ich auf und setzte mich auf eine Kiste, bevor ich das dicht beschriebene Pergament – wohlgemerkt, er hatte mir auf edlem Pergament geschrieben, nicht auf Papyrus! - entrollte und Atons Brief zu lesen begann.