Was für ein Leben. Seit drei Jahren war sie nun schon in Italia, aber erst seit einigen Wochen in dessen Hauptstadt und somit der Hauptstadt des römischen Imperiums. Wie hatte ihre Mutter ihr all die Jahre in den Ohren gelegen, das sie eines Tages einmal dahin gelangen würde, eines Tages die Familie ihres Vaters aufsuchen würde und dann eine Römerin wurde. Welch naive Gedanken ihre Mutter da doch gehabt hatte. Aber für Naivität im Zusammenhang mit ihrem Vater war sie ja durchaus bekannt. Er war ein römischer Soldat gewesen, der in irgendeinem dieser nutzlosen Kriege im Südosten sich eine Frau für das Vergnügen gesucht hatte und sie - ihre Mutter - gefunden hatte. Dann war er so blöd gewesen und hatte sich in einem der vielen Kämpfe von den Landsleuten ihrer Mutter umbringen lassen. Schön dumm sowas. Aber sie wollte nicht klagen, denn die Naivität der Mutter hatte dafür gesorgt, dass sie viele Möglichkeiten erhalten hatte, die sonst höchstens dem männlichen Nachkommen angediehen worden wäre: sie hatte eine gute Ausbildung bekommen. Eine, die sie nicht nur die Sprache ihrer Heimat lehrte, sondern auch das Lateinisch. Eine die sie Lesen, Schreiben und Rechnen lehrte und eine, die sie sogar mit ihren Lehrern über diverse Themen sprechen und diskutieren lies. Ihre Mutter hatte gewollt, dass sie einmal der Familie ihres Vaters gegenüber mit hoch erhobenen Kopf entgegen treten konnte und beweisen konnte, dass sie wer war.
Wenn sie an all diese Stunden zurück dachte, musste sie nicht selten den Kopf schütteln. Es war ihr durchaus bewusst, dass sie etwas ganz Seltenes hatte erfahren dürfen, denn normalerweise erhielten nur wenige Frauen ihrer Heimat auch nur die Möglichkeit lesen zu lernen. In der Regel dann auch nur jene, deren Familie über viel Geld verfügte. Nun, die Familie ihrer Mutter war nicht arm, aber dennoch war es nicht normal, dass ihr Großvater zugestimmt hatte, das sie all das lernen durfte. Sie hatte diesen stolzen Mann dahingehend nie begriffen, was aber nichts an ihrer Dankbarkeit änderte, denn sie liebte das Lesen und auch das Schreiben. Das Rechnen war nur eine Notwendigkeit um nicht übers Ohr gehauen zu werden.
Als ihre Mutter an einer schweren Krankheit zu Grunde ging, musste sie ihr auch noch versprechen nach Rom zu gehen, damit sie die Familie ihres Vaters finden würde. Ein gegebenes Versprechen durfte man nicht brechen aber sie hatte nicht vor gehabt diese Familie ausfindig zu machen, denn was sollte ihr das bringen? Was wollte sie von denen? Sie hatte eine Familie! Dennoch hatte sie ihrer Mutter versprochen nach Rom zu gehen, wenn auch nichts, was die Familie betraf. Ihr Großvater hatte sie schweren Herzens gehen lassen und ein paar Begleiter mitgegeben. Über Judaea und Arabia waren sie nach Alexandria gezogen und von dort mit einem Schiff auf die Insel Sicilia. Eigentlich hätte sie gleich weiter gesollt, aber sie wollte die Insel erkunden, mehr davon sehen, von den griechischen Ursprüngen, den Berg der Feuer spucken konnte und vieles mehr. So waren sie erst viele Monde später über die enge Meeresstraße gefahren und hatten schließlich italisches Festland betreten. Doch wieder weigerte sie sich gleich nach Rom zu ziehen - sehr zum Verdruss ihrer Begleiter, die sich jedoch ihren Anweisungen gefügt hatten. Aus Tagen wurden Wochen und aus Wochen Monaten, bis es schließlich Jahre waren, die sie durch Italien zog. Zuletzt dann war sie doch in Rom angekommen. Nun großjährig und nur noch in Begleitung eines Mannes. Die Anderen waren im Laufe der Zeit auf die unterschiedlichste Art und Weise auf der Strecke geblieben. Meist dadurch, dass sie sie mit Botschaften nach Hause sandte und nicht wissen ließ, wo sie als Nächstes hingehen würde.
Warum sie so verrückt war, wusste sie selber nicht, aber eigentlich wollte sie alleine sein. Wollte ihr Leben alleine in die Hand nehmen und auf eigenen Beinen stehen. Ein unmögliches Unterfangen für eine Frau. Der helle Wahnsinn, aber sie hatte es sich in gewisser Weise in ihren kleinen Dickschädel gesetzt und so war auch der letzte Begleiter, nach vielen Streitigkeiten in der Sprache ihrer Heimat, schließlich von dannen gezogen um Bescheid zu geben, dass es ihr gut gehe, sie irgendwann wieder käme (das Vielleicht hatte sie im Raum stehen lassen) und sie erst einmal in dieser riesigen Stadt bleiben würde (auch ob sie nach der Familie ihres Vaters suchen würde, an den sie selber nie wirklich dachte, ließ sie im Raum stehen). Seit zwei Wochen hatte sie endlich Ruhe und war auf sich gestellt und sie genoss es! Genoss es in vollen Zügen!
Schon einige Male war sie am Forum vorbei gekommen, doch meist hatte sie sich nicht lange hier aufgehalten. Heute jedoch wollte sie alles hier erkunden und die Leute beobachten. Die Römer faszinierten sie, auch wenn sie nicht ganz verstand, wieso sich ihr Volk so schwer mit ihnen getan hatte, dennoch hatten sie irgendwas an sich, was sie in ihren Bann zog. Ob es das Blut ihres Vaters in sich war, welches sie so denken und fühlen ließ? Wer wusste das schon. Ihr war es egal, denn sie genoss einfach nur den Aufenthalt in dieser Stadt, wohlwissend, dass sie nicht ewig würde so weiter machen können, aber darüber wollte sie sich heute keine Gedanken machen, denn dafür war anderntags noch genug Zeit. Noch hatte sie bei weitem genügend Reserven um die Zeit einfach nur zu genießen und sie war sicher, dass sie eine Möglichkeit finden würde vor dem Aufbrauchen dieser zu neuen zu gelangen.
Dort lag die Rostra und wenn man in diese Richtung ging - sie drehte sich einmal um sich selbst und blieb in einer bestimmten Richtung blickend stehen - dann kam man zum Palatin. So viel wusste sie bereits. Auch das dort in der Richtung viele Tempel standen. Da hinten fanden immer Sklavenverkäufe statt und dort waren Stände, an denen man alle möglichen Waren feil bot. Mit der linken Hand fuhr sie sich leicht durch ihr langes, leicht gewelltes Haar und schob es hinter das Ohr, ehe sie sich langsam in eine Richtung bewegte, mehr schlendernd, um sich schauend und alles in sich aufnehmend. Einfach die Zeit genießen, trotz der Kühle, die für sie auch jetzt noch ungewohnt war, nach all der Zeit in dem Land, und trotz der Aussicht am Himmel, dass es wohl bald regnen würde.
Nicht reserviert, falls also wer mag