Officium AFP | Das geheime Leben der Worte

  • Lange hatte Gracchus mit sich gerungen, ob er überhaupt mit jemandem sollte sprechen über jene Angelegenheit, welche während und am Ende des Conviviums bei Tiberius Durus war erörtert worden - nicht über den Vorschlag des Hochverrates, um sich damit über sein Ehrenwort hinweg zu setzen, sondern einzig über jene Überlegungen, welche überhaupt zu der Intention hatten geführt -, denn schlussendlich wusste er zu wenig über all dies, um eine Entscheidung zu treffen. Selbstredend war auch ihm die unflätige, rüde Art des Vescularius aufgefallen, doch letztlich war dessen Bäuerlichkeit nichts, was einen Mord würde rechtfertigen, wiewohl Gracchus bisherig nicht daran hatte geglaubt, dass unter seinen Aktionen etwas ungesetzmäßiges gewesen war, noch etwas gegen die mos maiorum - doch musste er wohl sich eingestehen, dass er in den letzten Monaten - allfällig gar schon Jahren? - kaum Acht, kaum Interesse für dererlei Dinge hatte aufgebracht, dass die meisten Entscheidungen des Vescularius wie so viele staatspolitische Angelegenheiten gänzlich unbemerkt an ihm waren vorüber gezogen. Ob dessen hatte er Sciurus angewiesen, einige Informationen einzuholen, doch konnte er unmöglich mit einem Unfreien über die Zukunft des Imperium beraten, obgleich Sciurus durchaus scharfsinniger, wiewohl verschwiegener war als viele Römer. Gerne hätte er Antonia ein wenig unauffällig ausgehorcht über ihre Meinung, doch war ihr noch immer häufig unwohl - allmählich begann er ob dessen bereits sich zu sorgen -, so dass er sie nicht mit solch profanen Dingen wie Politik wollte belästigen. Seine Vettern waren - allesamt - stets eine gute Anlaufstelle, sich zu beraten, darob hatte er schlussendlich beschlossen, mit Piso zu sprechen, welcher zuletzt zudem auch das Amt des Quaestor Principis hatte ausgeführt und darob zweifelsohne sehr engen Kontakt zu Vescularius und allfällig auch zu Valerianus hatte gehabt. Als Gracchus nach einem kräftigen Klopfen die Türe des Arbeitszimmers seines Vetters geöffnet wurde, würdigte er den dahinter stehenden Sklaven keines Blickes, sondern trat achtlos an diesem vorbei.
    "Salve, Piso. Hast du einen Augen..blick Zeit für mich?"
    Im Grunde war es keine Frage, denn schlussendlich hatte sein Vetter die Zeit sich zu nehmen - immerhin hing womöglich das Wohl des Imperium Romanum davon ab! Aus diesem Grunde sorgte Gracchus auch sogleich dafür, dass die Scribae und Sklaven Pisos den Raum verließen.
    "Hinaus"
    , wies er sie an und nahm sodann seinem Vetter gegenüber Platz.
    "Ich muss mit dir über deine Quaestur sprechen"
    , eröffnete er sodann sein Anliegen.

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  • Piso war am Rande der Schläfrigkeit. Nein, um ehrlich zu sein, den Rand hatte er schon überschritten. Er war am Rande des Schlafes, ja, diese Formulation traf es besser. Seine Äuglein waren dran und drauf, zuzuklappen, als er ihren Blick über mehr als nur langweilige Dokumente schweifen ließ. Seitdem er nicht mehr Quaestor war, musste er das aufholen, was er damals vernachlässigt hatte. Namentlich, seine Betriebe und seinen Landbesitz. Ja, sie waren relativ verkümmert. Geld spuckten sie noch immer aus, aber nie mehr so viel wie früher. Piso würde wohl wieder mal Werbung machen müssen für sie. Wenn er sich dazu aufraffen musste.
    Er war gerade drauf und dran, seinen Kopf auf seinen Tisch sacken zu lassen, da ging die Türe auf. Piso blinzelte und schielte hin zu der Richtung, aus der ein Gruß ertönte. Und ein hinaus. Wer hinaus? Was hinaus? Ach so, nicht er. Nur die Sklaven, Antiochos und der andere, dessen Namen Piso vergessen hatte, zwei Scribae, die ihm sein Leben erleichterten. Un nicht zuletzt Cassivellaunus, der sohässlich war wie eh und je, und in dessen direkten Vergleich Piso sich umso schöner und ästhetischer fühlte.
    Der Flavier gähnte expressiv, sich gerade noch rechtzeitig die Hand vor den Mund halten könnend. Gracchus hatte seine Sklaven herausgeschickt? Na, durfte er das? Piso kam da freilich die Erleuchtung. Natürlich durfte er das. Gracchus war der Hausherr. Er war älter, und er war Senator, was Piso nicht war. Noch nicht, musste man dabei betonen, denn der Flavier sah die Toga Praetexta, die er als Senator-Septemvir tragen durfte, schon vor seinen Augen herumschwenken. Zum Greifen nahe. Er musste nur die Hand ausstrecken... ja, fein war das Leben. Der Gedanke alleine daran war so ergötzlich, dass Piso aus seiner Schlaftrunkenheit herausfand. Dass Gracchus unterbrach, war eh willkommen.
    “Ah, mein lieber Vetter“, grinste Piso. Ich hätte dir ja einen Platz angeboten, aber den hast du dr ja schon genommen, dachte er sich in Gedanken, aber er hatte doch eine gewisse Scheu davor, Gracchus einen besonders flapsigen Kommentar zuzuwerfen. So atmete er nur kurz ein und aus, während er heimlich die Kanten seines Tisches ergriff, um mit seinen Fingern fest zuzudrücken und wieder loszulassen.
    “Über meine Quaestur willst du sprechen?“ Und schon runzelte Piso seine Stirn. Was konnte Gracchus wissen wollen? Ob er auch ordentlich gearbeitet hatte? Piso bereitete sich innerlich schon auf eine Verteidigungsrede vor. Ja, Gracchus, ich war beim Kaiser. Ja, ich habe ordentlich gearbeitet. Ja, ich habe getan, was der Prafectus Urbi von mir verlangt hat. Ja, ich war schön brav. Aber er harrte jetzt erst einmal der Dinge, die kommen würden aus Gracchus eminenten Mund.

  • Gracchus taxierte seinen Vetter mit einem festen Blick - dass jener kurz zuvor nicht ganz bei der Sache war gewesen, hatte er nicht einmal registriert, lag dies doch gänzlich fern jenem Bild, welches er von Piso hatte - und ließ ein feines Lächeln seine Lippen umschmeicheln.
    "Ich habe keinerlei Klagen gehört, gegenteilig nur bestätigende Worte, dass du dich überaus bewährt hast in deinem Amt. Nicht, dass ich es aus dem Munde des Praefectus Urbi oder gar des Imperators hätte vernommen, doch sol'herlei spricht sich im Senat zumeist recht schnell herum."
    Der Gedanke, dass jene Sichtweise der Dinge auch daran mochte liegen, dass Gracchus mit Piso verwandt war, und ein Lob dessen somit auch einer Schmeichelei konnte entsprechen, lag ihm dabei fern, passte dies sich doch ebenfalls nicht in sein Weltbild ein. Gleichwohl hatte Gracchus nicht die Absicht, sich mit belanglosem Vorgeplänkel aufzuhalten - für familiäre Neuigkeiten war im Anschluss noch genügend Zeit -, sondern stieß direkt zum Kern seines Anliegens vor.
    "Du hattest doch zweifelsohne währenddessen rei'hlich Gelegenheit mit Vescularius Salinator zu sprechen. Was für einen Eindruck hast du von ihm, was für ein Mensch scheint er dir, und wie würdest du seine Arbeit als Vertreter des Kaisers bewerten?"

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  • Wenn es nicht Gracchus‘ Erscheinen war, das Piso aus seiner schlaftrunkenen Dämmrigkeit weckte, so war es sein überaus fester Blick. Sein Blick, der im Übrigen Piso tatsächlich Böses ahnen ließ. So einen Blick schoss man doch nur ab, wenn man sauer war? Oder? Unsicher beäugte Piso Gracchus, und innerlich atmete er schwer aus, als Gracchus ihm versicherte, dass er nicht gekommen war, um ihn zu bekritteln. Nein, seine Arbeit schien sich gar herumgesprochen zu haben, zumindest vermittelte Gracchus das ihm. Das hörte man doch gerne. Wobei das nicht heißen musste, dass er nun wusste, weshalb Gracchus zu ihm gekommen war.
    Die Erkenntnis, die wurde Piso erst zuteil, als sein Vetter weitersprach. Er blinzelte. Das war nun einmal eine... interessante Frage. Er räusperte sich gewichtig.
    “Vescularius Salinator? Ich weiß nicht...“ So oft hatte er jetzt nicht mit ihm geredet. Eine Meinung aber, die hatte er sich trotzdem gebildet. “Er ist ein furchtbarer Mensch, Gracchus. Ein Barbar.“ Angewidert verzog er sein Gesicht. “Ich mag ihn nicht sonderlich. Was für ein Mensch, fragst du, ich sage dir, ein Antiästhet erster Güte...“, murmelte er und runzelte seine Stirn. Er war sich ganz sicher, dass Gracchus mit dem Konzept des Antiästheten etwas anfangen konnte. “Fürchterliche Manieren. Also nein.“ Und das sagte der Mann, der seinem Vorgesetzten in der Kanzlei damals etwas Mittagessen abgeschnorrt hatte. Nun, das war ja was anderes. Das war nicht Politik gewesen. “Nun... wie ich es sehe, ist seine Arbeit folgendermaßen. Er hat mehrere Günstlinge, allesamt Plebejer aus nicht allzu angesehenen Geschlechtern. Ihnen macht er den Aufstieg sehr leicht, und ihnen vertraut er auch, was Arbeit angeht. Patriziern gegenüber, und Plebejern aus respektablen Geschlechtern, ist er negativ eingestellt. In anderen Worten – was Vescularius betreibt, ist eine fürchterliche Günstlingswirtschaft.“ Er hüstelte kurz.
    “Insgesamt also kann ich dir sagen, ich bin kein großer Freund von ihm. Nun frage ich mich jedoch, ob du überrascht bist, das zu hören.“ Er legte seinen Kopf schief und blickte Gracchus neugierig an. “Nun... warum fragst du mich denn das?“

  • Pisos Reaktion war eindeutig, es gab nicht den geringsten Zweifel an seiner Beurteilung über Vescularius, welche durch und durch negativ ausfiel, und sich somit tatsächlich mit dem deckte, was während des Conviviums bei Tiberius gesprochen worden war und was auch Gracchus im Senat bereits beobachtet hatte. Allfällig sollte er selbst ob irgendeines vorgeschobenen Anliegens den Praefectus aufsuchen, um sich ein detaillierteres, persönliches Bild von ihm zu machen, andererseits indes war ihm nichts daran gelegen, einen solchen Mann aufzusuchen - nicht einmal unter einem Vorwand. Im Grunde waren Pisos Aussagen noch weitaus vernichtender als jene während des Abends auf dem Esquilin, ob dessen Gracchus nachdenklich seine Hand hob und begann an seiner Unterlippe zu kneten. Wenn er auch keinen Rückhalt aus der Familie wollte - kein Flavier außer ihm sollte wenn überhaupt in Durus' Pläne involviert sein, so dass im Falle des Scheiterns nicht die gesamte Familie würde mit in die Tiefen des Abgrundes hinabgezogen werden -, so würde Piso sein Handeln im Nachhinein doch zumindest nachvollziehen können.
    "Ich versuche nur, mir ein Bild von der aktuellen, politischen Lage und dem Kräftegewi'ht im Imperium zu verschaffen. Ich habe meine politischen Pflichten zuletzt ein wenig schleifen lassen, dies möchte ich ändern."
    Als würde erst nun ihm dieser Gedanke in den Sinn gelangen, ließ er seine Hand sinken und blickte erneut aufmerksam zu seinem Vetter.
    "Hattest du auch mit dem Kaiser zu tun? Konntest du ihn sprechen? Was hat er für einen Eindruck auf dich hinter..lassen?"
    Ein wenig unangenehm war Gracchus, dass er nicht einmal wusste, ob Piso in Misenum gewesen war, denn schlussendlich lebten sie unter dem gleichen Dach und es sollte wohl ihm auffallen, so sein Vetter die Stadt verließ.

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  • Piso horchte zu, aufmerksam. So war das. Gracchus wollte ein Bild von der momentanen Lage des Imperiums bekommen. Die Frage war, wieso fragte er Piso? Der Gedanke lag nahe, dass er gerade ihn fragte, weil er seine persönliche Meinung wissen wollte. Die persönliche Meinung seines Vetters schien ihm wichtig zu sein. Piso lächelte leicht. Wenn er nur noch Senator werden würde, dann wäre seine Position gefestigt. Familiär und offiziell... hmm, das wäre gut, ja.
    Und so war er mehr als gewillt, nur freundlich zu nicken und die Fragen seines Vetters redselig zu beantworten. “Ah, der Kaiser. Beim Kaiser war ich natürlich. Nun, was soll ich sagen? Der Kaiser hat keinen... hmm... so guten Eindruck auf mich gemacht. Er schien müde zu sein. Krank. Und es war kein temporärer Zustand, weißt du? Ich habe ihn gefragt, wann er denn seinen Sohn zum Caesar ernennen würde, sodass dessen Anwartschaft rechtlich geklärt sein würde. Er hat mir nicht geantwortet, er hat sich keine Antwort abringen lassen. Und dann, kurz darauf, während ich ihm berichtete, dass die Collegien Roms für seine Gesundheit beteten, schlief er ein. Kannst du dir das vorstellen? Bei einem offiziellen Treffen mit einem Magistraten Roms nickt er ein. Er ist schon wieder aufgewacht, hat mich dann aber weggeschickt, wohl, um seine Siesta halten zu können.“ Er zuckte mit seinen Achseln.
    “Aber sag mir mal, wenn du von Änderungen redest... von welchen Änderungen sprichst du? Willst du dich etwa für ein politisches Amt bewerben?“ Seine neugierigen Augen wurden groß. Das wäre ja mal wirklich etwas! Piso würde es mehr als nur freuen. Gracchus als Prätor, das wäre einmal eine mehr als nur gute Besetzung! Bald schon, so fantasierte Piso sich zusammen, würde man das Consulat des Flavius Gracchus erleben!

  • Da Gracchus davon war überzeugt, dass sein Vetter ein durchaus scharfsinniger Mensch war, vertraute er ihm auch bezüglich dessen Urteil über den Imperator. Valerianus schien sein Leiden somit nicht nur vorzugeben, um seine Unlust am Staate zu kaschieren, sondern tatsächlich nicht fähig, seine Pflichten in Rom wahrzunehmen. Letztlich blieb somit nurmehr die Unsicherheit, ob der Kaiser trotz allem seine bisweilen befremdlichen Weisungen an den Praefectus Urbi gab, oder ob jener nach eigenem Gutdünken im Namen des Kaisers handelte. Schlussendlich indes war es einerlei, sowohl Valerianus, als auch Salinator waren nicht nur untauglich, die ihnen auferlegten Pflichten auszuführen, sondern geradezu eine Gefahr für das Imperium, genau wie Tiberius dies hatte dargestellt. Nachdenklich nickte Gracchus, was alsbald in eine deutlich bekräftigende Zustimmung mündete.
    "In der Tat, ich habe Consul Purgitius darum gebeten, mich auf die Liste der Kandidaten um eine Praetur auf..zunehmen, und dieser hat dem stattgegeben. Allfällig wird es nicht einfach sein, die Senatoren davon zu überzeugen, mir noch einmal das Vertrauen hierzu auszuspre'hen, doch gibt es keinen plausiblen Grund, diese Entscheidung noch weiter hinauszuzögern."
    Ein schmales Lächeln schlich sich um seine Lippen.
    "Antonia erwartet ein Kind"
    , fügte er an, als ob dies als Begründung ausreichte, all seine Makel und Unzulänglichkeiten zu ignorieren - und wohl kam dies aus Gracchus' Sicht durchaus der Realität nahe, wollte er doch nicht nur seinen Kindern eine passable Basis für ihren eigenen Weg bieten, sondern hatte gleichsam durch Antonias Nachricht durchaus erst die rechte Verve entwickelt, der niederschmetternden Diagnose des Medicus, respektive den Larven in seinem Nacken die Stirne zu bieten.

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  • Gracchus kommentierte Pisos Sorgen gar nicht weiter, und das konnte Piso auch total egal sein. Denn schließlich hatte er die Gewissheit, dass Gracchus ihm zugehorcht hatte. Was Gracchus mit diesen nformationen anfangen würde, das blieb Piso, dem leider der Segen der Gedankenleserei nicht gegeben war – durchaus zu seinem Leidwesen, denn gerne hätte er manchmal die Nuancen der Gedanken seiner Mitmenschen erfahren, obwohl er sich als vernunftbegabter Mensch eigentlich denken konnte, dass das, was von ihm gedacht wurde, mitnichten immer nett war. Besonders, wenn er eines seiner berüchtigten Ständchen gerade abgelassen hatte. Doch Piso war seinem Vater ähnlicher, als er es sich dachte. Beide, Aetius und Piso, waren sehr gut darin, nur das zu sehen, was sie sehen wollten. Der heitere Eskapismus war keinem der beiden unbekannt, nein, im Gegenteil, beide hatten sich darauf ein gesundes Selbstbewusstsein aufgebaut. Wobei seine hohe Meinung von sich selber Piso nicht dazu verleitete, Frauen en masse umzubringen... nein, seine Ehrfurcht vor dem schönen Geschlecht war viel zu hoch davor. Meistens einmal. Wenn es ihm passte. Was er, wie gesagt, von seinem Vater hatte.
    Seine Gedanken bezüglich Kaiser und Salinator wurden in eine andere Richtung gelenkt, als Gracchus genau das sagte, was sich Piso erträumt hatte. Gracchus kandidierte als Praetor! Piso riss seine Augen auf und fuhr aus seinem Sessel, auf welchem er es sich bequem zu machen trachtete, empor. “Mensch, Gracchus! Das ist ja... das ist ja super! Mensch, klasse! Ich finde es prima, dass du dich dazu durchgerungen hast! Mit dir als Richter wird Rom aufatmen können – endlich wird es wieder unbefangene Justiz geben!“, dröhnte er hervor, als gälte es, Werbung für seinen Vetter zu machen. Nun ja, wieso Werbung? Gracchus kannte eh jeder. Und Piso konnte sich nicht vorstellen, dass irgendjemand die Untadeligkeit seines Vetters, den er insgeheim als großes Vorbild verehrte, in Frage stellen könnte. Wenn, dann müsste das schon ein Vescularius sein! Und wenn Vescularius auf jemanden deutete und ihn defamierte, konnte man sich fast komplett sicher sein, dass es sich um einen anständigen Menschen handelte.
    Die nächste Botschaft ließ ihn wieder in seinen Sitz zurücksacken, sodass das Holz knartschte. Mit großen Augen blickte er Gracchus an. Dann begann er zu grinsen und erhob sich abermals. Dieses Mal ging er um seinen Tisch herum und erpackte Gracchus kameradschaftlich an den Schultern. “Du glücklicher Mensch! Gracchus, Gratulation! So viele gute Neuigkeiten auf einmal! Das muss einfach gefeiert werden!“ Onkelfreuden strahlten aus seinen Augen.
    Piso sah seine Gens jetzt definitiv im Aufwind. Bald würden die Flavier sich dort einen Platz holen, wo sie hingehörten – auf den Palatin! Doch diese Gedanken behielt Piso mal für sich, auch wenn er vor Glück schier überschäumte.

  • Obgleich Gracchus selbst seine Ambitionen als durchaus gravierenden Wendepunkt in seiner Existenz ansah, so hatte er doch nicht erwartet, dass irgendwer sonst dies derart würde empfinden, so dass ihn Pisos überschwängliche Reaktion - obgleich er jenen durchaus als emotionalen Menschen erachtete - im ersten Augenblicke ein wenig überrumpelte, dass er gar bei der abrupten Aufwärtsbewegung ihm gegenüber aus Schrecken zusammenzuckte. Indes war es mit der Freude nicht genug, denn gerade als Piso stand, sackte er mit der nächsten Nachricht wieder zurück und es war Gracchus durchaus ein interessantes Schauspiel, wie sich die Emotionalität in Pisos Leib Ausdruck verlieh, wie die Euphorie augenscheinlich in Bewegung sich musste ausdrücken, dass sein Vetter nicht sprichwörtlich vor Freude platzte. Mit einem nun ebenfalls breiten Lächeln auf den Lippen blickte Gracchus zu Piso empor und beinahe hatte sich ein leicht schelmischer Zug um seine Augen gelegt.
    "Durchaus ist dies ein Tag, uns zu fetieren, denn dies ist noch nicht aller guten Neuigkeiten Ende! Ich bin mir indes nicht gänzlich sicher, ob ich noch mehr Na'hrichten dieser Art dir sollte auflasten, denn so dir die Sinne zerspringen aus Freude wirst du jene nicht lange genießen können."
    Nun da Gracchus bezüglich aller Zweifel sich vorerst ein wenig Klärung hatte verschafft, gab es durchaus keinen Anlass, die Gunst der Stunde nicht zu nutzen - zu Grübeleien über die Zukunft des Staates war schlussendlich später noch ausreichend Zeit.
    "Allfällig solltest du schon einmal den guten Wein hervorholen, um dein Gemüt zu kühlen."
    Er schob noch einmal eine kurze, rhetorische Pause ein, und begann sodann den Spannungsbogen langsam aufzubauen.
    "Der tragische Tod des Aurelius Corvinus hinterließ nicht nur in der Aurelia seine Spur, sondern gleichwohl auch im Staate, res..pektive im Cultus Deorum. Letzthin hat das Collegium Pontificium ob dessen darüber debattiert, wie der vakante Sitz bestmögli'h zu besetzen sei, welchen untadeligen, verheirateten Manne wir in unsere Reihen aufnehmen wollen."
    Nach diesen Worten musste Piso bereits sich fern dieses Sitzes wähnen, dass Gracchus nun stante pede zur Auflösung seiner Überraschung kam.
    "Verheiratete Männer gibt es natürlich viele, doch wahrhaft untadelige sind rar, so dass wir uns lediglich auf einen sol'hen geeinigt haben und mit der Cooptatio warten bis dass deine Hochzeit mit Aurelia Prisca vollzogen ist."
    Gracchus' linker Mundwinkel zog sich zu einem schiefen Grinsen empor. Dass er selbst Piso hatte vorgeschlagen und sich für dessen Aufnahme eingesetzt, wollte er dabei nicht erwähnen, schlussendlich entsprach dies nur seiner Überzeugung - welcher anderenfalls selbst die Familie musste hernach stehen.
    "Meinen Glückwunsch, Vetter!"

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  • Zuckte Gracchus da zusammen? Schien so. Dabei kam sich Piso nicht sonderlich gefährlich vor. Aus diesem grund hatte er es ja auch vermieden, ein Tribunat abzuleisten, was ja sein gutes recht war. In einer rüstung sah er lächerlich aus. Irgendwann mal hatte er Fechtunterricht genommen – sein Vater hatte ihn dazu gezwungen – aber hatte mittlerweile wieder alles verlernt. In einer Rüstung würde er genau so aussehen wie das, was er sein würde als Tribun – ein Zivilist in einer Rüstung. Und das, das wollte er sich nicht antun.
    Umso seltsamer war es für ihn, dass Gracchus so tat, aber gut, es mochte gut sein, dass sein Vetter ein ein wenig schreckhaftes Gemüt hatte. Nun gut, das mochte mit dessen künstlerisch-ästhetischer Seele zusammenhängen – wenn Piso und Gracchus etwas wirklich gemein hatten, war es diese. Der Flavier setzte sich an die Tischkante, als seine überquellenden Emotionen ein wenig in ihm schwanden.
    Piso, halb am Tisch hockend, schob dann aber flavisch seine rechte Augenbraue hoch, als er hörte, dass sein Vetter noch etwas für ihn in Reserve hatte. Er war extrem stark versucht, mit Worten heraussprudelnd zu fragen, was denn die Neuigkeit wäre, aber er hielt sich zurück. Bei der Bemerkung beim Wein lachte er aber. “Der beste Wein? Den habe ich schon parat!“ Er deutete nach hinten, wo tatsächlich irgendwo der Weinschlauch schon herumlungerte, bevor er seine Konzentration wieder auf Gracchus richtete. Der Mann wusste wirklich, wie man etwas spannend machte.
    Die Mitteilung seines Vetters traf Piso wie ein Rammbock das Tor einer belagerten Festung. Nicht nur psychisch, sondern auch physisch. Richtig gelesen, instinktiv versteifte er sich, verlor dabei aber den Halt, den er mit seinem Hinterteil am Tisch gehabt hatte. Er rutschte, mit weit aufgerissenen Augen, nach rechts, bevor er über die Kante des Tisches hinaus rutschte. Piso ruderte erschrocken mit seinen Händen in der Luft herum, aber das verhinderte nicht das Unvermeidbare. Er fiel nach hinten. Mit seinem Allerwertesten traf er schmerzhaft am Boden auf. “Au!“ Damit hatte Gracchus mit seiner Prophezeiung, Piso würde sich aufgrund der freudigen nachricht eine Verletzung zu ziehen, zweifelsohne recht gehabt.
    Unter normalen Bedingungen hätte Piso jetzt den Wehleidigen gespielt. Aber das waren nicht normale Bedingungen. So rappelte er sich mit erstaunender Schnelligkeit wieder auf und strahlte Gracchustrotz schmerzendem Hinterteil mit unverhohlener Freude an.
    “Ich? P..P...Pontifex?“ GEEEEEENIIIIAAALLL. Das war viel zu gut, um wahr sein zu können. Pontifex Aulus Flavius Piso. Einem Pontifex kam niemand krumm. Niemand. Es würde Piso in die höchsten Sphären katapultieren.
    “Das, das, das, ich, ich, ich“, kommentierte er das Geschehen mit einer Rhetorik zum Hinknien. “Wawa... uuuu... ohhh... du GROßARTIGER, TOLLER, WUNDERBARER, WUNDERSCHÖNER MENSCH!“ Mit diesen sich überschlagenden Worten umarmte Piso herzhaft Gracchus. “Ohhhh, danke! Das ist buchstäblich die Erfüllung meiner Träume! Pontifex! Ich... meine Kinder werden die Kinder eines Pontifex sein. Und wir, die Flavier... und ich... und sowieso... ahhhhh!“ Er lachte fast schon manisch. “Ich muss mich wirklich hinsetzen...“ Er ergriff sich einen Stuhl, der zufällig in der Nähe herumstand, zog ihn zu einer Stelle neben Gracchus hin, und umrundete dann den Tisch, um aus einem obskuren kleinen Platz einen Weinschlauch mit 2 Bechern herauszuzaubern. “Mannomannomann... viel zu viele gute Sachen für einen Tag.“ Noch immer ganz belämmert setzte er sich, schenkte zwei Becher ein, schob eines zu Gracchus rüber und schnappte sich eines. “Auf uns, Manius. Ich darf doch Manius sagen? Wir leben schon zu lange unter dem selben Dach, um uns noch immer anzureden wie zwei vage Bekannte“, gab der von Natur aus ziemlich anhängliche Piso seine Meinung Preis.

  • Obgleich Gracchus diesmalig durchaus auf überbordende Freude seines Vetters war vorbereitet, so - entgegen der scherzhaften Worte - doch nicht tatsächlich auf dessen beinahe akrobatische Sturzeinlage, ob deren er ein wenig erschrocken von seinem Stuhl emporfuhr, in Gedanken bereits das schlimmste befürchtend und darob in die Anfängen einer Selbstanklage verfallend über seine Insensibilität, welche Piso hatte zu Fall gebracht - doch dieser war eben so schnell wieder auf den Füßen, wie es von selbigen ihn hatte hinweg gefegt, so dass auch Gracchus seinen Leib wieder zurücksinken ließ. Gegenteilig zu seiner Standfestigkeit schien Piso indes nicht allzu schnell zu seiner Sprache zurück zu finden, was wiederum Gracchus doch in Sorge lies verweilen, ob dies ein Resultat des Sturzes mochte sein, wiewohl die nochmalig gesteigerte Freude, für deren Nomenklatur Gracchus allmählich die Begrifflichkeiten ausgingen, auch in ihm wiederum ein gewisses Maß an Überschwang evozierte, welcher ob der Begeisterungsfähigkeit seines Vetters selbst dazu gereichte, dass dessen Umarmung ihn weniger in Verlegenheit stürzte, als dass er ihm gar freundschaftlich auf die Schulter klopfte. Einige Augenblicke suchte Gracchus an den Tag sich zu entsinnen als - wer auch immer - ihm hatte mitgeteilt, dass die Pontifices ihn hatten in ihre Reihen kooptiert, doch entweder war dies den zahllosen Begebenheiten zuzuzählen, welche bei seinem Kollaps in den Trümmern seines Gedankengebäudes waren verloren gegangen, oder aber es war allfällig kein derart bedeutsames Ereignis gewesen, dass ihm dies war verhaften geblieben, da es letztlich ohnehin nur eine logische Konsequenz weit im Voraus geplanten Strebens war gewesen - was wiederum ihn auf den Gedanken brachte, dass er allfällig weniger Tatschen als Gegebenheiten sollte annehmen und sich mehr über die Kleinigkeiten des Lebens freuen seinem Vetter similär, wenn auch ihm dies wohl niemals in derart expressiver Art und Weise würde gelingen. Bereitwillig nahm er darob den Wein entgegen und prostete Piso zu.
    "Auf uns, Aulus, und die Zukunft der Flavia!"
    nahm er das Angebot seines Vetters indirekt an - denn wenn nicht an diesem Tage, wann sonst sollten sie diese Ebene familiärer Trautheit je erlangen? Nachdem er einen Schluck des überaus köstlichen Rebensaftes gekostet hatte, legte ein feines Schmunzeln sich um seine Lippen als er daran dachte, was wohl Aetius von diesem Anblick würde halten. Beinahe noch im gleichen Augenblicke indes vertrieb ein dumpfer Schatten auf seinem Gemüt das Amüsement darüber, denn schlussendlich war durchaus möglich, dass Pisos Vater in jedem Augenblicke den Raum betrat, hatte er doch noch immer nicht sich ins ferne Ravenna wieder zurückgezogen.
    "Was macht eigentli'h dein Vater? Strebt er ebenfalls noch eine Karriere in Rom an oder wird er uns bald wieder ver..lassen?"
    Obgleich Gracchus suchte jede Emotionalität aus seiner Stimme zu vertreiben, so mochte durchaus darin vernehmlich sein, dass letzteres ihm weitaus mehr würde behagen als seinen Onkel noch allzu lange unter dem gleichen Dache wohnen zu wissen.

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  • Arrrgh. Gracchus klopfte ihm auf die Schultern. Irgendwie taten sie das ständig, alle Gratulanten, Klienten und sonstige Glückwünscher. Sie klopften auf die Schulter, ohne zu wissen, dass die Schulter Pisos empfindliche Stelle hatte. Er hatte eine regelrechte Phobie davor, dort ein weniger fester als sachtest hinaufgeklopft zu werden. Es verursachte in ihm ein krampfhaftes Zusammenzucken, als würde man ihn mit dem Tode bedrohen. Natürlich wusste Piso, dass Gracchus es freundlich meinte. Aber dieses Schulterklopfen... urrg. Vielleicht sollte er einmal allen unmissverständlich klar machen, dass seine Schulter eine Tabu-Zone war? Hmm. Vielleicht war jetzt die richtige Zeit, Gracchus hatte das Zusammenzucken des jüngeren Flaviers unter Garantie gesehen.
    “Ähm“, machte er mit einem verlegenen Lächeln. “Verzeihung. Es ist nur so... meine Schulter ist eine etwas empfindliche Stelle bei mir...“ Hoffentlich genügte das als Erklärung. Hoffentlich gab Gracchus ihm nicht jetzt irgendwelche Ratschläge, die beinhalteten, dass irgendjemand an seinen Schultern herumdoktorte. Piso konnte so etwas auf den Tod nicht ausstehen. Wenn schon das bloße Hinaufklopfen bei Piso solche Reaktionen auslöste, da wollte er selber lieber nicht wissen, wie es sich anfühlen würde, schlitzte dort jemand herum. Es würde schlimm sein.
    Ach wenn dieses Mal, um ehrlich zu sein, seine Reaktion abgedämpft wurde durch seinen Adrenalinrausch. Noch immer pumpte das Blut durch seine Adern, ließ seine Gefühle wellenartig aufpeitschen, bewirkte ein Rauschen in seinen Ohren.
    Ob dies durch Wein gelindert werden konnte, dieses Gefühl?
    Er nahm zur Kenntnis, wie Gracchus jetzt, da Piso es ihm herausgedeutet hatte, auf Aulus umschwenkte. Piso grinste jetzt doch wieder. “Darauf stoße ich gerne an, Manius. Auf uns und unsere Gens. Möge sie erblühen und erwachsen. Dies an dich, Dea Dia, lasse Wachstum einkehren in diese Mauern.“ Er kippte seinen Becher ein wenig, um etwas Wein als Trankopfer auf den Boden tröpfeln zu lassen für die Göttin, deren Oberpriester er jetzt war. Zum Magister der Arvalbrüder ausgerufen worden zu sein ergab noch immer ein sehr seltsames Gefühl in ihm, aber eines war sicher – er würde sich eine Statue der Göttin des Wachstums besorgen und sie in sein Arbeitszimmer stellen lassen, neben Vespasian hin. Und, wenn er schon dabei war, würde er sich auch noch gleich eine Statuette von Apoll besorgen. Venus hatte er ja schon in seiner Sammlung, genauso wie Titus, der schon seit Anbeginn seines Aufenthaltes in Rom in seinem Cubiculum stand.
    Gracchus sprach plötzlich etwas an, was bei Piso inneren Unmut auslöste. Er mochte nicht über seinen Vater reden, nicht jetzt, niemals! Und doch erschien ihm eine Antwort unumgänglich. “Er wird wieder nach Ravenna zurückkehren“, informierte er deshalb, versuchend, sich nichts anmerken zu lassen, “Meine kleine Schwester wird er aber hierlassen. Domitilla. Ich werde sie wohl am Hals haben in Zukunft. Wobei ich verwundert sein sollte, dass mein Vater mir die Rolle eines Aufpasswauwaus zutraut.“ Er trank einen großen Schluck von seinem Becher Wein, wie, um Erinnerungen herunterzuspülen.

  • Noch gerade im letzten Moment konnte Gracchus verhindern, dass auf Pisos Eröffnung seine Schulter betreffend ihm eine Augenbraue empor rutschte, wirkte dies doch im ersten Augenblicke ein wenig befremdlich, doch schlussendlich steckte Gracchus nicht im Leibe seines Vetters und konnte sich darob auch kein Urteil über die Sensibilität dessen erlauben, denn allfällig gab es durchaus triftige Ursachen oder Gründe hierfür - und selbst wenn nicht, gab ihm dies kein Recht zu richten -, so dass er nur ein leises
    "Selbstverständli'h, entschuldige ..."
    drauf murmelte, dies nach Pisos Libation allerdings bereits wieder hatte vergessen, insbesondere da sein Vetter alsbald die erhofften Worte aussprach.
    "Das ist eine gute Neuigkeit!"
    ließ er bereitwillig seine Erleichterung über die Lippen entfleuchen, ehedem er ein wenig verschämt über den Becherrand blickte.
    "Ich meine … ich ..."
    , begann er eine Exkulpation zu suchen, winkte jedoch gleich darauf resigniert ab.
    "Einerlei, du weißt schließlich ohnehin wie wir zueinander stehen. Solange er und ich kaum nur Be..rührungspunkte miteinander haben, mag diese Koexistenz unter einem Dache funktionieren, doch wenn er zudem su'hte, in die Gefilde meiner Amtsge..schäfte einzudringen ..."
    Beinahe zornig biss Gracchus seine Zähne aufeinander, legte die Stirne in Falten und fühlte in sich die Wut empor brodeln - die Wut über die Ungerechtigkeit der Welt, die ihn stets Cnaeus hatte unterlegen gemacht, und selbst jetzt noch, selbst wenn sein Onkel nicht einmal anwesend war, zog er ein einem räudigen Hunde gleich seine Rute ein, ließ sich in seinem eigenen Heim einschränken, würde am Ende gar noch seine Ämter aufgeben, nur um nicht ihm unter die Augen treten zu müssen! Ebenso rasch wie der Zorn in ihm emporschoss, senkte er sich indes wieder ab, so dass Gracchus nurmehr seine Schultern ließ sinken und nach einem Schluck Wein nachdenklich wurde.
    "Eines Tages wirst du deine Schwester allfällig verheiraten müssen - dann ist es besser, wenn du selbst ihrer Erziehung ein wenig na'hgeholfen hast und weißt, worauf du gefasst sein musst, ehedem sie dir auf der Nase herumtanzt."
    Mit gemischten Gefühlen dachte er an seine eigene kleine Schwestern zurück, die sich - zwar nicht nur, aber doch hauptsächlich wie Gracchus glaubte - über ihre eheliche Zukunft das Leben hatte genommen, ob dessen er seufzend beifügte:
    "Oder sich ein Messer ins Herzen sticht."

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  • Der Jüngere der beiden, noch immer etwas verstört durch die abrupte unangenehme Berührung, winkte ab. “Ah wo... ach wo... das geht schon. Das passt schon“, machte er nur beschwichtigend. Was sollte er auch sonst tun? Sich Aufplustern wäre wohl die falsche Strategie.
    Noch ehe der letzte Tropfen der Libatio den Boden berührt hatte, in Tausende von kleinen Untertröpfchen aufsplitternd, als er unten aufkam, um Dea Dia zuteil zu werden, hatte Piso schon den Becher an seinen Mund herangeführt und schickte sich an, daraus seinen ersten Schluck zu nehmen. Und als der Wein sich gleichmäßig endlich auf dem Boden ausbreitete, setzte Piso wieder ab. Er hob die rechte Augenbraue marginal. Wie? Gracchus war froh und entschuldigte sich?
    Seine Stirn glättete sich wieder, wie er die—typisch Gracchus—überaus kompliziert vorgebrachte Erklärung gab für seine Worte. War das Zorn, was Piso da sehen konnte? Piso blinzelte und nahm wieder einen Schluck.
    “Manius... ich kann dich verstehen.“ Er nahm wieder einen Schluck. “Denkst du, ich habe eine hohe Meinung von ihm? Pah.“ Das war nicht wirklich etwas, was man sich von einem Sohn zu sagen erwarten durfte. Aber Piso sprach die Wahrheit. “Mein Vater hat meine Kindheit zu einer endlosen Hölle gemacht“, machte Piso tonlos. “Er hat meine Mutter umgebracht.“ Peng, jetzt war es raus. Aber Gracchus konnte sich vielleicht denken, was passiert war. “Niemals habe ich auch nur einen Funken Liebe bekommen. Oder Anerkennung. Leontia hier, Nigrina da. Aber ich?“ Er schnaufte aus. “Ohne meine Freunde damals in Ravenna, und ohne Vera, hätte ich es nie ausgehalten. Götter, bin ich froh, dass ich aus Ravenna weg bin. Keine hundert Pferde ziehen mich dort wieder hin. Ich habe ja schon daran gedacht, meinen Landbesitz in Oberitalien gegen Landbesitz weiter südlich einzutauschen, um meine letzten Bindungen an Oberitalien abzubrechen.“ Es war kein Zorn, der in ihm sprach, eher Deprimiertheit.
    Das Ende seiner Tirade nutzte er, um noch einmal einen Schluck Wein zu trinken.
    Seine Schwester? Ach ja. Er nickte.
    “Deine Worte sind weise." Wie halt immer. "Nun ist es ja so, dass meine Schwester schon gut erzogen ist. Bis auf ihre eigenen Idiosynkrasien. Aber, Manius, ich glaube nicht, dass es je einen Flavier gegeben hatte, die sich jene austreiben lassen hatte.“ Idiosynkrasie! Piso wurde seinem Vetter auch immer ähnlicher. Würde er in zehn Jahren auch auf seinem Stühlchen in seinem Tabularium hocken und weise Sprüche klopfen? Na, das würde Prisca wohl gigantisch freuen. Nun fein, die gegenwart von Gracchus konnte man sicherlich unter der Kategorie „Vokabelbereicherung“ abhaken. Ja, das war ein besserer Gedanke.
    “Aber auf jeden Fall werde ich moch bemühen. Auf jeden...“ Dann hielt er inne. Messer ins Herz? Seine Gesichtszüge entglitten ihm, und er blickte rechtschaffen dumm drein. Was war den damit schon wieder gemeint? “Ähm. Nein. So weit wird es schon nicht kommen.“

  • Trotz allem was er über Cnaeus Aetius wusste, trotz der geringen Meinung, welche er selbst von diesem hatte, so erstaunte Gracchus doch, dass Piso als dessen Sohn seine eigenen Ressentiments so freimütig zugab, und er wollte bereits ihn mahnen, sich nicht dazu hinreißen zu lassen, dies außerhalb der flavischen Mauern auszusprechen, als sein Vetter beinahe beiläufig konstatierte, dass Cnaeus seine Frau hatte umgebracht. Selbstredend hatte die Familie stets sich ihre Gedanken zu Aetius' Verschleiß gemacht, selbstredend hatte der ein oder andere hinter vorgehaltener Hand Vermutungen angestellt, doch nie hatte jemand diese Gedanken laut ausgesprochen - so dass sie nie wirklich real waren gewesen -, wiewohl es für Piso zweifelsohne keine Mutmaßungen waren, denn wer wenn nicht er würde dies genau wissen? Für Gracchus indes kam der Schrecken mit einem Male um so dräuender über ihn, dass die Furcht, welche seit Jahrzehnten in ihm schwelte, welche bereits seit Aetius' Ankunft begierig mit ihren scharfen Klauen an der Türe kratzte, hinter welche er sie hatte verbannt, in einem gewaltigen Aufbäumen sich erhob und all ihre Kraft in einer einzigen Anstrengung entlud, endlich aus ihrem Gefängnis auszubrechen, sich auf ihn stürzte wie der ausgehungerte Löwe sich auf seine Beute, dass Gracchus in einer hastigen Bewegung, da er den Becher zurück auf den Tisch wollte stellen, den halben Wein über den Becherrand kippte.
    "Er ... hat sie ... umgebracht?"
    repetierte er entsetzt mit großen Augen, bar jeglicher Contenance, wobei seine Frage mehr einer Feststellung glich, denn im Grunde hegte er kaum Zweifel an dieser Tatsache, welche doch all seine schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen schien, und alles andere - eine mehr als triste Kindheit, flavische Idiosynkrasien, von welchen er sonstig nicht hätte nachvollziehen können, was Piso damit wollte ausdrücken, und der ungläubige Blick seines Vetters, welcher allfällig ihn hätte ein wenig derangiert - verlor jegliche Bedeutung im Angesichte der Fährnis. Eine regelrechte Panik legte sich über seine Sinne, ein unwillkürliches Zittern ergriff von seinen Händen Besitzt. Ich werde dich umbringen, Manius Gracchus, mit meinen eigenen Händen werde ich dir deinen Hals umdrehen! rauschte seines Onkels Stimme in seinen Ohren als wäre es gestern gewesen, dass er diese Drohung hatte ausgestoßen, und Gracchus' Blick blieb inwendig in sich hinein gerichtet, gefangen in einer Realität, die mit der Vergangenheit verschwamm, wehrlos seinem Onkel ausgeliefert, ohne dass noch ein Vater sich schützend vor ihn stellte. Er war kein Löwe. Er war nie ein Löwe gewesen. Er würde nie ein Löwe sein.
    "Wann wird er ab..reisen?"
    fragte er heiser, vergeblich darum bemüht, die Panik aus seiner Stimme, aus seinem Blick zu vertreiben. Hatte er nicht gerade erst die Larven in seinem Nacken in ihre Schranken verwiesen, um seinen Kindern die notwendige Basis einer erfolgreichen Existenz zu gewähren? Sollte dies nun alles scheitern an den Händen, welche Aetius ihm an seine Kehle würde legen? War er darum überhaupt erst nach Rom gekommen? Mochten seine Abreisepläne etwa nur bedeuten, dass er zu diesem Zeitpunkt das Ziel seiner Rache würde erreicht haben - Gracchus' Existenz auszulöschen?

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  • Piso schnaufte. Er atmete schwer. Wie ein Sprinter, dessen weiter Weg von Marathon nach Athen ihn an das Limit seiner körperlichen Fähigkeiten gebracht hatte. War das Schweiß, welches über seine Stirn lief? War das möglich? Denn es war nicht sonderlich warm. Er hatte gequasselt. Hatte sein Herz ohne rechte Struktur und Koordinierung auf den armen Gracchus ausgeschüttet. Was ihm in seinem Kopf herumging. Was mit seiner Vergangenheit nicht im Reinen war. Was alles so entsetzlich war an seinem Leben. Er blinzelte. Dann nickte er, als Gracchus das ansprach, was Piso am Meisten belastete, was er inkohärent und unzusammenhängend im Kontext herausgewürgt hatte. Er schnaufte tief ein. Versuchte, etwas ruhiger zu reden.
    “Als ich fünf war. Er hat ihr... er hat ihr die Kehle durchschneiden lassen. Und über die Klippen von Ravenna geworfen. Er hat es mir verheimlicht. Bis vor... bis vor... ach, ich weiß auch nicht, wann. Es war vor Veras Tod. Bevor ich Vigintivir und Septemvir wurde. Ach Götter...“ In seinen Tränen schimmerte es verräterisch auf. Daran konnte auch wiederholtes Blinzeln nichts helfen. “Ich... ich kann mich an gar nichts mehr erinnern, was sie angeht, Manius. Gar nichts. Ihr Lächeln glaube ich noch gewahr zu haben. Aber sonst... ich würde alles geben, um wenigstens zu wissen, wie sie aussah, Manius. Alles.“
    Tief holte er Luft und senkte seinen Blick zu Boden. “Ganz unverblümt hat er es mir dann gesagt. Hat gesagt, ich sollte froh sein, dass er mich von ihr befreit hat. Sie wäre mir keine gute Mutter gewesen... sie war ja nur eine... eine Plebejerin...“ Er schaute wieder hinauf. Fixierte Gracchus mit blutumrändeten Augen, welche die Augen zu roten Rädern machten, mit den Pupillen als Achsel und den Adern als Speichen. Schnell wieder schlug er seine Augen nieder.
    “Erstaunt? Hmm? Dass ich ein halber Plebejer bin? Hä? Kann ich mir vorstellen. Ich erzähle es ja auch nicht rum. Normalerweise.“ Er griff sich in seine Haare. Fuhr sich darin herum . Verkrampfte seine Hände in seinen schwarzen Locken. “Mein ganzes Leben lang habe ich mich gesehnt nach meiner Mama... könnte ich sie nur umschließen... einmal... einmal...“ Er ließ seine Hände sinken und blickte wieder Gracchus an.
    “Verzeih mir... Manius. Dass ich dich damit belastet habe. Es wäre mir nicht zugestanden...“, machte er, erstaunlich kleinlaut und dozil für Pisos Verhältnisse. “Bitte. Bitte, bitte, erzähle niemanden was davon. Niemanden.“
    Er schluckte wieder, und kurz versuchte er wieder einmal, das Gesicht seiner Mutter vor sich zu visualisieren. Es ging nicht. Es ging nicht. Genausowenig, wie es die letzten 10 Jahre, die letzten 20 Jahre ihm gelungen war.
    Die letzte Frage sickerte zu ihm durch wie ein lauer Wind. “3, 4 Tage noch. Vielleicht auch nur zwei“, antwortete er wortkarg und gedankenabwesend. Er konnte sich vorstellen, dass Gracchus Aetius so eh wie es ging aus dem Haus haben wollte. Genauso, wie Piso ihn weg haben wollte. Für immer, am Liebsten. Doch... er war ja sein Vater! An ihn Hand anlegen konnte er einfach nicht!

  • Auch Piso schien nun zu realisieren, welche Gefahr, welch mörderisches Geschehen im Hause der Flavier sich anzubahnen schien, auch auf seinem Antlitz zeigten sich die Spuren der Panik, welche in Gracchus tobten. Doch je mehr Worte über die Lippen seines Vetters tröpfelten, je mehr Wellen der Emotion über Piso hinweg schwappten und wieder verebbten, desto deutlicher wurde, dass er nicht etwa sich um einen weiteren Mord sorgte, sondern vielmehr mit seinen eigenen daimones hatte zu kämpfen - und desto mehr ebbte der Sturm in Gracchus' Innerstem ab zu einer sanften Brise, klang ebenso rasch wieder ab wie er sich hatte erhoben. Derangiert blinzelte Gracchus, hob ohne dessen sich gewahr zu sein die linke Braue empor, da er nur schwerlich die Sorgen seines Vetters konnte nachvollziehen, sie keinesfalls ihm derart essentiell erschienen, Piso derart aus der Fassung werfen zu können.
    "Sie war eine ansehnliche Frau"
    , bemerkte er ein wenig zerstreut.
    "Schön, doch von eher zurückhaltendem Charakter."
    Aufmüpfige Frauen hätte Aetius niemals an seiner Seite geduldet, auch keine, die ihre Klugheit allzu offen zeigten, welche ihn selbst somit hätten in den Schatten stellen können, doch attraktiv waren sie alle gewesen.
    "Ich habe sie auf ihrer Hochzeit kennen gelernt. Obgleich es jeweilig eine enorme Strapaze war, hat mein Vater stets großen Wert darauf gelegt, dass ich zu diesen familiären Festivitäten aus Achaia her anreiste, selbst zu solch skandalträ'htigen Festen wie dies eines gewesen ist, wenn auch wie üblich nach außen hin ein gänzlich anderes Bild war vermittelt worden."
    Er hob eine Hand, um sich die Unterlippe zu kneten und suchte sich genauer an die Frau zu erinnern, für welche er wenig Acht hatte gefunden, stand doch sein Begehr schon damals nach den Leibern schöner Männer oder aber dem weiblichem Schöngeist und Esprit - welchen die Calpurnia nicht hatte offen gezeigt, welchen sie indes zweifelsohne hatte besessen, denn von Aetius hatte Piso seinen Sinn für Ästhetik kaum wohl geerbt.
    "Ihr Haar war von hellem Braun, ein wenig heller noch als das deine, ihr Antlitz schmal und wohl..geformt, und ihre Augen hell und aufmerksam."
    Er blickte kurz zu Pisos ohne diesen tatsächlich anzusehen.
    "Wohl ähnlich den deinen, obgleich ich mich nicht mehr genau daran entsinne."
    Gracchus' Hand senkte sich wieder und ein nachsichtiges Lächeln umschmeichelte seine Lippen.
    "Man sah ihr nicht an, dass sie eine Plebejerin war, sie hätte ebenso einem patrizischen Zweig ent..stammen können. Doch innerhalb der Familie war es selbstredend kein Geheimnis, Aulus - es war ein Eklat."
    Ein berechtigter Skandal wie Gracchus befand - obgleich dies ihn damals noch wenig hatte tangiert -, denn Aetius hatte sich seinen Gelüsten hingegeben und damit über alle guten Sitten sich hinweg gesetzt.
    "Doch weshalb sollte dies eine Auswirkung auf dich haben? Du wurdest geboren als Sohn eines Flavius, in dir fließt das Blut eines Flavius, du bist dur'htränkt von flavischer Bewusstheit - und einzig dies ist es, das zählt, denn dies ist es, was zu einem Flavius dich macht."
    Wäre indes Pisos Mutter keine Bürgerin gewesen, wären seine Ansichten selbstredend andere, doch in diesem Falle konnte Gracchus großzügig darüber hinweg sehen, wiewohl er gar ein wenig betrübt dachte, dass sein Vetter - der Sohn einer Plebejerin - ein weit besserer Flavius war als all seine Brüder, die nicht nur das patrizische Blut ihres Vaters, sondern gleichwohl ihrer Mutter hatten geerbt. Bezüglich der Sehnsuch seines Vetters jedoch mochte Gracchus kein Wort verlieren, schwankte er selbst doch zwischen dem Groll auf seine eigene Mutter, der Sehnsucht nach ihr, nach einem ihm unbekannten Zustand, und der Larmoyanz ob ihrer letzten Nachricht - nicht umsonst trug er noch immer ihren Ring an dem kleinen Finger seiner Linken.
    "Ich werde niemandem darob etwas berichten, Aulus, dessen sei dir versichert."
    Allein schon, um üble Nachrede von der gesamten Familie fern zu halten, war dies angebracht.
    "Die nächsten Tage werde ich mich wohl ohnehin rar machen bis dein Vater Rom ver..lassen hat."
    Er würde früh aufbrechen zum Forum hin, zur Regia, in die Thermen oder wohin auch immer, auswärts essen und erst spät wieder nachhause zurück kehren, Sciurus dabei anweisen, einen treuen Sklaven zusätzlich vor dem Zimmer zu postieren. Er war kein Löwe. Nicht im Angesicht seines Onkels.
    "Ist mir doch mein Leben zu teuer, es an seinen Wahnsinn zu ver..schwenden."
    Im Grunde genommen war er ein Hase. Indes mochte es durchaus Hasen geben, welche versteckt in ihren Höhlen zufrieden alt wurden, während die hungrigen Löwen sich gegenseitig zerfleischten. Nein, im Grunde verlangte es Gracchus ohnehin nicht danach, ein Löwe zu sein.

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