Atrium | Wieder einmal auf Besuch

  • Die Zeit verging schnell. Viel schneller, als sie es sich wünschte. Viel schneller, als es gut wäre. Romana war kein junges Ding mehr, sie spürte es. Die Erinnerungen an die Zeit, da sie noch 18, 19, 20 gewesen war, schienen immer weiter entfernt. Es würde wohl, bei der Schnelligkeit, mit der sich die Welt drehte, voller Festlichkeiten zu Ehren der Götter, in welchen Romana immer geübter und geschickter wurde, nicht mehr lange dauern, bis sie 30 war. Dreißig! Eine entsetzliche Zahl, die Romana nicht behagte, die aber noch in der Zukunft lag.


    Und schon jetzt war es so, dass sie die Tante zweier junger Hüpfer war. Tante Romana, das klang fürchterlich, befand sie. Die Kinder von Galeo und Musa... sie würde auch schon Kinder haben, hätte sie geheiratet. Tja. Hätte, wäre, wenn.


    Doch ihren Neffen und ihre Nichte zu besuchen war wohl unausweichlich. Schließlich hatte man als Tante Verpflichtungen, auch wenn die Verwandtschaftsverbindungen nur biologisch waren. Und es war ja schon so, dass sie Galeos Kinder wieder einmal sehen wollte.


    Die Kutsche, welche Romana als Vorbewegungsmittel immer mehr bevorzugte, denn wenn man schon Privilegien hatte, sollte man sie auch nutzen, blieb knarrend vor der Türe zur Villa Claudia stehen. Der griesgrämige Sharif, seines Zeichens Ianitor und missmutiger Sklave, ließ Romana durch, er kannte sie ja schon.


    Die Claudierin war schon einige Zeit nicht mehr in der Villa gewesen, was sie sich abermals ins Gedächtnis rufen musste, als sie ins Atrium eintrat. Viele Jahre war es schon her, dass sie aus Clusium gekommen war, nur um ein Atrium zu erblicken voller vertrockneter und halb abgestorbener Pflanzen. Viel hatte sich geändert. Das Atrium war begrünt. Von den Rändern des Daches herab hingen blühende Ranken. Topfpflanzen zierten die Ecken des Atriums. Eine Büste von Kaiser Claudius war umkränzt von hübsc hen Kakteen. Romana, der Pflanzenfreundin, kam ein Lächeln, als sie sah, wie viel sich getan hatte.


    Ein Sklave versuchte unentdeckt sich vorbeizuschleichen. Doch nicht mit Romana, die sich abrupt zu ihm drehte und ihn am Ärmel erpackte, ihn zurückreißend. “Bursche! Geh und richte Claudia Livinea und Quintus Claudius Felix aus, dass ich sie hier im Atrium gerne sprechen möchte.“ Der Sklave katzbuckelte, eingeschüchtert vom strikten Blick der Vestalin. Ja, Romana konnte gut streng dreinschauen, aber auch nur, wenn sie mit Nichtrömern konfrontiert sah. Vor allem konnte sie, aus offensichtlichen Gründen, gut von oben herab schauen.


    “Na los, oder soll ich dir Beine machen?“, setzte sie hintennach, nicht mit scharfer Stimme, nicht einmal mit allzu bestimmter, als der Sklave nicht sofort spurte, was den Sklaven trotzdem durchaus dazu veranlasste, sofort loszueilen. Romana indessen hockte sich auf eine Liege, während der strenge Gesichtsausdruck, den sie vorher für den Sklaven aufgesetzt hatte, wieder schwand und einem erwartungsvollen Platz machte. Sie wusste kaum etwas über ihren Neffen und ihre Nichte, hoffte aber, dem Abhilfe zu verschaffen.

  • Morrigan kam gerade mit Arm voller Blumen, die sie in der Villa verteilen wollte aus dem Garten, wen musste sie da erblicken? Romana.. na prima… warum musste sie ihr auch immer wieder in die Arme laufen…Augen zu und durch dachte sich Morrigan. „Salve Domina Romana. Hat sich schon jemand um dich gekümmert? Soll ich jemanden für dich rufen lassen? Kann ich dir irgendetwas bringen? Einen Wein? Etwas zu essen?“ Insgeheim hoffte sie zwar das sich schon jemand um Romana bemühte, aber einfach vorbei laufen wäre wohl auch keine gute Idee gewesen…

  • Gerade wieder fand Romana in jenes innere Äquilibrium zurück, welches sie für ihre Verwandte bereit hielt, da kreuzte eine Sklavin auf, die sie noch gut im Gedächtnis hatte. Nein, Romana vergaß nie jemanden, der sie so schändlich beleidigt hatte wie die Perserin damals. “Morrigan“, machte sie anstelle einer Begrüßung. “Ich sehe, du hast dein Latein verbessert.“ Kein Wunder, es war ja schon einiges an Zeit vergangen. Sie blinzelte kurz überlegend, als die Sklavin ihr eine Palette von feinen Sachen anbot. “Nein, hat sich noch niemand. Und ja, kannst du. Sollst du sogar. Wein“, machte sie knapp als Antwort auf Morrigans Fragen, ohne ein Bitte dazuzusetzen. Das würde sie vielleicht bei anderen Sklaven machen. Aber nicht bei dieser Morrigan, welche sie damals zu einem Fleischklumpen gepeitscht hätte, hätte nicht Quintus in letzter Sekunde interveniert und Romana von ihrem Blutdurst abgehalten.

  • „Natürlich Domina kommt sofort.“ Erwiderte sie, ohne den Kommentar zu ihren Lateinkenntnissen einzugehen.
    Morrigan begab sie auf dem schnellsten Wege in die Culina um den Wein für Romana zu holen.
    Ihre Wahl fiel auf einen der teuren Hausweine, wusste sie doch das Romana anspruchsvoll war.
    Schnell noch stellte sie die Blumen ins Wasser, später würde sie sich darum kümmern und sie im Haus verteilen. Morrigan mochte diese Farbtupfer, besonders wenn sie mit den jeweiligen Farben der Zimmer harmonierten.
    Bewaffnet mit einem Tablett, auf dem sich der Weinkrug, Wasser und ein Becher befand, kam sie zurück.
    Sie stellte alles auf den Tisch ab und wandte sich der Claudia zu. „Domina Romana wünscht du den Wein verdünnt oder unverdünnt?“ Morrigan wartet auf die Antwort, bevor sie einschenkte.
    Man konnte ihr nicht anmerken, was sie wirklich dachte und das sie Romana wohl eher lieber ins Gesicht gesprungen wäre, als sie zu bedienen. Nein Morrigan hatte nicht vergessen, wie diese Frau reagiert hatte, wie eine Furie… wie ein Dämon… Morrigan war immer noch davon überzeugt, das Romana sie wohl umgebracht hätte, wenn ihr Herr nicht dazwischen gegangen wäre. Morrigan war fest davon überzeugt, das Romana verrückt oder schlimmer noch von bösen Geistern besessen war.

  • Claudia hatte nicht gerade begeistert reagiert, als ein Sklave hereinkam um ihr zu sagen, dass sie im Atrium erwartet wurde. Jemand ließ nach ihr rufen? Das mochte sie gar nicht. Livineia war es gewöhnt, dass sie rufen ließ, aber selbst 'hergepfiffen' zu werden? So zumindest klang der Sklave, als er ziemlich wortwörtlich meinte: 'Domina will dich im Atrium sprechen.' Den Tonfall würde sie dem Frechdachs auch noch austreiben! Sie hatte ihm unverzüglich eine unkommentierte schallende Ohrfeige verpassti. Normalerweise hätte sie etwas zeitinensiveres unternommen, um zugleich auch die Langeweile zu vertreiben, die sie oft beseelte - aber wenn jemand scheinbar Wichtiges nach ihr rufen ließ, sollte sie auch losgehen. Egal, wie sehr es ihr widerstrebte. Warum er die Ohrfeige erhalten hatte, musste er sich also selbst überlegen.
    Als Livineia sich dann also dem Atrium näherte, in dem sie eher ihre Mutter als ihre Tante erwartete, hörte sie Morrigans Stimme. Sie hatte die Sklavin irgendwann schon einmal gesehen und auch gehört, aber ihren Namen wusste sie nicht. Wozu auch. Sie war ja ebenfalls nur eine Sklavin unter vielen. Aber immerhin vernahm sie den Namen "Domina Romana" und wusste nun, dass sie mit ihrer Tante rechnen musste, die schon länger bei den Vestalinnen war und die sie noch nicht allzu oft gesehen hatte. Selbst kurz vor ihrer Reise hatte sie ihre Tante kaum gesehen. Mit einem artigen Lächeln auf den Lippen schritt sie in kleinen Schritten auf ihre Tante zu. "Hallo Romana!" sprach sie mit ihrer hübschen Stimme. An Livineia war im Grunde genommen alles hübsch: Ihr natürliches Aussehen, ihre Schminke darüber, ihre Haare, ihre Stimme, ihre Augen - nur nicht ihr Charakter. Dass sie stets härter mit Sklaven und abfälliger mit Plebejern umging, als es nötig war, war in der Familie nicht unbekannt. "Wir haben uns lange nicht gesehen, wie geht es dir?" Sie ignorierte die eben noch sprechende Morrigan vollkommen. Sie hatte gefälligst zu warten. Sie griff zur Begrüßung nach Romanas Händen und drückte diese kurz mit ihren, ehe sie sich dann ebenfalls setzte. Livineias Finger waren lang und schlank und mit zierlichen Ringen versehen.

  • Die Claudia wurde erst aus ihren Überlegungen gerissen, als Morrigan wieder auftauchte. Siefixierte die Sklavin mit einem blick, den sie nur für Sklaven reserviert hielt. “Verdünnt“, antwortete sie, natürlich ohne ein Wort der Bitte oder des Dankes. Sie streckte nur erwartend die Hand aus, es für absolut selbstverständlich erachtend, dass die Sklavin ihren Wunsch erfüllen würde. Dazu war sie ja da. Und selbst wenn die Sklavin widerspenstig war – und das war sie, das wusste die Claudierin – so hatte sie ihr ohne Frage den Respekt vor ihrer Person mit der Peitsche eingebläut.
    In dieser Position fand Livineia Romana vor. Romana wandte ihren Kopf von der Sklavin ab, lächelte und ließ den Wein Wein sein. “Livineia!“, rief sie erfreut aus. “Schön, dich zu sehen!“ Natürlich wusste sie, bei wem es sich hier handelte. Ihre Nichte – der sie übrigens ziemlich dankbar war, dass sie sie nicht Tante Romana nannte. Denn das würde Romana wohl als Gruftspionin abstempeln, zumindest in der Claudierin drinnen, die, obwohl Vestalin, vor der Eitelkeit auch nicht komplett gefeit war. Romana mochte zwar älter sein als Livineia, aber das änderte nichts daran, dass sie sich noch jung fühlte, auch wenn man hie und da annehmen konnte, dass in ihr die Überzeugungen einer Fünfzigjährigen steckten.
    Um ehrlich zu sein, beneidete Romana ihre Nichte, so, wie sie vor ihr stand, um ihre Schönheit, die die Männer sicher reihenweise aus den Socken haute. Nicht, dass Romana hässlich war. Aber ihre Makel waren unübersehbar – sie war zu groß, hatte einen eher jungfräulich-kleinen Vorbau, und ihre dunkle Stimme klang eher nach Rauch als das zarte Vogelgezwitschere, welches Livineias Stimme evozierte. Zudem schminkte Romana sich nicht, niemals. Eine Vestalin durfte das nicht. Doch den Himmeln sei Dank gab es in Romanas Gesicht nichts Sonderliches, was man mit Patze überdecken musste. Aber was mit Livineia an ihr mithalten konnte, das waren ihre Haare, dessen war sich Romana ziemlich sicher. Und vielleicht die Augen.
    Livineia setzte sich neben Romana hin, ihre Hände haltend, und Romana lächelte, als sie die Frage hörte. “Ja, es ist schon elend lange her, nicht wahr? Mir geht es gut, danke. Meine Pflichten im Atrium Vestae erfüllen mich noch immer wie eh und je, und die Götter verschonen mich von Krankheiten und Kummer.“ Warum denn auch nicht? Eine bessere und ergebenere Dienerin als Romana mussten die Götter in ganz Rom erst einmal finden.
    Ihr Blick fiel auf die Zierade, welche Livineias Finger bedeckte. “Du hast ja schöne Ringe. Sie stehen dir gut“, bemerkte sie, die Begierde darauf, selber Schmuck zu tragen, in sich erstickend. “Wo ist eigentlich Quintus? Ich meine, dein Bruder?“ In der Gens Claudia gab es ja einige Quinti, zuerst einmal ihr Lieblingsvetter, dann dessen Bruder, dann ihr Neffe, ohne die Cognomina könnte man ganz schön durcheinander kommen!
    “Und, sag, wie ist es dir ergangen? Erzähl mir mal!“ Mit leuchtenden, erwartungsvollen Augen blickte Romana ihre Nichte an.

  • Sie verdünnte den Wein und gab der Verrückten ... ähm Romana den Becher in die Hand.
    Morrigan verlor dabei keine unnötigen Worte, soll heißen sie sagte gar nichts, sie wollte das Gespräch der Beiden nicht unterbrechen. Sie blieb aber in Reichweite falls die andere auch was wollte.

  • Livineia hingegen beneidete Romana um gar nichts. Nun, vielleicht um die Möglichkeit, nicht zum Heiraten gezwungen zu werden, aber selbst da war sie sich nicht sicher. Sie war mit sich selbst nämlich so vollends zufrieden, dass für sie gar nicht in Frage kam, andere an ihrem Äußeren mit sich selbst zu messen. Mit Großherzigkeit oder Natürlichkeit hatte das wenig zu tun - es war schlichtweg Selbstsicherheit. Nur wenn jemand wirklich hässlich war, aus ihrer Sicht, begann sie zu messen - und zu verachten, ja, gar zu spotten. Es war schon schön, so sehr von sich überzeugt sein zu können, dass man keinen Neid kannte. Und somit konnte Livineia auch viele Gefühle einfach gar nicht nachvollziehen, die andere vielleicht hegten.
    Zu hören, dass es Romana gut ging, erfreute Livineia auf eine höfliche Art und Weise. Gegenteiliges wäre natürlich nicht schön zu hören gewesen, aber eine Nachricht die für sie selbst negative Resonanzen bringen könnte - und wenn es nur jene Nachricht wäre, dass sie am nächsten Tag kein Essen bekommen könnte - hätte sie mehr betroffen als das schlechte Befinden ihrer Tante. Egal war sie ihr natürlich auch nicht, aber das Interesse am eigenen Wohlbefinden dominierte eindeutig. Trotzdem strahlte sie aus beiden Augen, als Romana erklärte es ginge ihr gut. "Das klingt doch wunderbar! Jemanden der den Göttern so treu ergeben dient, müssen sie doch auch einfach lieben!" konstatierte die junge Claudia und nickte noch immer lächelnd. Sie wusste nicht, dass Romana tatsächlich so ergeben war, aber wer sich in die Enthaltsamkeit begab - und nach ihrer Erinnerung heraus sogar freiwiliig - musste doch ergeben sein. So falsch konnten ihre Worte also nicht sein. Morrigan wurde im Übrigen noch immer fleißig ignoriert. Allerdings staunte Livineia, wie ruhig diese aufsässige Sklavin in diesem Moment war.
    Als Livineias Ringe gelobt wurden wurde ihr Lächeln aufrichtiger und aufrichtiger. Sie liebte Komplimente. "Ohja, vielen Dank! Ich habe sie in Achaia erworben, man sollte meinen die ganzen Philosophen haben keine würdigen Schmuckmacher unter sich, aber da gab es doch einen Schmied der wirklich schöne Waren anbieten konnte. Aber sie waren auch wirklich teuer, er weiß, was er kann." erzählte Livineia, nicht, ohne den Kostenpunkt auszusparen. Hach, gleich soviel reden. Aber gut, es ging schließlich um sie. Sie atmete einmal tief durch, ehe sie begann. "Quintus, gute Frage. Vermutlich kümmert er sich um seine Zukunft, Großvater war ganz hin und weg von seiner Rede bei den Ludi. Du hast ihn doch sicher auch gesehen? Ich bin furchtbar stolz auf ihn. Ich bin mir sicher, er wird es einmal ganz weit bringen. Auch als wir in Achaia waren, haben wir uns wunderbar ergänzt. Stell dir nur vor, er hat die Ringe mit mir ausgesucht und auch viel Kleidung. Er hat wirklich guten Geschmack bewiesen, aber er ist ja auch mein Bruder." Livineia klimperte vergnügt mit den Wimpern, als sie den guten Geschmack der beiden hervorhob. Immerhin hatte sie den Anstand, so zu tun, als würde sie sich selbst nicht in den Himmel loben, sondern ihren Bruder.


    [SIZE=7]Edith wollte die Farben korrigiert sehen.[/SIZE]

  • Bla bla bla. Morrigan hörte nicht wirklich auf das was sich die beiden Frauen so enorm wichtiges zu erzählen hatte. Romana hatte eh einen Sprung in der Schüssel und war, wenn man es positiv aus drückte, fanatisch in ihrem Glauben. Livineia war nur drauf bedacht keine Bewegung zu viel zu machen und dachte wahrscheinlich auch noch dass alle sie toll fanden… mit ihrem mehr als blassen Aussehen, und ihrer dürren Figur, denen aufgrund mangelnder Bewegung puddingartigen Muskeln, die bestimmt bald hängen würden, denn die Schwerkraft gewann das Rennen immer, wenn man nicht dafür tat, war die Römerin für Morrigans Empfinden hässlich.
    Da Morrigan aber wusste, dass die junge Claudia gern motzte wenn man sie ansprach, sagte sie nichts, wenn die was wollte, dann sollte sie gefälligst ihre Klappe aufmachen und was ordern, ansonsten würde sie eben auf dem Trockenen sitzen.

  • Romana nahm mit einer lässigen Armbewegung den Wein, den ihr Morrigan eingeschenkt hatte, an, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Die Claudia war sich der Tatsache, dass die Perserin nicht hoch von ihr denken mochte, durchaus bewusst, aber das ging ihr in keinerlei Weise nahe. Schließlich waren es die Römer, deren Schicksal es war, andere Völker zu unterwerfen – glücklich musste sich ein jeder schätzen, unter der Pax Romana zu leben. Denn Romana war sich sicher, selbst der unglücklichste Sklave in Rom hatte noch immer ein besseres Los als der reichste Fürst in der Barbarei. Nicht, dass Romana je über Italien herausgekommen wäre.
    Sie lächelte huldvoll, als Livineia ihre Gedanken ob der Götter aussprach, und rief sich ins Gedächtnis, wie sehr fie Worte ihrer Nichte ihre eigenen Einstellungen widerspiegelten. Die Götter würden sie behüten, solange sie ihnen so ergeben war. Sie könnten sie ohne Mühe zerstören, doch welcher Herr würde seiner besten Dienerin etwas antun? Ja, Romana fühlte sich von den Göttern geliebt, und sie liebte sie zurück, auch wenn diese Einstellung im römischen Religionsempfinde mehr als ungesund war. Doch Romana war sich sicher, nur die Götter waren es, die Rom vorm Untergang bewahrten. Und nur sie könnten das tun. Wenn erst einmal Mithras, Kybele, Serapis und der verruchte Christengott hier in Rom das Sagen haben würden, wäre das Reich am Ende. Romana hatte es sich auf die Fahnen geschrieben, das zu verhindern. Und den Römern mit Beispiel voran zu gehen.
    Sie lächelte wieder, als Livineia so erfreut reagierte über ihren Kommentar bezüglich der Ringe. Bei Livineias Erwähnung der Philosophen lachte sie auf. “Nun, es ist schon erstaunlich, nicht wahr? Man würde nicht glauben, dass dieses dekadente und verrottete Volk noch etwas hervorbringen würde, das einer Römerin würdig wäre. Es gibt wohl Ausnahmen – die Griechen haben vielleicht doch noch ein bisschen Kultur in sich...“ Es war vielleicht aufschlussreich, wenn hier angemerkt werden würde, dass die Griechen zu Romanas Lieblingsvölker außerhalb von Italien zählten. Xenophobie war der Claudia nicht fremd, ebenso wie unsubstantiierte Vorurteile, besonders gegenüber den Völkern des Osten und den Kelten. Den Punkt mit dem Geld nahm Romana nicht auf, sie selber war eine recht sparsame Frau, die mit anderen Sachen zu punkten hoffte als mit teurem Schnickschnack.
    “Natürlich habe ich ihn gesehen. Ein sehr gescheiter junger Bursche. Aus ihm wird sicher jemand, auf den sein Großvater stolz sein kann.“ Es war ein wenig seltsam, von ihrem Vater als Großvater zu reden. Aber, tja, es war nun einfach so, auch wenn dies nicht weniger dazu beitrug, dass Romana sich fast schon so vorkam, als würde sie zum ganz alten Eisen gehören.
    “Nun, ja, wie du gesagt hast, dein Bruder. Und vor allem ist er Claudier. Hast du schon einmal einen Claudier ohne Geschmack gesehen?“ Sie blickte Livineia schief an und grinste dann neckisch. “Nun, da du jetzt wieder in der Zivilisation angekommen bist, was sind nun deine Pläne? Hat dein Vater dir schon einen Ehemann ausgesucht?“, wollte sie wissen.

  • Livineia musste - oder wollte vielmehr - schmunzeln, als Romana ihre Meinung kundtat. Sie entsprach weitestgehend der eigenen, aber eben auch nicht zu hundert Prozent. Und das sagte sie dann natürlich auch sofort: "Ja, da hast du Recht - wer hätte das gedacht. Aber in einem Punkt muss ich dir leider etwas wiedersprechen. Die Griechen sind zwar dekadent, aber hingegen zu sämtlichen anderen unterworfenen Völkern finde ich sie noch sehr zivilisiert. Wenn ich an gewisse andere südliche, nördliche und vor Allem östliche Bevölkerungsgruppen denke, sind die Griechen doch ganz gut kultiviert worden. Nur schade, dass die Dekadenz auch schon stark auf Rom abgefärbt hat, manche römische Männer stehen den Griechen ja in nichts mehr nach!" Ausgerechnet Livineia erboste sich über Dekadenz. Livineia ließ einen glücklichen Blick auf ihre blinkenden Ringe fallen, die ihr Herz regelrecht erwärmten.
    Als es um die Claudier ging, ließ Livineia ein helles, aber etwas gekünsteltes Lachen hören. "Ach geben tut es ihn bestimmt, irgendwo! Aber gewiss nicht in unserem Zweig!" bekundete sie und streckte nun ebenfalls die Hand aus, um anzudeuten, dass auch sie einen Wein wollte. Es machte sie durstig, Romana trinken zu sehen. Ihre leicht gespreizten Finger sollten, ihrer Meinung nach, Andeutung genug sein, dass ihr ein Wein gereicht wurde. "Naja in der Zivilisation angekommen musste ich mich erst einmal etwas erholen, die Reise war so furchtbar anstrengend. Allmählich habe ich mich wieder akklimatisiert, aber einen Mann habe ich noch nicht in Aussicht. Ich bin aber ja auch zu einem furchtbar ungünstigen Zeitpunkt abgereist, ein Alter, in dem es eigentlich optimal ist." Sie winkte leicht ab. Sie würde schon nicht ohne Mann in die Zukunft gehen, schließlich war sie eine Claudia. Aber allzu eilig hatte sie es auch nicht, Männer interessierten sie einfach nur mäßig. Frauen waren viel schöner. Das wiederum hieß allerdings nicht, dass Claudia irgendein sexuelles Interesse an Frauen hatte. Es ging um reine Ästhetik. "Weißt du denn von irgendwelchen heiratswütigen Männern, dass du so fragst?" erkundigte sie sich dann neugierig.

  • Romana entgegnete das feine Lächeln ihrer Nichte mit einem schiefen Grinsen, als Livilla ihr recht gab, und horchte sich zu, was ihr Gegenüber so zum Thema Griechen zu sagen hatte. Langsam nickte sie. “Zivilisation, ja, das mag stimmen. Zivilisation. Ein bisschen Philosophie da, ein paar Säulen dort, und die Dichtkunst ist auch nicht schlecht. Aber was haben die Griechen ja wirklich Großes erreicht? Gut, Alexander der Große, kannst du sagen, aber dessen Reich ist nach seinem Tod sorfort wieder zerfallen. Vielleicht hätten sie mehr auf die Reihe bekommen, wenn sie was anderes im Kopf gehabt hätten, als sich nur gegenseitig befummeln zu wollen.“ Die Claudia verzog ihre Lippen vor Abscheu gegenüber gleichgeschlechtlicher Liebe.


    “Aber du hast Recht, noch immer besser als diese Barbaren, die sich der Pax Romana widersetzen.“ Sie deutete vage auf Morrigan, und nickte widerum bedrückt, als sich Livineia darüber ereiferte, dass die römischen Männer den Griechen schier nacheifern wollten.


    Livineias gewitzeltes Eingeständnis, dass es vielleicht doch irgendwo einen geschmacklosen Claudier geben könnte, beantwortete Romana mit einem gutmütigen Lächeln und einem “Vielleicht“, auch wenn sie es zu bezweifeln wagte.


    Über Livineias Sorge, dass sie das optimale alter zum Heiraten schon verpasst hatte, konnte Romana nur lächeln. “Sei unbesorgt. Ich kann mir keinen römischen Mann vorstellen, der sich nicht nach dir sehnen würde“, meinte sie. “Keine Panik. Ich persönlich glaube ja, dass schon nach Kurzem alle möglichen Patrizier bei dir auf der Matte stehen und dich sehnsüchtig um dein Gehör betteln werden“, suggerierte sie mit einem herzhaften, fröhlichen Lachen, dessen glockenhafte Helligkeit sehr im Kontrast zu ihrer normalerweise sehr altistischen, dunkel gefärbten Stimme stand. “Irgendwelche heiratswütigen Männer? Hmm. Ich weiß nicht. Du musst wissen, Livineia...“ Sie zuckte ihre Achseln nonchalant. “Das ist nicht so richtig meine Welt.“ Aus offensichtlichen Gründen.

  • Livineia nickte auf Romanas Worte hin bekräftigend. Trotzdem hatte ihr die Reise sehr gut gefallen, es hätte ja auch in den Norden gehen können und das wäre ihr absoluter Albtraum gewesen. Hach, es war schön sich mal wieder mit jemandem unterhalten zu können, der die eigene Meinung auf eine so strikte Art und Weise teilte. Belustigt meinte sie also, denn belustigt war sie wirklich, konnte sie doch wieder schlecht über andere Völker sprechen: "Das ist wahr. In deren Reihen geht es vermutlich immer nur wer mit wem und das wäre ja noch halbwegs nachvollziehbar, wenn es um Politik ginge, aber in den Köpfen der meisten Griechen sind einfach nur deren Beziehungsengen verankert." Oha, die Griechen. Weibisch, ohne weiblich zu sein, Redner, ohne reden zu können, die Liste war lang.
    Als Romana allerdings mit diesen herzerwärmenden Komplimenten begann, dass Livineia sich keine Sorgen machen brauchte, begann wirkliches Vergnügen in ihr aufzukeimen. Für Komplimente war sie zugänglich! Sie strahlte, als Romana ihr fröhliches Lachen verklingen ließ, denn auch dieses war irgendwo herzerwärmend. Vor Allem, da ihr selbst zugelacht wurde. "Oh meinst du? Ich bin ja mal gespannt, was für Männer. Wenn ich jedenfalls die Möglichkeit dazu bekomme, möchte ich sie genau unter die Lupe nehmen können! Aber ich denke da kann ich mich ohnehin gut auf Vater verlassen, der wird mir schon wen Gutes aussuchen." Ob sie sogar Mitspracherecht erhalten würde? Vielleicht würde sie ja tatsächlich zumindest nach ihrer Meinung gefragt, aber das würde sich dann ergeben. Als Romana mit der Männerwelt passte, lächelte Livineia jedenfalls. "Dass es nichts aus eigenen Erfahrungen her zu berichten gibt, ist ja auch nur Gut und Recht. Ich hatte nur gedacht, dass du vielleicht gerüchteweise etwas zu erzählen hast. Wie sieht es denn eigentlich mit der Gnade der Götter aus? Wurden sie wieder besänftigt? Ich hatte von dem Skandal - natürlich - gehört..." versuchte sie nun höflich das Thema auf Romanas Fachgebiet zu lenken.

  • Romana winkte ab. Schon alleine die Vorstellung... natürlich wusste sie, dass manche Zeitgenossen sich da ganz und gar an die Griechen hielten. Allgemein wurde es nicht als verwerflich gesehen, wenn ein alter Bock es mit einem kleinen Jungen trieb. Das wäre pädagogisch, sagte man, es würde den Kleinen erziehen. Romana fand diese Argumentationskette befremdlich. Sie war sich ziemlich sicher, dass aus ihr etwas Gescheites geworden war, ohne dass ihre Mentorin sie befingert hatte. Aber vielleicht war das bei den Männern anders? Nein, entschied sie. Nur in den Einbildungen mancher. Ihre Meinung stand fest – so, wie es die Griechen (und zwar, das wusste Romana, alle) machten, war es unnatürlich und ekelerregend. Und vor allem war es unrömisch. Und Romana hasste alles Unrömische mit einer Entschlossenheit, die ihresgleichen suchte.


    “Und dann wundern sie sich, dass wir Römer ihnen bei Cynoscaephalae gezeigt haben, wo der Bartlus den Most herholt“, machte sie selbstzufrieden, als ob sie bei der Schlacht vor 300 Jahren persönlich dabei gewesen wäre. Romana mochte es, über Militärgeschichte zu theoretisieren.


    Aber sie mochte es auch, einen angenehmen Effekt auf ihre Mitmenschen zu haben. So zum Beispiel nun, als Livineia sehr zugänglich erschien für Romanas Komplimente. Oh meinst du? Romana nickte zustimmend. “Dein Vater weiß sicher ganz genau, was gut für dich ist.“ Wobei sie Galeo schon einige Zeit nicht mehr hier in Rom gesehen hatte – er war unterwegs, auf Reisen, und mehr wusste Romana auch nicht. Aber Musa war noch hier. Ihre Schwägerin würde sicher wissen, wie mit ihrer Tochter umzugehen war.


    Livineia leitete recht subtil einen Themenwechsel ein. Romana würde, dachte sie sich, sicher diese Subtilität fehlen. Ihre Spezialität war eher ein Dasein als Elefant im Porzellanladen mit einer großen, groben Bürste, die über alles hinwegwischte.


    “Ob ich darüber etwas zu berichten habe? Natürlich, ich war ja am untersuchenden Kommittee.“ Sie grinste. Ob Livineia das beeindruckte? “Das Problem ist, wir haben keine Ahnung, wer es sein könnte. Die Untersuchungen in Nemi machte ein Verwandter von Flavia Celerina, der Frau, die diesen Skandal ausgelöst hatte. Du kannst dir denken, dass es sicher nichts preisgegeben hat, was seine Familienehre betroffen hätte! In der Villa Aurelia, da waren ich und Pontifex pro Magistro Tiberius Durus. Die Aurelier waren absolut nutzlos! Nichts haben sie uns gesagt. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass sie alle Sklaven, die den Skandal beobachtet haben, umgebracht haben. Zeugen kann man nicht brauchen.“ Sie zuckte mit ihren Achseln.


    “Man wird also die Haruspices damit beauftragen, herauszufinden, was passiert ist.“ In ihren Augen war es ziemlich unbefriedigend und frustrierend, dass man nichts Handfestes hatte und sich nun der zwar altehrwürdigen, aber, wie sie aus eigener Erfahrung wusste, sehr diffizilen Kunst der Leberschau bedienen musste.

  • Auch Livineia sah es ähnlich wie Romana. Sie würde es nicht direkt aussprechen, nicht unbedingt, aber der Gedanke, dass der Mann, den sie irgendwann einmal zweifelsohne haben würde, seine Nase - oder anderes - in anderer Männer Angelegenheiten - oder Dinge - steckte, missfiel ihr absolut. Es würde sie nur geringfügig stören, wenn er mit einer anderen Frau schlief, denn umso mehr Ruhe würde sie haben. Und für eine andere Frau würde sie ohnehin niemals sitzengelassen werden, dafür war sie eine viel zu gute Partie. Ihr Mann würde sich derlei Spiele überhaupt nicht leisten können, ohne seinen guten Ruf zu verlieren. Und körperliche Liebschaften bedeuteten ohnehin nichts. Sie konnte die ganzen jungen Dinger nicht verstehen, die von Liebe und großer Vereinigung sprachen - das waren doch so unwichtige Dinge. Viel elementarer waren Macht und daraus resultierender Zusammenhalt. Oder eher Zusammenhalt und daraus resultierende Macht? Völlig irrelevant. Fakt war, dass eine Ehe nicht fürs Herz dient. Dafür gibt es Kleider, Essen und Bäder! Nicht zu vergessen Schmuck und möglicherweise Reisen.
    Als es um den Skandal ging, wurde ihr Interesse jedenfalls schlagartig geweckt. Das war Klatsch und Tratsch und gleichzeitig Politik. Die Aurelier hatten sich in große Probleme gebracht, erinnerte sich Livineia. Auch wenn sie selbst nicht in Rom gewesen war, als der große Frevel passierte. "Das ist natürlich ärgerlich. Aber erzähl mal, wie ist es überhaupt publik geworden, wie ist die Öffentlichkeit darauf aufmerksam geworden? Ich weiß eigentlich überhauüt keine Details, erzähl mir bitte alles, was du weißt - und natürlich überhaupt erzählen darfst." So scharfsinnig war Livineia dann doch, um ihre Neugierde soweit zu zügeln, dass sie nicht dumm wirkte. Aber sie war nun einmal interessiert, wenn es um die Schicksale - und Nachteile - der anderen Familien ging, die ebenfalls in der oberen Liga mitspielten. Für sie war die Nobilitas ein gefährliches Pflaster von Feinden, die dennoch Freunde waren. Eine Hassliebe sozusagen.

  • Eigentlich war Romana ja ganz froh, dass die Rede nicht länger von Männern, die es mit anderen Männern trieben, war. Es war... keine gute Vorstellung. Überhaupt keine gute Vorstellung.


    Livineia schien sich enorm zu interessieren, was Cultus Deorum anging. Die Claudia grinste. Fast hätte sie schon Livineia gefragt, warum sie sich, wenn der Cultus Deorum sie so interessierte, nicht als Discipula einschrieb, bevor ihr etwas klar wurde. Natürlich konnte ihre Nichte nicht Aeditua werden oder so etwas in der Art. Für eine Patrizierin war es absolut unwürdig, sich in solche Aktivitäten einzubringen. Aber es gab noch immer Kultvereine, zum Beispiel den der Bona Dea.


    “Nun, ich beantworte dir deine Frage gerne, denn ich bin mir sicher, dass du nicht herumtratschst“, klarifizierte sie gleich einmal im Vorhinein ihre Erwartungen. “Also. Genaues weiß man nicht. Man weiß nur, dass es einen Frevel in Nemi bei der Nemoralia gab, der den Zorn der Götter so dermaßen entbrannte, dass sie eine brüllende Viehherde entsandten, die viele der Teilnehmer zertrampelte. Einen Frevel, der offenbar körperliche Unzucht beinhaltete. Wie es aussieht, wurde Flavia Celerina vergewaltigt. Oder sie trieb es mit einem Sklaven. Auf jeden Fall war der Sklave kurz später tot, ermordet, und die Flavia nahm sich in der Villa Tiberia ihr Leben, noch bevor sie vernommen werden konnte. Kurz darauf erstach sich auch ihr Mann, der Pontifex Aurelius Corvinus. Sehr ominös, das Ganze. Auf jeden Fall... es gab eine Ermittlung in der Angelegenheit. Tatsächlich war ich und Tiberius nur zwei von dreien, die untersuchten. Der Dritte war—rate mal—Flavius Gracchus, ein Verwandter der Flavia Celerina. Er untersuchte in Nemi. Wunder ob Wunder, dass er dort nichts fand, was seine Verwandte inkriminierte.“ Sie seufzte.

  • So also in stillschweigender Einstimmigkeit wurde das Thema von gleichgeschlechtlicher Liebe begraben - und hoffentlich nie wieder hervorgeholt. Dass der Cultus Deorum für Livineia ebenso wenig ein mögliches Thema war, wie das Militär, konnte Romana nicht ahnen. Selbst wenn Patriziern dieser Weg ohne Schande offen stünde, hätte Livineia nur wenig Lust darauf, als Sprachrohr zwischen Mensch und Gott zu dienen. Die Götter in allen Ehren - aber auf die Menschen hatte sie keine Lust. Es waren alles so primitive Frauen und ordinäre Männer mit so abstrusen Fragen, die sie den Göttern gar nicht zumuten wollte.
    Aufmerksam lauschte Livineia den Worten Romanas, die sich auf den Skandal bezogen. Nein, herumklatschen tat Livineia wirklich nicht. Sie hortete lieber alle Informationen die sie irgendwie kriegen konnte, um sie für den eigenen Vorteil zu nutzen. Würde sie die Informationen weitergeben, könnte sie einen Nachteil daraus ziehen. "Eine brüllende Viehherde? So offensiv sind sie vorgegangen? Ohje..." bekundete sie schwungvoll ihr Erstaunen. Die Worte, die danach folgten, ließen nicht nur die Augenbrauen nach oben wandern, sondern auch die Augen vergrößern. Sie öffnete kurz den Mund für einen Einwurf, aber dann ließ sie erstmal Romana zuende kommen. Dann aber ergoss sie sich: "Das ist ja ungeheuerlich! Eine Patrizierin zu vergewaltigen!" Livineia ging gar nicht erst davon aus, dass diese freiwillig mit einem Sklaven Sex haben könnte. Die tatsächlich noch jungfräuliche und enorm idealistische Livineia schüttelte den Kopf. "Dass der sich das Leben nahm verwundert mich nicht. Wenn er so in seiner Schutzpflicht versagt hat, dass ein Sklave es schafft, sie zu so einer Sünde zu bringen..." Livineia rang tatsächlich einmal nach Worten. Unaussprechlich das Ganze. "Ich verstehe auch nicht wie man einen Flavier an den Untersuchungen beteiligen kann. Natürlich hat er ein Recht zu erfahren, was passiert ist - aber mehr auch nicht. Dass da nicht alles ganz normal abläuft, das kann sich wohl der dümmste Plebejer von den Fingern klauben." schnaubte Livineia. Ihre Entrüstung war echt. Sie war nicht so schnell von den Socken zu hauen, verdeckte Morde, "Verschwindenlassen", Affären - das alles nahm sie nur mit Interesse hin. Aber der Mord an einem Feiertag - gekoppelt mit einer Vergewaltigung! So einen Frevel musste man erstmal verdauen.

  • Morrigan zog scharf Luft ein, als die Sprache auf eine Vergewaltigung kam. Sie konnte nur hoffe, das die Dominas dies überhört hatten. Immer noch stand sie mit dem Weinkrug da und versuchte sich so unauffällig wie möglich zu verhalten. Sie bemerkte, dass der Becher von Romana geleert war. Ein Schritt nach vorn. Leise fast könnte man es schon als lautlos bezeichnen fragte sie. „Domina darf ich nachschenken?“

  • Romana nickte. “Ja. So ist es. Der Zorn der Götter war immens.“ Warum denn auch nicht? Wie sollte denn eine Göttin reagieren, wenn auf ihrem Heiligtum ohne großes Federlesen herumgepoppt wurde, als ginge es darum, eine Herde von Kaninchen auszustechen? Nein, das ging nicht an. Livineias ungehaltene Worte, welche fast wie ein ungläubiges Ächzen, in Worte verpackt, klang, ließ Romana über sich ergehen, wie ein Fels die Brandung über sich ergehen ließ. Livineia redete sich in Rage. Das kannte sie. Das kannte sie sehr gut von sich. Ihr kam der Verdacht, dass sie und ihre Nichte sich in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich waren.


    Im Grunde war es nämlich das, was sie gedacht hatte. Corvinus hatte eine schauderhafte Vorstellung dabei geliefert, seine Frau vom Übel zu beschützen. Es war vielleicht ein Segen, dass die Verbindung zwischen ihm und ihrer Adoptivschwester nicht zustande gekommen ist. Dass Celerina sich umgebracht hatte, das rief in Romana ohnehin die Geschichte von Lucretia ins Gedächtnis. War dies auch so ein Fall? Denn es war nicht nur eine bloße Vergewaltigung, es war ein Frevel. Doch was, wenn sie wirklich mit diesem Sklaven da freiwillig...? Es wäre, als ob man versuchte, seinen eigenen Arbeitstisch zu vergewaltigen. Wobei, wenn dieser Arbeitstisch die Utensilien hätte, die einen Mann auszeichneten, einen wahren Mann von... jetzt hör mal auf, Romi, zischte eine scharfe Stimme in ihr, der Romana auch gehorchte.


    Sie unterdrückte ein Schmunzeln, als Livineia sich ereiferte darüber, dass ein Verwandter von Celerina (Romana war sie, als sie sie damals getroffen hatte, wie gesagt, nicht wie eine Frevlerin vorgekommen) in den Untersuchungen beteiligt war. “Ja, das stimmt natürlich. Aber diese Flavier... nun ja... sie machen ohnehin, was sie wollen.“ Sie seufzte. “Den Platz, den der Aurelius hinterlassen hatte, den haben sie auch prompt mit einem weiteren Flavier besetzt. Einem Typen, dem ich persönlich es kaum zutrauen würde, auch nur einen Tempel in der Provinz zu verwalten... naja. Fast hat man das Gefühl, es gälte heute mehr, ein Flavius zu sein als aus der Gens Claudia!“ Was unerhört war. Denn was waren die Ahnen dieses sogenannten Kaisergeschlechtes gewesen? Bauern vom Land! Und in den Claudiern floss das Blut von Helden, Halbgöttern und Kaisern! Schien heute alles total wurscht zu sein. Nicht, dass Romana etwas gegen Plebejer hatte. Sie hatte viele plebejische Freunde. Es waren ja alles Römer. Aber in ihr drinnen herrschte doch ein gewisses elitistisches Denken vor: als Patrizierin konnte sie auch nicht aus ihrer Haut.


    Morrigan derweil bot noch etwas Wein an. Mit einer langsamen Geste streckte sie den Arm, in dem sie den Becher hielt, zur Perserin hin aus. “Ja, füll ein“, sagte sie, dabei schaute sie die Sklavin nicht einmal an.

  • Claudia nickte verstehend. Was Romana sich dachte, war natürlich absolut berechtigt. Natürlich waren die Götter erzürnt und warum sollten sie das den Menschen nicht eindeutig zu spüren geben? Da war eine Herde ja noch eine geradezu gnädige Variante. Würden die Sklaven in ihrem Wirkungsraum etwas Ähnliches treiben, würde ihr Zorn wohl nicht geringer ausfallen - und das, wo sie selbst doch deutlich weniger 'göttlich' war. Wohl eher gar nicht, höchstens durch die Vorfahren. Livineia ließ dann auch wieder ein paar Sekunden des Schweigens vergehen - daraufhin musste man schließlich nichts erwiedern - bis Romana wieder das Wort ergriff und auf die Tat an sich nochmals zu sprechen kam.
    Livneia schüttelte nur den Kopf, als Romana nun die näheren Umstände zu dem Aurelisch-Flavischem Machtwechsel erläuterte. Beruhigend schmunzelte Livineia in Richtung Romana und ließ ihren seltenen Optimismus hören, der eher einer Art von Verdrängung glich. "Nein, auf keinen Fall. Jeder weiß, was unsere Familie in all den Jahren geleistet hat. Man will vermutlich nur auch anderen einmal die Gelegenheit geben, ein wenig zu beweisen, was in ihnen steckt. Natürlich ist es wunderbar, an der Spitze zu sein - und das sind wir zweifelsohne. Aber vollkommen allein dort oben kann es schon einmal einsam werden, denn mit niedriger gestellten geben wir uns doch nicht hab." Livineia gab ein eher gekünsteltes Lachen von sich. Sie wollte ihr Amusement über die eigenen Worte nicht allzu laut erklingen lassen.
    Dann hielt sie einen Moment inne und meinte mit etwas gedämpfterer Stimme: "Immerhin sind es Flavier. Stell dir vor, noch mehr Plebejer hätten noch mehr Sagen über das römische Volk - wo kämen wir da hin?" Diese Worte waren eindeutig ein Seitenhieb gen Praefectus Urbi Salinator. Und Romana würde dies ohne jede Skepsis als solchen verstehen - die dumme, persische SKlavin vermutlich weniger. Aber selbst wenn sie es verstand - dann würde sie auch genug Weisheit aufbringen können, ihre Klappe zu halten. Oder?
    So plauderten Livineia und Romana noch eine ganze Weile hin und her, was Livineia regelrecht genoss. Schließlich bekam sie wieder Futter in Form von Neuigkeiten - und das mundete ihr deutlich mehr, als jeder Wein. Nur auch eine Vestalin musste sich irgendwann verabschieden und so hauchte Livineia der Tante noch einen Kuss auf die Wange, als sie sich verabschiedeten. "Ich hoffe, wir werden uns bald wiedersehen." sagte sie höflich und machte sich dann auf den Weg, in ihr Cubiculum.

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