[Horti Luculliani] Ein Hauch von Frühlingswärme

  • Das Bild, welches Gracchus neben ihr zeichnete, war eines, das an Grausamkeit mit ihrer Wirklichkeit fast mithalten konnte. Es mussten schreckliche Alpträume sein, die einem den Tod eines geliebten Menschen wieder und wieder und wieder vor Augen führten, und man jedesmal wieder mit derselben Unfähigkeit bestraft war. Axilla kannte diese Angst, die einem selbst im tiefsten Schlaf dann noch das Herz umschloss, diese kalten Finger auf der Seele, die einem die Luft abdrückten, so dass man schreien wollte, aufwachen wollte, und doch gefangen war im eigenen Traumgebilde, nichts anderes tun konnte als die vielen Male zuvor. Nichts weiter tun konnte, als von dem Baum im Traum herabzuspringen, sich ein letztes Mal umarmen zu lassen und ein Lebewohl zu wünsche, und zu wissen, dass es ein Wiedersehen nie geben würde. Zu wissen, dass man nichts am Tod, der kommen würde, ändern konnte. Wo war der Unterschied zwischen dem Anblick des Todes und dem Wissen um den Tod, selbst im Traum? Hatte beides nicht gleichermaßen eine schreckliche Endgültigkeit in sich, einen unüberwindbaren Schrecken, einen tiefen, schwarzen Abgrund?
    Axilla hörte dem Senator neben sich zu, sah zu ihm hinüber, wie er von ihr wegsah. Irgendwie wusste sie, dass er von seinen Träumen sprach. Es war so real, wie er die Träume beschrieb, so detailreich, so wortgewaltig. Und seine Sprache war dabei anders. Nun, nicht direkt anders, aber er benutzte nicht mehr so viele Worte, die sie eigentlich nicht verstand. Immernoch einige, aber dennoch... Axilla wusste nicht so genau, woran sie es festmachte. An seinem Blick, der wie der ihre vorhin in weite Ferne schweifte, das Tausend-Meilen-Starren schlechthin, wenn der Blick an diesen imaginären Punkt am Horizont festgenagelt war und doch eigentlich um so vieles näher, in der eigenen Erinnerung verweilte. Oder an der Art, wie er sprach, an den Worten. An den vielen Bildern. An den Kleinigkeiten, die ihr Wesen mitleidig stimmten. Sie wusste es nicht. Aber sie hatte in diesem Moment das starke, ja fast drängende Gefühl, dass sie diesen Mann, diesen Menschen neben sich einfach umarmen wollte, um so durch die Nähe und völlig ohne Worte auszudrücken, was sie fühlte und was Worte nicht fassen konnten. Nur für einen Augenblick die Wärme eines anderen Menschen um sich zu wissen, dieses sanfte Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit, diese Sehnsucht, die wohl jeder dann und wann fühlte. Nur für einen Moment Gewissheit haben darin, dass man mit dem eigenen Schmerz nicht allein war, und Trost darin zu finden, dass jemand anderes es verstand, dass man verbunden war und nicht gänzlich allein, dass diese düsteren Gedanken zwar stets da waren, vielleicht sogar unbezwingbar waren, aber man dennoch, wenigstens für den Hauch eines Augenblicks, sich diesen Dämonen nicht allein stellen musste. Einfach ein Moment, in dem Altruismus und Egoismus so fließend ineinander übergingen, dass wohl keiner sagen konnte, was es wäre, außer vielleicht Gnade.


    Und der Moment verflog, zog ungenutzt davon wie der Vogel vorhin mit flinken Flügelschlägen, ohne dass etwas passiert wäre. Er war einfach vergangen, dieser Moment, ohne dass Axilla ihn genutzt hätte. Und das war vielleicht das traurigste an diesem ganzen Moment, zeigte es doch nur allzu sehr, dass ihrer beiden Kindheit vorbei war. Die des Flaviers wohl schon länger als die von Axilla, und dennoch wohl vorbei, und die kindliche Unschuld, die diese Umarmung zugelassen hätte, für immer verloren.


    Und der Pontifex sprach weiter, und stellte die frage, die Axilla sich selbst nie zu stellen traute. Was wäre, wenn sie ihren Vater vergaß? Was wäre, wenn der bleiche Schatten seiner Selbst gänzlich verblasste, wenn sie sich nicht mehr erinnern konnte an den Glanz seiner Augen und die Wärme in seinem Lächeln? Was wäre, wenn die Träume, die sie jetzt fürchtete und von denen sie sich wünschte, sie nicht zu träumen, tatsächlich versiegen würden und alles von ihrem Vater mit ihnen gehen würde? Wenn tatsächlich die Rüstung und das Schwert in ihrem Schlafgemach das einzige wären, dass die Erinnerung an ihn überhaupt noch am Leben halten würde, nur um bald schon mit den Jahren gänzlich ausgelöscht zu werden? Konnte sie ihren Vater vergessen? Würde sie ihren Vater vergessen?
    Und die Angst, die Erkenntnis, dass einmal alles vergesse wurde, egal wie glorreich oder schrecklich es auch gewesen sein mochte, trafen Axilla härter als raue Felsen, rastlose Strigae oder der schreckliche Cerberos selbst. Sie wollte nicht vergessen. Niemals wollte sie das tun. Und jede Qual, wirklich jede Qual wäre ihr lieber als diese eine von der Lethe aufgegebene.


    Einen Augenblick sah Axilla schweigend zu Gracchus hinüber. Versuchte, erwachsen zu sein, edel zu sein. Versuchte eine Antwort zu finden auf seine Worte. Versuchte, stark zu sein.
    Und verlor.
    Erst eine stille Träne, dann immer mehr rannen über ihre Wangen, unfähig, dass sie sie aufhielt. Sie wollte etwas sagen, holte einmal Luft, aber sie konnte nicht. Was sollte sie sagen? Sie wusste es nicht. “Ich...“ Sie schüttelte den Kopf, und dennoch fanden sich keine Worte darin, die sie hätte aussprechen können. Sie hasste sich selbst für diese Schwäche in diesem Moment, und dennoch konnte sie nichts dagegen tun.
    Sie schämte sich, und zog die Füße hoch auf die Bank, verbarg ihr Gesicht an ihren Knien. Sie versuchte, nicht zu Schuchzen, aber dennoch tat sie es wohl. Und schämte sich ob dessen noch viel mehr. Wie sie sich wünschte, sie hätte ihren Gesprächspartner in kindlicher Unschuld einfach umarmt, um wieviel einfacher wäre das jetzt! Aber so saß sie nur weinend da, versuchte, wieder die Kontrolle über ihre Gedanken – und mehr noch ihren Körper – zurückzuerlangen und weinte still in den weichen Stoff ihres Kleides.

  • Erwartungsvoll blickte Gracchus die junge Frau an, gespannt auf ihre Erwiderung, die philosophische Richtung, welche das Gespräch nun wieder nahm durchaus goutierend. Einige Augenblicke schien sie gedankenvoll, was ihm durchaus eingängig war, immerhin waren dies keine Trivialitäten, hatte wohl schon so mancher Philosoph einen Großteil des Lebens dem gewidmet - doch schlussendlich war es kein Gedanke, kein Wort, welcher ihr Innerstes verließ. Es geschah, was unangenehmer kaum hätte sein können - nicht ihretwegen, nicht der Tatsache an sich wegen, nicht ob der Situation im Allgemeinen, sondern da dies Gracchus vollkommen machtlos zurücklies - sie vergoss eine Träne. Selbst dann, wenn er keine Schuld daran trug, war Gracchus bereits mit dem Anblick einer weinenden Frau stets völlig überfordert - mochte sie eine nahe Verwandte oder Unbekannte sein gereichte dabei kaum ihm zum Unterschied -, so dass er auf Axillas Versuch einen Satz zu beginnen nur hilflos den Mund öffnete, um ihn, nachdem die kühle Luft durch seine Kehle war hinab gezogen, unschlüssig wieder zu schließen. Kurz nur flammte in ihm ein Funke der Hoffnung auf, dieser emotionale Ausbruch würde sogleich wieder sich legen, dass er mit einem Satze der Entschuldigung die Angelegenheit würde bereinigen und mit einem geschickten Themenwechsel von ihr ablenken können. Doch alsbald wurde die Situation noch weitaus prekärer, da die Iunia einem Kinde gleich ihre Füße an den Leib hochzog, sich so klein wie möglich zu machen suchte, ihr Gesicht zwischen den Knien verbarg und doch nicht konnte verbergen, dass der Tränen unzählige nun flossen. Zögerlich hob Gracchus seine Hand, sie auf ihre Schulter zu legen, zog sie wieder zurück, gehindert von der unsichtbaren Barriere, welche zwischen ihnen stand, der Unbekanntheit, der Öffentlichkeit. Verunsichert blickte er sich um, doch es war niemand in der Nähe, der ihn aus dieser misslichen Lage hätte befreien können - ein iunischer Verwandter allfällig in Fürsorge um Axilla oder in Erzürnen über ihn selbst, welcher sie in diese missliche Lage hatte gebracht, wäre Gracchus dabei gänzlich ohne Belang gewesen -, nicht einmal sein Vilicus, der unbezweifelt so gut wie unsichtbar ein Stück weit irgendwo im Hintergrund wartete, bereit jederzeit einem Wink seines Herrn zu folgen, schien die Situation als diejenige Katastrophe zu begreifen, welche sie war. Verzweifelt sog Gracchus seine Unterlippe zwischen die Zähne und suchte die Situation rational zu erfassen. Er hatte Axilla verletzt durch seine Worte, durch die gewaltsame Forcierung ihrer Erinnerung, dass sie nun - metaphorisch gesehen - verwundet vor ihm lag, so dass er unmöglich dem ihm eigenen Fluchtreflex konnte folgen und sie allein zurücklassen, sondern es - nach allen Tugenden - seine Pflicht war, ihr nicht nur eine Bitte um Verzeihung angedeihen zu lassen, sondern gleichwohl dafür Sorge zu tragen, dass ihr Gemüt sich beruhigte, dass der Schmerz ihr nicht zu schwer auf dem Herzen lastete. Behutsam, stets auf der Grenze zwischen notwendiger Vertrautheit und gebotener Distanz balancierend, hob er letztlich neuerlich seine Hand, um sie ihr zaghaft zwischen die schmalen Schultern zu legen, suchte die notwendige Ruhe in diesen Hauch einer Berührung zu geben, um das leichte Beben ihres Körpers zu nivellieren.
    "Bitte verzeih mir, es ... lag nicht in meiner Absi'ht, deine schmerzhaften Erinnerungen wach zu rufen"
    , suchte er zögerlich den Beginn einer Abbitte, ehedem er in die allgemeine Betrachtung des Lebens sich flüchtete.
    "Doch auch wenn dies uns annähernd das Herz zu zerreißen vermag - der Tod eines geliebten Menschen ist ebenso Bestandteil unseres Lebens wie alles Glück, alle Schönheit und alle Wunder dieser Welt. Zuerst glauben wir, dass es kein Fort..bestehen mehr gibt für uns ohne ihn, es sehnt uns danach, diesem Wege zu folgen, welchen er eingeschlagen hat, von welchem wir doch nicht wissen, wohin er führt oder wo endet, doch die Götter haben uns den bestimmenden Funken geschenkt, der uns wissen lässt, dass das Leben weiter geht, der uns daran hindert, dies Geschenk des Lebens aufzugeben, welches uns geblieben ist. Herna'h folgt die Verzweiflung, da wir nicht mehr wissen, wie dies desolate Leben ohne den dahingeschiedenen Menschen soll aussehen, vermengt mit der unendlichen Trauer, welche jeden Tag auf ein neues uns übermannt, ob deren wir kaum noch unsere Glieder zu heben vermögen, ge..schweige denn unseren Geist zu bewegen."
    Dass der Tod eines anderen Menschen für viele Bewohner dieser Zeit oft auch existenzielle Folgen hatte, da sie etwa auf den Verdienst eines Ehemannes oder Vaters waren angewiesen, welcher allfällig ihnen statt eines Erbes zudem noch Schulden mochte hinterlassen haben, war indes für Gracchus nicht nachzuvollziehen, da in der Welt, in welcher er lebte und verkehrte dies kaum vorkam. Seine eigene Trauer und sein Schmerz waren darob stets gänzlich inwendiger Natur.
    "Niemand kann ungeschehen machen, was sich einmal hat zugetragen, niemand kann dir diesen Menschen wieder..bringen, und zweifelsohne wirst du wohl zeitlebens ihn vermissen, schmerzlich allfällig ihn missen in jeder Reminiszenz. Doch obgleich dies sich kaltherzig mag anhören, so wirst du allmählich dies verwinden, werden mit der Zeit andere jene gewaltige Lücke auszufüllen vermögen, welche er hinterlassen hat, werden neue glückli'he Momente die Trauer überdecken und deine Träume wieder ruhiger werden."
    Selbst in Gracchus' Ohren klang dies wie profanes Geschwätz - welches er selbst in Zeiten der Trauer mehr als einmal als nutzlosen Trost hatte zurück gewiesen -, und doch wusste er, dass es eben so war, dass der Schmerz ein jedes Mal bestehen blieb, dass der Leerraum niemals gänzlich konnte gefüllt werden, doch dass indes das Leben seinen Lauf nahm, die Sehnsucht und Trauer allmählich sich verringerte, bisweilen gar sich wandelte in ein angenehmes Erinnern, dass das Vakuum der Lücken geringer wurde, angefüllt durch neue Tage. War die Existenz auch so grausam, den Tod als alltäglichen Bestandteil in sich zu inkludieren, so war sie doch auch so gnädig, dem menschlichen Geist die Möglichkeit zur Kompensation zu bieten, wenngleich dies bisweilen mochte Jahre dauern. Auch Axilla würde der Lauf der Zeit unbezweifelt irgendwann den Schmerz erleichtern. Da sie so zusammengesunken neben ihm saß, schien sie Gracchus weitaus jünger noch als sie ohnehin vermutlich war, hätte in Hinblick auf ihr Alter wohl seine Tochter sein können - hätten Antonias und seine Bemühungen eher Früchte getragen.
    "Du bist noch jung, du wirst in deinem Leben zweifelsohne noch vor vielen Aschehaufen trauernd zurück bleiben - und doch lohnt es sich, den Gräbern den Rücken zu kehren, die pläsierlichen Erinnerungen in deinem Herzen zu be..wahren und voraus zu blicken, da es doch um so viel mehr Schönheit gibt im Leben, dass es wahrhaft deplorabel wäre, dies zu ignorieren."
    Wie Axilla ihm bisweilen unverhältnismäßig jung erschien, so fühlte Gracchus in diesem Augenblicke sich unverhältnismäßig alt, gemessen an den vielen Aschehaufen, welcher er bereits hatte hinter sich gelassen. Und doch, so fürchtete er zweifellos zu recht, würden ihm wohl weitaus mehr noch bevorstehen.

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  • Es war absolut schrecklich. Das einzige Wort, das auch nur annähernd diese Situation zu greifen im Stande war, war absolut unmissverständlich und in jeder Beziehung schrecklich! Axilla versuchte, sich zu fangen. Sie versuchte, aufzuhören, zu weinen. Sie versucht, stark zu sein. Wenn sie es gleich geschafft hätte, wieder aufzuhören, hätte sie es noch damit abtun können, dass sie sich irgendwo gestoßen hätte. Nun, vielleicht nicht unbedingt glaubhaft, aber es wäre eine Möglichkeit gewesen. Wenn sie aufgehört hätte, als sie die Beine nachgezogen hatte, wäre es peinlich gewesen, aber sie hätte das mit einem Moment der Schwäche abtun können. Sie hätte es mit einem lächeln überspielen können, ein paar Worte wechseln und den Senator dann aus der peinlichen Begegnung entlassen können. Wenn sie aufgehört hätte, ehe er sie berührt hatte, hätte sie ihm diesen Moment ersparen können, die Distanz waren können und irgendwie flüchten können.
    Aber sie konnte nicht aufhören.
    Sie merkte, wie der Flavier in seiner Bewegung bei ihr stockte, und sie fühlte sich noch elender als ohnehin schon. Sie wusste schon, was er dachte: Dass sie wie ein schlecht erzogenes Kind weinte, in aller Öffentlichkeit. Dass sie nur eine schwache Frau war, von Gefühlen übermannt. Dass sie sich unmöglich benahm und keinen Anstand hatte. Schwach, schwach, schwach! Und dennoch konnte Axilla nicht aufhören. Sie bemühte sich, aber es ging nicht. Die Tränen kamen vom Grunde ihrer Seele herauf, so lange eingeschlossen und weggesperrt, mit jedem neuen Tod um sie herum tiefer vergraben. Da waren noch die Tränen für Archias, die für Leander. Die für Urgulania. Für sie alle hatte Axilla geweint, und doch kamen all diese Tränen gerade noch ein weiteres Mal, gruben tiefer, bis sie zu denen für ihren Vater in ihrer Seele gelangt waren, die sie so viele, viele Nächte in sich verschlossen hatte. Und jetzt war es, als hätte jemand den Felsen des Dammes, den sie davor gesetzt hatte, gesprengt, und sie konnte nichts gegen die hereinbrechende Flut unternehmen.


    Sie hörte den Flavier neben sich fast gar nicht, als dieser sie doch endlich berührte und versuchte, sie zu trösten. Sie bemerkte, dass er etwas sagte, ruhig und tröstend, doch der Sinn seiner Worte verschwamm unter dem Schleier aus Tränen. Das einzige, was sie wirklich mitbekam, war seine Hand auf ihrem zitternden Rücken, wie sie da lag, groß und schwer, und sie doch kaum berührte, als sei sie zerbrechlich. Nun, vielleicht war sie zerbrechlich. Vielleicht war sie auch gerade eben zerbrochen. Sie wusste es selbst nicht.
    Und es war ihr in diesem Moment der Schwäche dann auch egal. Wie ein Kind fiel sie dem Fremden neben sich einfach um den Hals, vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter. Da die Position nichts anderes zuließ, kippten ihre Knie zur Seite weg, über seine Beine, so dass es fast aussah, als flüchte sie auf seinen Schoß. Und sie weinte, still und bebend, ohne zu schluchzen oder zu schreien, weinte und hielt sich an ihm fest.
    Ihr war in diesem einen kurzen Moment egal, ob das schicklich war oder was die Konsequenzen wären. Sie wollte nicht darüber nachdenken. Ihr war auch egal, ob sie jemand sehen könnte. Sie brauchte einfach nur jemanden, der sie in diesem Moment, in dem ihre ganze Welt über ihr einstürzte und ihr die Bedeutung von Verlust und Schmerz vor Augen führte jemanden, an dem sie sich festhalten konnte, auf dass sie nicht ins Chaos stürzte. Und es war die einfache, traurige Wahrheit, dass aus dem Fremden neben ihr niemand anderes da war, der sie in diesem Moment hätte auffangen können.


    Axilla wusste nicht, wie lange sie so da saß, ihn so bedrängte. Irgendwann aber war der Moment vorbei, in dem sie nur Gefühl war, und ihr Verstand sagte ihr, sie musste loslassen. Ihre Tränen waren irgendwo auf dem Weg zwischen dort und hier versiegt, und nur das Zittern ihres Körpers war geblieben wie ein stetiger Begleiter. So ließ sie zittrig die teure Toga, die sie durch ihren Überfall wohl furchtbar verknittert hatte, los, und sah beschämt zu Boden. “Tut mir leid“ flüsterte sie stimmlos. Ein Teil von ihr weigerte sich, ihn wieder los zu lassen, aber sie wusste, dass sie das musste. Also ließ sie ihn gänzlich los, um von ihm abzurücken und ihm die Möglichkeit zur Flucht einzuräumen. “Ich wollte dich nicht kompromittieren“, fand sie dann doch einen Teil ihrer Stimme wieder.
    Sie durfte jetzt nicht darüber nachdenken, was sie soeben getan hatte. Vor Scham würde sie tot umfallen. Sie schob die Gedanken beiseite. Morgen würde dafür genug Zeit sein.

  • Als die junge Frau neben ihm begonnen hatte zu weinen, hatte Gracchus geglaubt, dass die Situation kaum noch schlimmer konnte werden, doch als es schlussendlich schlimmer kam, als sie regelrecht in seinen Schoß fiel, waren diese Gedanken ihm fern. Er war es gewohnt von emotionaler Zurückhaltung umgeben zu sein, von Menschen, welche stets in Contenance und Distanz sich übten, die seine eigene Reserviertheit reflektierten - zumeist sogar innerhalb der Familie -, so dass er auch der Iunia unbewusst solcherlei Gebaren unterstellte, da er sie in similäre gesellschaftliche Kreise einordnete. Ihr emotionaler Kollaps in relativer Öffentlichkeit, ihr nicht versiegender Tränenfluss und ihr kindliches Schutzbedürfnis waren ihm darob untrügliche Anzeichen dafür, dass ihr Schmerz wahrhaft tief saß, ihre Verzweiflung wahrhaft überwältigend war - ja beinahe grenzenlos musste sein, und obgleich es nicht die Gegenwart war, welche diesen Schmerz evozierte, so schämte Gracchus doch sich dafür, dass er augenscheinlich diese Reaktion hatte durch seine Worte provoziert. Darob, und da jene Art tiefen Weltenschmerz ihm selbst so traut war, kam er nicht umhin der Umgebung, der ein wenig seltsamen Situation und der relativen Publizität zum Trotze sich verpflichtet zu fühlen, ihr weiterhin und ohne Vorbehalte beizustehen. Leise zog in diesem Augenblicke eine Reminiszenz an seine kleine Schwester durch seinen Geist, jene ihm so nahe stehende und doch so unbekannte junge Frau, welche vor einigen Jahren ähnlich verzweifelt seinen Schutz hatte gesucht, welche er nicht hatte retten können, sie gegenteilig in den Tod hatte getrieben. Leise wisperten die Stimmen in seinem Ohr und erinnerten ihn an seine Nichte Arrecina, welche in tiefstem Schmerze ihm ihre Tränen hatte anvertraut, die er ebenfalls nicht hatte schützen können, die längst im Elysium weilte. Er kannte Iunia Axilla nicht, und doch fürchtete er in diesem Augenblicke ihren Tod als könnte die bloße Existenz des Schicksals allein sie augenblicklich auflösen, in Stücke zerreißen oder zerfallen lassen, dass die Zaghaftigkeit seiner Berührung einer bestimmenden Stärke wich, dass sein Leib, seine Anwesenheit ihr ein Fels mochte sein im stürmischen Meer der Emotionen, dass er selbst versank in diesem Augenblick und nurmehr schweigend den unwillkürlich zuckenden Körper fest hielt als wäre es der seiner Schwester, seiner Nichte, seiner Base oder seiner Tochter. Auch Gracchus war nicht sich dessen bewusst, wie lange dies währte, wann ihre Tränen versiegten, kehrte erst zurück in die Realität als ihr zitternder Leib sich regte, als das Bewusstsein des Augenblickes, gepaart mit der Scham über die absurde Situation in sie zurück floss, sie durchtränkte gleich den schaumigen Wellen der Flut den während der Ebbe ausgetrockneten Grund. Obgleich noch immer um sie her die Vögel zwitscherten, das beständige Lied der Natur zu vernehmen und weit in der Ferne der Lärm der Stadt zu erahnen waren, so war doch zwischen ihnen eine einvernehmliche Stille erwachsen, in welche die leisen Worte der Entschuldigung einschlugen wie ein Stein in die ruhige Oberfläche eines Sees. Konzentrisch breiteten sich noch die Wellen ihrer Stimme um die Bank in ihrem Zentrum, während Axilla die vertraute Berührung der beiden Fremden löste, sie zurück warf in die Distanz ihrer Fremdheit, und durch ihr Nichtwollen ihre Tat zu erklären suchte. Es wäre Gracchus weitaus agreabler gewesen, hätte kein einziges Wort sie darüber verloren, hätten sie in Belanglosigkeiten sich geflüchtet, allfällig auch in eine tatsächliche Flucht, gleichwohl hätte er selbst reziprok es wohl ihr gleich getan. So indes wusste er nichts zu antworten, denn ihre Entschuldigung auszuschlagen wäre einer Lüge gleich gekommen - obgleich sie ihn nicht hatte kompromittiert im Sinne einer Blamage, so doch zweifelsohne im Sinne der Verlegenheit.
    "Es ist nicht der Rede wert"
    , antwortete er schlussendlich, noch immer ein wenig zögerlich.
    "Bisweilen muss ein jeder Mensch der Menschlichkeit seiner Natur sich beugen. Niemand ist davor gefeit, nicht der Standhafteste, nicht der Tugendhafteste, und nicht einmal jene, denen wir Göttli'hkeit angedeihen lassen."
    Ein wenig peinlich berührt erinnerte Gracchus sich an seine eigenen Malheure und Miseren in der Öffentlichkeit, an jene Ereignisse, welche nicht zu kontrollieren waren gewesen, die Scham, welche er darob noch immer empfand, selbst da niemand mehr dessen sich entsann.
    "Letztlich wird es nur ein Hauch der Erinnerung bleiben, der Er..innerung dieses Ortes und unserer selbst."
    Sie würden wohl auseinander gehen als Fremde, welche der Fluss des Lebens zu einem belanglosen Gespräch im Park hatte zusammen geführt, und so sie irgendwo im Gewirr der Stadt wieder aufeinander trafen, würden sie sich höflich grüßen mit ihren Nomen Gentile, allfällig den anderen nach seinem Befinden fragen und diesen Augenblick der Trautheit nur klandestin in den Wänden ihres Geistes widerhallen hören. Gracchus bedauerte diesen Umstand bereits in diesem Moment, ohne gänzlich dessen sich gewahr zu sein weshalb, wiewohl er gleichsam nicht fähig war, dies zu ändern, nicht einmal es zu versuchen.

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  • Ein letzter Hauch von Wärme haftete der Kleidung an, dort wo der Flavier sie gehalten hatte. Fast wie ein vages Echo seines Armes verlief eine kleine, warme Spur an ihrem Rücken, wo er ihr seine Hand zwischen die Schulterblätter gelegt und sie gehalten hatte. Die ihm zugewandte Seite ihres Körpers brannte ganz leicht von der vertrauten Glut der innigen Umarmung, wo sie sich an ihn geschmiegt hatte, und nun, da die kalte Frühjahrsluft wieder die wenigen freien Stellen ihrer Haut kitzelte, fühlte es sich dort an, als wäre ihr etwas entrissen worden, als entweiche die Wärme dort wie Blut aus einer klaffenden Wunde. Und ein wenig fühlte es sich auch so an, als hätte sie dort etwas verloren, das ihr lieb und teuer gewesen war. Fast ein Teil ihrer selbst. Auch wenn es sehr töricht war und kindisch obendrein.
    Ein wenig fröstelte es sie, und instinktiv rieb Axilla einmal über ihren Oberarm, als könne das die Wärme des Flaviers dort noch einen Moment halten. Aber es war ein anderes Gefühl, auch warm, aber weniger vertraut – auch wenn dies ein Widerspruch in sich war, war es doch ihr eigener Arm, der diese Berührung vollführte. Es fühlte sich ein wenig an, als würde der ganze Moment mit all seiner Vertrautheit ihr entgleiten, gleich einem Traum, aus dem man erwachte. Man erinnerte sich noch an das, was vorgefallen war, aber allzubald fragte man sich, ob man wirklich gesehen hatte, was man gesehen hatte. Ob man wirklich gefühlt hatte, was man gespürt hatte. Ob man wirklich getan hatte, an was man sich erinnerte. Oder ob man sich daran nur erinnerte, weil man sich wünschte, dass es so wäre. Oder sich fragte, wie es wäre, wenn man nur gewagt hätte, es zu versuchen. Hatte sie sich wirklich dem Flavier an den Hals geworfen und geweint? Ihr Körper sagte, ja, die nasse Stelle an der Toga des Pontifex sagte ja, ihr Gefühl sagte ja. Nur die wiederkehrende Vernunft, die kalte berechnende Logik, die wollten so ein Verhalten nur zu gerne als Traum bezeichnen und von sich weisen. Eine Dame verhielt sich so nicht, warum also sollte Axilla sich so verhalten?


    Und doch wusste sie, dass es so war, selbst bevor der Flavier ihre Entschuldigung angenommen und ihr Verhalten als weniger schlimm als befürchtet abgetan hatte. Ja, im Grunde meinte er ja sogar, dass so etwas jedem mal passierte. Unsicher schaute Axilla zu ihm auf und fragte sich, ob dem Flavier solch eine Katastrophe auch schon einmal passiert war. Sie vermochte sich den Mann irgendwie beim besten Willen nicht weinend vorzustellen, und sie konnte sich ebensowenig vorstellen, dass er dies an einem öffentlichen Platz wie diesem tun könnte. War es also nur eine Phrase, um ihr ihre Schuldgefühle zu nehmen? Er schien redlich und aufrecht, wie er es sagte, und Axilla wollte ihm nur zu gern glauben.
    Gern hätte sie sich noch ein wenig an ihn gelehnt, einfach nur die Nähe eines anderen Menschen gefühlt. Eines Mannes insbesondere, und die Gewissheit, beschützt und sicher zu sein, dass alles gut werden würde. So aber blieben ihr nur die Worte der Erkenntnis, gesprochen von ihrem Gesprächspartner, und sie ließ sich noch etwas mehr fröstelnd auf der Bank leicht zurücksinken, verschränkte etwas schützend die Arme vor der Brust gegen die frische und kühle Luft.
    “Und wie ein Traum wird es verblassen, fast, als wäre es nie passiert...“ Sie atmete einmal tief und ruhig durch, besah sich den Ort noch einmal neu, als wäre sie eben aufgewacht. Mit einem Mal kam ihr der Garten gar nicht mehr so traumhaft vor, gar nicht mehr so verheißungsvoll und auch nicht mehr so frühlingshaft. Irgendwie war er kälter geworden. Grauer. Realer.
    “Irgendwie traurig“, meinte Axilla, und meinte damit nicht einmal die Tatsache, dass das hier vergessen sein würde. Im Grunde war das ja eigentlich sogar gut, ersparte es ihr doch einiges an Peinlichkeit in Zukunft. Nein, ihre Bemerkung galt irgendwie der ganzen Situation, der Vergänglichkeit als solches. Und dem Surrealismus von Träumen, den man nicht einfach in die Wirklichkeit der Welt mit herüberretten konnte.


    Sie atmete noch einmal durch, und ihr Blick fiel wieder auf die Tafel neben sich, die mit den wenigen Notizen bekritzelt war. Noch mehr Realität, der sie nicht entfliehen konnte. Der Artikel wollte schließlich geschrieben sein. Ein leises Seufzen. Wie sie sich doch wünschte, sie könnte einfach im Traum leben. Wie sehr sie sich doch nach Alexandria sehnte. Und nach Umarmungen. Vor allem nach Umarmungen.

  • "Wahrlich"
    , pflichtete Gracchus ihr bei und suchte nach einem adäquaten Worte, welches dies alles mochte umfassen, welches er sicher war schon einmal gekannt zu haben, welches in diesem Augenblicke ihm doch nicht wollte in die Sinne gelangen, so dass es in seiner Absenz nurmehr zu der allgemeinen Melancholie beitrug, welche sie umfangen hielt, ob dessen er in ein profanes
    "deplorabel"
    sich flüchtete, ebenfalls den Hauch der Vergänglichkeit um sie herum darin inkludierend, doch weit mehr Bedauern noch in sich verspürte als dies vermochte auszudrücken. Gedankenleer betrachtete er die Entropie des Musters der bleichen, graufarbenen Kieselsteine auf dem Weg vor ihnen, hob erst den Blick als Axilla neben ihm leise seufzte, kam indes nicht dazu, den Grund hierfür zu eruieren, da er abgelenkt wurde durch einen Schatten neben sich. Unbemerkt durch ihn war Sciurus an die Bank heran getreten, was Gracchus nicht sonderlich vermochte zu schrecken, war es seinem Sklaven doch seit jeher zu eigen, neben ihm zu erscheinen ohne dass er sein Nahen bemerkte. Er brauchte nicht einmal seinen Vilicus anzublicken, um zu wissen, was dies hatte zu bedeuten, denn zweifelsohne saß er bereits länger neben der Iunia im Hortus als er es ursprünglich hatte im Sinne gehabt.
    "Wie es auch als deplorabel anzusehen ist, dass ich mich nun ver..abschieden und zurückkehren muss in jene geschäftige Welt, welche außerhalb dieser grünen Insel lauert"
    , schloss er an seine vorigen Worte an und erhob sich beinah ein wenig schwerfällig, bedachte die junge Frau mit einem wägenden Blicke, ob es nicht noch immer unverantwortlich war, sie allein zurück zu lassen, doch schien sie sich wieder gefangen zu haben.
    "Es war mir eine Freude, dich kennenzulernen, Iunia Axilla. Ich wünsche dir noch einen ange..nehmen Tag, mögen die Götter dich stets mit ihrer Gunst bedenken, gleich an welchem Orte."
    Es waren kaum drei, vier Schritte, welche er hatte zurückgelegt, da er sich noch einmal zu Axilla umwandte, den Hauch eines zarten Fadens zu weben, welcher sanft würde zwischen ihnen weiter schwingen.
    "Falls du einmal Unterstützung benötigst im trostlosen Gewirr dieser Stadt, so zögere nicht, es mich wissen zu lassen. Es wäre nur recht, so ich dir behilflich sein könnte, da ich am heutigen Tage dich um die Pläsier einer erholsamen Zeit in diesem Garten habe gebra'ht."

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  • Wie eine plötzliche Regenwolke schon sich ein Schatten über ihre beiden Gestalten, und Axilla sah den Begleiter des Senators kurz flüchtig gegen die blitzende Sonne an, ehe sie ihre Betrachtung wieder dem Garten widmete. Das war er, der Punkt, an dem der Traum nun gänzlich wieder verblasste und die Wirklichkeit so unbekümmert von den Hoffnungen und Gedanken der darin lebenden Wesen ihren Platz zurückeroberte und über Axilla hereinbrach wie ein plötzlicher Regenschauer. Der Flavier erhob sich und entschuldigte sich, dass er nun wieder weiter musste. Es war nicht wirklich eine Flucht von ihm, und es war ohnehin erstaunlich, dass er nicht schon eher geflohen war, bedachte man ihr Betragen. Aber nein, er ging ganz gemächlich und mit aufrechtem Bedauern.
    Axilla wünschte, sie hätte die passende Worte zum Abschied, eine leere Floskel der Wirklichkeit, die von Anstand und Erziehung kündete und dem ganzen Gespräch, gleich wessen Inhalts es gewesen sein mochte, einen positiven Nachklang gab, den Schein von Leichtigkeit und Frohsinn. Doch kannte sie solche Worte nicht und verlief sich in einem gestammelten “Vale, Flavius“, unfähig, ihrer eigenen Beklommenheit zu entkommen, wie sie es noch vor einigen Momenten völlig ungeachtet der Konsequenzen getan hatte.


    Und dann, gerade als Axilla sich damit abfinden wollte, dass der Moment vergangen und der Zauber verflogen, das alles nur eine vage Erinnerung sein würde, bei der sie nicht wusste, ob sie sich dessen schämen oder diesen Augenblick mit Sehnsucht rekapitulieren wollte, just da drehte sich der Flavier noch einmal um, erhob noch einmal das Wort, und am liebsten wäre Axilla ihm noch einmal um den Hals gefallen. Einfach so. Einfach, weil ihr ohnehin die passenden Worte fehlten, um das auszudrücken, was sie ihn gerne hätte wissen lassen.
    “Du hast mich um nichts gebracht, Flavius. Vielleicht habe ich nicht das bekommen, was ich beim Eintreten in diesen Garten gesucht habe, aber ich fühle mich dennoch reicher, wenn ich ihn wieder verlasse. Dein Angebot ist sehr großzügig. Und ich danke dir aufrichtig dafür.“ Mit dem letzten Satz meinte sie nicht nur sein Angebot, sondern die gesamte Situation.
    Meistens gaben die Götter einem nicht das, was man wollte. Diese Lektion hatte Axilla sehr hart gelernt, als ihr Vater gestorben war. Noch einmal, als ihre Mutter gestorben war. Oder Urgulania. Leander. Als sie ihr Kind erst nicht verloren hatte, als sie es versucht hatte, und dann doch verloren hatte, als sie sich mit dem Gedanken, es zu bekommen, gerade angefreundet hatte. Als sie Pluto angefleht hatte, den Tod Urgulanias zu rächen und Terentius Cyprianus erst in Verzweiflung zu stürzen und dann zu töten. Nie hörten die Götter zu, sie machten sich nichts aus den Wünschen der Menschen und schon gar nichts aus denen einer junger Frau. Aber manchmal, in ganz seltenen Augenblicken, da bekam man zwar nicht das, was man wollte, aber das, was man brauchte. Und Axilla war sich durchaus bewusst, dass das hier ein solcher kleiner und kostbarer Moment war, wenngleich er wie die meisten solcher Momente mit Schmerz und Verlust einherging.


    Sie wartete noch, bis der Pontifex aus ihrem Blickfeld verschwunden war, ehe sie dann doch die Wachstafel aufnahm. Das Träumen war vorüber, die Wirklichkeit war hier und präsent, und sie sollte einfach versuchen, das beste daraus zu machen. Was diesen Artikel mit einschloss, der wie ein Damoklesschwert noch über ihr hing, bis sie ihn geschrieben hätte. Sie seufzte wieder, diesmal aber weniger resignierend, und nahm den Stylus zur Hand. Ein bisschen was musste ihr doch einfallen, was sie schreiben konnte. Und so schrieb sie.

  • Es gab nichts zu erwidern auf ihre Worte, ob dessen Gracchus nur den linken Mundwinkel empor hob zu einem ein wenig schiefen Lächeln, ehedem er sich endgültig umwandte, den Garten zu verlassen. Auch er hatte nicht die befreiende Gedankenleere gefunden, welche er in der Stille der gebändigten Natur hatte gesucht, doch auch er war um einiges reicher als noch vor ihrer Begegnung. Bis zum Abend hin würde sie ihm nicht mehr aus den Sinnen weichen und auch viele Tage hernach noch musste Gracchus immer wieder an Iunia Axilla und ihre Worte denken - an jene traumwandlerischen Beschreibungen Alexandrias und an ihre tiefsinnige Betrachtung des Träumens und der bisweilen darin inhärenten Qual. Selbstredend würde er auch Sciurus darauf ansetzen, herauszufinden, ob sie dem patrizischen Geschlecht entstammte und allfällig eine adäquate künftige Gemahlin für Flaccus mochte sein - und dass es nicht so war, würde ihn durchaus ein wenig dauern.

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    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

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