Stirb an einem anderen Tag

  • Antiochia, die Stadt der Lichter. Es war zwei Stunden nach Sonnenuntergang und ich blickte von der Dachterasse des "Rosengarten" auf ein Meer funkelnder Lichtpunkte, Laternen, die entlang der Plätze und Boulevards die syrische Nacht erhellten.
    "Palmwein. Mit Muskat." orderte ich bei der nymphenhaften Bedienung. Rosenduft lag schwer und süß in der Luft, Rosen wucherten allenthalben, bedeckten die Mauern und quollen aus unzähligen, mit erotischen Szenen verschnörkelten Terakotta-Vasen. Ich trug eine locker gegürtete, rubinrote Tunika, dazu eine Lacerna mit keck hervorblitzendem smaragdgrünem Seidenfutter, die von einer schweren schlangenförmigen Fibel auf meiner Schulter zusammengehalten wurde. Im Rosengarten verkehrten Antiochias Reiche und Genießer, und auch unter Offizieren war es ein angesagter Ort der Erholung. Die Kurtisanen und Gespielen waren allesamt hochklassig. Exquisite Körper räkelten sich einladend im Halblicht. Ein stadtbekannter Reeder mit prachtvoll gekräuseltem Bart machte sich gerade, ein Mädchen rechts, ein Mädchen links, auf den Weg zu den Separées. Ein anderer Gast, grauhaarig und verkniffen, musterte prüfend die Belegschaft, er schien sich noch nicht so recht entscheiden zu können. Leise Musik von Zimbeln und Flöten, Stimmengemurmel und wohlige Laute erfüllten diesen Ort.


    An das Geländer gelehnt nippte ich an meinem Wein. Jenseits der Lichter der Stadt, jenseits der Mauern, da wo ich vor vielen Jahren einmal als Rekrut in der Prima gelagert hatte, dort glommen nun die Lagerfeuer der syrischen Legionen. Cornelius Palmas Streitmacht. Antiochia, die Stadt des Verrats.
    Mein Auftrag, mein eigentlicher Auftrag, war von den Ereignissen überrollt worden. An der Schuld des Veturius Cicurinus bestand natürlich kein Zweifel mehr. Daran, dass der Cornelier gegen Rom ziehen wollte auch nicht. Jetzt ging es um die Stärke der Truppen, die dieser Gegenkaiser um sich gescharrt hatte, um den Schlachtplan, und um die Schwächen der beteiligten Kommandeure. Meine Speculatoren hatten gute Arbeit geleistet, und ich hatte eine ergiebige weitere Informationsquelle aufgetan, als ich die Besitzerin des Rosengarten, von den Vorteilen für mich zu arbeiten überzeugte. (Ein raffgieriges Weib!)
    Darum war ich heute abend hier. Rein dienstlich. Ein letzter Austausch, eine letzte Abrechnung, und dann würde ich mich ohne Verzug auf die Rückreise nach Rom machen. Die Speculatoren würden hierbleiben und die Quellen in Zukunft weiter abschöpfen. Der Cornelier zog schon die Flotte im Hafen Seleukia zusammen, ich musste raus aus Syrien bevor er die seetüchtigen Schiffe allesamt für sich requirierte. In einer verschwiegenen Bucht wartete bereits eine flinke kleine Liburne auf mich.


    Ein melodisches Klingen, und die mit Glöckchen besetzten Vorhangschnüre eines der Durchgänge schwangen zur Seite. Endymion betrat die Terasse. Nein... er schwebte hinein. "Rein dienstlich" wankte. Endymion! Wer seinen statuenschönen Leib erblickt, wer seinen brennenden Blick auf sich gespürt, wer seine honigsüßen Lippen geschmeckt hätte, der würde es mir nachsehen.
    "Willkommen." Er lächelte mit dem Mund.
    Ich trat an ihn heran und schlang den Arm um seine Mitte. (Den linken... der rechte war zwar mittlerweile wieder zusammengewachsen, aber steif im Ellbogen und schwach geblieben, dazu scheußlich vernarbt. Scheiß Blemmyer! Möge der heulende Sandsturm diese elenden Hunde allesamt in Fetzen reissen, möge der Treibsand ihre erbärmlichen Überreste für alle Ewigkeit verschlingen.)
    "Sie erwartet dich."
    An der Seite des Sklaven, die Hand auf seinem perfekt gewölbten Gesäß ruhend, verließ ich die Terasse. Mit den Gedanken halb bei dem bevorstehenden geschäftlichen Treffen, halb bei der Frage: ich könnte ihn mir doch kaufen, den Endymion. Ihn dem Rosengarten abkaufen. Ein syrisches Souvenir... Sicher wäre er sündhaft teuer, aber gewiss auch jede Sesterze wert. Dumm war nur, dass er hier als Sammler von Informationen noch viel wertvoller war, als er es in meinem Bett jemals sein könnte. Verdammtes Dilemma.

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    Klient - Decima Lucilla

  • Der Moschusduft verschlug mir fast den Atem, als ich, an dem titanenhaften Türwächter vorbei, ins Boudoir der Hausherrin trat. Circe empfing mich auf einem Berg von Kissen thronend. Hauchzarte safranfarbene Seidenschichten umwallten kunstvoll drapiert die überquellenden Speckwülste ihres Körpers. Raffinierte Kosmetik mühte sich redlich, die Verheerungen der Zeit zu verbergen.... Angeblich war sie früher die begehrteste Hetäre der Stadt gewesen, jetzt war sie ein Memento an die Vergänglichkeit. Ihre kleine fette Hand ging fortwährend von einer Kristallschale mit kandierten Kirschen zu ihrem roten Mund. Auch mir bot sie die Schale an, ich nahm mir so ein süßklebriges Ding und ließ mich nieder.
    Nachdem Circe und ich ein wenig geplaudert hatten – unter dem abstossenden Äusseren steckte eine beunruhigend scharfsinnige Person – kamen wir zum Geschäftlichen.
    "Was hast du heute für mich?"
    "Geheimnisse über Geheimnisse." Sie reichte mir die neuen Berichte, ich überflog sie rasch, grinste an einer pikanten Stelle, und revanchierte mich mit einem prallgefüllten Geldbeutel. Das meiste war natürlich belangloses Kissengeflüster, aber es gab auch interessantes, und an einer Stelle hob ich erstaunt die Augenbrauen. Ach tatsächlich....?


    Dann berichtete Endymion. Dekorativ auf den Kissen ausgestreckt, auf einen Ellbogen aufgestützt. Sein bestickter Lederschuh baumelte spielerisch von den Zehen. Hin und her, hin und her...
    "Ich war wieder bei Firmus" begann er verheißungsvoll. Ich spitzte die Ohren. Der Mann stand der Schreibstube der Scythica vor. "Die Stimmung ist noch ebenso enthusiastisch wie zu Beginn. Sie sind heiß darauf sich einzuschiffen. Zur Zeit bereiten sie alles vor. Lagern Salzfisch ein, und sonstigen Soldatenfrass... Firmus sagt es gibt ein Problem mit dem Salzfisch, eine große Ladung war verdorben, sie suchen jetzt einen anderen Lieferanten, und Firmus kann keinen Salzfisch mehr sehen..."
    Hin und her wippte der Schuh. Salzfisch... Dass meine Arbeit immer auf so Kleinigkeiten hinauslaufen mußte. Ich hatte mir das Prätorianerleben irgendwie glorreicher vorgestellt, oder auf jeden Fall aufregender. Aber es war mehr als wäre ich ein Mosaikleger, Steinchen um Steinchen wurde mühsam herbeigetragen und zusammengesetzt. Setzte man die Provianteinkäufe in Verbindung mit der Truppenstärke, der Anzahl der Schiffe der Seleukia-Classis, bedachte man wie lange die Schiffe in der Militärwerft noch bis zu ihrer Fertigstellung brauchen würden, rechnete man Jahreszeit und Wetter mit ein... dann konnte man über den Daumen peilen, wann er wohl losschlagen würde, der Usurpator.
    Circe knabberte Kirschen und zählte das Geld. Leise klackten die Münzen. Endymion strich sich über den Nacken. Hin und her ging der Schuh. Mit einem Mal beschlich mich ein Hauch von Unbehagen. War Endymion.... nervös?

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  • "Und was dich sicher interessieren wird..." Verschwörerisch beugte der Gespiele sich zu mir, hielt mich mit seinem kohlschwarzen Blick um- und zugleich gefangen. "Sie sind davon überzeugt, dass jemand sie ausspioniert." Die melodiöse Stimme klang gepresst. Als würde sie im nächsten Augenblick brechen. Das Klacken der Münzen hatte aufgehört. "Und sie sind diesem Mann auf der Spur."
    Ein Muskel in seinem Augenwinkel zuckte, und die schönen Augen flackerten, nur einen Wimpernschlag lang, auf irgendetwas hinter mir.
    Das warnte mich, und als mit lautem Krachen die Türe gegen die Wand schmetterte, Waffen draussen im Gang klirrten, der Titan von Türhüter aufbrüllte und der grauhaarige Gast, der vorhin noch so wählerisch die Kurtisanen begutachtet hatte, hereinstürmte, das Gladius in der Hand – da war ich schon auf die Füße gesprungen, hatte den Dolch gezückt und bewegte mich Richtung des Fensters. Es war ein großes orientalisches Glaskunstwerk, aus dem hinaus Circe einen wunderbaren Blick auf den Orontes geniessen konnte. Die Vorhänge flatterten im plötzlichen Luftzug, als der Eindringling mir den Weg verwehrte. Er führte einen sauberen geraden Stoß gegen mich. Mein Magen verkrampfte sich zu einem harten Knoten. Ich warf mich zur Seite und der Stoß ging in die Holzvertäfelung hinter mir, tief hinein, Splitter flogen. Das Blut pochte mir in den Ohren. Er trug Zivil, doch seine Waffenführung zeigte: er hatte sub aquila kämpfen gelernt. Wie von weither hörte ich Circe schimpfen: "Waffen weg! Ich verbitte mir das! Dies ist ein Ort der Freude! Raus! Alle raus!"
    Ich warf mich gegen den Mann, wollte ihn zu Fall bringen bevor er erneut zum Stoß ausholen konnte, doch er stand wie eine syrische Zeder, umklammerte das Handgelenk meiner Dolchhand, und rang mich gegen die Wand. Das Gladius hatte er dabei zwar verloren, doch das nützte mir nichts, denn ich konnte mich nicht mehr rühren.


    "Ergib dich!" forderte er barsch. Er war kaum ausser Atem.
    "Wem... sollte ich mich ergeben?" Ich versuchte Zeit zu gewinnen. Der Mann machte mir Angst. Ein Soldat, professionell und gut, der keinen Augenblick zögern würde mich abzustechen. Römische Soldaten sollten nicht gegen römische Soldaten kämpfen.
    "Optio Nonius, Frumentarius in der Legio IV. Ergib dich, meine Männer haben alle Zugänge besetzt."
    Frumentarier. Kein Wunder dass der hier so reinpolterte. Kein Sinn für Diskretion...
    "Ja" murmelte ich niedergeschlagen, "ja, in Ordnung."
    Er presste mein Handgelenk zusammen und ich ließ brav meinen Dolch fallen. Ein wenig, ein ganz klein wenig, entspannte sich der Soldat. Er vergewissert sich dass ich keine Waffen am Gürtel hatte, dann griff er nach einem Strick. Gefangennahme in einem Bordell, welche Schmach... Aber ich war noch nicht erledigt. In dem Moment als er sich vorbeugte um meine Hände zu greifen, riss ich die schwere Schlangen-Fibel von meiner Schulter los und rammte sie ihm von oben hinters Schlüsselbein. Das Schwanzende war messerscharf geschliffen. Er schrie auf, starrte auf das Ding, das da tief in seiner Schulter steckte, wankte zurück.
    Sofort war ich am Fenster, riss es auf, und sprang auf das Fensterbrett. Ein hastiger Blick zurück: Circe zeterte, der Frumentarier hielt sich kreidebleich an der Wandvertäfelung fest, deutete zittrig auf mich. "Denk dran: 500 Sesterzen..." keuchte er in Richtung Endymion, und der Schöne, der Verräter, der Trottel, hob doch tatsächlich meinen Dolch auf und kam auf mich zu!


    Ich bedachte Circe mit einem zerknirschten Heben der Hände - schade dass es so enden mußte - und machte dass ich rauskam. Glücklicherweise hatte ich mir das Gebäude schon vor längerem mal genau angeschaut. Aufklärung ist alles (wusste ich spätestens seit dem Chaboras). Vor dem Fenster gab es einen Sims, der führte an der Fassade entlang. Das Herz schlug mir bis zum Hals, als ich mich da entlangschob, gegen die Mauer gespresst, mit den Fusspitzen tastend. Ich hörte, wie Endymion mir nachfolgte.
    "Fortuna, oh Fortuna steh mir bei... bitte..."
    Putz bröckelte von der Wand, rieselte in die Tiefe. Nur nicht nach unten sehen...

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  • Zwischen Himmel und Erde balancierte ich auf einem – allerhöchstens handbreiten! - Sims, den Oberkörper gegen die Backsteine gequetscht, die Fingerspitzen in die Rillen gekrallt, meine Wange schabte über den Lehm.... und hoffte inständig, inständig nicht den Halt zu verlieren. Befremdet vernahm ich, wie ein leises Kichern über meine Lippen kam – hatte ich nicht gerade eben noch gedacht, mein Leben sei nicht aufregend genug?! - ein leises, hysterisches Kichern, das mir der Wind sogleich von den Lippen riss. Der Wind fuhr auch in meinen Umhang und verwirbelte ihn, zog daran, ließ ihn mir von den Schultern rutschen und in der Nacht verschwinden. Ich presste die Augen zusammen und kämpfte um mein Gleichgewicht. Aber Endymion holte auf. Mit zusammengebissenen Zähnen schob ich mich weiter. Ich war zu alt für sowas. (Schon erschreckend nahe an den 30.)
    Dann erreichte ich eine Hausecke, und da, nicht weit unter mir, grenzte ein etwas niedrigeres Haus an. Ein Satz und ich war drüben, landete auf dem schrägen Dach. Einige Ziegel lösten sich und glitten in die Tiefe, aber ich krabbelte schnell auf allen Vieren zum Dachfirst und klammerte mich daran fest.
    "Dort! Da oben ist er!" Von der Strasse tief unter mir hallte der Tritt von Caligae. Verdammt... der Frumentarius hatte nicht zu viel versprochen. Und Endymion setzte mir nach, sprang wie ein Panther auf das Dach, meinen Dolch in der Hand. Abscheulich was manche Menschen für Geld zu tun bereit sind!
    Vollkommen fertig mit den Nerven krabbelte ich weiter den Dachfirst entlang – bis zu seinem Ende. Unter mir lag das Ufer des Orontes, fauliger Schlamm und schnellfliessendes schwarzes Wasser, von dem es kühl zu mir hinaufwehte. Endymion kam näher. Ich atmete tief durch und richtete mich auf, meinem Verfolger zugewandt. Hätte ich doch meine Waffe noch! Hätte ich doch noch zwei gesunde starke Arme. Ich war so ein Scheiß-Invalide!


    "Endymion!" rief ich ihm entgegen, "Pass mal auf. Fünfhundert sind ein Witz! Dafür willst du dich auf einen Kampf einlassen? Ich habe mehr Parther zerschlitzt als du Schwänze gelutscht hast, also lass den Quatsch, und... und nimm das Messer da weg bevor du dich noch selbst dran verletzt!"
    Das überzeugte ihn offenbar nicht, er kam weiter auf mich zu.
    "Ich verdopple den Preis! Ich geb dir tausend! Tausend Sesterzen." Jetzt hatte ich endlich sein Interesse geweckt. Er hielt inne und begann zu schachern:
    "Dreitausend. Nicht unter dreitausend."
    "Du spinnst. Tausendfünfhundert."
    "Zweitausendfünfhundert."
    "Zweitausend!"
    Er liess den Dolch etwas sinken. "Wer sagt dass du mich nicht verarschst?"
    "Du bist hier der Verräter!" Es kränkte mich. Ich hatte ihn gemocht. Naja... ihn begehrt jedenfalls. "Bei meiner Ehre, du bekommst dein Geld, hilf mir nur von hier wegzukommen, und ich schwöre, bei Iuppiters Stein, du wirst die Zweitausend bekommen..."


    "Tollite Iaculi!" brüllte jemand irgendwo unter uns, und sofort, ohne nachzudenken, duckte ich mich, warf ich mich flach auf das Dach. Die gewölbten Ziegel waren noch warm vom Tag.
    Endymions fragendes "Was.....?" wurde von dem darauffolgenden "MITTITE!!" erstickt, und dann flogen auch schon die Wurfspeere. Einer sauste ganz nah an mir vorbei, einer prallte aufs Dach und schoß wie eine Schlange noch ein Stück weiter darüber hinweg, und einer... Tja. Einer traf Endymion, eigentlich streifte er nur seine Wade, aber mein verräterischer Informant japste erschrocken und verlor das Gleichgewicht. Mit den Armen rudernd, hin und her schwankend versuchte er sich zu halten, doch vergeblich. Endymion kippte, Endymion fiel, und zu allem Unglück riss er mich dabei mit sich. Wir rutschten ab. Seine zappelnden rosenöligen Gliedmasssen waren überall, ich fand keinen Halt mehr, und es ging rasant abwärts, in einer Lawine von Ziegeln, erst schlitterten wir über das schräge Dach, und dann war da nichts mehr.
    Freier Fall.
    Ich kann nicht beschwören, dass ich nicht geschrien habe.
    Kaltes Flusswasser schlug über mir zusammen.

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    Klient - Decima Lucilla

  • Wo war oben, wo war unten... Um mich herum war alles schwarz, und eine starke Strömung ergriff mich, zog mich mit sich. Benommen schlug ich gegen den weichen Widerstand des Wassers um mich, berührte schlammigen Grund, stiess mich ab, und war mit einem Mal wieder an der Oberfläche. Prustend und spuckend trat ich Wasser, und versuchte mich verworren zu orientieren, nun da es wieder ein oben und ein unten gab... oben die Sterne: Orion auf der Jagd, mit dem großen und dem kleinen Hund an seiner Seite... unten das Wasser. Kalt war es. Meine Tunika waberte um mich herum, aber da sie ja glücklicherweise aus Seide war wurde sie auch vollgesogen kaum schwerer. Am Ufer die Häuser, die roten Lampen des Rosengarten schon ziemlich weit weg... und davor die Umrisse von Soldaten, mit Blendlaternen liefen sie am Ufer entlang... die suchten nach mir.
    Zurück ans Ufer? Wohl kaum.... Auf die andere Seite? Es war weit... zu weit für mich Invaliden. Alles was ich tun konnte war, mich inmitten des breiten Stroms an der Oberfläche zu halten, während der Sog mich kraftvoll mitriss. Der Orontes hieß nicht ohne Grund "der Unbezähmbare", aus zwei Gebirgen speisten ihn die Flüsse, und zur Zeit führte er Hochwasser. Warum nur mußte ich jetzt an die traurige Hibernierin denken, ich dazumal aus dem Tiber gefischt hatte... halbtot war sie schon gewesen. Und warum erinnerte ich mich gerade so allzudeutlich an einen gewissen Jüngling, der sich in adoleszentem Weltschmerz um ein Haar von der Pons Cestius gestürzt hätte.... Es wäre zu dumm, hier zu ertrinken, ich hatte noch so viel vor, und was würde Seiana tun ohne mich, meine liebe Schwester, die so ungemein stark war und mich doch trotzdem genauso sehr brauchte wie ich sie... Und Aton! Ihn nie mehr wiederzusehen, das könnte ich nicht ertragen! Und sei es nur, um ihm ein für alle mal zu sagen, dass er ein niederträchtiger Schuft war, den ich nie mehr wiedersehen wollte.
    Eine Welle drückte mich unter Wasser, energisch kämpfte mich wieder hoch. Und wieder geschah es, und wieder, und meine Kräfte schwanden.


    "Epidicus!" vernahm ich da eine Stimme ganz in meiner Nähe. Und eine andere antwortete klar und deutlich:
    "Wer ruft hier nach Epidicus?"
    Bona Dea, wer sprach da?
    "Ich bin es, ich, Periphanes."
    Es war ein Schiff! Eine große Luxusbarke. Mit Girlanden und Laternen behängt glitt sie behände stromabwärts. Von dort erklangen die Stimmen, volltönend trugen sie über das Wasser. Mit letzter Kraft paddelte ich darauf zu. Mein lädierter Arm schmerzte wie verrückt, und die Bugwellen warfen mich zurück. Der große Rumpf glitt viel zu schnell an mir vorbei, ich streckte mich, suchte verzweifelt mit der Linken die rettenden Planken zu erhaschen... als eine Hand sich fest um die meine schloss. Jemand zog mich heran, und half mir, mich über die niedrige Bordwand zu hieven. Erschöpft sank ich auf das Deck, und mußte feststellen: mein Helfer in der Not war genauso triefnass wie ich. Es war kein anderer als Endymion. Er hob den Finger an die Lippen: "Pssst...!"


    "Mir ist schlecht. Ich muß erst Atem holen."
    So ging es mir auch. Wer da deklamierte war ein Mime, der mit der Maske des komischen Sklaven angetan auf einer Platform vor dem Mast, hin und her stolzierte.
    "Nur gemächlich, ruh dich aus!" sprach sein Gegenüber, die Maske des alten Herrn.
    Die Zuschauer, eine illustre Festgesellschaft, umlagerten auf weichen Klinen die Bühne, labten sich an Wein und Speisen, erfreuten sich an der Komödie und hatten uns anscheinend noch gar nicht bemerkt.
    Sklave: "Hört: Von Theben sind alle aus dem Heeresdienst nach Haus entlassen worden."
    Alter Herr: "Wer behauptet das?"
    Sklave: "Ich selber, es ist so."

  • Hastig folgte ich Endymion tiefer in den Schatten der Decksaufbauten. In einer Nische zwischen einem Haufen Segeltuch und einer Topfpalme verharrten wir geduckt.
    "Bist du verletzt?" flüsterte er.
    Ich schüttelte den Kopf. "Und du?"
    Grimmig bejahte er, zeigte mir seine Wade. Ein ganz dünnes Rinnsal von Blut tropfte von der Streifwunde auf die Planken. Er band sich einen Fetzen Stoff darum. "Diese Schweine wollten mich umbringen!"
    Ich glaubte zwar eher, dass er einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war, doch es lag mir fern ihm zu widersprechen.
    "Da siehst du mal wie furios wertvoll du diesen Leuten bist! Aber du wirst es überleben."
    "Die haben mich gezwungen... Ich hab sogar noch versucht dich zu warnen."
    "Mhm."
    Jetzt, da die allerunmittelbarste Gefahr vorüber war, fühlte ich mich mit einem Mal ungeheuer zittrig. Ich fror bis auf die Knochen, und ich hoffte, dass der Frumentarius, der doch auch nur ein Soldat war der seine Pflicht tat, nicht schwer verletzt war.
    "Wenn ich wieder zu Hause bin," sagte ich leise zu mir selbst, "dann errichte ich Fortuna einen wunderschönen Schrein."
    "Und... was ist jetzt mit meinem Geld?"
    "Bekommst du. Aber du musst erst mal mitkommen." Sarkastisch blickte ich an mir runter. "Hab gerade nicht so viel bei mir."
    Zwar waren in meinem Gürtel noch ein paar Aurei eingenäht, aber die waren für die Heimreise, und sowieso hätten sie für Endymion nicht gereicht. (Soviel Schulden wie heute Nacht hatte ich noch nie gemacht. Glücksspiel ist nichts dagegen.)
    "Mitkommen wohin?"
    "Komm einfach mit."
    Ich schlang die Arme um mich, lehnte mich zurück, und lauschte zerstreut den Stimmen der Schauspieler.


    Alter Herr: "Sie, die Hexe, die Giftmischerin!"
    Sklave: "Wie allerliebst, elegant und nach allerneuster Mode war sie gekleidet. Herausgeputzt und goldgeschmückt!"
    Alter Herr: "Was hatte sie an? Ein Königskleid? Ein Bettelkleid?"
    Sklave: "Ein Regenwasserbeckenkleid – solche Namen geben die den Kleidern."
    Alter Herr: "Was? Wie kann man ein Wasserbecken anziehen?"
    Sklave: Was ist da verwunderlich? Viele laufen ja durch die Straßen, mit ganzen Ländereien geschmückt. Wenn aber eine Steuer auferlegt ist, heißt's, man kann nicht zahlen; denen aber, denen man die weitaus größeren Steuer zahlt, denen kann man zahlen. Ah, das Pack, das sich für die Kleider Jahr für Jahr neue Namen ausdenkt: Glattschurkleid, Flaumwollkleid, Glanzleinenkleid, Unterröckchenkleid, Goldbortenkleid, Ringelblumen- oder Krokuskleid. Da gibt's ein Mini- oder Maxi-Unterkleid, ein Kopftuchkleid, ein Prachtkleid, Exotikkleid, Meerblaukleid, Federflaumkleid, Nußbraunkleid, ein Wachsgelbkleid – was das für Possen sind! Sogar dem Hund stehlen sie noch den Namen.
    Alter Herr: "Wie das?"
    Sklave: "Sie nennen's Windhundkleid."


    Ein Krokuskleid... was für eine aparte Idee. Das Stück nahm seinen Lauf, ging gut aus, und das Schiff legte bald darauf an einem Bootssteg vor einer schicken Landvilla an. Wir warteten bis die Gäste, lachend und manche auch schon schwankend, von Bord gegangen waren, dann schlichen mein "treuer Gefährte" und ich an Land.
    Der Rest der Nacht war ein Gewaltakt. Wir schlugen uns durch die Felder in Richtung der Strasse nach Seleukia durch. Endymion jammerte immerzu über seine ach so schwere Verwundung, bis ich ihm unwirsch über den Mund fuhr. In eisigem Schweigen erreichten wir schließlich eine Herberge, wo ich dem Wirt für einem völlig überzogenen Preis zwei Gäule abkaufte. Wir ritten die Nacht durch, ich hatte eine stinkende Pferdedecke eng um mich gezogen und glaubte bei jedem Laut meine Verfolger zu hören.
    Im Morgengrauen, kurz vor Seleukia, bogen wir von der Strasse ab, stießen wieder auf die Küstenlinie, und folgten einem Ziegenpfad, der sich von Zistrosen und Macchia umwuchert an der zerklüfteten Küste entlangschlängelte. Endlich erreichten wir die kleine Bucht, in der die Pelagia auf mich warten sollte. Erschöpft und überwach zugleich hielt ich Ausschau nach dem Schiff, und wie unendlich erleichtert war ich, als ich die Liburne wirklich dort vor Anker liegen sah. Sie ließen ein Boot zu Wasser und holten uns rüber (die Gäule ließen wir ohne Zaum zurück), und nachdem ich dem Kapitän klargemacht hatte dass keine Zeit zu verlieren war, ging es los. Die Ruder hoben und senkten sich, tauchten synchron in das azurblaugrüne Wasser, und die Pelagia stach in See, machte sich auf die weite Reise über das Mare Nostrum nach Italia. Als die Sonne im Zenit stand, lag die syrische Küste schon weit achtern.

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