Officium | Lucius Tiberius Lepidus

  • Das alles so aufgezählt zu bekommen war… heftig. Ob aufgefordert oder nicht, Lucia musste sich setzen. Sie ließ also von ihrer eher aggressiven Haltung ab und sank langsam in den Stuhl vor Lepidus Schreibtisch. Es gab einzelne Worte, manchmal nur der Tonfall, die sie fast wieder aufspringen ließen und teilweise und teilweise oder ihr einen ziemlichen Stich ins Herz versetzen. Er traute ihr nicht mehr? Das tat wohl am meisten weh. Sie konnte nicht anders, ihr stiegen wieder Tränen in die Augen, doch sie kämpfte sie zurück. Als Lepidus dann endlich fertig war, herrschte für eine Weile Stille zwischen ihnen. Lucia wischte sich über die Augen und räusperte sich, ehe sie mit belegter Stimme anfing: „Ich bin doch zu dir gekommen und ich wollte es dir doch erklären. Das du es nicht verstanden hast, ist doch nicht meine Schuld! Diese Situation ist auch nicht grade einfach für mich! Entschuldige bitte, dass ich da das normalste auf der Welt tue und ein wenig emotional reagiere!“ Ihre Stimme überschlug sich und sie brach ab. Wieder wischte sie sich über die Augen und wieder räusperte sie sich. Noch einmal atmete sie tief durch und fuhr dann stockend fort. „Wie ich schon gesagt hab, ist das alles nicht aus einer Laune heraus entstanden! Ich hab dir gesagt, dass ich ihn heiraten muss, oder? Das hab ich dir gesagt!“ Mit einem wütenden Funkeln in den glänzenden Augen blickte sie zu ihrem Bruder auf. „Das hat alles auf der verfluchten Insel angefangen, auf die du mich mitgeschleppt hast!“, dem eigenen Bruder einen Teil der Schuld zuzuweisen tat unglaublich gut. Aber hatte sie nicht auch das schonmal zu ihm gesagt? Lucia war sich nicht sicher. „Da hat er mich zum ersten Mal gefragt und ich hab ihn ausgelacht.“, das stimmte zwar so nicht ganz, aber das war wohl die Freiheit des Erzählers. „Und dann hat er mir diese Kette geschenkt, zum Abschied, erinnerst du dich?“

  • Auch Lepidus ließ sich wieder hinter seinem Schreibtisch nieder. Der erste Anflug von Ärger war vorerst verflogen und überhaupt war er es leid, sich die Beine in den Bauch zu stehen. "Ich wollte ja gern verstehen. Aber du musst zugeben, dass die Antwort 'Ich muss' auf die Frage 'Warum heiratest du ihn?' ziemlich nichtssagend ist und mich eher noch in mehr Verständnislosigkeit zurücklässt. Damit hast du mir noch lange keinen Grund genannt." Auch wenn sie andeutete, dass irgendein Zwang dahinter steckte und keinesfalls eine Laune dafür verantwortlich war, so hatte Lepidus das Gefühl, dass sie doch eine gewisse merkwürdige Laune dann doch wieder bestätigte. Auf der Insel hat es angefangen. Na klar. Da sind sie sich zum ersten Mal begegnet. Da hat sich der Duccier wohl auch sehr charmant verhalten. Tja, und dann schenkte er ihr auch noch eine Kette. Zum wegschmelzen. "Ja, ich erinnere mich. Ich selbst bekam auch etwas geschenkt" Lepidus deutete mit den Augen die kleine Statuette des Neptun, die der Tiberier in seinem Officium sogar gut sichtbar aufgestellt hatte. Vielleicht wollte er damit auch sagen 'So What?', Geschenke bedeuten nichts. "Also er hat dich bereits auf der Insel gefragt? Was genau? Ob du ihn heiratest?" Gleich nach der ersten Begegnung. Das schien dem Tiberier dann doch etwas übereilt, falls es denn wahr sein sollte, woran Lepidus immer noch zweifelte. "Also ist Duccius Vala tatsächlich davon überzeugt, dass er dich heiraten wird? Er hat dich gefragt und du hast ja gesagt? Einfach so?" Immerhin gab es von Seiten von Lepidus immer noch die Theorie, dass der Duccius womöglich noch gar nichts von der Schwärmerei seiner Schwester wusste und gar überhaupt nicht auf die Idee kommen würde, sie zu heiraten und ihm diese Geschichte aus einem Gefühl der besinnungslosen Liebelei erzählte. Zugegeben, ein frommer Wunsch. Doch wenn es drohte wirklich kompliziert zu werden, baute sich Lepidus auch gern die Welt widewide wie sie ihm gefällt.

  • „Einfach so?“, echote Lucia. „Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?“ Sie wurde wieder ärgerlich. „Er hat mich auf der Insel gefragt, ob ich ihn heirate, ja! Ich habe das zuerst für einen Scherz gehalten. Aber ich habe versucht bei der Ablehnung höflich zu sein, immerhin wolltest du ihn damals als Verbündeten haben!“ Und wieder eine Stelle, wo klar wurde, dass Lepidus eindeutig mit Schuld war, davon war Lucia überzeugt. Sie schniefte und räusperte sich und versuchte weiter zu erklären. „Und ja, dir hat er auch was geschenkt, so eine kleine Statue, oder? Die war aber komplett, oder?“, dieser Punkt war ihr grade besonders wichtig. „Und er hat sie dir mit schlichten… ach das ist ja eigentlich auch egal.“ Lucia drohte sich zu verrennen. „Meine Kette hatte nur einen Anhänger. Aber da war insgesamt für drei Hänger Platz, er hat mir eine unvollständige Kette geschenkt, erinnerst du dich? Er hat darüber sogar noch kryptische Worte verloren.“ Sie wusste nicht mehr genau was er gesagt hat, aber es hätte auch eine Vorwarnung sein können, wenn sie nur richtig hingehört hätte, das war Lucia in einer ihrer langen schlaflosen Nächten nachdem sie die zwei weiteren Anhänger bekommen hat, klar geworden. Aber eins nach dem anderen.

  • "Ähm, ich bleibe dabei: es klingt für mich nach wie vor nach 'einfach so'. Du schweifst erneut ab, Schwester." Immer noch kein Grund, kein Nichts. Lucia schwätzte, aber sie sagte seiner Meinung nach nichts Gehaltvolles. Noch immer konnte er mit all dem nichts anfangen. Für ihn war das nur Gewäsch. An Lucias Stelle hätte Lepidus wenigstens versucht eine imposante Lüge auszuspinnen, wenn sie sich schon offenbar nicht überwinden konnte, die Wahrheit zu sagen. "Diese blöde Kette interessiert mich nicht. Offensichtlich hast du es auf der Insel noch geschafft, diesem törichten Versuch mit einem 'Nein' zu begegnen. Warum hast du es offenbar später nicht mehr geschafft? Achja, und versuch hier nicht ständig den Vorwurf einzustreuen, dass ich ihn dir ja vorgestellt habe. Nach deiner Logik hätte ich dich dann offenbar schon früher in der Villa wegsperren müssen, da du offenbar wohl selbst meinst nicht in der Lage zu sein fremde Männer kennenzulernen, ohne dich gleich mit ihnen zu verloben!" Es war natürlich lächerlich, ihm hier irgendeine Mitschuld zuzusprechen. Das Thema hatten sie ja im Übrigen auch bereits bei ihrem vorherigen Gespräch durch, weshalb das für Lepidus vom Tisch war. Schlagende Argumente für diese wilde These hatte seine Schwester jedenfalls nicht.

  • Einfach so, einfach so. Ihr Bruder redete, als ob ihr Leben so viel leichter wer als seines. „Du willst mir anscheinend gar nicht zuhören!“, ereiferte sich Lucia und gestikulierte wütend. Wie sollte sie ihm das alles erklären, wenn ihn die Kette nicht interessierte? „Es geht aber um diese blöde Kette! Es hat alles mit dieser blöden Kette zu tun!“ Das musste er doch begreifen! Wenn er tatsächlich verstehen wollte, was los war, musste er doch zumindest für ein paar Minuten einfach nur zuhören können! Oder interessierte ihn die Kette nicht, weil ihn im Grunde Lucia selbst nicht interessierte? Der Gedanke tat schrecklich weh und trieb Lucia wütende Tränen in die Augen. „Diese blöde Kette ist der Grund, warum ich Vala heiraten muss! Verflucht nochmal!“


    Sim-Off:

    edit: sorry, hatte noch was hinzugefügt, hab dann aber gesehen dass du schon antwortest, also hab ichs wieder weggenommen :)

  • Wieder wurde die Vorstellungskraft des Tiberiers deutlich überstrapaziert. Er hatte noch nie gehört, dass eine Kette die Ursache für eine Heirat sein konnte. Oder moment mal. Vielleicht wenn es eine sehr schöne Kette war. Mit materiellen Dingen konnte man eine einfache Frau vielleicht sehr gut überzeugen. Aber wieder moment mal. Lucia war nicht gerade eine einfache Frau, die sich so eine Kette nicht auch selbst kaufen könnte. Kurz gesag, Lepidus begriff natürlich gar nichts. "Wie kann denn eine Kette der Grund sein, jemanden zu heiraten?", fragte er genauso lapidar wie ungläubig, dass das ganze nun an einer Kette hängen sollte.

  • Er fragte nach. Natürlich fragte er nach! Welcher Mann würde nicht nachfragen, wenn ihn ein Begriff so um die Ohren gehauen wurde? Er fragte also nach, aber nicht einsichtig oder verständnisvoll oder in irgendeiner Weise mitfühlend. Nein, ihr liebster Herr Bruder redete mit ihr, als wäre sie völlig dämlich! Lucia war kurz davor wieder aufzuspringen und einfach rauszugehen. Lepidus wollte es doch eh nicht wirklich wissen und helfen konnte er ihr vermutlich auch nicht… „So eine Kette kann ganz einfach der Grund sein!“, zischte Lucia. „Er hat meine Antwort mit dieser blöden Kette und den fehlenden Anhängern geändert. Ich hab jetzt nämlich alle drei Anhänger und zwar von Vala. Der eine war in den Blumen beim Essen den andren hab ich auf dem Markt bekommen...“, erzählte Lucia hastig, damit ihr Bruder sie nicht unterbrach. „… und bei unserem Treffen im Horti Lolliani hat er mich nochmal gefragt!“ Das war wohl die knappste Version der Ereignisse, die man sich nur vorstellenkonnte.

  • Eine Kette. Eine Kette? Sie erzählte von einer Kette. Und von Anhängern. Anhänger. Nacheinander. Eins. Zwei. Drei. Wie ein Sammelspiel. Ein vortreffliches Sammelspiel. Hastig geschildert. Keine weitere Erklärung. Das einzige, was sie zu bieten hatte, war eine Kette. Und ein paar Anhänger. Nein, Lepidus schüttelte mit dem Kopf. Er sah seine Schwester fast mitleidig an. Dieser Vala hatte sie ganz eindeutig völlig verrückt gemacht. Totale Umneblung. Das konnte doch nicht ihr ernst sein. Lepidus sah auf seinen Schreibtisch. Er sprach ganz normal. Er fragte nicht weiter nach. Stattdessen wies Lepidus auf ein kleines Dokument vor sich. Er hob es kurz an, damit Lucia es sehen konnte, wie zu einem kleinen Kind. Dann legte er es auch schon wieder auf den Tisch und drehte es einmal herum und schob es Lucia auf der anderen Seite des Tisches zu. "In Anbetracht der derzeitigen Lage, muss ich dich bitten, dieses Dokument mit deiner Unterschrift zu zeichnen" Ganz oben stand in großen Lettern geschrieben: 'SCHENKUNGSURKUNDE' Darunter ein bisschen formales Gewäsch, dann die Benennung eines Grundstückes. Die Namen waren bereits eingetragen. Der Empfänger wies auf 'Lucius Tiberius Lepidus' und die derzeitige Besitzerin auf 'Tiberia Lucia'. Alles fein säuberlich, aber unvollkommen. "Ich möchte natürlich nicht sagen, dass dies einzig ein Vertrag ist, der dich freikaufen soll, auch wenn die unmittelbare Folge der Übertragung deines derzeitig noch in deinem Besitz befindlichen Grundstückes kausal mit der Beendigung der Überwachung durch die beiden Sklaven einhergehen wird." Tja, und es war es dann leider doch. Er wollte sich auch ersparen, seiner Schwester zu viel geistige Umnachtung vorzuwerfen, als dass sie noch in der Lage wäre, so kostbaren Besitz zu verwalten. Aber es gab ja auch noch genug andere Gründe. "Abgesehen von dieser Koinzidenz, ist dies der letzte Akt der zwischen mir und meiner Ernennung zum Senator steht. Ich vermute sehr stark, dass du die Rückkehr unserer Familie auf die ganz große Bühne der Politik nicht behindern wirst, nach dem tiefen Fall, den wir erlitten haben und nach dem Tode von Durus, Arvinia und Albina, denen wir dies schulden. Ich erwarte von dir, dass du mit deiner Unterschrift das verloren gegangene Vertrauen wieder aufbauen möchtest und damit einen Beitrag leistest zum Wohle unserer Familie" Nichts war leichter, als den persönlichen Vorteil als einen kollektiven Vorteil zu verkaufen. Familienehre. Tote Verwandte. Dahinter konnte man wahrlich alles verstecken.

  • Er wollte WAS!? Sie hatte ihm eben, in zugegeben kürzester Form, ihre Geschichte erzählt und ihr liebster Bruder wollte was von ihr!? Lucia guckte wie ein… man kann es nicht anders bezeichnen… Auto. Die Befürchtung, die eben nur kurz in ihrem Kopf herumgespukt war, hatte sich bestätigt. Sie war ihrem Bruder total egal. Mit leicht geöffnetem Mund lauschte sie Lepidus kleinem Monolog und konnte es einfach nicht fassen. Er erpresste sie tatsächlich. Man konnte es drehen und wenden wie man wollte, das war reinste Erpressung. Ihr Grundstück, ihre Altersversicherung, gegen ihre aktuelle Freiheit. Lucia sehnte mit plötzlicher Heftigkeit Sekunda an ihre Seite, doch die alte Sklavin war oben in Lucias Zimmer geblieben. Nur die beiden Herkulesse hatten Lucia zu ihrem Bruder begleitet. Sie sah sich nach hinten um und dort standen sie, bedrohlich vor der Tür aufgebaut versperrten sie ihr den Fluchtweg. Nein, Lepidus hatte eindeutig nur sein eigenes Wohl im Sinn. Das einzige, was ihn an ihrer bevorstehenden Hochzeit störte, war dass er keinen Vorteil daraus ziehen konnte. Es war wie ein Stich ins Herz. Bisher hatte sich Lucia immer zumindest vormachen können, dass sie ein familiäres Band verband. Das war jetzt wohl vorbei.


    Der Monolog endete und Lucia starrte ihren Bruder nur fassungslos an. Sie versuchte zu schlucken, doch ihr Mund war mit einem Mal staubtrocken. „Mein Grundstück?“, presste sie irgendwann leise heraus. „Zum Wohle der Familie…“, wiederholte sie ebenso leise seine letzten Worte. Ja klar, der Familie… Sie sollte ihm ihr Grundstück auch noch schenken, keine Gegenleistung, kein nichts. „Das ist dein Ernst.“ Lucia selbst war sich nicht sicher, ob das eine Frage oder eine Feststellung war. Sie sah auf die Urkunde, wagte es jedoch nicht sieanzufassen. Dann blickte sie wieder ihren Bruder an und wusste nicht was sie sagen sollte.

  • Das hatte gesessen. Nachdem seine Schwester ihn mit der Verlobungsnachricht überrascht hatte, hatte er nun die Chance sie ebenfalls aus heiterem Himmel zu belangen und nutzte sie sichtlich gern. "Es ist mein ernst" Zweifellos. Mit so etwas würde er niemals spaßen, vor allem nicht gegenüber einer erklärungsarmen Schwester. "Es ist das Beste" Lepidus schob noch einmal das Schreibgerät zurecht. Lucia musste es nur noch aufnehmen und ihre Unterschrift drunter setzen. "Ich wünschte, es wären andere Umstände, doch das können wir uns leider nicht immer aussuchen" Obwohl Lepidus natürlich durchaus der Meinung war, dass seine Schwester, wenn sie doch nur einmal eine vernünftige Erklärung abgegeben hätte, dies hätte vermeiden können. Doch der Tiberier sah nun keine andere Wahl, als eben zu diesen drastischen Mitteln zu greifen. Lepidus tippte ein wenig mit den Fingern auf das Holz seines Tisches. Die sollte wohl sagen: Mach schon, ich warte.

  • Das musste ein Traum sein… Zumindest für einen Moment glaubte Lucia dies. Doch ihr war dieses Gefühl der Unwirklichkeit in letzter Zeit viel zu häufig passiert, als dass sie sich noch in diese Phantasie flüchten konnte. Bis jetzt war es immer ein sehr unpersönliches Gefühl gewesen, doch diesmal glaubte Lucia, ihr würde gleich schlecht werden. Ihr Bruder war ihr keine Hilfe, im Gegenteil. Sie war komplett auf sich gestellt. Sie musste unterschreiben, sie hatte keine andere Wahl, oder zumindest sah sie grade keine. Langsam wie ein Schlafwandler griff Lucia nach den Schreibutensilien und setzte dann hastig eine zittrige Unterschrift unter die Schenkungsurkunde. Sie legte den Stift keineswegs ordentlich zurück, sondern ließ ihn achtlos fallen, während sie sich ruckartig erhob. „Ich werde jetzt in mein Zimmer gehen.“, kündigte sie mit dünner Stimme an und drehte ihrem Bruder den Rücken zu. Vor den beiden Muskelprotzen blieb sie zögernd stehen. Würden sie sie durchlassen?

  • In einem festen Rhythmus tippelten die Finger des Lepidus auf dem Tisch. Als Lucia sich anschickte, die begehrte Unterschrift zu liefern, biss er sich ein wenig auf die Unterlippe. Würde sie es tatsächlich tun? Als sie den Stift nach der vollzogenen Handlung fallen ließ, griff der Tiberier begierig nach der Urkunde und inspizierte sie. 'Ausgezeichnet!' ging es ihm durch den Kopf und er ließ sich gemütlich auf den Stuhl zurückfallen. Dass sie noch etwas sagte, war dem Tiberier fast entgangen. Als er wieder zur Tür blickte, stand Lucia schon vor den beiden Sklaven. Lepidus machte ein Handzeichen, wodurch die beiden kräftigen Werkzeuge beide in etwa synchron beiseitetraten. Der Weg war frei. Lucia war frei und Lepidus hatte, was er wollte... zumindest fürs erste.


    Als die Schwester den Raum endgültig verlassen hatte, konnte er sich erst einmal in Zufriedenheit sonnen. Immerhin musste sich Lepidus nun keine Sorgen machen, dass seine Schwester irgendeinen Unfug mit dem kostbaren tiberischen Besitz anfing und der Weg zur Senatorenschaft war nun geebnet. Und um ihr persönliches Verhältnis machte er sich vorerst auch keine Sorgen. Die emotionale Wankelmütigkeit der Frauen wird schon ihr Übriges tun, um den familiären Frieden ohne viel Aufwand wiederherzustellen. Allerdings war damit diese leidige Verlobungsgeschichte sicher noch lange nicht ausgestanden, was natürlich die gute Laune immer noch trübte. Im Grunde tappte er immer noch ein wenig im Dunkeln. Aber das unvermeidliche konnte der Tiberier wohl nun nicht mehr hinauszögern. Dann wollen wir doch mal in Erfahrung bringen, was der 'Bräutigam' zu sagen hatte. Lepidus begann seinem Scriba einige Zeilen zu diktieren, adressiert an Senator Duccius Vala.

  • Verdammt nochmal, wovon redete Dives nun schon wieder? Das fragte sich der Tiberier als er die neuerliche Korrespondenz seines Verbündeten las und wurde einfach nicht schlau daraus. Dass er zur Hochzeit zusagt, ja, das ist sehr nett, auch wenn er bei jenem Iulier natürlich annahm, dass er unter allen Umständen kommen würde und er somit der sicherste Gast auf der Liste war.


    Aber was hatten diese rätselhaften Worte zu einer Ernennung zum Pontifex pro magistro zu bedeuten? Und wie bitte? Auf der Einladung wollte er das gelesen haben? Das konnte doch kaum sein, dass sowas da drauf stand. Also entweder hatte der Iulier zu viel Wein getrunken oder vielleicht auch aus irgendeinem Grund Wein im Auge als er das gelesen hatte. Das schien ihm doch nur allzu merkwürdig. Selbst an eine verstreckte Botschaft wollte der Tiberier glauben. Wollte der Iulier hier vielleicht auf irgendetwas anspielen? Irgendeine Verschlüsselung, die in Anbetracht der Gefahr, dass Dritte dieses Schreiben lesen konnten bestand und er einfach nur nicht klug genug war, diese Verschlüsselung zu verstehen? Aber wir lebten auch nicht mehr in Zeiten des Vesculariers. Vor welcher Gefahr sollte man sich durch so etwas schützen? Der Tiberier schüttelte mit dem Kopf und es dauerte eine Weile bis er die wohl naheliegendste Lösung in Betracht zog, nämlich, dass auf der Einladung tatsächlich von einem Ponitfex pro magistro die Rede gewesen sein könnte.

    Doch wie sollte das passiert sein? Und welche Ironie steckte dahiner, wo doch gerade der eigentliche Pro Magistro Flavius Gracchus Teil jener Familie der Flavia Felix war, in die er sich einheiratete. Als wenn Gracchus Amt gleich die entsprechende Mitgift sein würde. Ein netter Gedanke, doch leider ein sehr gefährlicher. Schließlich musste das so wirken, als wenn der Tiberier dem genannten Gracchus den Rang ablaufen wolle. Für Gracchus selbst musste das ein Affront sondergleichen sein. Vielleicht wurden die Einladungen ganz bewusst dahingehend verfälscht? Flavia war für die Einladungen verantwortlich, aber würde sie ihm eine solche Falle stellen, als seine Zukünftige? Oder, was vielleicht wahrscheinlicher war, hatte einer ihrer sklavischen Schreiberlinge Mist gebaut? Vielleicht nur den Titel des Gracchus aus dem eigenen Hause kennend und somit dem Unterschied nicht gewahr seiend, dass es einfache Pontifices und einen Pontifex Pro Magistro gab? Das alles würde noch zu klären sein. Bis dahin musste er erstmal dem Iulier selbst erklären, dass dies alles nicht der Wirklichkeit entsprach, was er da auf der Einladung gelesen hatte.

  • "Ruhig, ruhig", sprach der Tiberier manchmal vor sich hin, aber das war eher die Ausnahme. Dazwischen entglitten ihm die Worte, die man teilweise durch das ganze Haus hören konnte. Wut durchschoss seine Adern und Verschwörung ging ihm durch den Kopf. "Ja, sie hatten etwas ausgeheckt, ganz sicher!" Er diese unbestimmten "sie" sein sollten, darüber konnte der Tiberier lange sinnieren. Da fiel ihm natürlich das erste Mal dieser verfluchte Germane ein. Ja, er hatte die anderen sicher dazu bewogen, Lepidus die Unterstützung zu entziehen... ach, was! Er hatte sie bestimmt schlichtweg bezahlt! Ganz sicher, das war eine lang geplante Hinterlist, ausgesprochen gegen den einzigen im Senat, der ihm offen Paroli bot!


    Lepidus schlug auf seinen Schreibtisch, seine Hand schmerzte. Wo ist Iusititia, wenn man sie mal brauchte? "Verloren, alles verloren!" rief er vor sich hin, obwohl ihn wohl gerade einmal ein paar Sklaven hören konnten, die sich aber wahrscheinlich schon seit längerem zum eigenen Schutz die Ohren zuhielten. Im Haus ging einzig die Sorge seiner Bediensteten, dass Lepidus seine Anfälle nun auch zunehmend in der Öffentlichkeit preisgeben würde, dass sie nicht mehr nur auf die Villa Tiberia beschränkt sein würden und die Abstände zwischen klarem Verstand und merkwürdigen Anwandlungen des irrsinnigen Denkens immer kürzer wurden.


    Schlimmer als sein Gekreische war natürlich nur sein Anblick. Ein absolut armseliger Mann, gekränkt wie ein kleines Mädchen, aber mit weit aufgerissenen Augen wie einer dieser Schwachsinnigen, die nicht einmal klug genug waren einen Becher Wein zu halten. Anstatt den politischen Kampf anzunehmen, versank er in seinen jämmerlichen Gedanken und den Paranoia. Überall suchte er den Fehler, doch ganz sicher nicht bei sich selbst! Er würde nach Verschwörern suchen, er würde sich an Leuten rächen, von denen nur seine Gedanken ihm sagten, dass sie ihm was Böses wollten. Er würde wie immer einer Erklärung den Vorzug geben, die am wenigsten etwas mit ihm zu tun hatte. Einsicht war eben noch nie des Tiberiers stärke. Ein bisschen mehr Diplomatie vielleicht, ein bisschen weniger Streitsucht, ja, das wäre das gewesen, was ein vernünftiger und tugendhafter Römer wohl erwogen hätte. Doch bis dies in seine grauen Zellen vorgedrungen war, hätte man Pompeij zweimal zerstören und wieder aufbauen können. Und so landete er in der Sackgasse, aus der er wohl nie mehr so einfach rauskommen würde. Menschen ändern sich eben nicht so leicht. Da hätte man viel Stein weghauen müssen, um wieder eine makellose Figur zu erhalten. Doch ein Bildhauer war bei weitem nicht in Sicht und von daher würde der Charakter des Tiberiers so unförmig bleiben wie eh und je.


    Doch was nun tun? Wem konnte man überhaupt noch trauen? Natürlich niemandem sagte die Logik der Paranoia. Doch mit irgendwem musste er natürlich Kontakt aufnehmen und sei es nur um herauszufinden, wer ihn betrogen hatte. Die Patrizier waren eine sichere Bank. Gracchus hatte ihn bei der Wahl offen unterstützt und ja auch Flavius Scato, den Lepidus mit Lobeshymnen bei seiner Kandidatur überschüttet hatte und der letztlich dieses phänomenale Ergebnis erzielte. Da wird doch wohl noch etwas Verlässlichkeit zu finden sein. Wozu hatte er denn sonst auch eine Flavia geheiratet? Ja, er würde Scato einige Glückwünsche zukommen lassen. Ebenso wie vielleicht diesem Annaeus. Trotz seiner späten Rückkehr in das öffentliche Leben, hatte dieser einen beachtlichen Rückhalt im Senat. Immerhin war dieser sich auch nicht zu schade eine Wortmeldung zur Kandidatur des Tiberiers zum Besten zu geben - besser als alle die nur feige geschwiegen haben. Auch hier sollte ein Glückwunschschreiben nicht fehlen und aus einer eventuellen Antwort ließe sich die Gesinnung des Annaeus sicherlich ganz schnell herauslesen. Heuchler erkannter der Tiberier sofort, er selbst war doch schließlich bestens darin geübt.


    Tja, politisch starb es sich langsam und Lepidus war auf dem besten Wege herauszufinden, wie qualvoll dies sein konnte.

  • Die Zeit war dahingeplätschert. Die Erinnerungen an die glanzvollen Hochzeitsfeierlichkeiten verblassten langsam, wie billiger Tand. Grauer Alltag war eingezogen in der Villa Tiberia. Alle Befürchtungen, die Domitilla zum Beginn ihres Verlöbnisses gehegt hatte, hatten sich noch in ihrer Hochzeitsnacht bestätigt. Nein, nicht ganz. Einen kalten Fisch hatte sie nicht geheiratet. Eher ein widerliches Scheusal. Die ersten Tage danach hatte sie sich in ihrem Cubiculum eingeschlossen. Nur durch gutes Zureden ihrer Leibsklavin hatte sie ein wenig Nahrung zu sich genommen. Später dann nutzte sie die Zeiten, in denen Lepidus im Senat weilte, um etwas frische Luft im Garten zu schnappen. Sobald er jedoch zurückkehrte, sorgte sie dafür, dass sie sich nicht über den Weg liefen.


    Nur durch die Berichte ihrer Sklaven bestand noch eine kleine Verbindung zur Außenwelt. So hatte Domitilla zum Beispiel erfahren, dass Lucia gemeinsam mit ihrem Mann die Stadt verlassen hatte und nach Germania umgezogen war, was sie als echten Verlust empfand. Candace hatte den Vorschlag gemacht, ihr einen Brief zu schreiben. Doch ihr wollten nicht die rechten Worte einfallen, die umschrieben hätten, wie untröstlich sie war, nun in der Falle zu sitzen… für den Rest ihres kümmerlichen Lebens.
    Da sie nun schon tagelang nicht mehr das Haus verlassen hatte, wurde Candace damit beauftragt, sie auf dem Laufenden zu halten. Nur ungern belauschte und spionierte sie dem neuen Dominus hinterher. Letztendlich aber hatte sie keine Wahl. So erfuhr die Flavia auch vom Ausgang der Wahlen und dass ihr Gatte wohl nicht das erwartete Ergebnis erzielt hatte, als er sich zum Aedilen wählen lassen wollte. Im Gegensatz zu ihrem Neffen, der ein erdrutschartiges Ergebnis eingefahren hatte, erhielt Lepidus nur einen Bruchteil der möglichen Stimmen.


    Während sie nun lesend in ihren Räumen weilte konnte auch sie sich nicht vor dem Geschrei entziehen, welches durch die Räume der Villa hallte. Natürlich wusste sie, wer der Urheber dieses Geschrei war. Enerviert legte sie ihre Schriftrolle zur Seite. „Was ist da los, Candace?“
    Die Sklavin war ganz eingeschüchtert und traute sich kaum etwas zu sagen. Seitdem der Dominus zurückgekehrt war, herrschte große Furcht unter den Sklaven, er könne seine Wut an ihnen auslassen. „Es ist der Dominus, Domina. Er ist wie von Sinnen. Wegen der Wahl. Er vermutet ein Verschwörung.“ Die Flavia kräuselte die Stirn, als sie Candaces Ausführungen hörte. „Eine Verschwörung? Mumpitz! Das hat er sich selbst zuzuschreiben, dieser Idiot!“ Einen Moment sinnierte sie noch, schüttelte leicht den Kopf und wollte sich wieder ihrer Lektüre widmen. Doch dann drang wieder die Stimme ihres Mannes zu ihr und wirkte sich störend aus. Erneut legte sie die Schriftrolle zur Seite, dann erhob sie sich, glättete ihre Tunika und schritt erhobenen Hauptes aus ihrem Refugium.


    Lepidus‘ Schreie kamen aus seinem Officium. Als sie den Türrahmen erreicht hatte, sah sie ihn. Er saß an seinem Schreibtisch und hämmerte wie ein Irrer auf seinen Schreibtisch ein. „Verloren,“ schrie er. Dabei wirkte er so jämmerlich, so erbärmlich. Doch Domitilla hegte alles andere als Erbarmen für ihren Gatten. Ihre Abneigung war inzwischen zu echtem Hass umgeschlagen. Sie beobachtete ihn eine ganze Weile, bis er sie zu langweilen begann.
    „Hör auf, so herumzujaulen wie ein getretener Hund! Davon wird auch nichts besser. Sieh nur, wie jämmerlich du bist, du erbärmlicher Schlappschwanz! Reiß dich zusammen, Mann und raube mir nicht den letzten Nerv!“ Angewidert wandte sie sich ab und wollte wieder gehen.

  • Lepidus wollte eigentlich gerade dazu ansetzen, seine Briefe zu verfassen. Fast hätte sich sein Pulsschlag wieder auf ein Normalniveau heruntergefahren und seine verschwitzte Stirn hätte Zeit gehabt sich abzukühlen, doch genau im Moment der abflachenden Zorneskurve musste er nun die Stimme seiner Frau vernehmen, die offenbar schon einige Zeit im Türrahmen verweilte, so sie ihm überhaupt nicht aufgefallen war. Jetzt dagegen machte sie sich lautstark bemerkbar. Und wie! Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Da kommt man aus dem Senat und hat schon genug Ärger bei sich und dann bildet sich die eigene Ehefrau auch noch ein, man könne jetzt noch in irgendeiner Weise Rücksicht auf sie nehmen. Und in welchem Ton sie sich hier auch noch anmaßte. Das Herz von Lepidus raste wieder und der Puls zersprang in seinen Adern. Gesund war das alles sicherlich nicht. "Bleib bloß stehen!" rief er von seinem Schreibtisch aus, um sie anzuhalten als sie sich gerade wieder zum Gehen aufmachen wollte. Kommentarlos würde er diese Unverfrorenheit sicherlich nicht stehen lassen. "Frau, in welchem Teil der Subura hast du dir ein solches Vokabular angeeignet!?!", warf er ihr entgegen, weil es sich seiner Ansicht nach für das weibliche Geschlecht auch keineswegs ziemte. "Ich hab allen Grund mich aufzuregen, also entschuldige wenn ich deine ach so kostbare Ruhe gestört habe! Offensichtlich kannst du ernsthafte nicht von belanglosen Problemen unterscheiden!". Er wedelte erbost mit seinen Armen, während er das sagte. "Komm hierher und setz dich hin!" sprach er befehlend und deutete mit dem Zeigefinger bestimmend auf einen der beiden Stühle, die vor seinem Schreibtisch standen.

  • Viel zu sehr war er mit sich selbst beschäftigt, als dass ihm die Gegenwart seiner Frau bewusst geworden wäre. Als sie sich jedoch endlich bemerkbar machte, war er davon regelrecht überrascht. Doch viel Zeit blieb ihm nicht, denn zum einen hatte sie sich bereits zum Gehen umgewandt und anderseits hatte der Pegel seiner Wut erneut einen Höchststand erreicht, dem nur durch Druckausgleich nachzukommen war. So versuchte er sie zunächst auf verbalem Wege festzuhalten. Womöglich weil ihm körperlicher Kontakt einfach zuwider war.


    Domitilla blieb sofort stehen und wandte sich zu ihrem Ehemann um. Sie musste nur in sein wutentbranntes Gesicht schauen, um zu sehen, was ihre Worte in ihm bewirkt hatten. Doch nun nachzugeben und still zu sein, war nicht ihr Ding. Hier fehlte es noch ein wenig an Würze! Und so streute sie noch mehr Salz in die offene Wunde.
    „Und was wenn nicht? Hä?! Schlägst du mich dann oder sperrst mich ein? Aber eins sage ich dir, Lucius Tiberius Lepidus, lege nur ein einziges Mal Hand an mich und du kannst deine Karriere ein für alle Mal abschreiben!“, drohte sie ihm. Wenn ihr Vetter Gracchus auch nur den Hauch eines zarten Lüftchens bekam, was hier geschah, würde er dem Tiberier seine Unterstützung im Senat und im Collegium Pontificum entziehen. Zumindest glaubte das die Flavia.


    Selbstredend hatte ihn die Art und Weise, wie sie ihn angegangen war, erschüttert. Zumal für die Flavia eine solch derbe Ausdrucksweise keinesfalls üblich war. Besagtes Schimpfwort hatte sie wohl einmal aufgeschnappt, als sie in iher Jugend die Sklaven ihrer Mutter belauscht hatte und danach, wie sich nun herausstellte, als hilfreiche Vokabel verinnerlicht. „Es bedarf nicht der Subura, um es auf den Punkt zu bringen. Sieh dich doch nur an, du ertrinkst ja förmich in Selbstmitleid!“
    Schließlich begann er sich zu rechtfertigen und wäre es nicht ihr Gatte gewesen, der sich bei ihr beklagte, hätte sie es ihm wohl abgenommen und wäre vor ihm nun eingeknickt, um ihm auch noch Trost zu spenden. Doch Trost war für den Tiberius in Domitillas Gefühlswelt nicht vorgesehen. Schon seit ihrem ersten Abend wurde ihr regelmäßig übel, wenn er sich selbstbeweihräucherte und sich dann auch noch in seiner Selbstgefälligkeit sonnte.
    „Ach ja? Weil die anderen Jungs nicht mit dir spielen wollen? Drum ist der kleine Lepidus jetzt ganz arg wütend?“ Ihre Stimme hatte sich kurzzeitig geändert und man hätte meinen können, sie spräche mit einem Kind. Doch dann kehrte wieder die Schärfe zurück. „Ist dir eigentlich auch nur ein einziges Mal in den Sinn gekommen, dass vielleicht du der Grund dafür sein könntest, warum das so ist?“ Wahrscheinlich nicht. Selbstkritik gehörte wohl kaum zum Wortschatz des Tiberiers. Aber vielleicht traf auch ihn irgendwann einmal diese Erkenntnis.


    Nur widerstrebend leistete sie seinem Willen Folge und nahm auf einem Stuhl Platz. Sie wusste zwar nicht, wozu das gut sein sollte. Denn eigentlich hatte sie seine Schmähungen und Unverfrohrenheiten mehr als satt. Glücklicherweise trennte der Schreibtisch sie.

  • War es Frauenlogik? War es eine völlig unbekannte Form des Denkens, mit der er es hier zu tun hatte und die ihm beim besten Wille nicht einleuchten konnte? So oder ähnlich musste es sich verhalten. Schon bei seiner Schwester Lucia ist es ihm nie wirklich gelungen aus Worten, die sie sprach oder aus Entscheidungen, die sie traf, wirklich schlau zu werden. Bis heute konnte sie eine so simple Frage, wie diejenige, warum sie sich dem Germanen an den Hals werfen musste, nicht beantworten. Nun stellte ihn seine eigene Frau vor ähnliche Herausforderungen.


    Er wartete ab bis sie sich endlich hingesetzt hatte. Ach, wie ihm dieses Widerstreben zuwider war! Halbwegs ruhig versuchte er die erste Merkwürdigkeit in den Worten seiner Frau zu entlarven! "Meine liebe", sprach er ohne die Liebenswürdigkeit, die solche Worte normalerweise beinhalten. "Was bei den Göttern bringt dich nur auf den abstrusen Gedanken, ich könne dich schlagen? Ich glaube kaum, dass ich dir zu so einem Gedanken Anlass gegeben habe, so dir doch spätestens seit unserer Hochzeitsnacht bekannt sein sollte, dass ich in keiner Hinsicht vor habe sehr viel Hand an dich zu legen". Sicher, der Tiberier war vielleicht im Ansatz ein Soziopath erster Güte, doch ein primitiver gewaltversessener Rüpel war er nicht. "Ich hab wirklich besseres zu tun als wehrlose Frauen zu verprügeln! Sieh doch nur wie gut du es hier hast! Du hast Freiheiten, lebst immer noch in einer fantastischen Villa und anstatt es zu würdigen, dass du mit mir eine so hervorragende senatorische Partie gemacht hast, bist du die ganze Zeit nur am wehklagen!" Da drehte er den Spieß fast um, denn während Lepidus sich mit seiner politischen Situation keineswegs abfinden konnte, fand sich Flavia wohl offenbar mit dieser Ehe einfach nicht ab.


    Und wie war das? In Selbstmitleid würde er verfallen? Tz, er zeigte nur eine angemessene Reaktion auf einen völlig unmöglichen Vorgang. Ja, mit den anderen konnte man Mitleid haben! Mit dem Senat vielleicht, wenn man nicht gleichsam seinen Zorn über ihn ausschütten müsste. Diese läppsische Kinderstimme, mit dem sie ihn jetzt auch not maltretieren wollte, zeigt ihm nur, was er ohnehin schon wusste. Sie hatte doch nicht die leisteste Ahnung! "ICH soll der Grund sein?" Lepidus stand auf und ging nun in seinem Officium herum, wie jemand der erst einmal einen Vortrag hielt und seiner Schülerin etwas vermitteln wollte. "ICH? Das ist ja wohl völlig lächerlich! Du brauchst wohl ein bisschen Nachhilfe. Ich bin hier das OPFER und zwar jenes einer gemeinen niederträchtigen Intrige! Einer Verschwörung sondergleichen! Geboren aus der geballten Kraft jener frühern Vescularier-Anhänger, die Tiberius Durus in den Tod trieben und nun ihr Werk an den Tiberiern vollenden wollen. Sie sinnen nach Rache und können nur weiter wirken, weil niemand daran dachte sie endgültig aus dem Verkehr zu ziehen. Verbündet haben sie sich nun ganz offenbar mit jenen, die sich einen Consul auf Lebenszeit mit Namen Duccius Vala gewünscht haben. Ja, alle meine Feinde arbeiten zusammen und haben dieses machtvolle Netzwerk geschmiedet, welche nur dazu da ist um MICH in den Ruin zu treiben" Also wenn das nicht der Wahrheit entsprach, dann konnte man auch gleich bezweifeln, dass die Sonne am nächsten Tag aufgeht, so die feste Überzeugung des paranoiden Tiberiers. "Natürlich hast du von Politik keine Ahnung, deshalb fallen dir selbst solche offensichtlichen und keinesfalls bezweifelbaren Tatsachenbestände überhaupt nicht auf", sprach er sogar recht gutmütig, als wenn er seine Frau für ihre offensichtliche Unwissenheit gar nicht tadeln konnte.


    Lepidus beendete seine kleine Verschwörungs-Epidsode und nahm wieder Platz in dem festen Glauben jetzt seiner Frau die nötige Erleuchtung gebracht zu haben. "Als meine Frau bist du verpflichtet an meiner Seite zu stehen und ich erwarte ein entsprechendes Verhalten von dir. Ich erwarte bedingungslosen Rückhalt in dieser Krise, die von außen an mich herangetragen wird!" So die Forderung eines Bekenntnisses seiner Frau und mit dem letzten Halbsatz unterstrich er noch einmal seine Uneinsichtigkeit. Flavia musste darüber hinaus endlich begreifen, was ihr Platz war und sich am besten auch den vorlauten Ton und die unstandesgemäße Sprache ihm gegenüber abgewöhnen. Aber gut, ein Schritt nach dem anderen, dachte sich der Tiberier.

  • Nun mokierte er den Friedfertigen, doch bei diesem Irren musste man auf alles gefasst sein. Im Grunde hätte die Flavia zufrieden sein können. Er würde sie keinesfalls ohne weiteres mehr anrühren. wenn sie denn endlich schwanger war. Wenn! Im Augenblick aber schien er selbst das nicht fertig zu bringen, obgleich dies mit Sicherheit zu behaupten, noch viel zu früh war.
    „Ich soll es gut bei dir haben? Du hast dich seit dem ersten Moment unserer Zweisamkeit nur als Ekel gebärdet. Du machst es mir verdammt schwer, mich hier wie zu Hause zu fühlen. Kein einziges gutes Wort kommt aus deinem Mund und da behauptest du, ich hätte es gut bei dir! Aber nun gut! Es ist wie es ist!“ Dummerweise würde es so bis an den Rest ihres Lebens sein. Mit etwas Glück ergab sich vielleicht etwas, was eine Scheidung rechtfertigte… irgendwann. Dann wäre sie wieder frei!


    Natürlich prallten ihre Worte an ihm ab, wie Wassertropfen an einem Lotusblatt: Es wäre ja auch zu einfach gewesen, ihn zur Besinnung zu bringen. Stattdessen begann er nun von wirren Verschwörungstheorien zu faseln. „Aha, frühere Vesularier-Anhänger also! Mhm,“ entgegnete sie ruhig mit gespielter Nachdenklichkeit. Er sah anscheinend kleine grüne Männchen, wo absolut gar nichts war! Wenn das kein ausgesprochen schwerwiegender Fall von Paranoia war! Ihr Mann musste besessen sein! Von Dämonen vielleicht! Oh Schreck, was sollte sie da nur tun! Nun, zunächst versuchte sie es mit herkömmlichen Mitteln. „Hörst du dir eigentlich selbst dabei zu, was du sagst? Soweit ich mich erinnere war der Duccier ein Anhänger Palmas. Wo also sollen deiner Meinung nach denn die Vescularier-Anhänger lauern?“ Domitilla schüttelte verständnislos den Kopf. Soviel Schwachsinn auf einen Haufen hatte sie schon lange nicht mehr gehört. Aber das zählte ja offensichtlich nicht. Schließlich war sie ja nur eine Frau, die absolut keine Ahnung von Politik hatte und die nun endlich begreifen sollte, wo ihr Platz war.
    „In der Tat mag ich in den Dingen der Politik nicht sonderlich bewandert zu sein. Dennoch verfüge ich über gesunden Menschenverstand, den du scheinbar auf dem Weg vom Senat nach Hause verloren hast! Und was meine Pflichten angehen, bist du wohl der Letzte, der mich darüber aufklären sollte. Ich bin mir sehr wohl darüber bewusst. Ob du dir allerdings darüber bewusst bist, was deine ehelichen Pflichten sind, wage ich zu bezweifeln. Wenn alle römischen Ehemänner so wären wie du, dann hätte es Rom wohl kaum aus der Wolfshöhle herausgeschafft!“ Ihr platze fast der nicht vorhandene Kragen! Wie konnte er es wagen, das Wort „Pflichten“ überhaupt nur in den Mund zu nehmen?!

  • Kopfschüttelnd saß der Tiberier nun da über so viel Sturheit und Uneinsichtigkeit. Diese Frau hatte ja noch größere Probleme als er selbst, stellte er belustigt fest. Hatte er vielleicht eine Wahnsinnige geheiratet? Ja, so oder so ähnlich musste es sich verhalten, stellte der Tiberier selbstgewiss fest. Ganz genau, ein bisschen verrückt war sie. Hoffentlich ging das vorüber. Der Tiberier legte beide Hände auf den Tisch, offen ausgebreitet, bevor er seine Miene in ein sanftes Lächeln verwandelte. "Aber, aber, meine Liebe, du bist ja ganz verwirrt" Sprach der Verwirrte "Ich glaube deine Sinne spielen dir einen Streich" Sagte der, dessen Sinne kreuz und quer tanzten. "Manchmal ist der Verstand etwas widerspenstig" Sprach der, dessen Verstand über das Mittelmeer entflohen ist.


    "Ja, ich sehe doch wohl sehr gut", sprach er merkwürdig liebreizend "Du bist etwas instabil. Zweifellos nach einer so anstrengenden Hochzeit, der neuen Umgebung etc., das kann schon einmal aufs Gemüt schlagen. Meine Menschenkenntnis hält sich in Grenzen, aber ein bisschen weiß ich doch Bescheid" Es folgte ein Augenzwinkern mit Lächeln. "Deine psychische Kondition mag angeschlagen sein, doch ich versuche das selbstverständlich zu berücksichtigen, deshalb rede ich jetzt einmal ganz entspannt und ohne Druck mit dir. Ja, siehst du meine liebe, ich kann meine Stimme gaaaanz sachte herunterschrauben, keine Wut, kein Gehetze. So lässt es sich doch reden, nicht wahr? So nimmt ein Ehemann Rücksicht und für deine etwas weit hergeholten Gedanken musst du dich natürlich nicht entschuldigen" Erneutes Augenzwinkern. "Aaaalso, sehen wir doch mal die Fakten: Ich habe mich dir gegenüber offenbar bisher EIN EINZIGES MAL nicht so gebärdet, wie du es vielleicht erwartet hattest - sehr hochgesteckte Erwartungen muss man dazu sagen. Und ich würde nicht sagen als 'Ekel', denn wie gesagt, es hat doch wohl eher etwas mit falsch gestellten Erwartungen zu tun" Ohja, ganz sicher. Er wusste ja nicht, was diese Frau so alles vorher gelesen hatte. Eine wahrhaft fantasievolle Frau musste er da haben. "Seitdem habe ich mich dir gegenüber im Grunde 'gar nicht' verhalten bis zum heutigen Tage, ergo konnte ich mich auch gar nicht wie ein angebliches 'Ekel' verhalten. Heute komme ich nun von einem äußerst gestressten Senatstag nach Hause und das erste, was mir von dir entgegenschlägt ist diese "Subura-Sprache". Du musst zugeben, dass das eher für mich als für dich verstörend ist. Wer ist hier also das 'Ekel', so frage ich mich?" Ja, ja, so verhält es sich wohl. Auf sie traf dieser Ausdruck ja wohl tausend Mal mehr zu und außerdem projizierte sie ja so unheimlich viel überall hinein, dachte der Tiberier, fest in dem Glauben hier in diesem Raum tatsächlich über den klarsten Verstand zu verfügen.


    Der Tiberier stand nun wieder von seinem Stuhl auf, ging um seinen Schreibtisch herum und setzte sich an die Kante - seiner Frau gegenüber. "Ich bin ein gnädiger Mensch, man glaubt es kaum. Ich verzeihe und ich bin gewillt mich mit deinen sonstigen Erwartungen, die du noch so hegst, auseinanderzusetzen. Ich gönne dir auch gern die Ruhe, die du benötigst, um deine Gedanken zu sammeln. Ich weiß ja, wie das manchmal so bei dem ein oder anderen sein kann: Man bringt so vieles durcheinander" Nein, er selbst dagegen natürlich nicht. "Ich sehe das mal so ganz pragmatisch, meine liebe: Wir haben hier eine bestimmte Situation und in der hängen wir irgendwie beide drin, also müssen wir irgendwie das Beste daraus machen und na klar, ich bin nun wirklich nicht befreit von gutem Willen" Ein abschließendes Zwinkern. Nur die Götter wussten, warum er das überhaupt tat.

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