Irgendeine Insula, irgendwo am Tiberufer...

  • „Natürlich geht die Amme mit“, erwiderte Seiana. „Dafür habe ich sie gekauft.“ Die Amme würde noch Jahre bei der Kleinen bleiben, bis sie erwachsen war... und vielleicht auch noch länger, wenn sie das wollte. Seiana hatte ihr die Freiheit versprochen, wenn das Kind alt genug war, und wenn sie bleiben wollte, würde sie sie anstellen danach. „Und ich werde auch die anderen sorgfältig aussuchen... wenn ich irgendwo ein kleines Landgut kaufe für sie, kann ich mich auch persönlich um alles kümmern.“ Musste sie sogar. Wäre die Kleine weit weg gewesen und hätte es daher keine Möglichkeit eines Besuchs gegeben, wäre es nicht so wichtig wie zuverlässig alle waren, aber wenn Seneca häufiger zu Besuch kam – und das würde er, davon ging Seiana aus –, wenn sie auch hin und wieder nach dem Rechten sehen würde... dann war es von wesentlicher Bedeutung, dass sie jedem einzelnen, der sie dort sehen würde zusammen mit dem Kind, absolut vertrauen konnte.
    Elena. Plötzlich war dieser Gedanke da. Elena, ihre alte Leibsklavin, ihre Spielgefährtin, ihre Freundin, mit der sie aufgewachsen war, die ihre ständige Begleiterin gewesen war, bis sie ihr vor einigen Jahren die Freiheit geschenkt hatte... Elena und ihr Mann Katander. Wenn sie sie fragte... vielleicht würden sie von Tarraco wieder nach Italia ziehen. Elena war all das, was sie nicht war, Elena würde sich gut um die Kleine kümmern, Elena wäre... fantastisch.


    Mitten in diese Gedanken hinein stellte Seneca dann plötzlich seine Frage – und Seiana erstarrte. Sie öffnete die Augen, auch wenn sie nicht viel sah, weil ihr Kopf immer noch an seiner Schulter lehnte, nah an seinem Hals, aber sie starrte ohnehin einfach nur vor sich hin. Sie schwieg, zunächst, schwieg so lang bis sie das Gefühl hatte dass es unerträglich war, bevor sie dann doch antwortete – das einzige, was ihr einfiel: „Ich weiß es nicht.“ Ihre Stimme klang mutlos. „Ich... weiß noch nicht mal, wie es mit mir weiter geht, Seneca. Der Kaiser hat mit mir gesprochen und mich dann gehen lassen, aber bisher noch nichts gesagt. Auch nicht über meinen Bruder...“ Die Unsicherheit zerrte an ihren Nerven, mehr als sie sich eingestehen wollte.

  • Als Seiana sagte dass die Amme mitkommen würde, und auch alle anderen die mit Silana leben sorgfältig ausgesucht werden würden nickte Seneca, auch wenn sein Gesicht weiterhin von Traurigkeit durchzogen war, "Das ist.. gut.", antwortete er Seiana während er seinen Blick auf sie legte, "Wirklich gut." flüsterte er sich selbst dann vor, auch wenn es für ihn irgendwie unwirklich wirkte dass Seiana so mir nichts dir nichts ein Landgut für die kleine kaufen würde, eine großartige Idee und eine gute Sache für Silana, doch für Seneca schienen solche Investitionen noch recht hoch in den Wolken zu stehen, gut, die Iunii waren nicht die ärmste Familie Roms, aber Seneca selbst tat gut daran dass Vermögen der Familie zu bewahren, und sein eigener Sold war noch immer recht bescheiden..
    Als er schließlich Seiana die Frage stellte welche ihn schon seit einiger Zeit umtrieb, bemerkte er zunächst die Stille, eine Reaktion welche er schon oft bei Seiana beobachten konnte, und auch bei sich selbst, und welche meistens nichts gutes bedeutete..
    "Ich mache mir da keine Sorgen um dich Seiana, Palma hat weit größere Sorgen, und muss sich etablieren.", entgegnete Seneca sachlich, auch wenn seine Stimme beruhigend wirken sollte. Decimus Serapio erwähnte er nicht, er war lange genug im Dienst der Prätorianer, hatte mittlerweile 3 Kaisern gedient, er wusste dass Leuten welche von Kaisern gemeinhin als Verräter betrachtet wurden keine allzu guten Aussichten hatten, und er wollte Seiana keine allzu großen Hoffnungen machen, "Ich bin sicher alles wird gut.", sagte er deshalb wage, "Wir finden einen Weg.", er strich ihr durchs Haar und blickte dann ebenfalls in den Raum hinein..

  • Wirklich überzeugt klang Seneca immer noch nicht. Aber Seiana wusste nicht, was sie sonst noch hätte tun sollen, damit er zufrieden war. Was ihm offenbar vorschwebte – ein glückliches, ehrbares Familienleben zu dritt –, war nun mal nicht möglich... und auch das, was dem am nächsten kommen würde, dass das Mädchen wenigstens bei einem von ihnen sein würde, kam in ihren Augen nicht in Frage. Aber die Lösung, sie hier in Italia zu haben, irgendwo in der weiteren Umgebung Roms, war doch... akzeptabel, fand sie. Auch wenn es ihr nach wie vor nicht gefiel, das Kind in so großer Nähe zu haben, weil dadurch das Risiko der Entdeckung sprunghaft anstieg – jedenfalls versuchte sie sich einzureden, dass das der einzige Grund war, obwohl sie wusste dass das nicht stimmte –, war das ein Kompromiss, auf den sie sich einlassen konnte. Umso mehr da ihr klar geworden war während ihres Gesprächs, wie viel Seneca das offenbar bedeutete.


    Als sie danach auf ihre Zukunft zu sprechen kamen, war es nicht schwer zu bemerken, dass er sie beruhigen wollte... aber es war ebenso wenig schwer zu bemerken, dass er Faustus völlig überging. An Faustus' Schicksal hing aber so viel... nicht nur im Hinblick darauf, wie viel er ihr persönlich bedeutete. Wenn ihr Bruder verurteilt, gar hingerichtet würde, wäre sie die Schwester eines Hochverräters. Ihre Familie wäre die Familie eines Hochverräters. Und sie selbst hatte im Gespräch mit dem Kaiser eine Sache sehr deutlich gemacht: dass sie hinter ihrem Bruder stand. Sie glaubte durchaus, dass ihr persönlich nichts passieren würde – aber ihr Leben in Rom würde um so vieles schwerer werden, wenn Faustus verurteilt würde. Ihr Ansehen, ihre Einflussmöglichkeiten, all das wäre dahin, ebenso wie die Chance, etwas auch nur annähernd Ähnliches wieder aufzubauen. Sie würde nicht neu starten können. Nicht als Schwester eines Verräters. Was ihr letztlich sogar egal wäre, so lange ihr Bruder nur am Leben blieb... dennoch fiel es ihr schwer, irgendetwas über ihre Zukunft zu sagen, für die Zukunft zu planen, so lange sie nicht wusste, wie es mit ihm weiter ging.
    Von all dem sagte Seiana allerdings nichts. Was hätte es auch gebracht, darüber zu reden? Es änderte nichts, und allein dass Seneca kein Wort über ihren Bruder sagte, zeigte ihr, dass er darüber nicht reden wollte. Weil er ähnlich wie sie keinen Sinn darin sah... oder weil er es einfach nicht wollte, aus welchen Gründen auch immer. „Ich wünschte nur ich wüsste Bescheid. Dann könnte ich etwas tun. Die nächsten Schritte planen, Ordnung in mein Leben bringen. Ich bin nicht so gut darin, mit solchen Ungewissheiten umzugehen.“ Seiana presste die Lippen aufeinander und bemühte sich dann wenigstens um ein Lächeln. „Wie sieht es bei dir aus? Jetzt, wo der Alltag wieder einkehrt, wie läuft es da mit den Prätorianern?“

  • Ja, so kannte er "seine" Seiana, sie wollte immer die volle Kontrolle haben, alles lange Zeit vorausplanen, verständlich, und dennoch konnte Seneca wohl nicht wirklich etwas sagen was ihr helfen würde, alles lag an Cornelius Palma, und wie er sich entscheiden würde, denn für die Decimer stand zweifelsohne viel auf dem Spiel..
    "Ich wünschte ich könnte etwas für dich tun." sagte Seneca und rang sich ebenfalls ein Lächeln ab, was sollte er auch anderes tun? Nun war ja so oder so alles mehr oder weniger entschieden, zumindest das was in ihren Händen lag, und noch während Seneca eine adäquatere, oder anders gesagt, eine bessere Aufmunterung für Seiana suchte, fragte sie nach seiner Zukunft bei der Garde...
    "Bei den Prätorianern kann man noch nicht von Alltag sprechen, es mangelt an Offizieren, neuen Soldaten, und naja...", Seneca stockte kurz, "Es gibt auch noch keinen Praefectus.", er verzog bedauernd seine Lippen, "Aber immerhin bleiben wohl alle Mannschaften im Dienst."

  • Nach und nach verlor Seianas Lächeln das Erzwungene, blieb zwar schwach, wurde aber ehrlicher. „Ich weiß“, murmelte sie und lehnte sich ein wenig enger an ihn. Allein das bedeutete ihr schon viel. Dass er sich wünschte, etwas tun zu können, dass er ihr helfen wollte, auch wenn er es in dieser Situation kaum konnte.


    Als er von den Prätorianern zu erzählen begann, löste Seiana sich ein wenig von ihm, setzte sich wieder aufrecht, legte aber ihre Hand so auf den Tisch, dass ihre Finger sachte die seinen berührten. „Das heißt, du hast nichts zu befürchten? Keine Repressalien, keine Zurückstufung?“ Ihre Finger umschlossen seine, und sie versuchte sich erneut an einem Lächeln. „Das sind gute Nachrichten.“

  • Seneca versuchte ihre Hand noch ein wenig weiter zu umschließen, so als ob er sie gar nicht mehr wirklich loslassen wollte..
    "Nein, nichts dergleichen.", entgegnete Seneca und rang sich ein kurzes Lächeln ab, "Natürlich wird es eine Weile dauern bis der Kaiser uns wieder vertraut, aber unser Eid bindet uns an ihn, er ist der Kaiser und wir seine Garde.", Seneca war froh dass er noch einmal davongekommen war, und zugleich bedauerte er dass Seianas Bruder wohl ein anderes Schicksal ereilen würde, "Was ist mit dir? Ich meine, wie verliefen die Gespräche mit dem Kaiser?", fragte Seneca nun während er ihren Blick suchte, er wusste natürlich wer in der Castra ein und aus ging, und allein die Tatsache dass Seiana nun hier war, deutete für ihn zumindest schon einmal in eine positive Richtung..

  • Seiana erwiderte das Lächeln schwach und nickte leicht. Wenigstens Seneca hatte nichts weiter zu befürchten, wie es schien... mehr noch: er würde in Rom bleiben. Es hätte auch sein können, dass die Centurionen auch ausgetauscht wurden, es hätte sein können, dass Seneca sonst wohin versetzt wurde. Dass er bleiben konnte, bleiben würde, in ihrer Nähe, ließ Erleichterung sich in ihr ausbreiten. Sie war sich bewusst darüber, wie merkwürdig das im Grunde war, wo sie ihm gerade eben erst noch gesagt hatte, dass sie keine Ahnung davon hatte was die Zukunft bringen würde, auch nicht für sie beide, keine Ahnung wie es weiter gehen sollte... aber allein das Wissen, dass er in ihrer Nähe sein würde, dass die Möglichkeit bestand sich weiter zu treffen, sorgte für ein warmes Gefühl in ihr.
    Bei seiner Gegenfrage verging ihr das Lächeln wieder. Sie begegnete kurz seinem Blick und sah dann auf die Tischplatte vor sich. „Ich kann es schwer beurteilen. Er war... sehr neutral. Er hat sich nichts anmerken lassen, was er von dem hält, was ich ihm gesagt habe, weder im positiven noch im negativen Sinn. Und am Schluss meinte er nur, ich solle in der Stadt bleiben und er würde mir Bescheid geben.“ Sie atmete tief ein und sah Seneca nun doch wieder an. „Ich habe ihm gesagt, wie ich zu meinem Bruder stehe“, wisperte sie. „Ich weiß dass das nicht klug war, aber ich konnte nicht anders. Ich wollte nicht so tun als ob es anders wäre als es ist, als ob ich nicht zu ihm stehen würde, ganz egal was er tut...“

  • Seneca nickte, typisch, jeder der den Kaiser getroffen hatte berichtete das gleiche, er war sehr schwer zu beurteilen, man konnte bei ihm keine klaren Neigungen ausmachen, und auch seine Worte blieben diplomatisch wage, schon etwas ironisch dass scheinbar halb Rom mit dem Imperator gesprochen hatte, aber nur die wenigsten Prätorianer wussten wie er von nahem aussah...
    Dass Seiana ihrem Bruder vor dem Kaiser beistand war verständlich, vielleicht auch ein wenig rührend, aber nicht unbedingt förderlich für Seiana, doch Seneca rang es in dieser Situation nur noch ein Schmunzeln ab, "Nun, das eine Problem mehr wird dann auch nicht mehr ins Gewicht fallen.", kommentierte er und wusste natürlich dass Seianas Bekundungen keinen großen Einfluss auf die beiden haben würden, aber für seine Geliebte wohl von wesentlich größerer Wichtigkeit waren, "Es wird schon alles gut werden, ich bin für dich da wenn du mich brauchst Seiana. Auch wenn ich natürlich wünschte etwas für deinen Bruder tun zu können, nur zählt wohl das Wort unserer Truppe momentan am wenigsten.", musste er feststellen. Abgesehen davon dass Centurionen so oder so nicht die größten Entscheidungsträger waren, hatte die Truppe die zu Salinator stand und später die Seite wechselte wohl kaum eine blütenreine Weste vorzuweisen

  • Seiana runzelte leicht die Stirn, als sie Senecas Schmunzeln sah, seine Antwort hörte. Irgendwie... irgendwie schien er die Sache nicht ganz ernst zu nehmen, kam es ihr vor. Ihm schien nicht klar zu sein, was es bedeutete, wenn ihr Bruder tatsächlich als Hochverräter verurteilt werden würde. Dass sie alles verlieren könnte. Ihr Leben, wie es bisher war. Auch wenn der Kaiser beschloss, sie in Ruhe zu lassen – wenn Faustus verurteilt wurde, musste er gar nichts tun was sie betraf. Die gesellschaftliche Ächtung würde völlig ausreichen. Ganz davon abgesehen, was es für sie persönlich bedeuten würde. Sie hatte Angst davor, wie der Kaiser über ihren Bruder entscheiden würde, aus mehr als nur einem Grund. Und Seneca... Seneca schien das nicht so wirklich ernst zu nehmen, hatte sie das Gefühl. Sie presste die Lippen aufeinander und sah wieder fort, sah schließlich auf seine Hand und ihre hinunter, die ineinander verschränkt waren. „Ich weiß dass du nichts tun kannst“, erwiderte sie, während sie sich zugleich innerlich zurückzog, sich hinter ihrer Maske zu verstecken suchte. Sie wusste nicht, wie sie sonst auf sein Verhalten reagieren sollte, außer einfach so zu tun, als wäre alles in Ordnung. „Aber sicher hast du recht. Es wird alles... gut werden.“ Kurz stockte ihre Stimme, als sie das sagte, und sie sah Seneca immer noch nicht an, aber davon abgesehen war ihre Fassade nun glatt, so glatt wie sie selten in seiner Gegenwart war. Trotzdem zerriss es sie innerlich fast, sich ihm gegenüber so zu verhalten, verhalten zu müssen, weil sie nicht wusste wie sie sonst reagieren sollte. „Ich sollte die Amme zurückholen, das Kind braucht vielleicht etwas...“ Es war nicht viel mehr als ein kläglicher Versuch abzulenken, hatte das Mädchen doch inzwischen wieder aufgehört zu jammern und gab höchstens den ein oder anderen glucksenden Laut von sich.

  • Seneca merkte schnell dass sein Schmunzeln Seiana irritiert hatte, aber er konnte sich angesichts der vor sich auftürmenden Probleme nicht zurückhalten ein wenig in die Resignation zu verfallen, "Es tut mir leid... Ich.", Seneca schämte sich ein wenig für seinen recht ungewöhnlichen Fehltritt, "Ich.. Das war dumm von mir.", er wusste was Serapio für Seiana bedeutete, oder besser gesagt, er konnte es in etwa erahnen, und traute sich daher für ein paar Momente nicht ihr in die Augen zu sehen, bis sie die Amme holen wollte..
    "Ja, vielleicht sollten wir das.", sagte er deshalb leise und schaute sie erst nach kurzer Zeit wieder an, "Weißt du, ich wünschte es wäre wie damals in den Bergen.", begann Seneca leise zu sprechen und griff sachte nach Seianas Hand, "Dieser Krieg, ich...", der Iunier wollte Seiana von allem erzählen, wie er die Truppe immer weiter nach vorne trieb, auf die Mauer, als erste Centurie überhaupt, wie er wie im Rausch keinerlei Rücksicht nahm, und nachts manchmal aufwachte, weil er nicht vergessen konnte. Er war nicht mehr derselbe, er konnte mit niemandem darüber sprechen, nicht mit Axilla, oder Avianus oder einem anderen Kameraden, der Bürgerkrieg schien wie ausgelöscht, sie alle wurden begnadigt, und dennoch ist das alles geschehen... Doch auch gegenüber Seiana brachte Seneca kein Wort darüber heraus, "Ich wünschte einfach dass wir wieder alleine wären.", sagte er deshalb leise, und verschwieg die vielen anderen Wünsche und Probleme die ihn plagten, nicht das sowieso schon viel zu viele davon im Raum waren..

  • Seltsamerweise konnte Seiana mit Senecas Entschuldigung auch nicht viel anfangen. Es war so... schwierig... das Richtige zu sagen... und einmal hinter ihrer Maske, fiel es ihr nur umso schwerer, wieder hervor zu kommen. Sie sehnte sich danach, über ihren Bruder zu sprechen, ihre Furcht ihn zu verlieren, und zugleich hatte sie wahnsinnige Angst davor, es auszusprechen – und Angst davor zusammenzubrechen, wenn sie diese Gedanken wirklich zuließ. So sehr sie sich Seneca auch anvertrauen wollte, sie brachte es in diesem Moment nicht über sich, sich wirklich zu öffnen. Brachte es nicht über sich, zu reden, nicht davon wie es in ihr wirklich aussah, nicht davon was sie von seiner Reaktion hielt, oder seiner Entschuldigung. „Ist schon in Ordnung“, murmelte sie nur, immer noch ohne ihn anzusehen. „Ich weiß, wie du es gemeint hast.“ Wusste sie eigentlich nicht... aber es kam ihr zumindest so vor als wäre es richtig das zu sagen, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass sie sich nicht in der Lage fühlte wirklich zu reden.


    Als Seneca ihr zustimmte, stand Seiana rasch auf, so rasch, dass es beinahe einer Flucht gleich kam. Sie öffnete die Tür und bedeutete der Amme, die draußen wartete, das Kind zu holen, wartete, bis sie es getan hatte, und warf sogar einen flüchtigen Blick auf das Mädchen... und wusste immer noch nicht, was sie empfinden sollte. Sie konnte nicht ewig davor fliehen, das wusste sie, nicht jetzt, wo der Beschluss feststand, dass das Mädchen in ihrer Nähe bleiben würde und sie sich kümmern würde – musste. Aber sie war froh darum, noch einen Aufschub bekommen zu haben.
    Als die Amme wieder gegangen war und Seiana die Tür geschlossen hatte, sah sie Seneca endlich wieder an, der ihren Blick nun erwiderte. Sie näherte sich ihm wieder, langsam, ließ zu dass er nach ihrer Hand griff, und als er von den Bergen sprach, davon allein zu sein... Seiana musste schlucken, und mit einem weiteren Schritt war sie bei ihm, stellte sich neben ihn und zog ihn an sich. Sie neigte ihren Kopf, bis ihre Wange an seinen Haaren lag, und nickte leicht, auch wenn er das nicht sehen konnte. „Ich auch. Einfach allein sein, nur du und ich...“ In den Albaner Bergen. Seiana kämpfte dagegen an, dass es ihr plötzlich die Kehle zuschnürte. „Es tut mir so leid... wie alles gelaufen ist.“

  • Der Iunier verfolgte die Amme mit den Augen während sie Silana mit nach draußen nahm, aber er schloss die Augen als sich Seiana an ihn anlehnte und suchte nach Worten. Natürlich hätte er ihr Vorwürfe machen können, bezüglich des Kindes, und dass sie das Kind einfach wegschickte, aber er wusste genauso gut dass seine Hoffnung auf wenig mehr als einem Traum basierten, dem Traum sich über die Gesellschaft Roms hinwegzusetzen...
    "Seiana es muss dir nicht leid tun, dich trifft keinerlei Schuld.", flüsterte Seneca während er seine Augen wieder öffnete und vor sich auf den Boden blickte, "Wir sind.. Ich weiß nicht was wir sind.. Aber ich weiß dass ich dich niemals verlieren will.", erklärte Seneca, mehr oder weniger, und strich Seiana mit einer Hand durch die Haare, "Ich habe in Vicetia nur an dich gedacht.", gestand er ihr ein und korrigierte sich ein wenig, "Also ich habe natürlich auch die Truppe geführt, aber... Du warst immer irgendwie da.", stellte er fest und strich noch einmal durch ihr Haar auch wenn er weiter vor sich auf den Boden starrte, "Es tut mir leid dass dein Bruder nun in dieser Lage steckt, er.. Er hat es nicht verdient."

  • Sie fühlte sich trotzdem irgendwie schuldig, auch wenn sie seine Worte hörte, auch wenn sie wusste, dass er Recht hatte. Keiner von ihnen war Schuld... und trotzdem waren sie es irgendwie. Sie hätten gar nicht erst anfangen dürfen etwas füreinander zu empfinden, hätten damals, in den Albaner Bergen, einfach die Finger voneinander lassen sollen... dann wären sie jetzt nicht in dieser Lage. Trotzdem wollte sie auch im Nachhinein nichts davon missen, und trotzdem gab es da einen Teil in ihr, der sich freute, über seine Sorge, darüber, dass er das Mädchen als seine Tochter sah, und dass er sich kümmern wollte – auch wenn es das ungleich schwieriger machte für sie alle.
    Wir sind gar nichts, dachte sie dann, unwillkürlich, als Seneca weiter sprach. Sie sagte es nicht laut, weil es ihnen beiden wohl nur weh getan hätte, aber es stimmte irgendwie. Wenn man sie gemeinsam betrachtete – was waren sie denn schon? Es gab ja nicht einmal wirklich ein wir für sie. Und sie war mal wieder ratlos, was sie sagen sollte. Sie konnte ihm noch nicht einmal versichern, dass er sie nicht verlieren würde, weil das nur leere Worte gewesen wären. So gern sie ihm das gesagt hätte, sie wusste einfach nicht, was kommen würde. Also strich sie nur weiter durch seine Haare.
    Dass er ihr gestand selbst in Vicetia an sie gedacht zu haben, machte es nicht einfacher... was sollte denn aus ihnen werden? Sie konnten nicht zusammen sein, aber sie konnten auch nicht voneinander lassen, wie es schien. Trotzdem rührte es Seiana zutiefst, als er ihr das sagte. „Du auch“, antwortete sie leise. Sie kam nicht umhin sich zu denken, dass es vielleicht besser wäre nichts zu sagen, nicht noch zu bestärken, wofür sie keine Lösung sah, aber sie wollte, dass er es wusste. Er war immer da gewesen, und das nicht nur weil sie schwanger gewesen war und damit eine ständige Erinnerung an ihn gehabt hatte. Und es war auch nicht nur die Angst gewesen, die sie gespürt hatte, um ihn und um ihren Bruder. „Es lässt sich nicht ändern“, murmelte sie dann, als er noch mal auf Faustus zu sprechen kam, löste sich von ihm und setzte sich wieder hin. „Es... So ein Posten kommt nicht nur mit Macht.“ Seiana seufzte lautlos. „Wie lange hast du überhaupt Zeit?“

  • Seneca schwieg kurz, was sollte er auch sagen? Er hatte ja im Prinzip keine Ahnung was nun mit Serapio geschehen würde, und er wollte Seiana auch keine Hoffnungen machen, noch irgendwelche Spekulationen anstellen, sodass er einfach nur einigermaßen verständnisvoll nickte.
    Die Frage wie lange er denn nun Zeit hätte, konnte er jedoch beantworten, auch wenn seine Stimme etwas bedauernd klang, schließlich wusste er ja um die Bindung zwischen Seiana und ihrem Bruder, also antwortete er recht leise..
    "Nun.. Momentan gibt es kaum Männer die wirklich einen Überblick haben, die Tribune sind neu, und kommen kaum aus ihren Räumlichkeiten heraus, im Prinzip hab ich alle Zeit der Welt..", antwortete Seneca und rang sich ein kurzes Lächeln ab, welches allerdings schnell verflog, "Aber diese Atmosphäre hier, sie erdrückt mich Seiana.", das Kind, welches er wohl lange nicht sehen würde, Seiana, welche erschöpft wirkte, und er selbst, den Krieg noch in den Knochen, "Wie lange kannst du denn bleiben?", fragte er etwas zaghaft, und legte seinen Blick wieder auf sie..

  • Alle Zeit der Welt. Das war nicht gerade das, was sie erwartet hatte... und auch nicht das, was sie zu hören gehofft hatte. Es schmerzte sie, sich das einzugestehen, aber es wäre ihr lieber gewesen, Seneca hätte gesagt er müsse bald wieder gehen – gleich ob es nun wirklich so war, oder ob er das nur als Vorwand nutzte. Im nächsten Augenblick allerdings überraschte er sie, als er aussprach, was sie genauso empfand: es war erdrückend hier. So sehr, dass zumindest sie es nur schwer aushielt. Und obwohl sie selbst das aus eigenem Antrieb wohl niemals gesagt, niemals zugegeben hätte, war sie dankbar dafür, dass er es getan hatte. Dass er ehrlich gewesen war. Es machte es ihr einfacher, ebenso ehrlich zu sein, und nicht irgendeinen Vorwand vorzuschieben. „Mir geht es genauso. Es ist so viel passiert, gerade hier...“ Die letzte Zeit der Schwangerschaft. Die Nachricht über die verlorene Schlacht. Die Ungewissheit über den Verbleib von Faustus und Seneca. Die Geburt... Und schließlich ihre Gefangennahme. Und nun dieses Gespräch, das die Liste unerfreulicher Erinnerungen, die mit diesen Räumen verbunden waren, nur noch erweiterte. „Ich habe viel zu viel Zeit im Moment, ich mache wenig mehr als zu warten.“ Darauf, was Cornelius entscheiden würde, im Hinblick auf ihren Bruder, und im Hinblick auf sie, jedenfalls was ihre Position als Auctrix und Rectrix betraf. „Aber ich... wenn es dir nichts ausmacht, würde ich lieber gehen“, gestand sie ihm, ohne ihn dabei anzusehen. Es tat ihr leid, wegen ihm, wegen ihr, weil die wenige Zeit mit ihm so kostbar war, aber so wie dieses Gespräch gelaufen war, wollte sie am liebsten einfach nur fliehen.

  • Seneca schmerzte es zu hören dass sie gehen wollte, er verstand es voll und ganz, aber es schmerzte ihn und er war hin und her gerissen.. Dieses Gespräch führte ins nichts, mehr noch, es war wohl wahrscheinlicher dass sich die beiden wieder Streiten würden, oder sich gänzlich voneinander entfernen würden, und doch war da diese Stimme in Seneca die 'seine' Seiana nicht gehen lassen wollte, auch des Kindes wegen, doch dieses war schon nicht mehr im Raum. Kurz noch hob Seneca die Hand zu einer Geste an, stockte jedoch, genau wie sein Atem, welcher schließlich nicht mehr als ein Seufzer wurde, während die Hand langsam zurück auf den Tisch fiel, und seine Augen den Blick in die Ferne suchten..
    "Es ist deine Insula, ich sollte gehen.", entgegnete Seneca leise aber doch recht bestimmt, im bestimmten Sinne, nicht im kommandierenden Ton eines dominanten Ehemannes..
    Er erhob sich, küsste Seiana kurz auf die Stirn, kaum mehr als ein Hauch, "Du... Ich meine... Du weißt ja wo man mich findet.", sagte er noch etwas bedrückt, bevor vor die Tür ging um sich von Silana zu verabschieden, schweigend, mit einem Kloß im Hals, sich an den Gedanken festhaltend dass sie es wohl einmal besser haben wird, ein gequältes, trauriges Lächeln zu ihrer Amme, und schon verschwand der Iunier in den Gassen Roms..

  • Bevor sie wirklich realisieren konnte, was Seneca meinte, als er sagte er sollte gehen – war er schon fort. Und Seiana blieb sitzen. Hatte sie nicht gesagt, dass sie gehen wollte? Stattdessen war es nun sie, die bleiben musste, zwangsläufig, und das sogar noch einige Zeit länger, weil sie nicht das Risiko eingehen wollte dabei gesehen zu werden, wie sie kurz nach ihm dieses Haus verließ. Sie presste die Lippen aufeinander, so fest, dass sie zu einem schmalen Strich wurden, und rührte sich nicht, rührte keinen Muskel, weil die Anspannung immer größer wurde in ihr, so groß, dass sie das Gefühl hatte sich gar nicht mehr bewegen zu können. Sie wollte raus hier. Mehr als alles andere wollte sie in diesem Moment raus aus dieser Wohnung, mit der sie so viele schlechte Erinnerungen verband, die auf ihr lasteten wie ein Stein und denen sie hier nicht entrinnen konnte. Und zudem war ihr nur allzu schmerzlich bewusst, dass die Amme draußen mit dem Kind wartete, was zu den Erinnerungen noch eine Erwartungshaltung brachte, der sie sich einfach nicht gewachsen sah. Sie hatte gehen wollen, und das aus gutem Grund. Und auch wenn ein Teil von ihr wusste, dass Seneca das nicht mit böser Absicht gemacht hatte, dass er sich nichts dabei gedacht, es vermutlich sogar nur gut gemeint hatte – sie kam nicht umhin, ihm in diesem Moment innerlich bitterste Vorwürfe zu machen, dass er sie gezwungen hatte hier zu bleiben, indem er zuerst gegangen war.

  • Einen Boten hatte Seneca entsandt, auf gut Glück sollte er Seiana einen Brief überbringen. Auch wenn es einige Zeit her war seitdem der Iunier das letzte Mal in dieser Insula war, so hoffte er dass einer von Seianas Begleitern diese Räumlichkeiten noch ab und an mal aufsuchte..


    Ad Seiana


    Liebste Seiana,
    ich schreibe dir diese Zeilen um mich von dir zu verabschieden. Sorge dich nicht, ich bleibe nicht Ewig fort, und dennoch sah ich es als meine Pflicht an mich von dir zu verabschieden was wohl vor allem unserem letzten Treffen geschuldet ist. Ich werde nach Germanien reisen, der Grund ist nicht von Bedeutung und dennoch werde ich einige Wochen oder gar Monate fort sein.
    Ich denke an dich, und ich werde auch in der Kälte und Dunkelheit des Nordens an dich denken, vielleicht gerade dort, an einem Ort an dem ich mir wohl nichts sehnlicher Wünsche als bei dir zu sein.
    Silana ist sicherlich bereits fort, und ich kann es kaum erwarten auch sie wiederzusehen.
    Die letzte Zeit war hart, und es grämt mich gerade in dieser Situation fort zu müssen, aber so ist das Leben der Soldaten, so ist unser Leben, viel zu oft müssen wir uns mit 'Auf Wiedersehen' begrüßen.
    Ich hoffe dieser Brief erreicht dich, ich vermisse dich.


    In Liebe,
    AIS.

  • Tatsächlich war Silana mitsamt den für sie abgestellten Sklaven immer noch in der Insula, da Seiana bislang weder Zeit noch Nerven gehabt hatte, sich um eine anderweitige Unterbringung zu kümmern. So kam es, dass der Bote nicht nur sofort auf jemanden traf, dem er sein Schreiben übergeben konnte, sondern dass besagtes Schreiben auch umgehend seinen Weg in die Casa Decima zur eigentlichen Empfängerin fand.

  • Unauffällig bewegte sich ein Bote in der Abenddämmerung..
    Er klopfte zweimal an die Tür, schob eine Rolle unter dem Schlitz durch, und verschwand umgehend wieder in den dunklen Gassen der Stadt..


    Ad Seiana


    Ich habe an dich gedacht. Ich bin zurückgekehrt, du weißt ja wo du mich findest. Ich hoffe du bist wohlauf und ich freue mich darauf dich wiederzusehen.


    In Liebe,


    AIS

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!