Cubiculum | Tiberia Lucia

  • Da es ihren Kopf weniger anstrengte und sie auf Anregungen seitens der diesbezüglich äußerst unwilligen Sekunda hoffte begann Lucia laut nachzudenken: „Ich könnte auf dem Sklavenmarkt gehen. Sicher kann man für einen entsprechenden Aufpreis auch spezielle Eigenschaften verlangen.“ Die gerunzelte Stirn und das angedeutete Kopfschütteln Sekundas ließen Lucia diese Idee nochmal hinterfragen. „Hm, aber zum einen würden dann einige wissen, dass ich nach so einem Sklaven gefragt habe und ich es war, die diesen Sklaven erworben hat… Das hat sich Sergia ganz schön schlau ausgedacht! Sie hält sich da komplett raus, dabei geht es doch um ihre Freundin!“, fiel Lucia auf einmal auf und sie schwankte zwischen Bewunderung und Verärgerung ob dieser Tatsache. „Will die mich da irgendwie in etwas reinreiten!?“ Sekunda wiegte den Kopf hin und her und kommentierte widerwillig: „Na, wenigstens bist du dir selbst dessen bewusst geworden. Denk da nochmal genau darüber nach! Vielleicht lässt du es doch lieber bleiben.“ Lucia musterte Sekunda und schüttelte entschieden den Kopf. Sekunda seufzte und fügte, wohl in der Hoffnung noch mehr Gegenargumente von Lucia selbst zu hören, an: „Du sagtest zum einen, was ist denn das andere?“ Lucia schnitt eine Grimasse, fuhr aber mit dem lauten überlegen fort: „Na, Lepidus würde dann sicher wissen wollen wofür ich den Sklaven brauche. Das würde er überhaupt, wenn ich irgendeinen unserer Sklaven nehme…“ Lucia verzog das Gesicht. Vor ihrem Bruder wollte sie sich nun wirklich nicht rechtfertigen müssen, zumindest nicht was diese Geschichte anging und nicht zum aktuellen Zeitpunkt. Dieser unsensible Trottel von einem Bruder! „Ich könnte jemanden losschicken und einen entsprechenden Prostituierten von der Straße auflesen.“, war der nächste Gedankenblitz der jungen Patricia. Sie rieb sich nachdenklich das Kinn. „Aber ist das überhaupt anstößig mit einem Prostituierten? Immerhin werden einige bezeugen können, dass er tatsächlich einer ist…“ Das war eindeutig schwerer als Lucia sich das vorgestellt hatte. So überlegte sie noch eine gute Stunde laut vor sich hin.


    Sekunda hatte sich irgendwann entschieden, dass sie in dieser Zeit genauso gut vorsichtig die Haare ihrer Herrin entwirren und kämmen konnte. Sie ging äußerst vorsichtig und geschickt dabei vor, so dass sich Lucia kein einziges Mal, trotz ihrer sicherlich übersensiblen Kopfhaut beschwerte. Das Kind schien sich einfach nicht davon abbringen lassen zu wollen. Sekunda seufzte verstohlen. Ihre Ideen wurden auch immer abstruser und irgendwann konnte sich die alte Sklavin das Ganze nicht mehr anhören. Wenn sich ihre junge Herrin schon an einem so gefährlichen Spiel beteiligte – und sie schien sich nicht davon abbringen zu lassen – dann wollte Sekunda ihr lieber helfend zur Seite stehen. „Erinnerst du dich noch an die Zeit in Misenum, als wir das Atrium renovier thaben?“, fragte sie also irgendwann unvermittelt. Lucia blickte verwirrt auf. „Ja, wieso?“ Sekunda schmunzelte. Lucia war zu diesem Zeitpunkt noch ein unschuldiges Mädchen gewesen und hatte von dem Trubel so gut wie nichts mitbekommen und das was sie mitbekommen hatte, hatte sie wohl nicht verstanden. „Nun, wir hatten auch ein neues Mosaik legen lassen, das uns im Endeffekt günstiger kam, als es ursprünglich veranschlagt war.“ Lucias Verwirrung schien sich nur noch zu steigern. „Ja, und?“ Sekunda schüttelte mit einem nachsichtigen Lächeln den Kopf: „Denk mit, Kind! Durch Zufall war eine ganz bestimmte, von dir gesuchte Neigung des Fliesenlegers herausgekommen, mit der sich der Preis wunderbar drücken ließ, wenn wir nur Stillschweigen darüber bewahrten.“ Das Gesicht ihres Schützling hellte sich auf und sie schien zu verstehen, doch Sekunda wollte lieber auf Nummer Sicher gehen: „Warum schreibst du deiner Freundin nicht, dass du da einen Handwerker wüsstest, den sie für eure kleine Intrige aus Misenum anwerben könnte?“


    Lucia setzte also einen Brief an Sergia auf.

  • An einem bestimmten Tag einem bestimmten Morgen hatte sich alles ein wenig verändert. Vor Lucias Gemächern hatten sich in diesen frühen Stunden zwei kräftige Männer eingefunden, welche eisern vor dem Eingang des Cubiculums von Lucia warteten und Befehl von Lepidus hatten, sie auf Schritt und Tritt zu verfolgen und sie daran zu hindern, die Villa zu verlassen. Nachdem er von seinem Patron darauf hingewiesen wurde, dass tatsächlich die Möglichkeit bestehen könnte, dass sie geschwängert wurde, musste er zu entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen greifen. Wenn dies stimmte, dann mussten hier einige Angelegenheiten geklärt werden, falls nicht, konnte vielleicht noch Schlimmeres verhindert werden. Dieses strenge Verhalten kam zusammen aus den nur in Brocken dargebotenen Desinformationen seiner Schwester, den Gerüchten, die durch seinen Patron befeuert wurden und der eigenen Fantasie des Tiberiers.

  • Arsinoe legte wie jeden Morgen mehrmals den Weg zwischen Küche und Lucias Zimmer zurück – so eine Morgentoilette brauchte viel heißes Wasser, ein wenig Wein und ein paar Knabbereien - und kam dabei nicht umhin die beiden neuen Sklaven zu bemerken. Doch von den beiden ging so eine bedrohliche Stimmung aus, dass sich die junge Frau nicht traute sie darauf anzusprechen, was sie dort vor der Tür ihrer Herrin denn taten. Ihnen wurden nur immer wieder skeptische und leicht ängstliche Blicke zugeworfen, ehe Arsinoe im Zimmer ihrer Herrin verschwand. Als die Kerle auch bei ihrem dritten Gang zur Küche nicht verschwunden waren, wurde es Arsinoe eindeutig unheimlich. Sie verschwand hektisch hinter der Tür und schloss sie ungewöhnlich laut.


    Wenig später steckte Sekunda ihren Kopf durch den Türspalt und musterte die Sklaven verwundert. Im Gegensatz zu ihrer jungen Kollegin, hatte sie jedoch keine großen Bedenken die beiden Männer recht direkt anzusprechen: „Was lungert ihr hier vor dem Cubiculum meiner Herrin herum? Schert euch an eure Arbeit!“, versuchte sie ihr Glück dabei die Kerle zu verscheuchen.

  • Die breitschultigen und muskulösen Männer blickten sich für einen Augenblick stumm an, ohne irgendeine Mimik preis zu geben. Einer von ihnen blickte anschließend Sekunda völlig ausdruckslos und unterkühlt an, ehe er ihr antwortete: "Wir arbeiten. Anordnung des Hausherren. Tiberia Lucia steht unter Hausarrest", so die lakonische Antwort. Anschließend stellten sie sich wieder in Ausgangsposition.

  • Sekunda war sichtlich entgeistert. Jeder, der die alte Dame sonst im Umgang mit ihrem Mitsklaven kannte, würde die nun folgende Ruhe äußerst untypisch finden. Fassungslos blickte sie von einem Sklaven zum anderen, schüttelte den Kopf und schloss die Tür.


    Es dauerte nur wenige Sekunden, dann konnte man ein empörtes „Was!?“ aus dem Zimmer hören. Jetzt hatte wohl auch Lucia die Nachricht von ihrem Hausarrest erreicht. Es klapperte laut, man hörte hektische Stimmen, die wild durcheinander sprachen. Das alles wurde von einem „Domina, nicht!“ übertönt, kurz bevor die Tür mit einem Knall aufflog. Erstarrt blieb Lucia stehen, als die der zwei Sklaven gewahr wurde. Ihre Haare waren noch zu zwei langen Zöpfen geflochten, wie sie für gewöhnlich zu schlafen pflegte. Sie trug schon ihre Tunika, jedoch keinen Schmuck und auch noch keine Schminke. Wut blitzt aus ihren Augen, während sie die Männer musterte und sie verlangte: „Bringt mich zu meinem Bruder, sofort!“


    Sekunda stand noch im Raum und schüttelte ob ihres Schützlings den Kopf. Rasch zog sie Arsinoe an sich und flüsterte dem Mädchen etwas ins Ohr. Diese blickte die alte Sklavin entsetzt an und schüttelte den Kopf. Doch Sekunda machte eine bestimmende Geste und Arsinoe versuchte sich mit hochrotem Kopf an ihrer Herrin und den beiden Bewachern an der Tür vorbeizudrängen.

  • Die beiden Männer waren doch recht unbeeindruckt vom emotionalen Imperativ der Tiberia. Mit dieser Reaktion war zweifellos zu rechnen. Einer von ihnen antwortete ihr: "Anordnung des Hausherren. Er wünscht bis zum Abend keinen Kontakt mit Tiberia Lucia" Er hätte genauso gut sagen können, dass sie erst einmal den Tag über in der Villa schmoren sollte, bevor ihr gegönnt wird, sich mit ihrem Bruder zu unterhalten. "Bei Einbruch des Abends bringen wir dich in sein Officium".

  • „Was!?“, wiederholte sich Lucia gleichermaßen entrüstet wie beleidigt. Arsinoe quetschte sich in diesem Moment an ihrer Herrin vorbei und brachte sie damit noch zusätzlich aus dem Konzept. „Arsinoe?“, rief sie der jungen Sklavin hinterher, doch diese drehte sich nicht mal um. Spielten denn hier grade alle verrückt? Lucia wandte sich zu ihrer Leibsklavin um: „Sekunda? Was ist hier los?“ Wenn jemand wusste, was hier gespielt wurde, dann wohl die alte Dame. Diese schien jedoch nicht vor den Männern vor der Tür sprechen zu wollen und winkte ihren Schützling wieder zurück ins Zimmer. Die Verwirrung deutlich ins Gesicht geschrieben, drehte sich Lucia nochmal zu den Männern um, beschloss dann aber es lieber nicht darauf anzulegen. Zögernd trat sie zurück in ihr Zimmer und Sekunda schloss bestimmt die Tür.


    „Was ist hier los? Wieso Hausarrest und wo ist Arsinoe hin?“, verlangte Lucia lauthals zu wissen, doch Sekunda deutete ihr an ihre Stimme zu senken und sich von der Tür zu entfernen. Sobald sich Lucia wieder auf ihren Platz gesetzt hatte, an dem sie Morgen für Morgen hergerichtet wurde, sprach Sekunda mit gesenkter Stimme: „Arsinoe ist auf dem Weg zu den Wäscherinnen, um herauszufinden, ob dich dort jemand verraten hat.“ Lucia erbleichte und legte eine Hand an den offenen Mund. „Oh nein, denkst du Lepidus weiß…?“ Sie schaute Sekunda bang an. „Ich habe momentan keine andere Erklärung. Aber warten wir erstmal auf Arsinoe und ich werde später mal mit Stratonice und Stesichoros und ein paar anderen reden, vielleicht weiß jemand mehr.“ Lucia nickte bang und räusperte sich unwohl. Sekunda, pragmatisch wie immer, fuhr während sie auf Arsinoe warteten einfach mit Lucias Morgentoilette fort.

    Die Wäscherinnen schworen einhellig kein Wort verloren zu haben, berichtete Arsinoe. Auch die späteren Gespräche von Sekunda brachten nicht mehr Licht in die Sache. Im Laufe des Tages erfuhr Lucia, dass sie die Männer innerhalb der Villa tatsächlich überallhin verfolgten. Dabei blieben sie jedoch immer auf einem gewissen Abstand, lediglich als Lucia sich der Eingangstür näherte verstellten sie ihr den Weg. Die junge Tiberia wusste nicht, ob sie über dieses doch irgendwie rücksichtsvolle Verhalten erleichtert sein sollte. Sie versuchte es tatsächlich, doch sie schaffte es beim besten Willen nicht irgendetwas anderes als Ärger ob ihres Hausarrestes zu empfinden. Endlich, endlich kam der Abend und sie wurde tatsächlich zu ihrem Bruder gebracht.

  • Seit ihrem Hausarrest war Lucia nicht mehr besonders gerne in der Villa Tiberia. Die letzten Tage war sie bei verschiedenen Freundinnen, nur um nicht daheim sein zu müssen. Leider ging das heute nicht. Keine ihrer Freundinnen hatte Zeit und das Wetter war eindeutig nicht gut genug, um sich irgendwo draußen herumzutreiben. Was sollte man an so einem Tag machen, wenn man mal wieder quasi in seinem Zimmer gefangen war?


    Es dauerte nicht lange und Lucia hatte eine wunderbare Idee, wie sie gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte. Sie ließ also nach Myrsini rufen, die sich bisher in der Küche hatte nützlich machen „dürfen“. Da war sie schön weit weg und konnte sich irgendwie nützlich machen. Vermutlich hatte sie trotzdem den ganzen Heckmeck um den Hausarrest mitbekommen, wer hatte das in der Villa nicht? Lucia seufzte und versuchte die ganze Affäre abzuschütteln.


    Lucia setzte sich an ihren Tisch und begann zu schreiben. Sie war sich bewusst, dass Myrsini bald kommen würde und ignorierte sie so lange, wie es nötig war um den Brief zu beenden. Erst als auch das letzte Wort getrocknet war, sah Lucia auf und musterte ihre ungewollte Sklavin.


    „Wenn ich dir einen Auftrag erteile, wie sicher kann ich mir sein?“

  • Abwartend stand Myrsini in den privaten Gemächern ihrer Domina, Tiberia Lucia, hielt den Blick demütig gesenkt, betrachtete ihre bloßen Zehen und ließ ihre Eindrücke vom Haushalt der Villa Tiberia Revue passieren; - zu ihrer großen Erleichterung hatte man sie ungewöhnlich gut behandelt, auch wenn diese alte Frau mit Namen Sekunda sie beobachtete wie ein Adler seine Beute. Zugleich übte sich Myrsini in schier grenzenloser Geduld, während die Römerin am Tisch ohne Hast einen Brief aufsetzte und demonstrativ jede Kenntnisnahme ihrer Anwesenheit verweigerte. Nicht, dass dies unüblich war, denn viele Damen - und auch Männer - ihres Standes schenkten einer Sklavin kaum mehr Aufmerksamkeit als etwa einem Möbelstück. In diesem Fall jedoch war das im Raum schwebende, unausgesprochene Misstrauen ihr gegenüber beinahe körperlich greifbar. Und so tat Myrsini, worin sie in den vergangenen Tagen eine gewisse Perfektion erlangt hatte: Sie verhielt sich unauffällig und gab außer ihrem leisen Atem keinen Laut von sich.
    Erst als die Tiberia sie direkt ansprach, begann Myrsini sich zu regen, hob den Kopf und richtete den Blick ihrer braunen Augen gen ihrer Herrin. Die Frage war direkt und unwillkürlich kamen in der Griechin Zweifel darüber auf, ob es eine richtige Antwort gab. Es wäre Wahnsinn, ihre eigene Glaubwürdigkeit zu unterminieren, doch ebenso konnte jede Bestätigung ihrer Treue von Lucia als Lüge begriffen werden. Einzig die Furcht vor der Strafe, die ihr bei Aufdeckung einer Lüge drohte, mochte Myrsini aus der Perspektive der Römerin zur Wahrheit verleiten. Sorgfältig erwog sie daher ihre Worte, zögerte indes auch nicht zu lange, als das es auffällig gewirkt hätte: "Ich bin Dein Wille, Domina. Ich kann Deinem Wunsch ebenso wenig zuwiderhandeln, wie Deine eigene Hand es vermag."

  • Lucia musterte ihre Sklavin, nachdem diese ihre Antwort gegeben hatte, lange mit skeptischem Blick und ohne ein Wort zu sagen. Es wurde Lucia fast sogar selbst unangenehm so lange zu schweigen, aber sie wollte nur zu gerne ergründen was hinter diesen Worten lag. Doch sie konnte weder in den dunklen Augen ihrer Sklavin noch in deren Gesicht etwas lesen, außer unterordnender Höflichkeit. Das war frustrierend!
    „Gut…“, sprach Lucia dann endlich, wenn auch zögernd. „Nimm diesen Brief und diese Kette und überbringe sie.“ Sie reichte der neben ihr stehenden Arsinoe eine zusammengerollte aber nicht versiegelte Schriftrolle und eine recht schlichte goldene Kette mit einem einzigen kleinen, tiefblauen Edelstein als Anhänger. Die junge Sklavin, die eigentlich noch kein Wort mit Myrsini gewechselt hatte, gab die beiden Dinge an sie weiter und lächelte dabei sogar leicht. Fast als wollte sie das deutliche Zeichen der Ablehnung, weil Lucia die beiden Gegenstände nicht direkt übergeben hatte, etwas abmildern.
    Mit Interesse wartete Lucia ab, was ihre Sklavin nun tun würde. Nachfragen? Die Rolle öffnen um den Empfänger zu lesen? Konnte sie überhaupt lesen? Würde sie einfach losgehen und außerhalb des Zimmers den Brief öffnen? Würde sie Vala hiervon erzählen, wenn ihr bewusst wurde an wen ihre Herrin schrieb? Was würde mit dem Goldkettchen geschehen? Lucia kam der Gedanke Myrsini vielleicht jemanden hinterher zu schicken, der sie beobachtete.


    Roma, ANTE DIEM III KAL SEP DCCCLXIV A.U.C.


    Ad
    Aulus Iunius Avianus
    Cohortes Praetoria
    Castra Praetoria
    Roma, Italia


    Salve Iunius


    Da wir immer so erfrischend ehrlich zueinander sind, gebe ich offen zu: Mir ist langweilig. Ich sitze in meinem Zimmer und stelle mir die Frage: „Was tut eine gute, römische Frau, wenn sie grade nichts zu tun hat?“ Die Antwort darauf ist gar nicht so einfach, aber irgendwann kam mir die Idee: Eine gute, römische Frau würde einem römischen Soldaten eine kleine Freude machen! Da du, neben einem Verwandten, der einzige Soldat bist den ich mit vollem Namen kenne, kommst du nun in den Genuss einer meiner Briefe. Immerhin hast du mal behauptet, dass du dich über ein Schreiben freuen würdest.


    Wenn ich an dich denke, kommt mir auch sogleich ein anderer Name ins Gedächtnis: Dein Kollege Cato. Er war mir recht sympathisch und ich möchte auch ihm eine Freude machen. Richte ihm also bitte meine besten Grüße aus und überreiche ihm die mit diesem Brief überbrachte Kette. Sie ist als Geschenk für seine Schwester gedacht, die ihm immer so treu schreibt.


    Ich weiß in einem guten Brief sollte man eigentlich viele Fragen stellen, um es dem Empfänger einfacher zu machen eine Antwort zu verfassen. Da ich jedoch nicht weiß, ob du mir überhaupt antworten möchtest, beschränke ich mich auf ein „Wie geht es dir?“


    Vale bene
    Tiberia Lucia


  • Die Arme in Bauchhöhe angewinkelt und die offenen Handflächen vor sich ausgestreckt nahm Myrsini von Arsinoe den Brief sowie die goldene Kette entgegen. Beides wog schwerer, als sie zunächst erwartet hatte und nur langsam wurde ihr bewusst, dass sie die Last der Verantwortung auf die eigentlich harmlosen Gegenstände projizierte. Das sanfte Lächeln der jungen Sklavin Arsinoe konnte Myrsini nicht darüber hinweg täuschen, dass Tiberia Lucia sie mit einer Aufgabe konfrontierte, die ihre Treue unweigerlich auf die Probe stellen musste. Sie zu erfüllen würde ihr nicht schwer fallen, sofern es sich nicht um eine Falle handelte und damit um eine willkommene Gelegenheit, sich ihrer zu entledigen. War Lucia dieses Maß an Verschlagenheit zuzutrauen? Myrsinis Gefühle verneinte dies, doch ihre Erfahrung mit den Römern widersprach. Die Griechin schloss ihre schlanken Finger unwillkürlich um den weichen Papyrus der unversiegelten Schriftrolle, als wolle sie zwanghaft vermeiden, auch nur eines der niedergeschriebenen Worte zu erblicken. "Wie Du wünschst, Domina", bestätigte sie sodann mit fester Stimme und ließ einige Atemzüge verstreichen, bis das Schweigen im Raum sich gleich einer schweren Decke über sie legte. Erst dann fügte sie hinzu: "Darf ich erfahren, in wessen Hände der Brief und die Kette gelangen sollen, Domina?"

  • Wieder entstand dieses schwere Schweigen zwischen ihnen, in dem Lucia gespannt wartete. Dann schlich sich doch tatsächlich so etwas wie der Ansatz eines Lächelns auf ihre Lippen, als Myrsini nachfragte. „Der Empfänger ist Aulus Iunius Avianus. Er ist ein Soldat der Cohortes Praetoria.“ Das Lächeln wurde breiter, diesmal aber weil sie sich die Reaktion von Avianus auf diesen Brief vorstellte. „Ich möchte, dass du diesen Brief nicht am Tor abgibst und auch nicht in der Poststelle. Du musst ihn Avianus…“ Dass Lucia den Soldaten nun beim Cognomen nannte, anstatt wie bis her einfach Iunius, hatte sie sich nicht vorher überlegt. Sie hatte sich spontan dazu entschieden. Wenn Myrsini das ganze hier Vala berichtete, konnte sie ihn gleich auch ein wenig zum Nachdenken bringen, was genau das jetzt zu bedeuten hatten. „… persönlich überreichen. Hast du mich verstanden? Du gibst den Brief… und die Kette natürlich… niemanden sonst!“ Eindringlich blickte Lucia Myrsini in die Augen und verlangte dann nochmal, ehe sie sie endgültig losschicken würde: „Wiederhole deinen Auftrag!“

  • "Aulus Iunius Avianus", wiederholte Myrsini den Namen des ihr unbekannten Soldaten, in dessen Hände sie den Brief und das Schmuckstück übergeben sollte. "Cohortes Praetoria", ergänzte sie sodann und fügte der Vollständigkeit halber den vermutlich wichtigsten Teil der Aufgabe hinzu: "Ausschließlich ihm sind der Brief und die Kette zu übergeben, niemandem sonst. Ich habe verstanden, Domina." Anders als die Römerin legte Myrsini keine besondere Betonung in ihre Worte, denn dies hätte man allzu leicht als subtile Verhöhnung des ein wenig überdeutlich vorgetragenen Befehls missverstehen können. Und trotzdem ein seichtes Lächeln über Lucias weiche, ebenmäßige Gesichtszüge wanderte im Zusammenhang mit Myrsinis Erkundigung nach dem Empfänger, fühlte sich die Griechin nicht im Mindesten sicherer als nur Augenblicke zuvor. Noch immer konnte sie sich des Eindrucks nicht erwehren, mit einer kaum zu meisternden Prüfung konfrontiert zu werden. Die exakten Instruktionen der Tiberia verstärkten diesen Eindruck, trotzdem Lucia womöglich lediglich Vorsicht walten ließ im Angesicht eines vielleicht brisanten Inhaltes der Schriftrolle. Unwillkürlich gemahnte sich Myrsini, über dergleichen nicht mehr als notwendig nachzudenken, stattdessen verneigte sie sich ergeben: "Wenn Du gestattest, Domina, entferne ich mich, um Deinen Auftrag sofort auszuführen."

  • „Schlaues Mädchen.“, murmelte Lucia mit spöttischem Unterton. Dabei war sie tatsächlich ein wenig von der Disziplin ihrer Sklavin beeindruckt. Myrsini verzog keine Miene, sprach ohne Subtext und hielt sich alles in allem mehr als wacker. Doch genau das sprach auch wieder gegen sie: Natürlich würde sich Vala jemand geeigneten für die Aufgabe aussuchen. Was brachte eine Spionin, wenn sie zu dumm war wichtige Dinge zu begreifen oder zu emotional, um mit dem Druck fertig zu werden. Sie bat darum sich entfernen zu dürfen und Lucia schickte sie mit einer nachlässigen Handbewegung davon.


    Nachdem sich die Tür hinter Myrsini geschlossen hatte, wandte sich Lucia an Arsinoe: „Und? Was meinst du?“ Das Mädchen überlegte kurz und zuckte dann mit den Schultern: „Sie erschien mir nett und bemüht dir zu gefallen, Domina.“ Lucia spitzte unzufrieden die Lippe, aber Arsinoe wusste inzwischen, dass sie immer die Wahrheit sagen sollte und fühlte sich daher recht sicher. „Hmm.“, grummelte Lucia, ehe sie sich entschied, dass Kontrolle besser als Vertrauen war: „Geh und schick ihr Eudicus hinterher.“ Kurz hatte Lucia an den Küchenjungen Tarius gedacht, doch da Myrsini ja ihre Zeit bisher eher dort verbracht hatte, würde sie es sicher merken, wenn der Junge ihr hinterherstolperte. Der Gärtner hingegen sollte ihr noch nicht so bekannt sein, hoffte Lucia zumindest. „Ich möchte wissen, was sie tut und wie sie es tut!“ Arsinoe nickte und verließ ebenfalls den Raum. „Und was mach ich jetzt?“, fragte Lucia die gemalten Figuren an der Wand. Sie fing schon wieder an sich zu langweilen.

  • Eine beiläufige Handbewegung der Tiberia gestattete Myrsini schließlich, sich aus den privaten Gemächern Lucias entfernen und mit der Erfüllung ihres soeben erhaltenen Auftrages beginnen zu dürfen. Die ersten beiden Schritte ging die Griechin rückwärts, das Haupt unablässig gen Boden gerichtet und wandte sich sodann flugs herum, um durch die offene Tür auf leisen Sohlen zu entschwinden. Myrsini brachte zunächst einigen Abstand zwischen sich und ihre Domina, bevor sie sich gegen eine der reichlich verzierten Wände lehnte. Für mehrere Sekunden schloss sie die Augen und begann mit bewussten, tiefen Atemzügen. Ihre Gedanken rasten, z.T. von Furcht erfüllt, und nur langsam fand wieder sie zu jener Konzentration, die sie zur Erfüllung der vor ihr liegenden Aufgabe benötigte. Zögerlich, als wäre selbst darin eine Gefahr zu vermuten, richtete Myrsini ihren Blick auf die Schriftrolle und zwang sich, ihre Finger nicht noch fester um das empfindliche Pergament zu pressen. 'Aulus Iunius Avianus, Cohortes Praetoria', ließ sie den Namen des Empfängers mehrmals durch ihren Kopf schwirren und bewegte dabei lautlos ihre schmalen Lippen.
    Erst der Klang von Schritten auf dem steinernen Boden zog Myrsini zurück in die Gegenwart und mit einem Ruck - einem ertappten Kind nicht unähnlich - löste sie sich von der Wand. Sie glaubte, den Rücken der jungen Sklavin Arsinoe erkennen zu können, bevor die Schritte jenseits einer Ecke verschwanden, doch sicher war sich Myrsini darin keinesfalls. Gleichwohl verstand sie es als unausgesprochene Mahnung, nicht länger in Untätigkeit auf dem Flur zu verharren, sondern sich auf den Weg zu den Kasernen zu machen. Noch einmal sog sie die Luft durch ihre Lungen, fand darin - ein wenig - neue Entschlossenheit und eilte zu den Unterkünften der Sklaven, um sich für ihre Aufgabe zu rüsten ...


    Sim-Off:

    Fortsetzung der Handlung: Im Namen von Tiberia Lucia - Die Briefträgerin

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