Im Innenhof der Principia

  • Lucius Helvetius Corvinus machte nachdem er das Officium verlassen hatte die Tür zu. Sofort danach sackte er ein gehöriges Stück in sich zusammen. Roma hatte ihm bisher nicht wirklich Glück gebracht.
    Kaum in der Stadt angekommen bzw. nachdem sie sie "betreten" hatten, hatte er mit ein paar Männern den Auftrag bekommen Gefangene zu holen und diese zum Carcer der Prätorianer zu bringen. Das lief am Anfang sogar recht gut an. Klar bei der Casa der Gens Decima gab es mehr Ärger als er geplant hatte aber dafür waren seine Männer zufrieden da sie so die Gelegenheit bekommen hatten selbige halbwegs gründlich zu plündern und er selber hatte Beute in Form einer Sklavin gemacht die nun irgendwo im Lager der Legio Secunda auf ihn wartete. Natürlich auch mit seinem Anteil am Plüngergut aus der Casa.
    Die gewonnenen Erkenntnisse aus der Casa hatten ihn schließlich zu seinem eigentlich Ziel gebracht, Decima Seiana, die er ohne größere Probleme in die Castra Praetoria gebracht hatte.


    Doch dann hatten die Probleme begonnen.


    Corvinus war sich bis heute nicht sicher ob es an daran lag das er die Götter verärgert hatte oder ob es das Werk eines bestimmten aurelischen Tribuns, dessen Verwandte er wohl ein wenig zu nah bei ihrer "Rettung" gekommen war.


    Jedenfalls war ein Teil seiner Männer gleich weggeschickt worden er hatte aber noch einen kleinen Bericht zu Wachs bringen müssen um zu erklären was in der Casa der Decimer vorgefallen war. Schließlich kamen im Moment verdammt viele neue Gefangene rein und die Militärbürokratie hatte ihre Not da mitzukommen. Da waren neue Gefangene außer der Reihe nicht besonders beliebt.
    Damit fertig hatte war er bei der Abgabe an einen sehr wichtigen Tribun gekommen. Dieser faselte irgendwas davon das er seine Arbeit gut gemacht hätte und er zur Belohnung gleich noch weitere Gefangene herzubringen hatte. So bildete er mit seinen 6 Legionären sowas wie einen billigen Abklatsch der "Glorreichen Sieben" der Militärverwaltung der Rebellenarmee, den es aufgrund der Abwesenheit von Urbaner die sonst prädestiniert waren für solche "Greifer" Aufträge. In der Bemühung schnell wegzukommen beeilten sie sich die Aufträge zu erfüllen und brachten immer neue Gefangene in den Carcer. Der Plan war es gewesen so schnell fertig zu sein und rechtzeitig zur Erstürmung des Palastes zu kommen. Doch der ging gründlich schief. Die Effiziens der Sieben sprach sie bei den Beamten rum. Nach und nach gelang es immer mehr von Corvinus Kameraden sich abzusetzen und wieder "normale" Soldatenaufträge bei ihren Einheiten machen zu können. Corvinus blieb aber an diesen verdammten Tribun und seinen Beamtenschergen quasi gefesselt. So verpassten sie die Erstürmung des Palastes und bekamen nur aus Erzählungen mit das Salinator tot war. Gleich darauf nahm das Aufkommen an Gefangenaufträgen eher noch zu als ab. Freilich die wichtigen Leute waren alle geflohen, tot oder schon gefangen. Aber jetzt ging es um die mittlere Etage der Gefolgsleute. Täglich schwoll der Strom der treuen Bürger an die Gefolgsleute (oder welche die sie dazu machen wollten) Salinators denunzierten. Wie es so oft in der Geschichte der Bürokratie gewesen war und auch noch blieben würde. Die richtige Münze an der richtigen Stelle brachte auch die abstrusesten Geschichten dazu das die beschuldigten Personen erstmal hergebracht werden mussten. Dummerweise war Corvinus und seine Männer einer der Hauptzubringer für diese Unglücksraben.
    So ging es Tag ein, Tag aus. Diese Stadt war einfach so verdammt riesig und die Anzahl ihrer Bewohner kam obendrauf. Es schien kein Ende nehmen zu wollen, ja eher noch mehr zu werden. Corvinus der das marschieren nun wirklich gewohnt war taten jeden Abend oder besser gesagt jede Nacht die Füße gehörig weh wenn er sich für die wenigen Stunden hinlegen konnte. Alle Versuche dem Tribun dazu zu bringen ihn zu entlassen schlugen fehl und es war wie verhext alle Botschaften in Richtung seiner Legion die bringen sollten das er abgerufen wurde blieben unbeantwortet. Das war auch der Hauptgrund warum Corvinus den Aurelier hinter der Sache vermutete. Das einzig positive an der Sache war das Corvinus inzwischen einiges an Geld gemacht hatte. Nach einigen Tagen hatte er immer offensichtlicher weggesehen wenn seine 6 Legionäre Wertgegenstände in den Wohnungen der Beschuldigten "beschlagnahmten" oder diese Geld annahmen von Leuten die dann "nicht zu Hause oder auffindbar waren". Er selber hatten nichts mitgenommen oder angenommen aber auf seinen Anteil würde er nicht verzichten und die 6 waren lange genug dabei das sie keine Fragen stellten sondern sein wegschauen erkannten und dementsprechend von alleine seinen Anteil zu seinen Sachen bringen ließen. So pendelte inzwischen was täglich ein Calo zwischen der Castra Praetoria und dem Lager der Secunda.


    Zu allem Übel kam noch dazu das er sich seit ein paar Tagen merklich schlechter fühlte. Er wusste nicht genau was es war. Es hatte eines Nachts angefangen. Er war aufgewacht und hatte tatsächlich geheult wie ein kleines Kind. War ordentlich verstörend für ihn gewesen wo er doch keinen Grund erkennen konnte woran das lag. Zum Glück hatte das keiner seiner Männer gesehen. Sie hatten sich in einem verlassenen Quartier der Prätorianer einquartiert und Corvinus schlief natürlich im Centuriozimmer.
    Seit dieser Nacht tat ihm sein Herz schrecklich weh und er vermisste Alwina mehr als sonst. 3 Nächte war das inzwischen her und in diesen 3 Nächten hatte er quasi gar nicht mehr geschlafen. Jedes Mal wenn er einschlief wachte er kurze Zeit später schweißgebadet und mit stechenden Schmerzen in der Brust auf. Wenn er wach war ging es zwar aber seine Sorgen darüber taten ihr übriges. In diesem Zustand hatte er nun gerade am frühen Morgen erneute 5 Namen bekommen von Leuten die er heute in die Castra Praetoria bringen sollte. Natürlich wieder verbunden mit der scheinheiligen Ausrede das dies die letzten sein würden.
    Corvinus war erschöpft, schlecht gewaschen, seeehr müde und unausgeschlafen und beschloss daher, ganz entgegen seines normalen Verhaltens erst einmal ne Pause zu machen. Er machte die paar Schritte und setze sich auf eine Bank im Innenhof im Halbschatten der Principia. Ächzend ließ er sich mehr fallen und nahm danach seufzend seinen Cassis ab. Er stützte die Ellenbogen auf die Knie und rieb sich mit den Händen die Augen und fasste sich danach mit einer Hand an die Brust wo gerade wieder eine Schmerzwelle durchströmte. Seine linke Hand wanderte zu dem germanischen Dolch und halb in Trance massierte sein Daumen den Griff des selbigen. Wie würde dieser Tag wohl weitergehen?

  • Gerade mal ein Tag war vergangen, seit der Duccius Seiana aus dem Carcer hatte holen lassen. Gerade mal ein Tag, seit sie – in ihren Augen wenigstens – ihre Familie hintergangen, die Kinder von Magnus den Duccii versprochen hatte, um den Rest der Gens hier in Rom einigermaßen heil über die Runden zu bringen. Seit sie sich in der vergangenen Nacht in den Schlaf geweint hatte, hatte sie zumindest begonnen sich damit abzufinden, schon allein weil sie gar keine andere Wahl hatte. Aber dieses Wissen lastete dennoch schwer auf ihr, und sie war sich nach wie vor nicht sicher, ob sie damit dauerhaft klar kommen würde. Und trotzdem versuchte sie sich aufzurichten. Letzte Nacht war eine Ausnahme gewesen... sie konnte es sich nicht leisten, dass das öfter passierte. Sie konnte es sich nicht leisten, völlig zusammenzubrechen, gar nicht mehr in der Lage zu sein klar zu denken. Sie musste stark sein, für ihre Familie, für ihren Bruder vor allem, und versuchen alles zu tun, was in ihrer Macht stand, damit sie irgendwie aus dieser Sache heraus kamen. Auch wenn sie nicht die geringste Vorstellung hatte, wie um alles in der Welt es ihr gelingen sollte, das auch für Faustus zu bewirken. Selbst mit der Hilfe des Duccius, der sie sich versichert hatte dadurch, dass sie Magnus' Kinder aufgegeben hatte, würde es wenig geben, was sie für Faustus tun konnten. Dafür war seine Position zu hoch gewesen. Nur: selbst der bloße Gedanke daran, was ihren Bruder erwarten könnte, war so grausam für sie, dass sie sich konstant weigerte ihn zuzulassen. Ihr würde etwas einfallen. Ihr musste etwas einfallen.


    Sie musste nur... musste nur irgendwie wieder zu ihrem üblichen Selbst finden. Beherrscht, unerschütterlich, und vor allem: kühl und rational. Also tat sie, was nötig war, um sich wieder besser zu fühlen – nachdem sie geschlafen hatte, ließ sie sich zum Balneum bringen, wusch sich den Schmutz der Tage im Carcer ab, kümmerte sich um ihre Verletzungen. Sie war immer noch zutiefst erschöpft, immer noch von der Zeit im Carcer gezeichnet, und von den Strapazen der ganzen letzten Wochen – die Schwangerschaft, die Geburt, die Gefangennahme und der Gewaltmarsch quer durch Rom bis zur Castra... aber wenigstens war sie wieder sauber und hatte wieder etwas halbwegs Ordentliches zum Anziehen. Irgendwann später ließ sie sich nach draußen bringen, in den Innenhof, nur wenige Schritte vor die Tür. Sie wollte nur etwas frische Luft schnappen, nachdem sie tagelang nur die Luft des Carcers eingeatmet hatte... dafür nahm sie sogar in Kauf, längere Zeit stehen zu müssen, so lange, dass ihre Fußsohlen wieder begannen zu schmerzen, wo Schorf die Wunden bedeckte, die noch nicht vollständig verheilt waren. Sie nahm dafür sogar in Kauf, ständig die zwei Wachhunde dicht bei sich zu haben, die sie überallhin begleiteten, sobald sie das Zimmer verließ, das der Duccius ihr zur Verfügung hatte stellen lassen.
    Womit sie allerdings nicht gerechnet hatte, war ein bekanntes Gesicht zu sehen. Ein unangenehm bekanntes Gesicht. Seiana versteifte sich, wurde starr wie eine Statue, als sie den Centurio erkannte, der sie gefangen genommen hatte, und ohne es zu wollen, ohne es beherrschen zu können, begann ihr Herz wie rasend zu klopfen, und sie fühlte sich überflutet von Erinnerungen. Von der Angst, die sie gehabt hatte, als er mit seinen Leuten bei ihr aufgetaucht war. Von der Angst, die sie vor ihm gehabt hatte. Sie starrte ihn einfach nur an, und obwohl alles in ihr danach schrie, zu verschwinden bevor er sie sehen konnte, fühlte sie sich, als sei sie wie gelähmt vor Furcht, und dieser Moment zog sich quälend in die Länge.

  • Corvinus hatte noch nicht wirklich bemerkt das er beobachtet wurde. Dafür war er viel zu abgelenkt und zu erschöpft. Ebenso wenig hatte er gemerkt wie seine Linke den germanischen Pugio gezogen hatten und nun damit rumspielten.
    Ein leerer Blick wanderte über den Hof. Die rechte Hand massierte die Brust.


    Die Linke bekam ein paar Spuren des scharfen Dolches ab. Ein kleiner Schnitt im Daumen, ein weiterer im Handballen. Scheinbar unbemerkt. Dann, die Faust hatte sich inzwischen um den Griff gelegt, presste er das Kühle Metall gegen die Stirn.
    Nach einem Moment wurde der Dolch neben sich gelegt. Dafür fuhr die rechte Hand jetzt über Stirn und durch die Haare.
    Corvinus Blick ging kurz auf seine linke, leicht blutende Hand und ging dann hoch.
    Aus sehr tiefen Höhlen mit dicken, dunklen Augenrändern sahen seine Augen nun direkt Seiana an. Ob sie sie auch erkannten blieb zunächst offen. Er rückte jedenfalls ein Stück und machte Platz neben sich auf der Bank.
    Eine Stimme die sehr anders als die bei ihrem ersten Zusammentreffen klang sagte:
    "Setz dich!"

  • Hatte Seiana bei ihrem ersten Aufeinandertreffen vor dem Mann Angst gehabt wegen dem wie er sich benommen hatte ihr gegenüber, sah er jetzt auch tatsächlich zum Fürchten aus. Das Gesicht wirkte grau und irgendwie eingefallen, die Augen lagen tief in ihren Höhlen und schienen merkwürdig zu brennen, und dass er mit einem Dolch rumspielte und sich dabei mehr als einmal selbst verletzte, das Blut dann auch noch ein bisschen über sein Gesicht verteilte, machte es nicht gerade besser. Fast wirkte er wie einer der Larven, gekommen, um sie zu verfolgen für all die Fehler, die sie begangen hatte, für all das, was sie ihrer Familie schuldig geblieben war... für das, was sie dem Duccius versprochen hatte, um sich zu retten.
    Seiana unterdrückte ein Schaudern. Er war kein Totengeist, der gekommen war um sie zu verfolgen. Er war ein Mensch, ein Centurio, der, der sie gefangen genommen hatte – als solcher noch furchteinflößend genug, aber kein Geist. Und viel mehr noch: er schien sie nicht zu bemerken. Und Seiana gedachte diese Chance zu nutzen. Mühsam befreite sie sich von der Starre, die von ihr Besitz ergriffen hatte, mühsam versuchte sie, der Angst Herr zu werden, aber gerade als es ihr gelingen wollte, gerade als sie gehen wollte – sah er doch noch auf. Sah sie an, aus diesen tiefliegenden Augen. Und Seiana spürte erneut, wie sie erstarrte, fühlte sich ein weiteres Mal zurück versetzt um mehrere Tage, zu jenem Zeitpunkt, als sie ihm zum ersten Mal gegenüber gestanden war. Sie rührte sich auch immer noch nicht, als er ein Stück zur Seite rückte, und ohnehin war ihr in diesem Augenblick gar nicht bewusst, warum er das wohl tat... erst sie begriff, was er gerade dazu noch gesagt hatte, wurde ihr klar, was er wollte. In ihren Ohren klang das nicht nach einer Bitte, nicht einmal nach einer wohlmeinenden Aufforderung – es klang nach einem Befehl. Und obwohl sie sich nicht ganz so sicher war, ob sie ihm nun noch Folge leisten musste, obwohl sie sogar eher glaubte, dass sie es nicht musste, trotz der Tatsache dass sie nach wie vor Gefangene war – wofür sonst hatte sie schließlich das Bündnis mit dem Duccius geschlossen, wenn es noch nicht mal dafür gut war, sie vor seinen Männern zu schützen? –, sah sie sich doch gehorchen. Sie war zu gefangen in den Erinnerungen an jenen Tag, zu verloren in der Angst, die aufgewühlt worden war dadurch. „Centurio“, hörte sie sich sagen, kaum dass sie sich gesetzt hatte, an die Kante der Bank, so weit von ihm entfernt wie möglich, den Dolch zwischen ihnen, und ihre Stimme klang halb wie ein Gruß – und halb wie eine Frage.

  • Corvinus blickte sie an, tief und lange Auge in Auge.
    "Decima....Silvana?", grüßte er sie mit kratziger Stimme zurück und räusperte sich anschließend erst einmal.
    Sein Blick wanderte ein Stück an ihr runter und blieb an seinem Dolch hängen. Ein verwirrter Gesichtsausdruck folgte. Wie war der da hingekommen. Er griff sich die Waffe und massierte den Griff eine Weile.
    "Wie groß ist diese Stadt eigentlich und viele können denn noch kommen? Ich hab das Gefühl schon die halbe Stadt hergebracht zu haben.... ich sollte anderes tun.... nach Hause marschieren... die Grenze schirmen... die Germanen werden die Lage bestimmt ausnutzen.... ich hab Alwina versprochen das sie keine Angst mehr vor den Hermunduren haben braucht.... aber jetzt.... hock ich hier und sperre Römerinnen und kleine Fische in den Carcer..."


    Mit einer schnellen Bewegung steckte er den germanischen Dolch, der sehr scharf zu sein schien und etwas länger als ein normaler Pugio war weg. Sein linke Hand fuhr sich durchs Gesicht und durch die Haare. Anschließend legte er sie wieder auf die Brust und rieb an der Stelle wo sein Herz war.
    Seine Rechte ging schließlich rüber und ergriff eine der Hände von Seiana. Zwar recht zügig aber er hielt ihre Hand eher zärtlich als fest.
    "Irgendwas stimmt nicht.... stimmt ganz und gar nicht.... aber was?"

  • „Seiana“, verbesserte sie ihn leise, und blieb im Übrigen steif sitzen. Verrückt, schoss es ihr durch den Kopf. Der Mann neben ihr war verrückt. Sie begriff nur die Hälfte von dem, was er von sich gab, und selbst das klang wirr und zusammenhanglos. Und wie er den Griff des Dolchs massierte... Seiana wünschte sich in diesem Augenblick überallhin, sogar in den Carcer – nur weg von ihm. Sie fühlte sich ganz definitiv nicht wohl dabei, hier so nah bei einem Verrückten zu sitzen, und das hätte sie wohl auch nicht, wenn es ihr gut gegangen wäre. Flüchtig sah sie zu den beiden Milites, die sie als ständige Wachhunde begleiteten, aber die hatten nur in der Nähe Aufstellung bezogen und warteten mit ausdruckslosem Gesicht darauf, dass sie sich wieder rührte und woanders hinging – um ihr dann nachzutrotten.


    Noch während sie dorthin sah, bewegte sich der Centurio neben ihr urplötzlich, der Dolch blitzte auf, und Seiana konnte ein ganz leichtes Zusammenzucken nicht unterdrücken – aber er ging nicht etwa mit der Waffe auf sie los, wie sie halb und halb erwartet hatte, sondern steckte sie nur weg. Und griff dann, schneller als sie reagieren konnte, nach ihrer Hand. Seiana erstarrte erneut, wagte es nicht, ihre Hand aus seiner zu ziehen, obwohl sie das eigentlich am liebsten getan hätte, und obwohl er sie nicht einmal allzu fest hielt. Der Mann machte ihr Angst, und mittlerweile war es nicht mehr einfach nur die Erinnerung an sein vergangenes Verhalten, mittlerweile war es sein Verhalten jetzt, das Grund dafür gab. Wie um alles in der Welt ging man mit einem Verrückten um? „Ich... weiß es nicht“, antwortete sie zögerlich auf die Frage, die er dann am Schluss stellte, auch wenn sie sich nicht so sicher war, ob er sie tatsächlich ihr gestellt hatte. Aber einfach nur schweigend da zu sitzen erschien ihr auch keine gute Alternative, nicht wenn da ein Verrückter neben ihr saß, der womöglich auf eine Reaktion wartete. „Du solltest dich vielleicht ausruhen.“

  • Corvinus schnaubte kurz
    "Ausruhen.... ja das wäre was....aber dieser Tribun lässt mich nicht.... und überhaupt....wer fragt mich denn. Ich wollte doch nur dem Reich dienen... zu erst jedenfalls. Aber inzwischen.... ich will zurück nach Hause... zurück zu Alwina. Die Grenze beschützen, wenn es sein muss Germanenbarbaren erschlagen.... aber was muss ich statt dessen machen.... durch Roma laufen und "Schuldige" einsammeln...."
    Er blickte Seiana an
    "Also davon hat mein Vater nie was erzählt wenn er über den Dienst gesprochen hat."


    Er machte einen gequälten Gesichtsausdruck.
    "Schau nur dich an.... du hast Angst das sieht man sofort und deine Füße... es tut mir leid... das hätte ich nicht tun sollen.... ich bin ein Centurio der römischen Legion... keine römische Frau sollte Angst vor mir haben..."


    Er fasste ihre Hand etwas fester:
    "Nimmst du meine Entschuldigung an?"

  • Und wieder redete er und redete auf ihre wenigen Worte hin. Aber so lange er redete, kam ihm wenigstens nichts anderes in den Sinn... mit Reden konnte sie ihn vielleicht bei Laune halten, genug, dass sie irgendwann einfach gehen konnte. Sie saß weiter einfach da, in sehr gerader, aufrechter Haltung, und hörte ihm zu. Sie hatte schon andere Dinge durchgestanden. Sie würde einfach sitzen bleiben... ruhig bleiben. Trotzdem warf sie erneut den beiden Soldaten einen flüchtigen Blick zu und überlegte kurz, ob sie wohl schnell genug sein würden, sollte der Centurio seinen Dolch doch wieder ziehen.
    Nebenbei allerdings hörte sie doch auch tatsächlich zu – und begriff nach und nach, dass er scheinbar in irgendeiner Form traumatisiert war. Soldat, im Krieg, sein erster vermutlich, wenn sie sich ansah wie jung er noch war. Seiana musste an die wenigen Male denken, bei denen sie mit Faustus über seine Kriegserlebnisse gesprochen hatte. Faustus. Der auch irgendwo hier war, ganz in ihrer Nähe eigentlich – und doch so unerreichbar war für sie, dass er genauso gut in Syria sein könnte.
    Sie wurde erneut abgelenkt, als der Centurio ihre Hand fester griff und wieder etwas fragte. Nimmst du meine Entschuldigung an... Genau genommen hatte er sich gar nicht entschuldigt, aber Seiana hielt es für keine gute Idee, jetzt auf solcherlei Spitzfindigkeiten zu bestehen. Oder gar abzulehnen. „Sicher“, hörte sie sich also antworten, und presste dann die Lippen aufeinander, weil es nicht mal in ihren eigenen Ohren glaubwürdig klang. Gut gemacht. So besänftigte man einen Verrückten, der mit den Erlebnissen des Kriegs nicht klar kam und sich scheinbar nach Vergebung sehnte. „Im Krieg gelten andere Regeln“, fügte sie hinzu, bemüht, besänftigend zu klingen, auch wenn sie die Steifheit nicht los wurde. „Aber dieser ist nun vorbei. Du wirst sicher bald heimkehren können.“

  • "Das ist gut... wenigstens etwas", kam als Reaktion darauf das sie seine Entschuldigung annahm.


    "Ja der Krieg... aber du bist kein Soldat und die allermeisten die ich in den letzten Tagen hergebracht habe genauso wenig. Vorbei? Du warst noch nie in Germanien oder am Danuvius oder? Du hast nicht die vielen Tausend Toten Legionäre oben in Vicetia gesehen... der Exercitus ist durch diesen Krieg geschwächt. Das werden die Barbaren ausnutzen soviel ist sicher. Oh ja hier in Roma wird es bald wieder so sein wie früher... aber Frieden. Es wird etliche Jahre wenn nicht eine Generation dauern bis es an den Grenzen wieder ruhig sein wird. Das auch nur wenn wir jede Schlacht gewinnen und Palma länger Kaiser bleibt als sein Vorgänger... Das wird...",


    Arrghh


    Corvinus fasste mit der freien Hand wieder an sein Brust und massierte die Stelle über seinem Herz.


    "Was ist das verdammt?"

  • „Nein“, antwortete Seiana leise. Sie war kein Soldat. Sie war auch noch nie in Germanien oder am Danuvius gewesen. Natürlich nicht. Und sie hatte in diesem Moment auch nicht daran gedacht, wie es in den Provinzen wohl weiter gehen würde, nachdem der Bürgerkrieg erst mal beendet war – sie hatte einfach nur irgendetwas sagen wollen, was den Mann neben ihr einigermaßen bei Laune hielt. Aber irgendwie schien sie nicht so ganz den richtigen Ton oder das richtige Thema getroffen zu haben, oder beides. Nur: was sollte sie nun darauf sagen? Es kam wohl kaum in Frage mit ihm nun darüber zu diskutieren, wer Schuld war an diesem verdammten Bürgerkrieg. Wer im Unrecht war, und damit von vornherein erst gar keinen Krieg hätte anzetteln dürfen. Und darauf hinzuweisen, dass es ganz gewiss nicht sie gewesen war, die damit zu tun gehabt hatte, war auch müßig... genauso wie die Tatsache, dass er wohl nicht zu den Legionen hätte gehen dürfen, schon gar nicht in Germania, wenn ihm ein Krieg schon so die Sinne verwirrte. „Aber der größte Teil meiner Familie besteht aus Soldaten“, fügte sie schließlich, fast noch leiser, hinzu. Allein durch ihre Verwandten hatte sie genug mitbekommen, um doch zumindest in etwas zu wissen, wovon sie sprach.


    Als er sich dann plötzlich wieder an die Brust fasste und diese rieb, sah Seiana, nun etwas verwirrt, zu ihm hinüber. „Was ist?“ fragte sie unwillkürlich, und zum ersten Mal seit sie den Centurio gesehen hatte ohne allzu ausführlich darüber nachzudenken, wie sie wohl am besten reagieren sollte.

  • "Ich ... Ich weiß auch nicht... seit ein paar Tagen fühlt es sich an als ob mir ein Dolch im Herz steckt. Aber man sieht nichts....",


    Corvinus ließ Seianas Hand los und legte auch die zweite Hand an die Brust. Er krümmte sich zusammen und ließ ein kurzes Stöhnen vernehmen.


    Seianas Wachsoldaten sahen sich kurz an und runzelten die Stirn.


    Ein Zittern ging durch Corvinus Körper und hörte ganz plötzlich wieder auf. Er erhob sich und seine Augen waren nun irgendwie klarer. Einen Moment schaute er sich verwirrt um, ganz so als wüsste er nicht wo er war und neben wem er saß. Als er Seiana erblickte stand er sofort auf.
    "Decima Seiana.... ähm... wie geht es dir. Wie ich sehe scheinen die Vorwürfe gegen dich nicht so schwer gewesen zu sein?"

  • Seiana zog erleichtert ihre Hand zurück, als der Centurio sie losließ, und musterte ihn weiterhin verwirrt. Für einen Augenblick befürchtete sie ernsthaft, ob er nun gleich tot umfallen würde. Hin und wieder passierte das... Menschen bekamen Schmerzen in der Brust und starben. Nur hoffentlich, hoffentlich geschah das nicht jetzt diesem Mann. Am Ende würde ihr noch die Schuld gegeben dafür, wenn der Verrückte neben ihr starb, während er mit ihr redete. Gar nicht zu reden davon, dass man das wohl als ziemlich schlechtes Omen werten konnte – als würde es ihr und ihrer Familie zur Zeit nicht schon schlecht genug gehen.


    Dann allerdings änderte sich etwas in der Haltung des Centurios. Er schauderte kurz, bevor er sich umsah und schließlich aufstand, und von einem Moment zum anderen schien er ein anderer zu sein. Wesentlich klarer nun. Nicht mehr so... verrückt. Seiana war dieser plötzliche Wechsel fast genauso wenig geheuer wie es sein voriges Verhalten gewesen war, und sie traute dem auch nicht so ganz... aber immerhin wirkte er jetzt halbwegs normal, und wenn es so blieb, würde sie sich ganz sicher nicht beschweren. Sie erhob sich ebenfalls, kaum dass er aufgestanden war, und nutzte die Gelegenheit, unauffällig einen Schritt zurückzutreten, ein bisschen Distanz zwischen ihn und sich selbst zu bringen. „Das werde ich sehen, wenn Cornelius in Rom eintrifft, Centurio. Er entscheidet“, antwortete sie, ohne einen Grund dafür zu liefern, warum sie nicht wie die meisten anderen Gefangenen in einer Zelle im Carcer sitzen musste.

  • Cornelius...der neue Kaiser... der rechtmäßige Kaiser... wie lange war es noch her als der Legat seiner Legion in und die anderen Mitglieder der Secunda noch von diesem Mann erzählt hatte und sie geglaubt hatten das er der wahre Erbe war. Es kam ihm fast vor als ob das in einem anderen Leben gewesen wäre.


    Corvinus war ein wenig in Gedanken versunken bis ihm auffiel das er ja nicht alleine war.


    "Nun... keine Ahnung ob du es mir glaubst aber ich drücke dir die Daumen das du nicht zu viel zu Leiden hast nach seiner Entscheidung. Gelitten haben wir alle glaube ich erst einmal genug!"


    Er hob seinen Helm auf, fuhr sich mit der Hand noch einmal durch das Gesicht und setzte den Cassis dann mit Schwung auf. Bei festzurren des Lederriemens zuckte er kurz zusammen. Wie bei fast allen Legionären schnitt der Lederriemen unter dem Kinn in die Haut und da er den Helm in den letzten Tagen mehr auf als ab hatte war die Stelle, obwohl schon gut vernarbt, mal wieder aufgeschürft.
    Corvinus sah Seiana noch einmal an und schien mit sich zu ringen ob er noch etwas sagen sollte. Unbewusst rieb er sich wieder die Brust.
    "Nun... dann ich muss da noch ein paar Gestalten einsammeln und herbringen. Mögen die Götter für dich ein gutes Schicksal vorsehen Vale."


    Er grüßte sie, nicht mit einem militärischem Gruß aber doch sehr zackig, drehte sich um und ging davon. Umso weiter er sich entfernte umso mehr erweckte er wieder den Eindruck des Centurios der sie abgeholt hatte. Nur wer nah drann war würde seine wahre Verfassung sehen.

  • Immer noch wagte Seiana nicht wirklich, sich einfach so zu entfernen, und deswegen wartete sie, auch als er wieder abzudriften schien. Bis er schließlich wieder auftauchte aus seinen Gedanken... immer noch klar, wie sie mit leiser Erleichterung feststellte. „Danke“, murmelte sie auf seine Worte hin, und diesmal war sie sogar geneigt, ihm zu glauben, auch wenn ihr seine Wünsche nicht viel brachte. Es ging ihr weniger um sich, mehr um ihren Bruder... Sie bemühte sich, sich nicht allzu sehr damit zu beschäftigen. Wenn sie wirklich darüber nachdachte, was sie wohl erwarten mochte, was der Cornelius wohl entscheiden würde, wurde ihre Angst um Faustus zu groß.


    Sie bewegte sich ein bisschen, war doch zu langes Stehen auf der Stelle für ihre Fußsohlen nach wie vor zu unangenehm, und registrierte dann erleichtert, dass er seinen Helm aufsetzte. „Vale, Centurio... Mögen die Götter dich wohlbehalten in deine Heimat bringen“, erwiderte sie seinen Abschiedsgruß, und sah ihm hinterher, als er ging. Sie wurde nicht schlau aus dem, was da gerade passiert war. Aus dem, was sie da gerade mit dem Mann erlebt hatte... Irgendetwas schien da zu sein, irgendetwas belastete ihn, und das so sehr, dass er ihr innerhalb kürzester Zeit zwei völlig unterschiedliche Seiten gezeigt hatte – drei, wenn man bedachte wie er sich nun hielt, kaum dass er den Helm wieder angezogen hatte und davon marschierte. Und auch wenn sie letzteres für normal hielt, dass Soldaten sich durchaus anders benahmen, je nachdem ob sie nun privat oder offiziell verkehrten – ersteres war es ganz sicher nicht. Er war so... wirr gewesen. So sehr, dass sie sich nach wie vor nicht sicher war, ob er nicht vielleicht doch verrückt war. Und auch wenn das nicht ihr Problem war, schon gar nicht mehr seit er nun gegangen war, hing ihr dieses kurze Gespräch doch noch ein wenig nach, als sie sich wieder umwandte und von ihren Wachhunden zurück zu ihrem Zimmer bringen ließ.

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