Als der neue Imperator seine Rede beendete hatte, musste sich Macer kurz unwillkürlich fragen, ob der Mann früher auch immer so lang geredet hatte. Er konnte sich nicht wirklich daran erinnern, aber bei seinem schlechten Gedächtnis musste das natürlich nichts heißen. Aber auch wenn die Rede erstens lang und zweitens vom Aufbau her nicht unbedingt klassisch war, so machte sie auf Macer doch einen eher positiven Eindruck. Sie klag für ihn zumindest danach, als wenn der Imperator es ernst meinte mit der neuen Freiheit für den Senat, wenn er sich selber gleich mal die Freiheit für eine solche Rede nahm. Wobei Macer noch nicht ganz klar war, was er sich unter der Überprüfung der Rechte und Pflichten des Imperators vorstellen sollte und was davon zu erwarten war. Der Begriff einer Lex Imperio war ihm zwar geläufig, aber es blieb wohl abzuwarten, wie der neue Kaiser das auslegen würde. Sagen wollte er aber dazu nichts, auch wenn er als Consular vielleicht noch am ehesten das Wort hätte erheben können, sondern schaute sich stattdessen nur um, ob man nun tatsächlich sofort zum Capitol aufbrechen würde.
Der Beginn einer neuen Zeit
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Bis Cornelius seine Rede angefangen hatte, war Sextus der Meinung gewesen, selbst sehr viel geredet zu haben. Als der Cornelier endete, revidierte er diese seine Meinung.
Im Grunde war seine Rede inhaltlich der Inbegriff dessen, weshalb der Cornelier damals vor so langer Zeit für diesen Posten ausgewählt worden war. Sie hatten einen fähigen Mann ausgewählt, der den Senat wieder stärken würde, und genau das versprach der neue Imperator. Allerdings hoffte Sextus, dass er nicht zu freigiebig seine Macht gänzlich mit der Gießkanne verteilte, sondern durchaus noch ein wenig selektiver gegen später vorgehen würde. Insbesondere in einer ihm zuträglichen Richtung.
Doch für den Augenblick spendete Sextus artig Beifall und erhob sich auch, um sich dem Gang zum Capitol anzuschließen. Im Zweifelsfall würde er hierbei ohnehin noch in einer anderen Funktion aufzutreten haben – was gleichsam die Frage aufwarf, wie religiös der Cornelier denn war und wie genau er Zeichen gedeutet und erklärt haben wollte. Eventuell sollte er den Mann auf dem weg zu den Tempeln dezent fragen, weshalb sich Sextus unauffällig schon einmal in dessen Nähe postierte. -
Es schien zumindest niemand zu einer Gegenrede ansetzen zu wollen, und einige Senatoren erhoben sich von ihren Plätzen, so dass Cornelius Palma sich auch wieder aus der Mitte bewegte. Zunächst wechselte er kurz einige Worte mit dem Princeps Senatus, ob noch irgendwelche Dinge zu regeln waren, bevor alle die Curia verließen und kam dann zu Iunia Axilla, die seit der Verlesung des Testaments nicht mehr viel zu tun gehabt hatte und von der er nicht genau wusste, was sie vor hatte.
"Du begleitest uns zum Capitol? Oder hast du andere Pläne?"
Immerhin wollte sie vielleicht auch nach Hause oder ihren Mann treffen oder eben auch mit zum Capitol um den Göttern zu melden, dass sie den göttlichen Auftrag mit der Rettung des Testaments erfüllt hatte.
Später kam es Cornelius Palma dann sehr gelegen, dass sich Aurelius Lupus in seine Nähe geschoben hatte, denn ihn wollte er ohnehin sprechen, da ihm einige Lücken in den Reihen der Senatoren aufgefallen waren, bei denen er ihm vielleicht weiterhelfen konnte.
"Salve Aurelius! Es freut mich, dich wieder zu sehen, auch wenn unsere Bekanntschaft ja bisher nur kurz war. Kannst du mir etwas über den Verbleib unseres gemeinsamen Bekannten Flavius Gracchus sagen, den ich hier vermisst habe?"
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Während der ganzen folgenden Zeit, den Reden und der Abstimmung, gefolgt von einer außerordentlich langen Rede, hatte Axilla einfach nur stumm im Hintergrund gestanden. Sie versuchte, die Zeit nicht dazu zu nutzen, nachzudenken. Sie versuchte, den Worten zu folgen, das Geschehen aufzunehmen und sich darauf zu konzentrieren. Sie hatte wirklich versucht, im hier und jetzt zu bleiben. Wirklich.
Aber es gelang nicht.
Die Schuld, die sie schon lange getilgt zu haben glaubte, kam wieder. Vala war da draußen, er war keinen Steinwurf von ihr entfernt gewesen. Er lebte. Und so nach und nach drängten sich über diese Tatsache die fragen in Axillas Geist, die sie sich so sehr nicht mehr zu stellen wünschte.
War er noch da draußen? Dachte er manchmal noch an sie? Warum war er damals gegangen? Warum war er jetzt hier? Wusste er von Atticus? Würde er es sehen, wenn er ihren – seinen! – Sohn sah? Interessierte es ihn überhaupt? Was würde er tun, wenn er es wusste? Und wenn er es nicht wusste, hatte sie das Recht, es ihm nicht zu sagen? Was würde geschehen, wenn er es wusste? Was würde Imperiosus mit Atticus anstellen, wenn er es wusste? Was war mit ihrem Sohn? Wie würde er reagieren, wenn er es je erfuhr? Würde ihr Sohn den eigenen Vater erkennen, sollte er ihn einmal sehen?Es zerriss Axilla, zerrte an ihrem Gewissen, zeigte ihr einen Schmerz, den sie vergessen geglaubt hatte. Ihr war heiß, ihr war kalt. Sie wollte hier nicht sein. Sie wollte draußen sein, bei Vala. Nein, wollte sie nicht, sie wollte bei Imperiosus sein, sich erinnern, dass sie ihn liebte, dass sie glücklich mit ihm war. Nein, wollte sie auch nicht, nicht jetzt. Sie wollte zu ihren Kindern und sie wieder in die Arme nehmen und sie beschützen...
Axilla hatte gar nicht gemerkt, dass die Sitzung wohl beendet war. Nicht, bis Cornelius Palma wieder zu ihr kam und ihr eine Frage stellte. Sie blickte auf, in ihren Augen spiegelte sich wohl ein wenig des Leides, das sie empfand. Ihr tat alles einfach nur unendlich leid.
“Wenn du erlaubst, ich würde gerne nach Hause gehen.“ Ja, das wollte sie wirklich. An einen Ort, an dem sie sich sicher fühlte. Sie wollte einfach nur nach Hause. -
So kurz war ihre Bekanntschaft eigentlich nicht gewesen, Sextus war an allen treffen im Hause seines Patrones gewesen, bei denen der Cornelier auch war, und diese verteilten sich immerhin über mehrere Monate der Planung. Aber wer wollte hier Erbsen zählen? Vielmehr nahm Sextus durchaus positiv zur Kenntnis, mit dem jetzt auch offiziellen Kaiser des Römischen Reiches privat sprechen zu können, und das eben aufgrund ihrer früheren Bekanntschaft. Die er auszubauen gedachte.
“Meine letzten Nachrichten über meinen Schwager sind etwas älterer Natur. Nach meinem letzten Stand hält er sich mit seinem Sohn in der Nähe von Mantua auf, wo mein Vetter ihm Zuflucht gewährte.“ Im Grunde war der Flavier nicht sein Schwager, sondern der Cousin seiner Ex-Frau, aber auch hier galt das Prinzip der Erbsenzählerei. “Ebenso habe ich – etwas jüngere – Kenntnisse vom Verbleib von Tiberius Ahala, dem Sohn deines Freundes und meines damaligen Patrones Tiberius Durus. Wenn es dein Wunsch ist, setze ich dich hierüber gerne etwas ausführlicher ins Bilde, sobald deine Zeit es dir erlaubt. Ich denke, für den Moment könnte das alles recht weitläufig werden und du hast dringliche Pflichten.“
Natürlich war die Einlassung nichts anderes als der Versuch, dem Cornelier klar zu machen, dass man sich sehr gerne mit ihm noch einmal näher unterhalten würde, sowie ein Test dafür, wie dankbar er denn seinen damaligen Verbündeten nun, nachdem ihr Plan wenngleich etwas anders als angedacht zur Vollendung gekommen war, auch wirklich zu sein gedachte. All das ließ sich allerdings schwer zwischen Tür und Angel und in aller Öffentlichkeit besprechen. -
Bevor Iunia Axilla antwortete, dass sie nach Hause wollte, hatte Cornelius Palma nur wenig Gedanken daran verschwendet, wie der heutige Tag eigentlich ausklingen würde. Bisher hatte man einfach an jedem Abend, nachdem das Tagesziel erreicht war, ein Lager aufgeschlagen, gegessen, notwendige Dinge erledigt und hatte sich dann Schlafen gelegt, um am nächsten Tag wieder weiter zu ziehen. Heute hatten sie dagegen alle gemeinsam zum ersten Mal wieder einen Ort erreicht, an dem sie länger zu bleiben gedachten. Genauergesagt, hatten sie den Ort erreicht, der immer ihr Ziel gewesen war. Und an dem sie nicht in einem provisorischen Lager leben wollten. Es dauerte einen kleinen Augenblick, bis Cornelius Palma diesen Gedanken bewusst realisiert hatte und während der Gedanken nickte er nur leicht. Dann jedoch blickte er Iunia Axilla wieder festen Blickes an.
"Selbstverständlich erlaube ich dies, denn deine Anwesenheit hat mir schon so viele Dienste erwiesen, dass ich es kaum ablehnen kann. Wenn du es wünschst, kann ich dir einen Offizier und einige Männer zur Begleitung mitgeben. Der Wagen mit deinem Gepäck steht natürlich ohnehin weiter zu deiner Verfügung. Und ich gehe davon aus, dass dies heute nicht unsere letzte Begegnung war."
Große Abschiedsworte erübrigten sich daher, zumal die Aufbruchstimmung dafür auch keine Zeit ließ. Andere Gespräche drängten heran und erforderten die Aufmerksamkeit von Cornelius Palma. Aufmerksamkeit, die auch andere Senatoren spendeten, so dass er später auf die Erwiderungen von Aurelius Lupus nur sehr allgemein antworten konnte.
"Ich hoffe, dein letzter Stand trifft zu und Flavius Gracchus befindet sich wohl. Rom braucht jeden guten Senator in dieser Stunde. Und du hast Recht, dem Andenken an Tiberius Durus sollte die Zeit eingeräumt werden, die seine Verdienste gebieten. Ich beteilige mich gerne daran. Wenn du gestattest, würde ich dich gerne bitten, alles vorzubereiten. Wo befindet sich sein Sohn? Wann könnte er teilnehmen?"
Während des Sprechens lenkte er seine Schritte dem Ausgang der Curia zu, um die Prozession zum Capitol zu beginnen.
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“Ich hoffe es“ meinte Axilla halblaut nur, als der Kaiser meinte, dass dies nicht ihre letzte Begegnung war. Und es war auch die Wahrheit. Auch wenn Axilla nicht wusste, ob sie den Cornelier denn nun mochte oder ihm gar vertraute, sie brauchte ihn und seine Großmütigkeit noch, um ihren Söhnen eine angemessene Zukunft zu erschaffen. Sie brauchte seine Dankbarkeit, damit er Atticus zu gegebener Zeit zum Ritter machen würde, um damit seine Schuld gegenüber ihr auszugleichen. Sie wollte gar nicht einmal hoffen, dass seine Dankbarkeit auch reichte, um ihren Mann zu schützen oder gar in seinem Amt zu belassen.
Die andere Frage war da weitaus schwerer zu beantworten. Natürlich wollte Axilla nach dem Vorfall eben nicht auf eigene Faust ganz allein nach Hause gehen. Sie war ja nicht verrückt! Natürlich brauchte sie eine Eskorte. Aber wiederum stritten sich Schuld und Sehnsucht um ihr Gewissen, und der Wunsch, das zu verlangen, was sie von Herzen begehrte, ließ in gleichem Maße denSchmerz anwachsen, es zu tun. Dennoch hörte sie sich selbst einen Vorschlag machen, von dem sie wusste, dass sie ihn nicht machen sollte, dass es ein Fehler war und nur noch mehr Schmerz hervorbringen würde.
“Wenn du den Tribun Duccius, der draußen geblieben ist, vielleicht entbehren könntest... Seine Familie ist der meinen bekannt, und ein vertrautes Gesicht wäre nach dieser Zeit der Unruhe schön.“ -
Sextus war sich nicht ganz sicher, ob er auch hoffte, dass sein letzter Stand bezüglich des Flaviers zutraf oder doch eher nicht. Immerhin hatte er einen noch sehr lebendigen Sohn aus der Verbindung mit einer Flavia, was die Verbindung zu diesem Hause natürlich stärkte. Abgesehen natürlich von dem gemeinsamen Wissen um gewisse vergangene Ereignisse. Die Flavier hatten Einfluss und Macht, den konnte er zukünftig wohl noch immer nutzen, auch wenn die Aurelier im Moment keine sonstige Verbindung zu den Flaviern nach Flavius' Pisos Tod und dem von Flavia Celerina hatten.
Auf der anderen Seite war es umso besser, je weniger Mitwisser der Verschwörung sonst noch lebten. So musste er von der Belohnung weniger teilen und auch sonst galt es weniger zu koordinieren oder Rücksicht zu nehmen.
Alles in allem jedoch war es vermutlich die bessere Alternative, Flavius Gracchus gesund und munter bei Mantua zu wissen und den Einfluss der Flavier zukünftig zu nutzen. Dieser war letzten Endes wohl beständiger als eine Dankbarkeit eines Kaisers, die sich allzu deutlich gar nicht zeigen durfte.“Interessant, dass du es erwähnst. Ich hatte ohnehin vor, munera für meinen verstorbenen Patron abzuhalten, in jedem Fall mit ausgiebigen Gladiatorenspielen, wie es sienem stand gebührt. Vielleicht auch mit Wagenrennen, immerhin war er ein Anhänger der Veneta. Wenngleich meine Verwandten mehr der Aurata anhängen, wäre dies vielleicht auch eine Überlegung wert.
Ich möchte dich hierbei gar nicht bitten, dich zu beteiligen. Ich sehe es als eine letzte Pflicht gegenüber Tiberius Durus an, dies zu bewerkstelligen. Allerdings hoffe ich sehr auf deine wohlwollende Anwesenheit bei der ein oder anderen Gelegenheit.Was den Sohn Ahala betrifft, so wird es vermutlich einige Wochen dauern. Ich werde einen Boten nach Mantua schicken, dass du ihn zu sehen wünscht. Ich hoffe, in der Zwischenzeit wird es uns dennoch einmal möglich sein, noch ein privates Gespräch zu führen. Sofern deine Zeit dies erlaubt.“
Sextus hatte eigentlich nicht vor, zu warten, bis der Flavier und der Tiberier wieder aufgetaucht waren, ehe er mit seinem Verbündeten noch einmal sprach. Zumindest die ein oder andere Kleinigkeit würde er ohnehin gerne in deren Abwesenheit besprechen. Schon allein aus dem Grund, dass einige dieser privaten Wünsche nicht derartig lange warten sollten, sondern einer baldigen Umsetzung harrten."Für den Moment allerdings musst du mich, denke ich, kurzzeitig entbehren. Ich nehme doch an, dass auch am Capitol ein Haruspex benötigt werden wird, und hierfür würde ich mich dann doch... angemessener gewanden wollen. Achja, wie ausführlich bevorzugst du die Erklärung der gelesenen Zeichen, so die Götter welche senden? Ich will nicht mehr deiner kostbaren Zeit stehlen, als notwendig."
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Dass sich Iunia Axilla gleich einen bestimmten Tribun als Begleiter wünschte und dann auch noch einen anderen als den, der ihr auf dem Weg von Misenum nach Rom als Begleiter zugewiesen worden war, überraschte Cornelius Palma ein wenig, aber er hatte keinen Grund, ihr diesen Wunsch abzuschlagen. Zumal die Wahl gut begründet schien. Also stimmte er zu.
"Selbstverständlich. Ich lasse entsprechende Answeisung geben."
Auch später wurden Wünsche an ihn herangetragen, die er nicht abzulehnen gedachte, zum Beispiel der nach einem persönlichen Gespräch zwischen Aurelius Lupus und ihm.
"Das wird sich einrichten lassen. Ich fürchte, ich werde viele Gespräche führen müssen und eines mit dir wird mir dabei zweifellos ein angenehmeres sein. Und die göttlichen Zeichen dürfen ruhig ausführlich erläutert sein. Nicht umsonst gibt es eben kundige Männer wie dich, die diese verstehen und in die Sprache der Zuschauer übersetzen können."
Außerdem hatte er am heutigen Tage keine weiteren Pläne, wenn man von einem möglichst ruhigen Abendessen absah, so dass er keinen Grund zur Eile hatte.
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Eine ausführliche Erklärung wäre mal etwas neues. Aber Sextus störte sich sicherlich nicht daran, wenn er mit dem über Jahre des Studiums angeeigneten Wissen einmal ein wenig angeben konnte.
Hierfür galt es aber zunächst einmal, sich umzuziehen. Als sie also den Senat verließen, suchte Sextus wieder kurz seinen Helfer von zuvor und anschließend eine ruhige Ecke, um seine Rüstung nun gegen eine Gewandung zu tauschen, die ihm insgesamt doch deutlich lieber war.
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