Es wäre ja auch verwunderlich gewesen, wenn der erwartete Besuch pünktlich angekommen wäre, das musste sich Lucia immer wieder sagen. Durch Lepidus knappe, nicht besonders tiefgehende, aber doch irgendwie vielsagende Erzählung war die junge Tiberia fürchterlich neugierig auf den Besuch aus Ostia und konnte es kaum erwarten diesen Duumvir endlich kennen zu lernen. Lepidus hatte kein Alter genannt, also erwartete Lucia eher einen Mann in den ‚besten Jahren‘, mit grauen Schläfen und Fältchen um die Augen und auf der Stirn. Sie schritt ungeduldig im Atrium auf und ab und ließ den armen Mundschenk Gylippus sich immer wieder versichern, dass in der Küche alles zum Besten stand. Lepidus selbst hatte beschlossen die Zeit bis zur Ankunft seines Freundes sinnvoll zu nutzen und sich in sein Zimmer zurückgezogen, also wartete die arme Lucia ganz alleine und wurde von Minute zu Minute nervöser.
Endlich kam die junge Putzsklavin, welche Lucia auch für sich gewonnen hatte ins Atrium gelaufen. „Er ist da!“, verkündete sie freudig. Die junge Tiberia hatte die Sklavin sich so postieren lassen, dass sie die Sänfte würde ankommen sehen. „Und?“, fragte sie also nervös und die Sklavin begann zu berichten: „Eine schöne Sänfte hat er, muss ein wichtiger Mann sein. Hat einige Sklaven dabei und …“ Da hörten sie die Tür und die Sklavin verstummte. Mit einem Wink machte Lucia klar, dass sie sich unsichtbar machen sollte, obwohl die junge Frau gerne noch mehr gehört hätte, bevor sie dem Duumvir Aug in Aug gegenüberstehen würde. Rasch ließ sich Lucia auf einem kleinen Hocker nieder, neben dem auf einem Tischchen Erdbeeren in einer Schale standen. Daneben wartete zum Glück der Mundschenk Gylippus, der eben aus der Küche wiedergekommen war mit einem Tablett mit zwei Gläsern und einem Krug verdünnten Weines als mögliche Erfrischung. Nervös überprüfte sie noch einmal den Sitz ihrer modischen Frisur und strich nicht vorhandene Falten ihres Kleides glatt.
Stesichoros, der Ianitor, führte den Besuch ins Atrium und zog sich dann mit ehrerbietigen Verbeugungen wieder an seinen Posten zurück. Kaum dass der Iulier in Sichtweite kam, erhob sich Lucia auch schon elegant von ihrem eben erst eingenommenen Platz und schritt dem überraschend jungen Mann mit einem strahlenden Lächeln entgegen. „Willkommen, Marcus Iulius Dives! Ich freue mich Dich endlich kennen zu lernen. Mein Bruder hat schon so viel von Dir erzählt!“ Vor lauter Aufregung vergaß die junge Frau doch glatt sich vorzustellen.