Servitriciuum | Hora cenae.

  • Cenatio Servorum: In diesem langgestreckten Saal, der an die Küche angrenzt, nehmen die Sklaven der Villa Flavia ihre Mahlzeiten ein. Er ist sowohl Gegenstück zum als auch Gegenteil des eleganten Tricliniums der Herrschaften. Hier dringt nur wenig Licht hinein, Kochdünste haben sich an den angeschmutzten Wänden festgesetzt, und in der Luft liegt stets der abgestandene Geruch von altem Essen. Klobige Holztische und Bänke bilden das Mobiliar, zerkratzt, teils schon ziemlich wackelig, und fügen sich somit perfekt in das schäbige Gesamtbild dieses Raumes. Nichtsdestotrotz ist dieser Speisesaal noch immer deutlich weniger trostlos als das Nachtlager der Sklaven - das alte, aus Zeiten des Flavius Felix - und so finden sich hier auch außerhalb der Essenszeiten gelegentlich die weniger privilegierten Bewohner der Villa ein, wenn sie, selten genug, etwas freie Zeit haben.


    Die Herrschaften haben sich vor kurzem zu Tisch gelegt, um mit der cena die letzte Mahlzeit des Tages zu sich zu nehmen. Während Flavius Fusus in dieser Zeit von den bedienenden Sklaven mit versorgt wird, ist seiner Leibsklavin Vulpes die Gelegenheit gegeben, sich selbst ein wenig den Magen zu füllen. Zu diesem Zweck hat sie sich in die Sklavenunterkünfte begeben, um in der Cenatio Servorom eine Schüssel puls zu sich zu nehmen. Eine Standardportion hat sie sich bereits kurz zuvor in der angrenzenden Küche organisiert und schiebt sich mit selbiger beladen still und ruhig - wie man sie zumeist wahrnimmt - an einigen ihr entgegen kommenden Mitsklaven vorbei. Mehr als ein grüßendes Nicken oder einen knappen Gruß hat ihr bislang kaum jemand entlocken können. Eine gewisse Vorsicht und leichter Argwohn ist Vulpes' ständiger Begleiter im Kontakt mit ihr noch fremden Personen. Insbesondere hier, wo ihr die Zusammensetzung des Haushalts und die Gruppendynamik unter den Sklaven und Herrschaften noch unbekannt sind.


    Sie identifiziert ganz am Rand mit etwas Abstand zu den anderen einen freien Platz auf einer der Bänke an den langen Tischen und ist ganz froh darum, sich nicht in die unmittelbare Gesellschaft der sich in kleinen Grüppchen unterhaltenden Schicksalsgenossen begeben zu müssen. Fast schüchtern wirkend setzt sie sich still dort hin, nickt den anderen lediglich kurz zu und ist konzentriert sich zunächst mit demonstrativer Entschlossenheit auf ihr Essen. Ein wenig wie ein Fremdkörper wirkt die rothaarige junge Frau, während sie ihr Mahl langsam und bedächtig ganz allein zu sich nimmt - einen Löffel nach dem anderen - und die meiste Zeit in ihre Schüssel hinein starrt. Allerdings schaut sie auch immer wieder für längere Zeit auf, um die anderen Sklaven zu mustern und zu beobachten - wie eine sehr vorsichtige, auf der Lauer liegende Füchsin.

  • Unter vielen und doch allein – auch nach einigen Wochen, in denen ich nun hier war, hatte sich daran nur wenig geändert. Noch immer fühlte ich mich als Fremdkörper unter den anderen Sklaven, zu denen ich nur schwerlich Kontakt fand. Viele von ihnen waren als Sklaven geboren oder hatten kaum noch Erinnerungen daran, wie es war, frei zu sein. Einige wenige, mit denen ich schon zu tun hatte oder die in der Unterkunft neben mir das Lager teilten, kannte ich mit Namen. In den Augen der meisten, die mich überhaupt zur Kenntnis genommen hatten, war ich ein Sonderling, weil ich nicht so war wie sie. In mir brannte noch immer die Sehnsucht nach Freiheit, denn ich wusste, eines Tages würde ich dieses Haus wieder als freier Mann verlassen.


    Immer wenn ich den Speisesaal betrat, trafen mich daher auch die Blicke derer, denen ich suspekt erschien und die mich als eine Bedrohung ansahen, da sie glaubten, ich könnte ihrem geruhsamen Leben als Sklaven Schaden zufügen. Manche tuschelten hinter meinem Rücken, doch solange sie mich in Ruhe ließen, störte mich dies kaum.
    Nach diesem Art Spießrutenlauf holte ich mir immer ein Schälchen Puls ab und verzog mich dann in die hinterste Ecke, wo ich dann meistens alleine saß, mein Essen zu mir nahm und danach wieder verschwand.


    An diesem Tag schien sich daran nicht viel zu ändern. Wie immer holte ich meine mit Puls gefüllte Schale ab, sah mich nach einem freien Platz um und wollte schon einen unbesetzten Tisch ansteuern. Da fiel mir, einem Signalfeuer gleich, der rote Haarschopf ins Auge. Die kleine stumme Füchsin, die ich vor einigen Tagen im Garten getroffen hatte! Da saß sie nun und aß, doch ihre aufmerksamen Augen schienen ihre Umgebung nicht außer Acht zu lassen.
    Kurzum entschloss ich mich, zu ihr hinüber zu gehen. Vielleicht würde ich sie heute zum Sprechen bewegen können. Denn auf eine besondere Art hatte sie mein Interesse geweckt. Vielleicht lag es an ihrer Erscheinung, die mich unweigerlich an die Frauen meiner Heimat erinnerte.
    "Darf ich mich zu dir setzen?", fragte ich sie, als ich vor ihrem Tisch angekommen war. Wie schon vor einigen Tagen hatte sie mich mit ihrem Anblick gefangengenommen und ich konnte nicht davon ablassen, sie anzustarren und dabei, wie abwesend zu lächeln.

  • Schon früh hat Vulpes den britannischen Sklaven entdeckt und seinen Weg aus den Augenwinkeln mitverfolgt. Obgleich man einander zu einer anderen Gelegenheit bereits gegenüber stand, und zumindest sie so einiges aus seinem Mund vernehmen konnte, stellt auch Angus für sie einen unbekannten Faktor dar. Allerdings kann sie insgeheim nicht leugnen, dass sein teilweise rebellisches und widerspenstiges Verhalten sie einerseits irritiert und andererseits gleichzeitig eine Art Neugier geweckt hat. Zusätzlich rufen diese Eindrücke bei ihr allerdingsa uch eine gesteigerte Wachsamkeit und Vorsicht hervor. Längst hat die eingefleischte flavische Sklavin gelernt, dass eine so forsche Rede gegenüber der Herrschaft, wie sie der Britannier geführt hatte, für gewöhnlich zu unangenehmen Konsequenzen führte.


    Mithin fokussieren sich ihre grünblauen Augen wachsam auf ihn und versuchen mit großer Aufmerksamkeit in seiner Mimik zu lesen. Ihren Löffel lässt Vulpes dabei niedersinken, sodass er in der noch zu guten zwei Dritteln gefüllten Schüssel zum Ruhen kommt. Als würde sie sich vorab ein Urteil bilden wollen oder seine Absichten in seinen Gedanken zu lesen, dauert es ein paar stille Sekunden, ehe zunächst wiederum nur stumm nickt und damit ihr Einverständnis gibt. Weiterhin sieht sie Angus jedoch forschend an und meint schließlich, nach einer weiteren Pause:
    "Es ist keine Perücke. Ich habe diese Haarfarbe von meiner Mutter geerbt."
    Die Erklärung ist sehr nüchtern und sachlich vorgebracht und entspricht wohl der Antwort auf die Frage, die sie zumeist im Anschluss an so neugierg-verwunderte Blicke wie die von Angus gestellt bekommt. Ihre Stimme ist für eine Frau eher etwas tiefer und durchaus wohlklingend. Sie spricht ein sehr 'sauberes' Latein, welches dem der Flavier in nichts nachsteht. Ihre knappe Formulierung lässt darauf schließen, dass sie tatsächlich kaum mehr spricht als ihr unbedingt notwendig erscheint.

  • Auf ihr Nicken hin, nahm ich Platz, stellte das Schälchen von mir auf dem Tisch ab und begann die breiige Masse in mich hinein zuschaufeln. Der Puls schmeckte zwar nach ranzigem Fett, aber ich hatte Hunger. Da machten mir sogar die Fischabfälle wenig aus, die heute als Proteinbeigabe herhalten mussten.


    Eigentlich hatte ich gar nicht mehr damit gerechnet, in diesem Leben noch erfahren zu können, wie ihre Stimme klang. Doch dann sagte sie etwas. Es war zwar nicht viel und ich verstand erst nicht, worauf sie hinaus wollte. Den Löffel, den ich bereits zielstrebig zu meinem Mund geführt hatte, sank wieder zum Schälchen zurück. Einen Moment sah ich sie ausdruckslos an, bis sich das Gesagte gesetzt hatte. Ihre Stimme, sie klang anders als ich sie erwartet hatte.Aber in gewisser Weise passte sie zu ihr.


    „Ich hatte nichts anderes erwartet,“ meinte ich nur und aß weiter.
    Ich spürte, wie ihre Augen weiter auf mir ruhten. Davon ließ ich mich aber nicht vom Essen abhalten. Ein Paar Löffel später, mit meiner Zunge versuchte ich meine Zähne von den Resten des Pulses zu befreien, sah ich wieder zu ihr auf und betrachte sie mir. „Deine Mutter… woher stammt sie?“, fragte ich beiläufig. Im Grunde hoffte ich darauf, dass sie meine Vermutungen bestätigen würde, dass sie oder zumindest ihre Mutter aus meiner Heimat stammte. Zwar hatte ich keinen blassen Schimmer, was mir das letztlich bringen würde… Wahrscheinlich würde ich dann sentimental werden und wieder an zu Hause denken müssen.

  • Vulpes führt soeben wieder einen sparsamen Happen zum Mund, da hält sie knapp vorher leicht verwundert kurz inne. Nach einem flüchtigen Zögern isst sie dann allerdings weiter und lässt sich die Angelegenheit durch den Kopf gehen, während ihre Augen nun wieder auf ihre Schüssel gerichtet sind. Sie isst sehr langsam und bedächtig. Dies hat sie sich bereits vor Jahren angewöhnt, um auch in Zeiten, in denen man ihr aus welchen Gründen auch immer nur geringe Rationen zuteilt, zumindest ein größtmögliches Sättigungsgefühl zu erlangen.
    "Wenn du nichts anderes erwartet hast, dann muss wohl etwas anderes deinen Argwohn geweckt haben. Ich habe sehr wohl bemerkt, dass du mich beobachtest."
    Diese Feststellung formuliert sie wiederum sehr sachlich und vorsichtig, sich ihre Worte zuvor genau überlegend. Ihren nächstbesten Verdacht wagt sie jedoch nicht in Worte zu fassen. Womöglich hat Angus die Bekanntschaft des Vilicus trotz seiner Worte (im Hortus) bereits gemacht und tritt ihr daher mit einem gewissen Misstrauen entgegen. Statt sich diesbezüglich weiter zu äußern, lädt Vulpes also eine weitere Portion auf ihren Holzlöffel und meint dabei:
    "Meines Wissens stammt sie aus den nördlichen Regionen des Römischen Reiches. Aus Britannia."
    Beiläufig lässt sie ihren Blick wieder einmal lauernd durch den Raum schweifen, um auch das Tun der restlichen Sklaven nicht gänzlich aus den Augen zu verlieren. Dann erst führt sie ihren Löffel an die Lippen und isst.

  • Mit dem Löffel versuchte ich die letzten Reste des Pulses dem Schälchen abzuringen. Den so nur mäßig beladenen Löffel führte ich anschließend zum Mund, in dem dann auch der klägliche Rest eines noch kläglicheren Mahles verschwand. Fürs Erste war ich gesättigt. Mein Gegenüber indes schien aus diesem Fraß ein wahres Festmahl zelebrieren zu wollen, langsam und bedacht löffelte sie den Brei und sah dabei immer wieder auf, um ihr Umfeld nicht aus den Augen zu verlieren.


    „Argwohn?“ Ich verstand nicht ganz. „Ich hege keinen Argwohn gegen dich! Ganz und gar nicht!“ Mit dem Misstrauen, das sie mir entgegenbrachte, konnte ich nun gar nichts anfangen. Wie kam sie da bloß drauf? Und überhaupt, warum glaubte sie, ich würde sie beobachten. Man konnte fast meinen, sie glaubte, ich wollte ihr etwas Böses.
    „Es stimmt, du bist mir wegen deiner Haare aufgefallen. Aber im positiven Sinne.“
    Da meine Portion längst aufgegessen war, starrte ich in das leere Schälchen, welches vor mir stand, nur um Vulpes nicht anschauen zu müssen. Offenbar gefiel ihr das nicht und ich wollte nichts falsch machen. Die Sklavin machte auch so schon einen sehr verschlossenen und undurchdringbaren Eindruck, da wollte ich sie nicht auch noch ganz verschrecken. Erst als sie nach einer Weile wieder das Wort ergriff, sah ich zu ihr hoch. An ihrer Antwort erkannte ich schon, dass sie weder die sanften grünen Hügel des Südens, noch die majestätisch emporwachsenden Berge des Nordens gesehen hatte. Wenn überhaupt kannte sie Albion nur vom Namen her.


    „Hab ich´s doch gewusst! Britannia!“, rief ich überschwänglich, und zugegebenermaßen recht unüberlegt. Alles um uns herum war kurzzeitig in eine Art Stasis gefallen und blickt nun zu uns herüber. Wahrscheinlich hatte ich sie nun endgültig mit meiner Plumpheit abgeschreckt. Sie, die Einzige, die für mich eine Art Verbindung zu meiner Heimat darstellte, hier in der Fremde.
    „Aber du warst niemals dort gewesen, stimmt’s?“, setzte ich ein paar Wimpernschläge später in einer wesentlich gemäßigteren Lautstärke nach.

  • Es ist im Grunde natürlich ihr eigener Argwohn, den sie gegenüber jedem Fremden anfänglich hegt, den Vulpes hinsichtlich ihrer Ausgangsvermutung auf Angus projiziert hat. Daher wirken seine Worte für sie auch nur teilweise als Entwarnung und sie mustert ihn wiederum skeptisch, dieses Mal etwas länger. Zwar hat sie sich mental noch nie sonderlich intensiv mit Lust und Liebe auseinandergesetzt, doch sind diese Aspekte der Sklavin natürlich nicht gänzlich unbekannt. Von den sehr wenigen Verehrern an den vorigen Stationen ihres Lebens hatte sie allerdings noch keinen erhört, soweit diese sich nicht ohnehin schon von ihrer reservierten Art hatten abschrecken lassen. Für eine geeignete Antwort braucht sie daher einige Augenblicke und meint schließlich, sehr vorsichtig formulierend als wäge sie jedes Wort einzeln ab:
    "Im positiven Sinne? Dann... danke ich für das Kompliment... schätze ich."


    Verschrecken lässt Vulpes sich so schnell allerdings nicht und ist auch nicht gerade von ängstlicher Natur, sondern einfach nur sehr distanziert und vorsichtig. Sie blinzelt auf seinen kurzen Ausbruch hin überrascht, sieht sich ebenfalls flüchtig nach den anderen Sklaven um und meint dann ruhig:
    "Nein, ich bin niemals dort gewesen. Auch sonst verbindet mich nicht viel mit meiner Mutter. Sie hat mich lediglich geboren. Ich stamme aus der flavischen Zucht bei Baiae. Für meine Erziehung und Ausbildung waren andere Sklaven zuständig."
    Das ist dann auch so kühl und nüchtern formuliert auch schon fast alles, was es zu ihrer Lebensgeschichte an wirklich wichtigen Eckpunkten zu erklären gibt. Eine Aufzählung ihrer Fähigkeiten wäre vielleicht noch eine relevante Ergänzung gewesen, diesem Anlass aber wohl kaum angemessen. Sie selbst kann an ihrem Werdegang ganz offensichtlich nichts schreckliches sehen, denn ihrem Tonfall nach hätte sie ebenso gut eine Einkaufsliste herunterbeten können. Etwas freundlicher gestaltet sich dann doch die noch angehängte Nachfrage an Angus, deren Anlass sich in seinem Ausbruch fand:
    "Verbindet dich etwas besonderes mit Britannia?"


    Langsam und bedächtig isst sie weiter ihren geschmacksneutralen Brei und ist tatsächlich ganz zufrieden mit diesem Essen. Denn mit kaum Geschmack geht schließlich auch kaum ein negativer Geschmack einher.

  • Ich war mir bereits gewiss, schon wieder das Falsche gesagt zu haben oder noch schlimmer, irgendetwas, was mir im Moment gar nicht bewusst gewesen war, falschgemacht zu haben. Wie sonst hätte ich es mir erklären sollen, warum sie mir so lange eine Reaktion auf das Gesagte vorenthielt? Offenbar hatte ich noch viel zu lernen, im Umgang mit ihr und wahrscheinlich auch noch mit den meisten Sklaven, die hier lebten.


    „Keine Ursache!“, entgegnete ich ihr schließlich. „Als ich dich zum ersten Mal sah, da musste ich einfach an zu Hause denken. Vielleicht habe ich dich deshalb so angestarrt. Bitte verzeih mir, aber…“ , fügte ich fast schon entschuldigend an. Mir dünkte, sie hatte noch nicht allzu viel Erfahrung in zwischenmenschlichen Dingen. Vermutlich war sie es einfach nicht gewohnt, dass jemand freundlich zu ihr war. Als sie dann nach einer Weile auf meine Frage antwortete, schien sich meine Vermutung auf ziemlich abscheuliche Weise zu bestätigen. Spätestens als sie das Wort „Zucht“ verwandte, um mir damit ihre Herkunft zu erklären, setzte es bei mir aus. „Zucht?“ Ich war einen Augenblick sprachlos! „Du stammst aus einer Zucht?!“ Nein, ich wollte es nicht glauben, was ich da hörte. „Vulpes, du bist ein Mensch, kein Tier! Menschen stammen nicht aus einer …Zucht, selbst dann nicht, wenn sie als Sklaven geboren wurden. Das ist einfach…“ Kopfschüttelnd hatte ich mich in Rage geredet, konnte mich aber noch rechtzeitig bremsen, so dass sich nicht wieder der halbe Speisesaal nach mir umdrehte. „Aus diesem Grund hasse ich die Römer!“, fügte ich fast flüsternd hinzu, immer noch schockiert darüber, was sie mit uns machten. Schließlich brachte mich ihre Frage wieder zurück und ermöglichte es mir, meine Wut wenigstens für kurze Zeit herunterzuschlucken.
    „Ja, mich verbindest etwas mit Britannia,“ antwortete ich ihr lächelnd und dabei standen mir beinahe die Tränen in den Augen. „Ich komme von dort. Da war meine Heimat…“ Wieder starrte ich in die leere Schale. Doch diesmal geschah es nicht, um Vulpes nicht zu verunsichern. Eher aus einem Wunsch heraus, mich und meine Trauer vor ihr zu verstecken.

  • Zunächst widmet Vulpes sich ganz ruhig und bedächtig weiter ihrem Mahl. Löffel um Löffel führt sie von der optisch unattraktiven Pampe zum Mund und isst den Mehlbrei mit der kargen Einlage. Wenn er auch sonst nichts sein mag, dann zumindest einigermaßen sättigend. Die Erklärung des Sklaven scheint ihr einleuchtend und so nickt sie auf seine Worte, lächelt sogar kurz versöhnlich.
    "Es ist in Ordnung. Mir ist kein Schaden entstanden."
    Tatsächlich ist für die Sklavin die Angelegenheit damit auch vorerst geklärt. Weder grübelt sie weiter über sonstige Motive nach, noch legt sie ihm das kleine Missverständnis in irgendeiner Form zur Last.


    Das Entsetzen des Briten scheint sie jedoch sehr zu überraschen. Ihre blaugrünen Augen weiten sich leicht und sie starrt ihn verwundert an, während er sich über ihre Herkunft echauffiert. Es klingt anfangs fast ein wenig zaghaft, als sie daraufhin wieder das Wort ergreift. Während des Sprechens festigt sich ihr Tonfall wieder und je länger in einem Zug die Sklavin spricht, desto mehr kommt ihre zum Vorlesen ausgebildete, angenehme Stimme zur Geltung.
    "Aber doch, so ist es. Ich stamme aus einer Zucht. Es entspricht den Ansichten vieler Flavier, dass Blut und Abstammung mit gewissen Eigenschaften einher gehen. Aus diesem Grund hat man begonnen besonders gute Sklaven für die Zucht zu verwenden. Das ist doch eine gute Sache, nicht wahr? Demnach müsste ich die besten Eigenschaften meiner beiden Elternteile, die jeweils sorgfältig ausgewählt wurden, ineinander vereinen."
    Tatsächlich empfindet Vulpes diese Argumentation selbst als sehr logisch und nachvollziehbar, kann nicht direkt etwas unwürdiges oder schlechtes daran finden. Solche Ideale wie Freiheit und Selbstbestimmung waren noch nie Bestandteil ihres Selbstverständnisses gewesen. Folglich sieht sie ihn auch weiterhin etwas verwundert mit großen Augen an, dass er diese Vorzüge der Sklavenzucht nicht einsehen mag.
    "Deswegen musst du die Römer nicht hassen, Angus. Ich bin zufrieden und habe ein gutes Leben. Ein besseres, als ich es in Freiheit haben könnte."


    Ein weiteres Mal lächelt sie vorsichtig, all dieser Ausbruch von Emotionen verwirrt Vulpes ein wenig und so versucht sie die Wogen zu glätten.
    "Deine Heimat, tatsächlich? Ist es in Britannia wirklich so kalt und nass, wie man sich erzählt? Wie lange bist du schon in Rom?"
    Spätestens jetzt dürfte wohl klar sein, dass sie im Grunde gar nichts über die ursprüngliche Heimat ihrer Mutter weiß.

  • Ich wollte nicht glauben, was ich da hörte! Sie beharrte weiter darauf, dass es doch etwas Gutes sei, einem Pferd oder Ochsen gleich, aus einer Zucht zu stammen. Offenbar hatte man es ihr so oft eingeredet, bis sie nun selbst daran glaubte. Wieder fehlten mir einfach die Worte. Ich konnte nicht verstehen, dass sie die Unfreiheit als etwas Selbstverständliches ansah.
    „Wenn du sagst, du stammst aus einer Zucht, dann bedeutet das doch, man hat deine Eltern gezwungen … sie haben nicht freiwillig… verstehst du?“ Anfangs hatte ich geglaubt, ich könne ihr auf diesem Wege veranschaulichen, wie abscheulich es war, gezüchtet zu werden, doch je mehr ich sagte, umso mehr wurde mir bewusst, wie sehr ich sie damit kränken konnte, mit dem was doch eigentlich ganz offensichtlich war - sie war kein Produkt der Liebe, sondern war entstanden, weil man zwei Sklaven genommen hatte und sie miteinander gemischt hatte.
    Augenscheinlich war sie aber damit zu Frieden. Natürlich! Sie hatte ja auch nie etwas anderes erlebt. Sie wusste nicht, wie Freiheit schmeckte. Sie hatte keine Ahnung davon, wie befriedigend es war, von dem zu leben, was man sich selbst geschaffen und erarbeitet hatte. Bisher hatte sie nur anderen gedient und war dabei nur mit Essensresten abgespeist worden.
    „Aber sieh doch, was sie dir und mir antun! Sie haben meine Familie auf dem Gewissen, meine Frau und meinen Sohn. Sie haben einen aus unserem Dorf mit ihren Verlockungen so verblendet, dass er seine eigenen Leute verriet. Und du sagst, ich solle sie nicht hassen?!“ Ich versuchte sie davon zu überzeugen und senkte dabei wieder meine Stimme, damit wir am Ende nicht noch ein paar ungebetene Zuhörer hatten, die uns womöglich bei einem der Flavier anschwärzten.


    Ein zaghaftes Lächeln konnte ich auf einmal in ihrem Gesicht erkennen, als sie wieder zu mir sprach. Ich sah zu ihr auf. Allein das war mir schon ein kleiner Trost, ihr Lächeln und der Blick in ihre schönen grünen Augen. Auch wenn sich mein Verdacht bestätigte, dass sie Albion nicht einmal ansatzweise kannte.
    „Naja, im Sommer ist es nicht so heiß, wie hier und es regnet auch öfter. Aber dafür sorgt der Regen für saftig grüne Wiesen, auf denen unser Vieh alles findet, was es braucht. Das Wasser der Bäche und Flüsse ist vom Moor braun gefärbt. Mit etwas Glück kann man darin fette Lachse fangen.“
    Meine Augen begannen zu leuchten, als ich ihr zu berichten begann. Ich würde alles geben wollen, um wieder dorthin zurückkehren zu können. Eines Tages…
    „Aber kalt? Nein. Die Winter sind meist mild. Natürlich fällt auf den Bergen Schnee, aber unten im Tal, hält er sich meistens nicht lange. In den Eichenwäldern gibt es genug Holz und auch der getrocknete Torf sorgt für eine warme Hütte im Winter.“ Vor meinem inneren Auge sah ich wieder unsere Hütte, erkannte Aislin, die gerade das Essen zubereitete und den Kleinen, der am Boden saß und spielte.

  • Schließlich kratzt auch die Sklavin den letzten Rest aus ihrer Schüssel und isst diesen ebenso bedächtig wie die volleren Löffel zuvor. Währenddessen hört sie Angus zu, während dessen Schilderungen ihr teilweise die Verwirrung deutlich ins Gesicht schreiben. Schließlich leckt sie sich die Lippen sauber und entgegnet dann: "Aber das ist doch etwas ganz alltägliches. Weißt du denn nicht, dass gerade auch die Angehörigen der oberen Schichten Roms sich in den seltensten Fällen selbst aussuchen, mit welchem Ehegatten sie eine Familie gründen? Auch bei ihnen diktieren andere Kriterien als die einer flüchtigen Emotion, mit wem sie sich zwecks Ehe und Fortpflanung verbinden. Es geht um günstige Verbindungen, welche die Reputation und den Einfluss der Gentes fördern können. Vom Grundsatz her kann ich da keinen allzu großen Unterschied zur Lage meiner leiblichen Eltern und der anderen Zuchtsklaven erkennen. Allein dass die Sklaven nicht für den Rest ihres Lebens aneinander gebunden sind."
    So resümiert sie sehr nüchtern und von logischen Schlussfolgerungen getrieben über ihre Zeugung und deren Umstände.


    Als Angus sein persönliches Schicksal und das seiner Familie anspricht, runzelt sie nachdenklich die Stirn. "Das... Das tut mir sehr leid für dich. Und natürlich für deine Frau... und deinen Sohn." Sie zögert etwas, beißt sich dabei nachdenklich auf ihre Unterlippe und will sich eigentlich nicht zu recht zu einer etwaigen Rechtfertigung äußern. "Du wirst vermutlich auch selbst besser wissen, ob diesen Übergriffen eine längere Geschichte gegenseitiger Differenzen voranging oder eine Provokation von der anderen Seite diese ausgelöst hätte... Ich bin allerdings zu wenig bewandert in politischen Angelegenheiten, als dass ich hinreichend über die Bestrebungen Roms an seinen Grenzen bescheid wüsste um mir ein wirkliches Urteil zu erlauben." Sie spricht vorsichtig und versucht seine Gefühle nicht zu verletzen, obwohl sie nicht im Stande ist seiner Argumentation zu folgen und Rom als hasserfülltes Volk von Eroberern darzustellen.


    Ihren Löffel hat Vulpes inzwischen in die leere Schale gelegt und legt ihre Hände auf dem eigenen Schoß zusammen. Wachsam blickt sie zu Angus und mustert interessiert und aufmerksam die an ihm sichtbaren Veränderungen, als er von seiner Heimat spricht. Ein vorsichtiges Lächeln ihrerseits begleitet ihn auf seiner mentalen Reise. "Ich versuche es, doch ich kann es mir nur schwerlich vorstellen. Ein Lachs ist eine Sorte Fisch, nicht wahr? Es klingt nach einer ganz anderen Welt als der hier, in Italia. Zwar habe ich in meinem Leben schon verschiedene Landgüter, Orte und Städte gesehen, doch in die römischen Provinzen hat mich noch keine meiner Herrschaften mitgenommen. Wie gefällt es dir denn - abgesehen von deinem Widerwillen gegen die Sklaverei - in Italia und der ewigen Stadt selbst?"

  • Eigentlich hätte ich es mir denken können, dass sie sofort alle meine Einwände nahm und sie vor meinen Augen, Stück für Stück demontierte. Sie gab nur das wieder, was man ihr alle die Jahre über eingepflanzt hatte und ich machte ihr deswegen auch gar keine Vorwürfe. Wie hätte sie anders argumentieren können, wenn sie doch nichts anderes kannte!


    „Es ist mir egal, was die Angehörigen der oberen Schichten tun oder auch nicht tun. Doch auch wenn zwei Menschen zueinander finden, weil ihre Eltern es so wollten, kann es passieren, dass dabei Liebe entsteht. So war es damals bei meiner Frau und mir. Deine Erzeuger jedoch haben sich zusammengefunden, weil man es ihnen befohlen hat und sie sind auch wieder auseinandergegangen, weil man es ihnen befohlen hat. Es tut mir leid, Vulpes, daran kann ich nichts Gutes finden.“ Das gehörte wohl auch zu den Dingen, die ich niemals lernen würde und ehrlich gesagt, wollte ich sie niemals lernen. Selbst dann, wenn man mich eines Tages dazu zwingen sollte…


    Fast schon hatte ich geglaubt, ich hätte an ihr doch noch so etwas, wie einen menschlichen Zug entdeckt, als sie sich betroffen zu meinem Verlust äußerte. Ich war ihr sehr dankbar für die tröstenden Worte, die sie fand und nickte ihr zu. Doch dann zögerte sie, bevor sie weiter sprach. Mein Blick ging nach oben zu ihr und das, was aus ihrem Mund kam, hörte sich plötzlich für mich wie eine Fremdsprache an. Eine Fremdsprache, deren Bedeutung ich nicht verstand und in der kein Platz für Gefühle war. Es war die Sprache der Römer, genauso sprachen sie – ich hatte es selbst erlebt.
    „Ja, sicher“, antwortete ich nur und ließ es dabei bewenden. Ich wollte sie nicht gegen mich aufbringen. Innerlich jedoch begriff ich, dass Vulpes zwar hier bei mir saß, doch meilenweit von mir entfernt war und ich bezweifelte, ob wir es jemals schaffen würden, diese riesige Distanz zwischen uns bewältigen zu können.
    Die betretene Stille, die nun zwischen uns entstand, war schier unerträglich für mich. Ich hätte ihr noch so viel sagen, sie überzeugen wollen, dass es falsch war, was mit uns geschah, aber ich konnte nicht.
    Schließlich brach sie die Stille und endlich kam wieder die wahre Vulpes zum Vorschein, die sich mit einem vagen Lächeln vorzustellen versuchte, wie es in dem Land sein mochte, aus dem ihre Mutter stammte. Auch ich reagierte wieder versöhnlicher und wollte einfach vergessen, worüber wir uns bisher unterhalten hatten.
    „Ja, genau! Er lebt in unseren Flüssen, dann zieht er ins Meer hinaus und am Ende seines Lebens kehrt er in seine alte Heimat wieder zurück um dort führ seine Nachkommenschaft zu sorgen.“ Als ich ihr dies erklärte, kam ich mir selbst vor, wie einer dieser Lachse, der hinaus in die Fremde schwimmt, um eines Tages… am Ende seines Lebens, wieder zurückzukehren.
    „Ja, es ist ganz anders,“ bestätigte ich ihr nachdenklich und ich wurde erst durch ihre Frage aus meinen Gedanken gerissen. „Ich habe noch nicht viel von der Stadt oder dem Land gesehen. Bisher durfte ich nicht die Villa verlassen. Nur das, was auf dem Weg von Britannia bis hierher lag, als sie mich herschafften. Aber das war nicht viel.“ Und in Ketten gelegt hatte mir einfach der Sinn dafür gefehlt, die Schönheiten der vorüberziehenden Landschaft zu genießen.

  • "Wenn du auch nichts Gutes daran findest, bedenke ob es wirklich so negativ ist, wie es dir für den Moment erscheint. Keinem meiner Eltern wurde dabei ein nennenswerter Schaden zugefügt. Es gibt doch weitaus schlimmere und schlechtere Aufgaben, die einem Sklaven oder einer Sklavin zufallen können." versucht Vulpes doch noch einmal zwischen ihrer so unterschiedlicher Ansichten hinsichtlich der Sklavenzucht zu vermitteln.


    Die Rothaarige runzelt nachdenklich die Stirn, während sie Angus' Argument durchaus aufmerksam lauscht. "...Liebe?" meint sie schließlich mit leicht skeptischem Unterton. Das Konzept ist ihrem Wesen und ihren bisherigen Erfahrungen noch ziemlich fern. "Ich habe davon gehört, dass dieses Gefühl eine durchaus angenehme Erfahrung sein soll, das Leben aber auch unnötig verkomplizieren kann." Ihre Augen verengen sich leicht zu schmaleren Schlitzen, während sie in ihren Erinnerungen nach Beispielen sucht. Spontan findet sie jedoch keines, was sie als der Situation adäquat identifizieren würde. Schließlich seufzt sie nur leise und zieht ratlos die Schultern hoch. "Es scheint mir nur... einfacher... möglichst keine falschen Vorstellungen hinsichtlich meiner persönlichen Perspektive zu entwickeln." Nachdenklich schürzt sie ihre Lippen und sieht fast ein wenig verlegen in die leere Schale vor sich. Gewiss ist Sklaven die Liebe (bzw. was auch immer man jeweils darunter verstehen mag) keineswegs verboten, erfüllt jedoch auch keinen rationalen Nutzen und fällt für die vernunftgesteuerte Vulpes daher in die Kategorie unnötigen, ihre Leistung potenziell negativ beeinträchtigenden Beiwerks.


    Nicht weniger als Angus begrüßt sie indes das scheinbar weitaus weniger empfindliche Thema seiner Heimat. Vulpes schaut wieder auf und hört aufmerksam zu. "Ich fände es schön, wenn mein Herr mich eines Tages in eine der Provinzen mitnähme. Dort gibt es bestimmt einiges zu erleben und zu lernen. Da Flavius Fusus selbst Italia bislang noch nicht verlassen hat, schätze ich meine Chancen nicht völlig gering ein." Selten spricht die Sklavin über ihre sehr wenigen eigenen Wünsche und hält auch dieses Mal nicht lange durch. "Du wirst bestimmt bald eine Gelegenheit bekommen, einen Eindruck von der Stadt zu erhalten. Sie ist wirklich beeindruckend in ihrer Größe und Vitalität. Wirst du eine bestimmte Funktion für deinen Herrn erfüllen?" erkundigt sie sich freundlich.

  • Waren ihr denn Gefühle so fremd? Hatte sie niemals erfahren, was Liebe war oder Zuneigung? Was es bedeutete, sich auf einen anderen einzulassen, um mit ihm den Rest seines Lebens verbringen zu wollen?
    „Es mag sein, man hat ihnen keinen körperlichen Schaden zugefügt. Aber hat sich jemand dafür interessiert, wie es ihnen hier drinnen dabei ergangen ist?“ Mit meiner flachen Hand klopfte ich auf die Stelle, am der mein Herz saß. Was musste in ihren Eltern vorgegangen sein, als man sie wie Vieh behandelt hatte, nur damit aus ihrer Verbindung ein neuer Sklave entstand? Ob sie sich das jemals gefragt hatte?
    Nein, das hatte sie wohl nicht, wenn sie nicht einmal wusste was wirklich Liebe war. Sie schockierte mich völlig, ich wusste nicht, was ich noch sagen konnte. Am besten ließ ich es gut sein. Ich sah sie nur an und schüttelte nur den Kopf. Gegen das, was man ihr über Jahre hinweg immer wieder eingetrichtert hatte, konnte ich nicht ankommen. Es war wie ein undurchdringliches Bollwerk, gegen das man vergeblich ankämpfte.


    „Deiner Perspektive?“ Ich hatte mich doch wieder hinreißen lassen und eine ihrer Aussagen aufgegriffen. Schließlich war es doch gut, so dachte ich, wenn man sich um seine eigene Zukunft Gedanken machte. „Welche Perspektive hast du denn? Welche Anforderungen stellst du an dein Leben?“ Vermutlich hatte sie nicht im Traum gedacht, diesem Leben in Unfreiheit eines Tages den Rücken zu kehren. „Meine Anforderung an mein Leben ist es, wieder meine Freiheit zu erlangen, um endlich nach Hause zurückzukehren.“


    Aber offenbar hegte sie doch einige Wünsche, die sie mir ganz nebenbei offenbarte. Den Wunsch fremde Länder zu sehen, vielleicht sogar das Land ihrer Mutter. Wenn sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen könnte, dann hatte sie auch die Möglichkeit, ihre Wünsche Wirklichkeit werden zu lassen.


    „Wenn du frei wärest, könntest du dir alle diese Wünsche erfüllen, Vulpes. Dann müsstest du nicht warten, bis es deinem Herrn einfällt, dich mitzunehmen,“ meinte ich schließlich und zog dabei meine Augenbrauen nach oben. Vielleicht begriff sie endlich, welche Vorzüge die Freiheit doch mit sich brachte.


    „Ehrlich gesagt kann es kaum abwarten, endlich hier raus zu kommen!“ Ich lächelte, denn vor meinem inneren Auge erkundete ich bereits die Stadt zusammen mit ihr. Wahrscheinlich würde sie dann noch weiter auftauen, je weiter weg sie von diesen Flaviern war.
    „Ich soll ihn beschützen, als sein Leibwächter, wenn er die Villa verlässt,“ entgegnete ich auf ihre Frage. Ausgerechnet ich, ich sollte mein Leben für einen Römer riskieren!

  • Auf seine Frage hin schüttelt Vulpes nur kurz den Kopf und entgegnet ruhig: "Gewiss nicht. Aber dafür interessiert sich schließlich auch niemand, der uns befiehlt schwere Amphoren zu transportieren oder... die Latrinen zu säubern." Ein flüchtiges Lächeln huscht über ihre Lippen. Solcherlei Aufgaben hatte die Leibsklavin dank ihres noch kleinen, bescheidenen Sonderstatus lange nicht mehr übernehmen müssen. Noch ist sie zuversichtlich, dass dies auch auf absehbare Zeit so bleiben würde.


    Und eben dies ist auch ein immanenter Teil ihrer persönlichen Perspektive, welche sich so sehr von der des Briten unterscheidet. "Auch als Sklavin kann sich mein Leben auf verschiedenste Weise entwickeln. Mein Wunsch ist es, im Dienst meines Herrn zu verbleiben, da ich es sehr gut bei ihm habe. So lange ich ihm gefalle und meine Arbeiten gut und zuverlässig verrichte, muss ich mich nicht sorgen an einen anderen, schlechteren Herrn abgegeben zu werden. Und wenn mein Herr in der römischen Gesellschaft aufsteigt und Erfolg hat, wird sich sein Haushalt mit der Zeit vergrößern. Diesem könnte ich dann wiederum vorstehen, in seinem Namen über die Abläufe wachen und auch anderen Sklaven wiederum gebieten. Je wichtiger und unersetzlicher ich für ihn bin, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit ein nahezu ebenso gutes Leben zu führen wie er selbst. Er wird mich immer bei sich haben - auch wenn er eines Tages die Provinzen bereist. Womöglich würde er mich eines Tages sogar als Sklavin freilassen... Aber das ist momentan nicht mein primäres Ziel. Ich würde ohnehin in seinem Dienst verbleiben wollen, so lange ich nicht über ein eigenes, respektables Vermögen verfüge. Auf mich allein gestellt würde ich sicherlich einiges an Annehmlichkeiten anbüßen müssen." Natürlich erzählt sie Angus mit dieser Schilderung keine großen Geheimnisse. Man braucht wohl nicht lange als Sklave in einem römischen Haushalt zu leben, um sich der durchaus vorhandenen, unterschiedlichen Schichten und Ränge innerhalb der Sklavenschaft bewusst zu werden.


    Auf seinen Einwand hin runzelt sie skeptisch die Stirn. "Könnte ich das wirklich? Ich wäre doch vollkommen arm und mittellos, wenn ich nun die Freiheit erlangte. Wie sollte ich es mir leisten, ganz auf mich allein gestellt die Mittel für solche Reisen aufzubringen? Ich könnte mich doch schlecht zu Fuß auf den Weg nach Britannia machen..." An Angus' Bild von Freiheit reicht ihre Vorstellungskraft einfach nicht heran. Vielleicht ist sie aber auch einfach nur zu rational veranlagt für solche Träume.


    "Der Leibwächter des Flavius Scato zu sein ist bestimmt nicht das schlechteste Los. Du wirst deinem Herrn recht nahe sein und kannst dich folglich gut profilieren. Das ist eine gute Ausgangsposition. Außerdem gibt es viel Abwechslung für dich, wenn ihr häufig gemeinsam in der Stadt unterwegs seid." Selbst hat Vulpes aus verständlichen Gründen zwar noch nie als Leibwächter gedient, doch die Vorzüge dieser Position springen ihr sogleich ins Auge. Auch für sich selbst notiert sie aber im Geiste, dass Angus sich in Zeiten der Not als rettender Beschützer entpuppen könnte. In einem rauhen Sklavenhaushalt wie dem der Flavier, ist es immer gut Verbündete zu haben. "Als was hast du gearbeitet, als du noch in Britannia warst? Warst du dort auch soetwas wie ein Krieger oder Soldat?"

  • „Ja, das habe ich auch schon bemerkt,“ stimmte ich ihr zu. Daher wunderte es mich auch nicht, dass man sich auf diesem Wege den neuen Nachschub an Sklaven sicherte. Wenigstens waren wir uns in diesem Punkt einig. Allerdings begann sie schon gleich darauf mir lang und breit aufzuzeigen, welches primäre Ziel sie in ihrem Leben anstrebte, nämlich eine noch bessere Sklavin zu werden, mit der ihr Herr voll und ganz zufrieden war, auf dass sie recht lange in seinem Besitz verbleiben konnte. Nach allem, wie sie sich bisher geäußert hatte, hätte es mich doch sehr stark gewundert, wenn sie mit irgendetwas anderes gekommen wäre. Nun ja, mit dieser Vorstellung konnte ich nicht viel anfangen, das war einfach nicht meine Welt.
    Und so wie ich nichts Gutes an der Sklaverei finden konnte, tat sie sich schwer, mit der Aussicht eines Tages frei zu sein. Natürlich war es schwierig, wieder auf eigenen Füßen zu stehen und selbstverständlich musste man Einbußen hinnehmen, wenn man bisher ein gesichertes, wenn auch nicht freies Leben geführt hatte.
    „Nun, wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg! Natürlich müsstest du anfangs auf einige Bequemlichkeiten verzichten. Jeder Schritt, der dich der Heimat bringt, ist ein Schritt in die richtige Richtung, sei der Weg auch noch zu lange. Und bedenke, du kannst dir unterwegs immer etwas dazu verdienen, um über die Runden zu kommen. Du könntest auf einem Schiff anheuern…“ Äh ja, ich musterte sie kurz. „Naja, das mit dem Schiff, das wird in deinem Falle wahrscheinlich nicht funktionieren, aber es gibt andere Möglichkeiten… bestimmt!“ Im Gegensatz zu ihr würde ich keine Minute zögern, mein Leben wieder selbst in die Hand nehmen zu wollen. Fast schon glaubte ich, sie fürchtete sich vor der Freiheit und dem Gefühl, frei zu sein. Das war wohl der grundlegendste Unterschied zwischen uns.


    Als sie wieder auf Scato zu sprechen kam, nickte ich anfangs nur nachdenklich. Dieser Kerl machte es einem nicht einfach, sich vor ihm zu profilieren, wie sie es so schön ausdrückte. „Ja, das hoffe ich sehr. Wenn er mir nur etwas mehr Beachtung schenken würde. Aber er nimmt meine Gegenwart als selbstverständlich wahr. Für ihn bin ich nicht mehr, als der Staub an seinen Stiefeln, denke ich manchmal.“ Nun ja, es war kein Geheimnis, dass auch ich nicht das Geringste für diesen eingebildeten Geck übrig hatte. Dummerweise hatte ich ihn mir ja nicht aussuchen können.


    Aber ich schob Scato schnell wieder beiseite und erzählte ihr weiter über meine Heimat und über mich. Wieder bekam ich diesen entrückten Blick, den ich oft bekam, wenn ich an damals dachte.
    „Ich besaß ein Stück Land, welches ich von meinem Vater geerbt hatte. Wir hatten etwas Vieh, um das ich mich gekümmert habe. Und natürlich hatte mir mein Vater beigebracht, wie man ein Schwert führt, als ich ein Junge war. Als ich ein Mann wurde, habe ich unserem Stammesoberhaupt einen Eid geschworen, dass ich ihm die Treue schwöre und mein Schwert gegen unsere Feinde erhebe, wenn er mich dazu aufruft. So wie es auch schon in alter Zeit war, bevor die Römer kamen. Nun ja, eigentlich haben wir unsere Schwerter nie gegen unsere Feinde erhoben… bis eben auf dieses eine Mal… als ich…“ Als wir verraten worden waren.

  • Die Skepsis will einfach nicht aus Vulpes' Miene weichen, während Angus ihr die vermeintlichen Vorzüge der Freiheit so schildert. Ihr erscheinen alle diese Möglichkeiten doch allzu unsicher und beliebig, als dass sie sich auf ein solches Abenteuer würde einlassen wollen. "...Möglichkeiten, wie zum Beispiel meinen Körper an beliebige Passanten zu verkaufen, zu deren Befriedigung derer Gelüste?", entgegnet sie daher recht nüchtern. Theoretisch schützt natürlich nichts eine Sklavin vor solchen Aufgaben. Praktisch hält in dieser Sache jedoch ihr Herr eine schützende Hand über seine Leibsklavin. "Dies wäre gewiss nichts, was ich mir auch nur annähernd für mein Leben erhoffe. Jedoch selbst in Freiheit wäre ich kaum so frei, als dass ich meinen Lebenswandel gänzlich nach belieben gestalten könnte. Auch so wäre ich gezwungen, diese oder jene Arbeit anzunehmen, um mein Überleben zu sichern." Es ist momentan wohl tatsächlich verlorene Liebesmüh, diese spezielle Sklavin für das Konzept eines Lebens in Freiheit zu erwärmen. Lägen die Dinge anders und sie hätte auch als freie Person irgendwo einen Platz in der Welt - wie beispielsweise Angus bei seinem Stamm und seiner Familie - dann würde sie vermutlich anders darüber denken. Da Vulpes allerdings nur sich, die Flavier und deren Sklaven hat, wäre sie als Freie ohne Halt und Ziel gänzlich auf sich allein gestellt. Sie hätte keine Heimat und keine Familie, deren Nähe sie suchen oder in deren Tradition sie sich stellen könnte.


    Dafür kennt sie sich mit dem Sklavenleben unter den Flaviern jedoch sehr gut aus und weiß etwas ausführlicher zu berichten: "Es ist nicht ungewöhnlich, dass er scheinbar keine Notiz von dir nimmt. In erster Linie sind wir für die meisten Flavier nur funktionierendes Beiwerk. So lange wir unsere Arbeit einigermaßen gut erledigen, beschäftigen sie sich nicht sonderlich intensiv mit einzelnen von uns und überlassen unsere Instruktion und Einteilung anderen, höher gestellten Sklaven wie dem Vilicus Sciurus oder dem Maiordomus Ali. Darüber hinaus gibt es neben dem Zufall oder der Gunst Fortunas im Grunde zwei Alternativen, wie man selbst aktiv auf sich aufmerksam machen kann. Nicht zu empfehlen wäre von diesen beiden diejenige, durch negatives Verhalten die Aufmerksamkeit eines Flaviers auf sich zu ziehen. In diesem Fall kannst du davon ausgehen, mit einer mitunter sehr harten und schmerzhaften Strafe konfrontiert zu werden." Vulpes spricht dies sehr ernst und durchaus mit warnendem Unterton aus. Es ist zwar eine ganze Weile her, dass sie selbst massiver Züchtigung unterworfen war, doch blieben solche Ereignisse in langanhaltender Erinnerung, die zudem durch die Bestrafung unglücklicher Mitsklaven immer wieder aufgefrischt wurden. "Die zweite Alternative wäre es, durch eine Übererfüllung des eigenen Pensums, durch besonders zuvorkommendes Verhalten der Herrschaft das Gefühl zu vermitteln, dass es besonders angenehm sei speziell einen selbst als Sklaven um sich zu haben. Rein aus eigenem Interesse werden sie sich so deinen Namen merken und dich häufiger anfordern, mit der Zeit stärker einbinden und dir zunehmendes Vertrauen schenken." Sie pausiert kurz und überlegt, ob sie Angus auch eine weitere Möglichkeit noch aufzeigen will. Schließlich entscheidet sie sich nach sekundenlangem Zögern dafür: "Im Übrigen... ist dies auch ein möglicher, wenn auch nicht garantierter Weg einen Wechsel des eigenen Besitzers zu lancieren. Falls sich ein geeigneter Kandidat im Umfeld des eigenen bisherigen Herrn befindet, so kann man sich diesem vorsichtig - möglichst ohne den eigenen Besitzer zu verärgern - annähern, auf dass jener sich veranlasst fühle den entsprechenden Kauf zu tätigen oder sich den Sklaven als Geschenk zu erbitten. Ich selbst gehörte zuvor der Mutter des Flavius Fusus, war jedoch nur eine von mehreren Leibsklavinnen und hatte keine Perspektive, die engste Vertraute der Herrin zu werden. Daher und wegen des umgänglichen Naturells ihres Sohnes, habe ich mich erfolgreich um dessen Aufmerksamkeit bemüht." Auch wenn Angus diese Feinheiten der sklavischen Karriere vielleicht wenig interessieren, meint Vulpes es gerade im Grunde nur gut mit dem Briten. Sie will ihm damit nicht einmal etwaige Vorzüge des Sklavenlebens anpreisen, sondern ihm nur die Eingewöhnung in sein neues Leben erleichtern.


    Sie atmet einmal tief durch, solch lange Reden hält sie normalerweise nur bei Rezitationen zur Erbauung ihres Herrn. Ernst nickt sie zu seiner Schilderung und widmet sich vorübergehend dem vor ihrem geistigen Auge enstehenden Bild vom stürmischen Angus als einfacher Bauer in ländlicher Umgebung. Als er seine Erzählung jedoch jäh abbricht, blinzelt sie kurz, wartet noch einen Moment und hakt dann nach: "Bis auf dieses eine Mal, als du...?"

  • „Hä?“ Mit ihrer Frage hatte sie mich nun vollends aus dem Konzept gebracht. Allerdings, wenn ich es nun recht bedachte, fielen mir nicht besonders viele Möglichkeiten ein, wie eine Frau sich auf die Schnelle ein bisschen Geld verdienen konnte, außer nun ja.... Aber natürlich gab ich nicht zu, dass mir auch nichts anderes eingefallen wäre. „Ach, da gibt´s bestimmt noch andere Möglichkeiten!“, winkte ich ab und versuchte so schnell wie möglich den Bogen zu einem anderen Thema zu spannen, bevor sie mir auch dieses Argument vor meinen Augen demontierte.
    „Ja, natürlich musst du, auch wenn du frei bist, auf die anderen, mit denen du zusammen in irgendeiner Gemeinschaft lebst, eingehen und auch Rücksicht auf sie nehmen. Wenn jeder machen würde, was er wollte, wo kämen wir denn da hin? Dann gäbe es nur Chaos und jeder würde dem anderen den Schädel einschlagen,“ begann ich zu erklären. Dabei stellte ich mir vor, dass bestimmt einige Römer genau das von uns dachten. „Und natürlich muss man irgendetwas tun, um von den Früchten seiner Arbeit leben zu können. Wenn ich mein Feld nicht bewirtschafte, dann werde ich und meine Familie im Winter hungern müssen. Aber wenn ich es tue, dann lebe ich von dem, was ich mir erarbeitet habe. Die Flavier hingegen leben von dem, was ihr Riesenheer von Sklaven ihnen erwirtschaftet und eben diese Sklaven müssen sich mit einem Schälchen von diesem ranzigen Fraß zufrieden geben, während die Flavier wie die Fürsten leben. Findest du das etwa gerecht?“ Wieder war ich lauter geworden, als ich eigentlich sein wollte. Verstohlen warf ich einen Blick auf die anderen Sklaven, die zum Glück alle etwas weiter weg saßen. Wenn jemand von denen meine Reden mithörte und sich damit bei einem der Flavier beliebt machen wollte, denn konnte es noch richtig „lustig“ werden! Doch gegen solche Schwätzer hatte ich zwei schlagende Argumente parat... und mit gebrochenem Unterkiefer ließ es sich bestimmt nicht mehr so gut petzen.
    Vulpes ,die wahrscheinlich ähnlich dachte, lenkte daraufhin das Gespräch in andere, weitaus weniger gefährlichere Bahnen. Als erfahrene Sklavin im Dienste der Flavier konnte sie mir jede Menge Tipps geben, wie aus mir vielleicht doch noch ein guter Sklave werden konnte, obwohl dies sicher das Letzte war, was ich werden wollte. Letztendlich konnten mir ihre Ratschläge aber helfen, um mich näher an mein Ziel zu bringen. Darum hörte ich ihr aufmerksam zu und versuchte sie nicht zu unterbrechen. „Ach ja, welche Strafen sind das denn?“ Wie gesagt, ich versuchte es, aber meine Versuche waren nicht immer von Erfolg gekrönt.
    Vulpes Erläuterungen über die zwei Alternativen, wie ich Scatos Aufmerksamkeit auf mich ziehen konnte, fand ich natürlich besonders interessant und auch hilfreich. Dennoch gewann ich langsam den Eindruck, dass es ein langer Weg werden würde, um mit Alternative zwei erfolgreich zu sein. Oder etwa nicht? „Ähm. entschuldige, dass ich dich schon wieder unterbreche, aber was verstehst du genau unter ‚Übererfüllung des eigenen Pensums‘? Soll das etwa heißen, ich soll mich zu Brei schlagen lassen, nur um sein Leben zu retten?“ Nun ja, dieses Beispiel war vielleicht etwas zu überspitzt, aber im Grunde traf es doch genau den Punkt, den ich wissen wollte.


    Dass nun Vulpes aber auch noch eine „Notfalllösung“ parat hatte, falls es mit Scato nicht klappen sollte, erstaunte mich. Ich hatte immer geglaubt, ich wäre diesem selbstverliebten Löckchendreher auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Dass ich nun selber daran schrauben konnte, um ihn loszuwerden, war mir davor nie in den Sinn gekommen. Allerdings kamen mir dann nach und nach einige Zweifel. Schließlich wollte ich nicht, wie Vulpes vielleicht, als Sklave Karriere machen. Ich wollte einfach nur wieder frei sein, nicht mehr aber auch ganz bestimmt nicht weniger!
    „Naja, im Grunde ist ein Römer, wie der andere! Was macht es da schon, ob Scato oder ein anderer über mich bestimmt? Ich weiß nicht so recht, ob ich so etwas anstreben wollte, dann müssten ja auch alle meine Bemühungen wieder auf Anfang zurückgedreht werden… Ich weiß nicht…“ Ziemlich unschlüssig sah ich aus der Wäsche. Um weder in den Geschmack einer Peitsch zu kommen, noch vom Regen in die Traufe zu gelangen, war es ganz offensichtlich, dass ich aus mir herausgehen musste, und zwar mehr, als mir lieb sein konnte. Das würde sicher sehr schwierig werden!


    Hätte ich auch nur geahnt, dass sie, nach meiner Erzählung über mein früheres Leben, in mir einen einfachen Bauern sah, hätte ich garantiert lautstark protestiert. Hätten die alten Gesellschaftsformen, wie sie vor dem Eintreffen der Römer noch Bestand gehabt, hätte ich mich ohne weiteres als ‚angesehener Krieger‘, der dazu noch ein großes Stück Land besaß, bezeichnen können. Aber diese Zeiten gehörten bereits schon vor meiner Geburt der Vergangenheit an.
    Und als ob es nicht schon genug der Schmach war, setzte Vulpes genau da an, wo es für mich am schmerzlichsten war. „Als ich gefangengenommen wurde,“ beendete ich räuspernd den Satz. „...und ich mit ansehen musste, wie sie meine Frau und meinen Jungen töteten…“ Die letzten Worte schnürten mir förmlich die Kehle zu. Dieses eine Bild meiner sterbenden Familie würde ich wohl bis zum Ende mit mir herumtragen müssen.

  • Vulpes' Augen weiten sich leicht, als Angus plötzlich so laut wird und derart gefährliche Worte spricht. Sie sieht sich ebenfalls nach den anderen Sklaven und deren Reaktionen um, denn solche Äußerungen können in der Villa Flavia Felix zu mehr als schmerzhaften Konsequenzen führen. Nicht einmal die Befürchtung scheidet aus, dass man sie als Adressatin dieser flammenden Rede für mitschuldig befinden und ebenso einer bitteren Strafe unterziehen könnte. Die Sklavin atmet schließlich einmal tief durch und sieht den Briten warnend an. "Hüte deine Zunge, Angus. Ich will dir nichts Böses. Doch für solche Worte könnte mancher hier befinden, dass man sie dir herausschneiden müsse." Ernst mustert sie ihr Gegenüber. "Und sofern jemand mir Übles wollte und es geschickt anstellt, meine Ohren gleich mit." Zwar erhofft sie sich durchaus eine gewisse Protektion durch ihren Herrn, doch hat dessen Einfluss auch seine Grenzen. Um das Bild gegenüber etwaigen Mitlauschern etwas geradezurücken und für sie beide im schlimmsten Fall einen Ausweg zu lassen, fügt sie ebenso ein wenig lauter und strenger hinzu: "Für unsere Arbeit werden wir mit Kost und Logis versorgt. Es ist gerecht, weil wir nur Sklaven sind und unsere Herren freie Römer, sogar Patrizier." Daraufhin gibt sie ihm nonverbal mit einem bedeutungsvollen Lidschlag zu verstehen, dass er ihr zu seinem eigenen Wohl nun nicht widersprechen solle.


    Wieder in etwas gedämpfterer Lautstärke sprechend, widmet sie sich seinen Fragen in wieder ruhigerem Tonfall, um möglichst viel gelassene Normalität in das Gespräch zurückkehren zu lassen. "Ich kann dir nicht voraussagen, welche Strafen dich ereilen könnten. Jeder Flavius und jeder der höheren Sklaven hat einen gewissen eigenen Stil, sowie eine große... Kreativität in diesen Dingen. Die häufigste Strafe sind vermutlich noch die Schläge mit der Vitis, oder auch einem anderen, beliebigen Stock. Dann gibt es da noch die Peitsche und..." Vulpes stockt kurz, als eine unangenehme Erinnerung ihr Bewusstsein streift. Ihr Blick gleitet an Angus vorbei in die Ferne. "...und... die Kammer." Sie spricht dieses so harmlos anmutende Wort mit tonlosem Schrecken aus. Die Sklavin schluckt schwer und verstummt vorerst. Nach Sekunden der Stille sieht sie erst wieder zu Angus auf. Ernst. Warnend. "Hüte dich davor, jemals mit der Kammer bestraft zu werden. Man erzählt sich, dass viele Sklaven dort niemals wieder herausgekommen seien. Und diejenigen, die es überlebt hätten, seien hinterher völlig verändert gewesen und nie mehr so geworden wie zuvor." Große, traditionsreiche Sklavenschaften wie die der Flavier haben ihre ganz eigenen Legenden und Gerüchte. Aus diesen die Wahrheit und Wirklichkeit herauszufiltern, ist manchmal nicht ganz leicht.


    Die rothaarige Sklavin schüttelt kurz ihren Kopf, um dieses Gespenst aus ihren Gedanken zu vertreiben. Sie lächelt kurz etwas schief und widmet sich nur allzu gerne wieder anderen Themen. "Nein, natürlich sollst du dich nicht zu Brei schlagen lassen. Aber du könntest aufmerksam sein... Ihm in der Stadt vorausschauend einen Weg bahnen, aufdringliche Passanten abwehren... Einfach seinen Wünschen und Bedürfnissen nachkommen, bevor er den Befehl dazu aussprechen muss. Vielleicht gibt es auch andere Sklaven in seinem direkten Umfeld, die ihre Arbeit eher nachlässig erledigen, und die du daher leicht übertreffen könntest. Zum Beispiel, indem du hin und wieder einzelne ihrer Aufgaben übernimmst und diese besser und schneller erledigst. Selbstverständlich solltest du in diesem Fall dafür Sorge tragen, dass dein Herr dies auch bemerkt." Ein Patentrezept für Angus' spezielle Lage kann sie natürlich nicht geben. Dafür kennt sie Scato und dessen Leibsklaven zu wenig.


    Vulpes legt ihren Kopf etwas schief und schüttelt ihn verneinend. "Sie sind keineswegs einer wie der andere. Es gibt unter ihnen sowohl sehr strenge und unerbittliche Herren, als auch sanftere und gutmütigere Naturen. Mein Herr, beispielsweise, erfreut sich kein bißchen an körperlicher Züchtigung. Falls er sich überhaupt dazu durchringen kann, lässt er dies durch andere erledigen. Somit sieht er über kleinere Fehler gerne hinweg, um sich die ihm lästige Beschäftigung mit einer Strafe zu ersparen. Manch ein Herr verspürt jedoch auch eine perfide Freude daran, seine Sklaven zu quälen und ihnen Laute des Schmerzes und der Demütigung zu entlocken. Solch einer mag stets auf kleine Fehltritte lauern, auf dass sie ihm einen neuerlichen Anlass böten. Das Vertrauen eines grausamen Herrn zu erlangen ist eine Herausforderung, für deren Bewältigung man schon von ganz besonderem Holz geschnitzt sein muss." Sie zieht die Schultern ein wenig hoch und ergänzt: "Ich weiß nicht, zu welcher Sorte Flavius Scato gehören mag. Davon hast du vermutlich selbst schon einen besseren Eindruck. Wie schätzt du ihn denn ein?" Vulpes' Neugier ist nicht durch Höflichkeit motiviert. Aus solchem Wissen über die Herrschaften des Haushalts lassen sich auch für sie nützliche Schlüsse ziehen.


    Die Sklavin tut sich indes etwas schwer, Angus' schweren Schicksalsschlag nachzuvollziehen. Tatsächlich bemüht sie sich durchaus, sich ein solch traumatisierendes Erlebnis vorzustellen. Doch mangels eigener Erfahrungen von ähnlichem Kaliber gelingt es ihr allenfalls im Ansatz. "Das... Das tut mir leid." meint sie daraufhin etwas unbeholfen und streckt nach einigem Zögern ihre rechte Hand aus, um jene auf Angus' Unterarm zu legen und diesen tröstend zu drücken. Ihre Hand ist warm und weich. Durchaus gezeichnet von Arbeit, jedoch ist diese augenscheinlich nicht so schwer als dass sie sichtbare Schwielen und Narben hätte.

  • Im Grunde hatte ich mir nicht viel dabei gedacht, als ich ihr meine Gedanken offenbart hatte. Aus Vulpes Körpersprache hingegen sprach nur die blanke Furcht. Furcht davor, dass uns jemand belauschen könnte, denn dann drohte nicht nur mir, sondern auch ihr eine Strafe, die wie sie sagte, ziemlich martialisch ausfallen würde. Doch so, wie ich die Sache sah, gab es hier unter den Sklaven keinen, der sich mit mir anlegen wollte, denn sie war doch alle nur ein Haufen Schafe, die sich nichts trauten und viel zu viel Angst hatten. Und natürlich fand sie auch dafür wieder eine Rechtfertigung, warum alles seine Richtigkeit hatte, so wie es war. Nein, es hatte wirklich keinen Zweck, mit ihr darüber zu diskutieren. Ganz gleich, welche Argumente man anführen würde, Vulpes würde sie alle nacheinander auseinander nehmen und sie Stück für Stück in Nichts auflösen, so dass nur noch das übrig blieb, woran sie glauben wollte... dass, was man ihr über Jahre hinweg eingetrichtert hatte.


    Auf meine doch recht arglose Frage, wie die Flavier ihre Sklaven zu bestrafen pflegten, folgte eine ziemlich vage Antwort, denn offenbar hatte jeder der Herrn seinen eigenen Stil, wie sie sagte. Das klang fast so, als ob sie dafür über eine spezielle künstlerische Veranlagung verfügten. Nun, wie dem auch sei, ich konnte mich also auf Schläge mit dem Stock oder der Peitsche gefasst machen, wenn Scato mal seinen schlechten Tag hatte. Weshalb sie aber in aller Welt einen solchen Tamtam um diese ominöse Kammer machte, erschloss sich mir nicht ganz.
    „Ach was, was soll denn an einer Kammer denn schon so schlimm sein, hä? Man wird für einige Stunden eingesperrt und wenn es ganz schlimm kommt, für ein paar Tage… aber dann… was soll denn dann schon sein? Kennst du denn einen Sklaven, der in dieser Kammer war?“ Diese Kammer war bestimmt einfach nur überbewertet. Man wusste ja, wie solche Gerüchte entstanden. Am Ende steckte nur die halbe Wahrheit dahinter, der Rest war pure Übertreibung.


    Viel wichtiger erschien mir da die Frage, wie ich es schaffte, Scatos Aufmerksamkeit zu gewinnen, ohne hinterher Reif für den Medicus zu sein. Vupes nannte mir dann auch ein paar interessante Vorschläge, die ich mir durchaus merken wollte, um sie dann später in der Praxis, sozusagen am lebenden Objekt, auszuprobieren.
    „Ach, und wie stelle ich es an, damit er bemerkt, dass ich es war, der ihm einen Dienst verrichtet hat?“ Ich wusste, meine Fragerei musste sie langsam ermüden. Aber ich hatte hier einen Profi an meiner Seite. Und ehrlich gesagt wollte ich lieber Vulpes fragen, statt Lupus damit zu behelligen. Schließlich war er der potentielle Mitsklave, den eventuell es galt, auszustechen.


    Dass sie natürlich nicht einer Meinung mit mir war, dass alle Römer gleich waren, hätte ich mir eigentlich denken können. Und naja, vielleicht hatte sie ja bei genauerer Betrachtung sogar recht.
    „Das mag ja sein. Aber ich habe gelernt, dass man gut daran tut, wenn man ihnen lieber nicht traut! Und auch diesem Scato würde ich nicht mal zehn passus über den Weg trauen, so arrogant und selbstverliebt, wie er ist. “ Ehrlich gesagt hätte ich nicht viel mehr über Scato berichten können, denn dafür kannte ich ihn einfach zu wenig. Doch mein erster Eindruck, den ich von ihm gewonnen hatte, war bisher nicht widerlegt worden.


    Ihr Mitgefühl aber, welches sie mir zu bekunden versuchte, indem sie ihre Hand auf meinen Arm legte, überraschte mich angenehm, denn ich hatte schon vermutet, dass sie dazu gar nicht fähig sein konnte.
    Doch ehe ich noch etwas sagen konnte, baute sich vor unserem Tisch so ein großer blonder muskelbepackter Schwachkopf auf, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Er entsprang wohl ganz frisch aus den germanischen Urwäldern. Ich bezweifelte ja, dass er sprechen konnte, aber er konnte es doch! „He du! Was hast du da gelabert? Bist bescheuert, oder was?“ Dann wandte er sich zu Vulpes und quatsche auch sie dumm von der Seite an. „Und du? Lässt dich von so´nem Typen vollsülzen, oder was?“

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