Da Tiberius Lepidus nicht unangekündigt erschien, kam er selbstredend auch nicht überraschend. Dennoch wusste Gracchus noch immer nicht recht, wie er dem Tiberius gegenüber sich verhalten sollte, denn nach Durus' Verrat war er der gesamten Gens gegenüber ein wenig reserviert.
"Salve, Tibeius Lepidus"
, begrüßte er ihn dennoch gänzlich neutral als ein Sklave den Gast in sein Officium geleitete, in welchem er hinter dem wuchtigen Schreibtisch saß, welcher stets die notwendige Distanz zwischen ihm und seinen Gästen hielt.
"Bitte, nimm Platz. Dein Patron hat dich bereits ange..kündigt. Wie lange bist du schon Klient des Aurelius Lupus?"
ging Gracchus sodann in medias res, da belanglose Floskeln zum Äufwärmen eines Gespräches ihn schon immer enerviert hatten.
Officium | MFG et LTL
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Wohl mit ein paar mehr Hintergedanken, aber an sich auch noch mit keiner festgelegten Verhaltensweise, betrat Lepidus das Officium des Gracchus. "Salve, Senator Flavius", entgegnete er auf eine respektvolle und höffliche Art, während er den angebotenen Sitzplatz gerne annahm und es sich bequem machte. Er verzichtete auf umständliche Danksagungen für diese Chance für diesen Termin. Seine Dankbarkeit würde er vielleicht noch genug äußern, wenn das Gespräch tatsächlich so verlief, wie er es sich vorstellte. "Er ist erst seit einigen Monaten mein Patron. Trotz dieser verhältnismäßig kurzen Zeit ist es jedoch bereits eine sehr fruchtbare Verbindung, wie ich anfügen darf." Das wohl nur um ein wenig in das Gespräch hineinzukommen. "Ich weiß nicht, wie viel Senator Aurelius bereits in seiner Ankündigung verriet, aber falls du diesbezüglich noch nicht ins Bild gesetzt wurdest, sage ich dir gern, dass ich heute einerseits in der Absicht zu dir gekommen bin, um deine Unterstützung für meine Kandidatur zum Viginitivirat zu erbitten." Eigentlich hasste Tiberius dieses 'Klinken putzen'. Da kam nun ein Kandidat 'rein zufällig' durch Verbindungen über sechs Ecken zu einem Senator und erflehte seine Stimme im Senat. Eine merkwürdige Sitte, die die Authentizität eines jeden Gesprächs leiden ließ und dafür sorgte, dass der Beigeschmack des Künstlichen sich auch nie übertünchen ließ. Doch leider konnte sich auch Lepidus dem nicht entziehen. Zum Glück gab es vielleicht auch noch andere Gesprächsthemen. "Andererseits bin ich auch in persönlicher Hinsicht zu dir gekommen, um die Verbindungen, die es zwischen Tiberiern und Flaviern zweifellos gab, wieder zu pflegen." Der Tiberier hielt einen Augenblick inne, nachdem er relativ formal seine Intentionen für dieses Gespräch darlegte. Doch er wusste, dass er auch aus anderen Gründen hergekommen war. Gründe, die sich nicht so leicht hinter Phrasen verstecken ließen und so fügte er noch an. "Falls möglich, so würde ich mich auch sehr darüber freuen, etwas über diejenigen meiner Verwandten zu erfahren, die du noch das Glück hattest zu kennen, während mir selbst dies bedauerlicherweise verwehrt wurde..." Lepidus hatte hier durchaus mehr etwas Allgemeines im Sinne. Von der genauen Art der 'Freundschaft' zu Durus konnte er schließlich kaum etwas wissen. Stattdessen war es für ihn einfach nur klar, dass ein gestandener älterer Senator durchaus noch den ein oder anderen Tiberier gekannt haben musste - den Wichtigsten und Populärsten wohl ohnehin.
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Der erste Teil des Begehrs war politischer Natur, wie so oft in letzter Zeit. Tatsächlich beschlich Gracchus das Gefühl, viel zu oft nurmehr über Politik zu sprechen, was zweifelsohne daran mochte liegen, dass er weder die Villa verließ, noch Einladungen aussprach, um Gespräche jedweder Art zu suchen, politisch motivierte Bittsteller dagegen ihren Weg auch ohne Einladung zu ihm fanden, sein Pflichtgefühl indes stets zu groß war, dass er sie hätte abweisen können.
"Aurelius erwähnte dies bereits. Was ist es, glaubst du, das dich zu einer Laufbahn im Cursus Honorum prä..destiniert?"
Die Antwort war zweifellos einfach, doch Gracchus war neugierig darauf wie der Tiberius sich selbst würde präsentieren. Die nachfolgende Komponente des Begehrs des Tiberius' war ein wenig persönlicher. Eine Verbindung zwischen Tiberiern und Flaviern hatte es tatsächlich seit langem nurmehr auf freundschaftlicher Basis gegeben - den Grund hierfür sah Gracchus vorwiegend in der Heiratspolitik der ihm bekannten Zweige der Gens Tiberia begründet, welche oftmals plebejische Gentes in den Stammbaum inkludierte, was für die meisten Familienzweige der Gens Flavia undenkbar war, selbst so die entsprechenden Familien der Nobilitas angehörten. Gracchus' ganz persönliche Verbindung zur Gens Tiberia indes hatte zuletzt mehr als nur gelitten, war er doch davon überzeugt, dass Tiberius Durus die Konspiration hatte verraten, von Beginn an tatsächlich mit Vescularius Salinator hatte kooperiert - eine Überzeugung, welche sich durch zahllose Stunden der Reflexion und Introspektion mehr und mehr in ihm hatte gefestigt, bis daraus letztlich eine Wahrheit geworden war.
"In Hinblick auf deine Verwandten … nun, ich habe dur'haus mit einigen Tiberiern Bekanntschaft gemacht, jedoch kaum derart, dass ich dir viel über sie könnte erzählen, etwa Tiberia Livia, ihren Bruder Flaccus, Tiberia Albina, die Gemahlin des Senators Purgitius, Septima, Gemahlin des Aurelius Ursus, Senator Tiberius Vitamalacus, allfällig noch einige mehr, deren Namen mir ent..fallen sind, die meisten von ihnen bei Gastmählern, Eheschließungen oder anderen Festivitäten. Näher bekannt war ich wohl nur mit Tiberius Durus - wir haben unsere Laufbahn im Cursus Honorum im gleichen Jahr begonnen, er war damals zum Quaestor Consulum bestimmt, ich zum Quaestor Principis. Die Quaestur war zu dieser Zeit noch das Einstiegsamt in die politische Laufbahn. Und auch in den na'hfolgenden Jahren bis ... "
Er stockte kurzt. 'Bis zum Scheitern der Verschwörung' wäre wohl eine adäquate Zeitangabe gewesen.
"Bis zuletzt hatten wir durch den Senat und auch die cultischen Collegien immer recht viel miteinander zu tun, wiewohl wir we'hselseitig oft zu Gast im Hause des anderen waren."
Beinahe mochte Gracchus ein wenig wehmütig werden so er an die Convivia des Tiberius zurückdachte, welche stets Quell tiefsinniger Konversationen, wie Disputationen waren gewesen. Und auch sonstig erschien es augenscheinlich rückblickend nicht ungewöhnlich, dass Durus einer der wenigen Männer gewesen war, welche Gracchus als Freund hatte bezeichnen mögen. Umso tiefer schmerzte ihn der Verrat, um so weniger mochte er nachvollziehen, aus welchem Grunde der Tiberius sich mit dem Vescularier hatte eingelassen.
"Dennoch habe ich auch ihn wohl kaum wahrhaftig gekannt. Es war wohl schlussendlich eine jener Ver..bindungen, welche schlichtweg dadurch entstehen, dass man in identischen Kreisen verkehrt."
So nüchtern er dies auch auszusprechen suchte, ein wenig Trübsinn schlich sich doch in die Couleur seiner Stimme.
"Tiberius Ahala, seinen Sohn, habe ich ebenfalls in diesen Kreisen kennen gelernt. Ist er wieder zurück in Rom?" -
Selbstverständlich kam eine solche Frage. Sie war naheliegend und wohl die Grundlage dessen, dass sich jemand überhaupt ein Bild vom Tiberier machen konnte. Doch allzu ausschweifend, wie in seiner später noch zu haltenden Rede wollte er nicht werden. Das wichtigste ließ sich wohl präzise zusammenfassen. "Ich hatte in meinem Leben nie einen anderen Fokus, als denjenigen, eines Tages den Cursus Honorum zu bestreiten. Ich fühle mich allein kraft meines Standes und meiner verdienten Verwandten bereits prädestiniert diese Laufbahn einzuschlagen. Persönlich habe ich neben einer guten Bildung, die ich mitbringe, ein großes Pflichtgefühl gegenüber den Göttern - etwas, was ich bei so manchem vermisse, der in der Vergangenheit politische Ämter bekleidete. Ich selbst habe mich in der Vergangenheit als Aedituus im Iuppiter-Tempel auf dem Capitol verdient gemacht und werde wohl auch bald vom Kaiser persönlich für das Collegium Pontificum vorgeschlagen." Zur These der Einheit von Religion und Politik, die eigentlich keine war, weil sie im Selbstverständnis der meisten Römer etwas gar zu natürliches war, sollte er im Senat noch zu sprechen kommen. Es waren durchaus Zeiten, in denen das eine mit dem anderen nicht mehr in Einklang gebracht wurde. "Letztlich verschweige ich dir jedoch auch nicht, dass es mir auch im Besonderen um die Wiederherstellung des Ansehens meiner Familie geht. Mit dem Tod von Durus drohte der Name der Tiberia in Bedeutungslosigkeit zu versinken. Ein Zustand, den ich als unnatürlich empfinde und den ich durch meinen Einsatz für Rom beenden möchte." Natürlich klang so etwas gleichsam edelmütig, doch Lepidus wusste letztlich ganz genau, dass es am Ende nur um sein eigenes Ansehen, seinen eigenen Ruf und seinen eigenen Einfluss ging.
Bei all den Namen, die der Flavier erwähnte, hätte einem geradezu schwer ums Herz werden können. Die meisten dieser Tiberier waren Tod oder Verschollen. Viel ist nicht übrig geblieben. In der Tat setzte auch Lepidus eine schwermütige Miene auf, die diesem Faktum angemessen war, während in seinem Inneren sich nur bedingt ein Gefühl regte. "Ahala ist derzeit nicht aufzufinden. Den letzten Stand erhielt ich von meinem Patron. Dieser bat Ahala einst dessen Cousinen von Mantua nach Rom zu führen. Leider ist seit dem viel Zeit vergangen und es folgte keine Nachricht. Ich bin in großer Sorge, um seinen Verbleib." Zumindest etwas Heuchelei musste in Bezug auf seinen Vetter stattfinden, aber damit wollte er das Thema auch gleich schnell begraben wissen. Lepidus wusste schließlich genau, dass dessen Auftauchen in Rom vieles schwieriger machen würde. Es gäbe wohl einige Verteilungskämpfe zu schlagen und je länger dies dauerte, desto besser konnte Lepidus seine Position in Rom festigen.
Dass Gracchus von Durus nicht als einen Freund sprach, sondern als jemandem, der lediglich in Anbetracht ihrer Laufbahnen öfter einmal seinen Lebensweg schnitt, sollte für Lepidus erst einmal nicht weiter enttäuschend klingen. Er kam ja gänzlich ohne Erwartungen hierher. Dennoch war das Schicksal des einzigen Consulars seiner Gens natürlich auf eine besondere Art und Weise interessant. "Du musst wissen, dass mein Vetter Durus ein besonderes Vorbild für mich ist. Seiner Einstellung und seinem Wirken möchte ich nacheifern. Letztlich möchte ich seinem Beispiel folgen, wenn ich in den Cursus Honorum eintrete und ich möchte mich ähnlich verdient machen, wie er es einst tat." In dieser Schwärmerei dachte der Tiberier natürlich, dass Gracchus seinen Verwandten auf eine ganz ähnliche Weise schätzen würde und es demzufolge nur positiv sein konnte, sich an diesem Beispiel zu orientieren. Dass er damit in Gracchus Augen einem Verräter folgen und damit womöglich selbst die Anlage zum Verrat in sich tragen würde, das alles konnte er kaum ahnen, weshalb er sich auch relativ naiv weiter nach Durus erkundigte. "Auch wenn ihr euch wahrscheinlich nicht ganz so nah standet, so wüsste ich dennoch gern, was für ein Mensch Durus war. Ich kenne alle seine Ämter, seine politischen Verdienste, doch ich weiß im Grunde nur wenig über seine Persönlichkeit. Wie trat er auf? Was war ihm eigen? Welchen Eindruck hast du von ihm gewonnen?"
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Das politische Selbstverständnis des Tiberius kommentierte der Flavier nicht weiter, stellte es doch sich nicht anders dar als erwartet, einzig die religiösen Bestrebungen verleitete beinahe ihn zum Heben seiner Augenbraue, beinahe jedoch nur.
"Es sind durchaus große Fußspuren, in welche du zu treten gedenkst - doch letztli'h ist dies wohl bei uns allen komparabel, letztlich werden wir immer an den Herausragendsten unserer Vorfahren gemessen und müssen uns in Relation zu diesen setzen lassen."
Wir bezog sich dabei selbstredend auf den Stand der Patrizier, denn homines novi hatten selten mit großen Vorfahren zu kämpfen. Einen Augenblick indes war Gracchus dazu angetan, einen Anflug von Mitleid für Lepidus zu empfinden, war es doch in Rom niemals einfach gewesen, das Ansehen einer Familie zu mehren, um so schwerer mochte es gleichwohl sein, dies als einziger Rest einer Familie zu erreichen, welche letztlich, auch nach Palmas Sieg, nicht mehr als gänzlich tadellos galt - gleich ob zu Recht oder Unrecht, gleich ob offiziell oder hinter vorgehaltener Hand. Zu einer anderen Zeit allfällig wäre er durchaus bereit gewesen, den Tiberier ein wenig zu protegieren, doch gegenwärtig wäre es ihm zweifelsohne gefälliger, würde die Welt Tiberius Durus und die Seinen schlichtweg gänzlich vergessen, statt beständig die Erinnerung an ihn wachzurütteln.
"Nun, so hoffe ich das Beste für Ahala, dass die Götter ihn un..gefährdet nach Rom mögen zurück geleiten."
Nicht zum ersten Mal stellte Gracchus sich die Frage, ob auch Durus' Sohn mochte eingeweiht gewesen sein in das tatsächliche Ausmaß der Konspiration, in das ihrer eigenen Verschwörung vorausgegangene Behuf. Hatte allfällig der Vescularier angeordnet, auch diesen Mitwisser zu beseitigen, hatten allfällig andere Mitwisser ihn beseitigt, um ihren eigenen Status zu wahren - jene Männer, welche in Salinators klandestine Machenschaften waren verstrickt gewesen, nun Gefahr liefen, benannt zu werden und ihre Unschuld im Zeitalter des Cornelius einzubüßen? Ebenso indes mussten die Mitwisser ihrer eigenen Konspiration in Betracht gezogen werden, sich possibler Schwachstellen entledigen zu wollen. Der Imperator mochte durchaus ein Interesse daran haben, den ein oder anderen zu beseitigen, welcher ihn als Usurpator würde identifizieren können - insbesondere sofern dies fern von Rom geschah und kein Aufsehen erregte. Aurelius allfällig ebenso, womöglich hatte Ahala diesem gegenüber gar eine Unachtsamkeit erwähnt, welche dieser als Bedrohung hatte aufgefasst, und auch Gracchus selbst - doch zumindest hatte er solcherlei nicht angeordnet, obgleich er wusste, dass Sciurus jede Option würde in Betracht ziehen, sofern Gefahr für ihn bestand.
"Durus."
Gracchus sog nachdenklich seine Unterlippe zwischen die Zähne - es gab kein Entkommen. Ein wenig verstohlen, ohne seinen Kopf zur einen oder anderen Seite zu drehen, blickte er rechts und links an Lepidus vorbei, um sich dessen zu versichern, dass die Larve des verstorbenen Tiberius nicht mit ihnen im Raume weilte.
"Er war ... pfli'htbewusst, konsequent, ehrgeizig, … im Senat stets befleißigt, das Wohl des Staates, wie auch unseres Standes zu fördern. Selten trat er aggressiv auf, selten unüberlegt, stets positioniert, durchaus energisch und be..harrlich, doch nicht borniert. Im Cultus Deorum war er ebenfalls stets überaus tatkräftig."
Einzig, weshalb er das Amt des pro magistro hatte angenommen, hatte Gracchus nie nachvollziehen können, doch womöglich war dem Tiberius schlichtweg eine andere Sichtweise auf den Cultus inne gewesen als ihm selbst.
"Im Privaten …nun, er hatte eine vorzügliche Bildung genossen, war dementspre'hend stets bereit für eine profunde Diskussion, verstand sich zudem auf die Auswahl adäquater Gäste, um dies in seinem eigenen Hause zu forcieren. Ich glaube, er war darüberhinaus in einer Factio, allfällig können dir die Mitglieder dort mehr über ihn beri'hten." -
Lepidus versuchte die Reaktionen seines Gegenübers genau zu studieren, doch bisher blieb sein Bild von ihm höchst indifferent. "Wir haben kaum eine Wahl und deshalb werde ich für jede Möglichkeit streiten, diese Fußstapfen Schritt für Schritt zu begehen. Wille und Ziel sind bereits determiniert, nur die Zukunft mit dem Wege ist noch ungewiss und verschwommen. Mit deiner Unterstützung würdest du diesen Nebel etwas lichten und dies wird von meiner Person aus sicher nicht allzu schnell vergessen." Lepidus rechnete bereits damit, dass er dem Senator natürlich in Zukunft Hilfe zusichern würde, sollte es denn einmal eine entsprechende Situation geben, welche diese erforderte. Dies war wohl das mindeste, was er vorerst anbieten konnte, als noch junger Einsteiger in den Cursus Honorum.
Die wohlwollenden Worte, die der Flavier für Ahala hatte, quittierte der Tiberier mit einem nicken. Möge er behütet zurück nach Rom kommen, aber womöglich hielten ihn gerade jene Götter fern, die der Flavier in dem Moment beschwor. Wer wusste das schon so genau?Zum ersten nahm der Tiberier nun eine Regung des Flaviers wahr, die seiner Ansicht nach, nicht ganz zur gestellten Frage oder zur Situation überhaupt passte. Was verkroch sich die Lippe unter den Zähnen? Was tanzten seine Augen nach links und nach rechts? War hinter dem Tiberier ein unangemessen gekleideter Sklave aufgetaucht? Ein unerwarteter Verwandter? Lepidus wandte seinen Kopf nicht um, hielt stattdessen den Gracchen fest im Blick. Die Worte, die er für Durus fand, waren sehr positiv, sehr schön. Nicht anders hatte er es erwartet. Nur waren die Worte nur allzu emotionslos gewählt, was in Anbetracht der Tatsache, dass Flavius zuvor bereits beschwor, ihn nicht wahrhaftig gekannt zu haben, wohl für Lepidus nicht weiter zur Verwunderung anregen musste. Doch ein gewisser Zweifel an der Situation verblieb. Er konnte nicht ahnen, dass er ein recht unangenehmes Kapitel mit der stetigen Erwähnung dieses einen Namens immer wieder aufs Neue aufschlug. Durus, Durus, Durus. "Hab Dank für diese Worte. Alles, was ich über ihn erfahre, formt wieder ein Bild vor mein geistiges Auge. Sicher werde ich auch noch mit vielen anderen über ihn sprechen, wobei seine ehemalige Factio, die Veneta, sicherlich ein guter Ort ist, um wieder ein wenig mehr über ihn zu erfahren." Dass Lepidus hier bereits in einem Punkt nicht in den Fußstapfen des Consulars wandelte und stattdessen einer anderer Factio den Vorzug gegeben hatte, konnte er getrost verschweigen. Gracchus schien ihm kaum jemand zu sein, der sich für so etwas interessierte und darüber hinaus hätte es nur das schöne Bild vom Tiberier, der seinem großen Vorbild nacheiferte, zerstört. "Sag, Senator Flavius, wie hast du es geschafft, die Zeit des Bürgerkrieges zu überstehen? Es waren schließlich keine leichten Zeiten für uns." Und mit uns meinte auch Lepidus vorrangig die Patrizier. Für wen waren denn diese Zeiten wohl noch schwerer? "Ich bin froh, dass es trotz des großen Blutzolls noch Vertreter so edler Geschlechter geschafft haben zu überleben und nun für einen Neuanfang in Rom bereitstehen. Ich nehme an, jeder hat seine eigene Geschichte aus diesen Tagen mitgenommen. Wie lautete deine?" Vielleicht war Lepidus intuitiv vom Thema Durus abgewichen, was dem Flavier womöglich entlastete, allerdings kam der Tiberier wohl erst durch jenes überhaupt dort hin. Seine Neugier konnte er indes nicht verbergen. Sein Patron Aurelius hätte ihm sicher erzählt, wenn der Flavier mit ihm zusammen gegen Vescularius gekämpft hätte, also musste er wohl zu den Verbannten gehören oder zu jenen die einfach so abgetaucht waren. Gleichsam hoffte der Tiberier wohl sich durch diese Frage unterschwellig noch mehr die Gemeinsamkeiten zwischen ihm und dem Gracchen wach zu rufen. Männer, die gemeinsam zu leiden hatten, Männer, die ganz ähnliche Erfahrungen geteilt hatten, im Bewusstsein, dass es für gewisse Zeit eine römische Welt gab, die sie offen verstoßen hatte.
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Ohne dass der Tiberius dies konnte wissen, schlug er ein unangenehmes Kapitel nach dem nächsten auf, ersuchte nach der Auskunft über Durus nun auch noch die Zeit des Bürgerkrieges zu elaborieren. Für einige Augenblicke war Gracchus gewillt, den Gast mit harschen Worten des Hauses zu verweisen, doch letztlich trug Lepidus seine Fragen mit solch argloser Neugier vor, dass der Flavier sich ob dessen wurde gewahr, dass diese und ähnliche Fragen in den kommenden Monaten wohl wieder und wieder an ihn würden herangetragen werden, und dass es an der Zeit, wenn nicht gar längst zu spät war, seine eigene Geschichte parat zu halten.
"Nun, dass Vescularius Salinator Ressentiments gegen die patrizischen Familien hegte, dies war kein Geheimnis, doch seine Familie und die meine … - der letzte flavische Kaiser ließ die Seinen ent..eignen, verbannte sie ins Exil. Obgleich dies lange zurück liegt und seine Familie schlussendlich ihren Stand hatte zurückerhalten, so gab es bereits vor dem Bürgerkrieg Anzei'hen dafür, dass Salinator ob dessen einen tiefen Groll gegen uns Flavier hegte. Aufgrund seiner Position war ihm nichts zu beweisen, doch wir halten dafür, dass er für den Tod meines Vetters Aulus Piso sich verantwortlich zei'hnete. Als er nach dem Tod Kaiser Valerianus' sich der praetorianischen Garde bediente, um angesehene, doch ihm unliebsame Männer inhaftieren zu lassen, darunter auch meinen Vetter, Senator Furianus, doch spätestens nach der Er..mordung Tiberius Durus' entschied ich, kein Risiko für meine Familie und mich einzugehen. Wir verließen Rom noch in den Tagen der Ausgangssperre, meine Gemahlin und meine Kinder getrennt von meinem Neffe Flaccus, meinem ältesten Sohn und mir. Wir schlugen den Weg gen Mantua ein, in der Hoffnung, Aurelius Ursus, als ein Freund unserer Familie, würde uns, wenn auch allfällig nur für kurze Dauer, Obda'h gewähren. Aurelius indes gewährte uns nicht nur Obdach, er entschied sich alsbald, den Vescularier nicht als rechtmäßigen Kaiser anzuerkennen, welcher zwischenzeitlich den Thron usurpiert und die ersten Pro..skriptionen hatte erlassen, welche auch meinen Namen inkludierten."
Die Worte flossen in gänzlich sachlichem Tonfall über seine Lippen, ganz so als wäre dies alles nur eine Geschichte - oder etwa ein Senatsbericht über das Geschehen in einer fernen Provinz, welches ihm selbst nur schriftlich war übermittelt worden. Bisweilen war Gracchus sich selbst nicht mehr sicher, wie es genau gewesen war, in der Erinnerung verschwand bisweilen alle Furcht, alles Grauen, alle Mühsal und Entbehrung, so dass nur ein schemenhaftes Durcheinander blieb, über welches man mit viel gutem Willen sogar einmal würde schmunzeln können: Weißt du noch, damals, als wir uns des Nachts vor Wölfen fürchteten? Römer, die sich vor Wölfen fürchten, man stelle sich dies nur vor! Allfällig würde all dies aber auch einmal Teil eines großartigen Heldenepos werden, in der Erzählung gegenüber Enkeln und Urenkeln zu einer glorifizierten, adventurösen Reise verkommen: Mit barem Fuße haben wir Rom verlassen, um für das Imperium Romanum zu kämpfen, mit nichts am Leib als unseren Tuniken! Bis Mantua sind wir gezogen, halb verhungert, halb verzweifelt, doch am Leben erhalten von dem Gedanken, dass Rom uns noch braucht! Gracchus zögerte. Nein, würde Rom ihn in Ruhe lassen, so würde er all dies schlichtweg vergessen wollen, aus seinem Leben negieren, den vergänglichen Buchstaben auf einer Wachstafel gleich ausmerzen.
"Einige Zeit verblieb ich bei der ersten Legion, dann jedoch erhob Vescularius Decimus Serapio zu seinem Praefectus Praetorio, was für mich Anlass war, nach Rom zurück zu kehren. Ich war Decimus in Freundschaft ver..bunden, darob suchte ich, ihm die Agitation und Niedertracht des Vescularius vor Augen zu führen - doch letztlich war er nur deshalb so arriviert, da er einer der besten Soldaten Roms war, da er seine Pfli'ht stets überaus ernst nahm. Wie viele andere vertraute er auf den Senat, welcher Vescularius Salinators Rechtmäßigkeit hatte anerkannt, gleichsam indes war er jedoch nicht glei'hgültig gegenüber den skrupellosen Machenschaften dieses Kaisers, den zu schützen seine wichtigste Aufgabe war, wusste er, dass die Pro..skriptionen Vescularius' jeglicher Grundlage entbehrten. Er gewährte mir Protektion in seinem eigenen Hause, und noch ehe ich mein weiteres Vorgehen konnte re..flektierten, wurde die Garde gen Norden ausgesandt. Wenig später erreichten Cornelius' Truppen Rom und ... nun, der Rest ist dir zweifelsohne bekannt."
Ganz so schnell war die Zeit letztlich selbstredend nicht vergangen, doch Gracchus war nicht gewillt im Detail über seinen Aufenthalt in der Casa Decima zu sprechen.
"Ich bezweifle indes, dass Rom allzu bald bereit ist für einen echten Neuanfang. Rom wird noch lange gespalten bleiben, und gleich auf wel'her Seite ein Mann im Bürgerkrieg mag positioniert gewesen sein - für oder gegen Vescularius, für oder gegen Cornelius, oder auch nichts von alledem - man wird immer einen Grund finden, ihm dies vor..zuwerfen." -
Lepidus nahm es sehr positiv auf, dass sein Gegenüber der Frage eine sehr umfangreiche Antwort widmete. Das große Ganze wurde mit jeder Aussage ein wenig deutlicher. Die Momente der Gefahr, der Unsicherheit und des glücklichen Überlebens - diese Momente wurden vielfach geteilt. Der Tiberier nahm ebenso wohlwollend zur Kenntnis, dass der Flavier deutlich von einer Ermordung seines Vetters sprach und nicht etwa von einem Selbstmord oder von ungeklärten Umständen seines Ablebens. Selten betonte jemand diese rein Wahrheit so deutlich. Bei der längeren Erwähnung des Decimus wurde Lepidus jedoch ein wenig stutzig. Der einstige Praefectus Praetorio eines Usurpators hielt seine schützende Hand über den Flavier? Dies war kaum mit dem bisherigen Bild, was er von diesem gewonnen hatte, kaum zu vereinbaren. "Nun, ich bin doch sehr überrascht über deine freundschaftlichen Verbindungen zu jenem Decimer, der bekanntlich dem Vescularier bis zuletzt die Treue hielt. Leider fällt es mir auch schwer zu glauben, dass ihm die Machenschaften des Usurpators nicht gleichgültig gewesen seien, wenn man doch auf die verleumderischen Worte blickt, die er über die Acta verbreiten ließ. Eine Infragestellung der Proskriptionen kann ich ihm nach derlei Handlungen wohl nicht im Geringsten nachsagen." Freilich war vor allem in jener Veröffentlichung von keinem Flavier die Rede, sondern in erster Linie wurden ein Tiberier, ein Vinicier und Palma selbst zur Verantwortung gezogen. Man mochte sich seinen Reim darauf bilden, warum nicht auch andere unter die ganz offensichtlich willkürlich gewählten 'Verschwörer' gezählt wurden. Wahrscheinlich war es leichter konkrete Feindbilder in weniger Personen abzubilden und von daher konnte sich Lepidus wohl nur geehrt fühlen, dass auch sein Vetter dazu zählte. Die Tat des Decimus blieb dennoch - auch wenn Lepidus sie in Anbetracht dessen, dass er hier offenbar einen engen Freund desselbigen vor sich hatte, relativierte. "Aber es scheint ihm in gewissem Maße zur Ehrrettung zu gereichen, wenn er dir Schutz gewährte. Es ist wohl nur zu bedauern, dass deine Bemühungen, ihm die Wahrheit aufzuzeigen nicht gänzlich gelang. In jedem Fall kann ich dich wohl nur beglückwünschen, dass du all dies überstanden hast." Mehr blieb ihm in dieser Hinsicht nicht zu konstatieren und mehr blieb dieser Geschichte wohl auch nicht hinzuzufügen.
"Jeder Entschluss für einen Neuanfang bedarf wohl auch einer gewissen Vorbereitung. Noch sind wir in einer gewissen Übergangszeit zwischen nicht mehr und noch nicht. Doch es hängt wohl nicht weniger von unser aller Willen ab, wie lange diese Zeit braucht. Ich selbst werde jedenfalls versuchen meinen Beitrag dazu zu leisten und mich im Senat mit Vernunft und einem - der Situation angemessenen - versöhnlichen Ton ausdrücken." In der Tat sollte in der Betonung des "Wir" auch ein gewisses Element in der Kandidatenrede des Tiberius mit anschließender Befragung liegen, die diesem Vorhaben Rechnung trug - auch wenn dies natürlich immer noch keine 'Überzeugungstäter' mit einschließen musste.
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Ein wenig verunsichert ließ Gracchus seine linke Braue ein Stück weit empor wandern, war ihm doch, als hätte er durchaus schon einmal Kenntnis von diesem Artikel in der Acta Diurna erlangt, doch war ihm der Inhalt dessen gänzlich verlustig, respektive hatte er ihn allfällig schlichtweg aus seinem Leben verdrängt.
Mörder
, hauchte es für einige Augenblicke durch die Flure seines Gedankengebäudes, als wäre die Türe einen Spalt geöffnet, so dass ein klandestiner Windhauch - der Septentrio allfällig - durch das gesamte Haus wehte. Gracchus suchte dies zu ignorieren, doch wie stets krallte es sich in seinem Nacken fest, einem kleinen Nagetier gleich, welches genussvoll an seinem Fleische kaute.
"Nun, dass der Bürgerkrieg nicht nur den Staat zer..reißt, sondern bisweilen auch die Menschen - dies ist augenscheinlich einer seiner größten Schrecken"
, gab er in Hinblick auf Serapio zu bedenken, sprach doch dabei gleichsam auch von sich selbst, obgleich er mit den laut ausformulierten Worten suchte die unausgesprochenen zu überdecken.
"Zudem scheint noch immer niemand zu wissen - außer Decimus selbst allfällig -, welche Verleumdungen der Vescularier ihm gegenüber als Tatsa'hen hat vorgegeben, welche Beweise er noch mag fingiert haben neben dem Tes..tament des Valerianus, welches schlussendlich gar dazu hatte gereichen können, den gesamten Senat zu düpieren. Weiters hat Serapio zweifelsohne auf diverse Befunde seines Vorgängers Terentius sich verlassen, unter dessen Ägide die Er..mordung Durus', wiewohl die Verhaftungen und die Vortäuschung der Prämissen für die Proscriptionen stattfanden. Auch dieser Mann spielte im aufkommenden System des Vescularius fraglos eine tragende Rolle, hatte bereits Beweise konstatiert, fingiert allfällig, auf welche Decimus Serapio letztli'h nurmehr hat aufgebaut."
Ein leises Seufzen entwich Gracchus' Kehle, denn schlussendlich trug Serapio nur jene Folgen, welche er selbst und andere hatten evoziert - doch dies war eine Wahrheit, welche er niemals würde aussprechen können ohne dabei bereits einen Schritt über den Grad des tarpeischen Felsens hinaus getan zu haben.
"Wie dem auch sei, es ist gut, dass es noch immer redli'he Männer gibt, welche bereit sind, ihren Weg in Rom zu gehen, und somit dazu beitragen werden, dass dies alles irgendwann einmal nurmehr Geschi'hte sein wird."
Dabei hatte der Flavier beinahe schon darauf vergessen, dass sein Gegenüber einzeln gesehen zwar durchaus solch ein redlicher Mann mochte sein, im Netz seiner Familie indes in diese Geschichte war eingewoben. -
Inzwischen konnte des Lepidus kaum noch entgehen, dass sein Gegenüber offenbar doch gewisse Anstrengungen unternahm, den Decimer zu verteidigen. Andernfalls hätte es wohl keinen Bedarf der weiteren Worte gegeben. Vielleicht war es auch der Tatsache geschuldet, dass der Falvier mitunter einfach von Serapio sprach, wo doch auch einfach bei der Bezeichnung Decimus hätte bleiben können. Keinesfalls musste das zwangsläufig etwas bedeuten und der Tiberier war ohnehin schon auf eine ganz andere Spur bei Erwähnung des Terentiers gebracht. "Achja, der Vorgänger als Praefectus Praetorio... Dem Terentier kommt wahrlich ein großerer Anteil an dem Leid zu, welches meine Familie ganz persönlich getroffen hat. Wahrscheinlich würde sich heute vielmehr Zorn auf diesen entladen, wenn er nicht so rechtzeitig verschwunden wäre..." In der Tat konnte man durchaus den Eindruck gewinnen, dass die Decimer einfach besonders in der Schusslinie stand, weil es nicht mehr viele andere gab, auf die man sich stürzen konnte, wenn es um Fragen der Schuld ging. "Der Terentier kann nur hoffen, dass er sich nie wieder in Rom blicken lässt. Er hätte keine Gnade zu erwarten...", so die etwas hochgestochenen Worte des Tiberiers, der wohl kaum in der Lage war irgendjemanden zu begnadigen oder nicht zu begnadigen.
Mit all dem konnte er nun wohl erst einmal abschließen. Es war wohl mühsig diese alten Wunden immer wieder aufzureißen. Stattdessen fragte er sich, ob der Flavier sich eigentlich schon konkret zu seiner Unterstützung geäußert hatte. Sie waren wohl zu schnell auf das Thema Durus und Bürgerkrieg gekommen, als dass Lepidus noch wirklich registrieren konnte. Stattdessen ging er freilich davon aus, dass die letzte Aussage des Gracchus keine Allgemeine war und sich letztlich in besonderem auch auf ihn bezog. "Die Redlichkeit soll man mir zu jeder Zeit attestieren. Mein Beitrag für eine wohlige Zukunft Roms soll kein geringer sein", bestärkte er dann noch einmal selbst die Worte seines Gegenübers. "Sicher hast du Verständnis dafür, wenn ich schon bald wieder aufbrechen muss, da so ein Wahlkampf immer eine recht zeitraubende Angelegenheit ist. Was mich aber vor allem noch interessieren würde, sind deine persönlichen Pläne für die Zukunft. Hast zu gewisse politische Ambitionen, beispielsweise auf das Consulat oder vielleicht auch innerhalb des cultischen Bereichs? Selbstverständlich frage ich dies, weil ich dir für deine Unterstützung im Senat sicher auch in Zukunft eine Kooperation zusagen werde, soweit es in meiner Macht steht. Das versteht sich aber natürlich von selbst." Dem Tiberier war klar, dass es Stimmen eben auch nicht umsonst gab. Immerhin hatte er hier auch einen ehemaligen Praetor vor sich und von daher wäre ein Griff nach dem Consulat sicherlich durchaus eine Option. Sicher konnte er auch im Cultus Deorum behilflich sein, wenn denn der Kaiser tatsächlich seine Versprechung wahrmachen würde und seine Wahl in das Collegium Pontificum vorschlagen würde. Und überhaupt war er innerhalb der patrizischen Gentes ohnehin stets dafür, dass man möglichst eng zusammenstehen musste, um die jeweiligen Ziele zu erreichen.
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Beifällig nickte Gracchus zu den Worten des Tiberius obgleich er sich bis dato keinerlei intensivere Gedanken über den Terentius hatte gemacht - in diesem Augenblicke überhaupt erst realisierte, dass er nicht einmal wusste, aus welchem Grunde dieser Rom hatte verlassen - indes war es derzeit wohl ohnehin müßig sich damit auseinanderzusetzen. Auch die Redlichkeit des Tiberius nahm er nur mit einem Nicken zur Kenntnis, ein wenig zerrissen durch das generelle Misstrauen, welches dieses nomen gentile in seinen Gedanken evozierte, und den Wunsch, dies alles nurmehr hinter sich zu lassen, Lepidus schlichtweg als ehrgeizigen Spross einer beliebigen patrizischen Familie anzusehen. Erst dessen Rückfrage nötigte ihn schlussendlich zu weiteren Worten - welche jedoch ebenfalls kein sonderlich erbauliches Thema betrafen.
"Ich gehe kaum davon aus, dass eine Kandidatur für das Amt des Consuls meinerseits in den kommenden Jahren sonderlich erfolgverspre'hend wäre, habe ich in Hinblick auf die jüngst vergangenen Jahre doch nichts vorzuweisen."
Er zögerte kurz, setzte dann trocken hinzu:
"Außer einer Proskription."
Obgleich diese zwischenzeitlich war annulliert worden, so war dies letztlich doch das einzige, was mit seinem Namen noch verknüpft war - abgesehen allfällig von seiner Flucht aus Rom, welche indes ebenso kaum als vorteilhaft war anzusehen. Weitaus gravierender jedoch - was er indes nicht würde aussprechen - wog die Tatsache, dass er durch sein unreflektiertes Handeln nicht unwesentlich dazu hatte beigetragen, Rom in einen Bürgerkrieg zu stürzen, was zweifelsohne keine gute Grundlage war, dem Cursus Honorum vorzustehen.
"Meine Zuge..hörigkeit zum Cultus dagegen ... liegt in Händen des Augustus."
Obgleich er suchte, seinen Unmut darüber nicht aufsteigen zu lassen, so mochte doch eine Spur davon aus seinen Worten hinauszuhören sein. Die Prüfung seiner Exklusion dauerte nun schon recht lange an, und Gracchus beschlich bisweilen das Gefühl, dass Cornelius dies absichtlich derart hinauszögerte, um den letzten Rest seiner Reputation zu untergraben - denn so die Prüfung des Sachverhaltes derart lange fortwährte, ließ dies von außen betrachtet unweigerlich darauf schließen, dass dieser Ausschluss nicht etwa in Zusammenhang mit der Willkür des Vesculariers hatte in Verbindung gestanden und ob dessen ohne einen langwierigen Prozess würde entkräftet werden können, sondern dass fürwahr berechtigter Zweifel an der Person des Flaviers oder seiner Tauglichkeit bestand, welche darob eingehend inspiziert werden mussten. Allfällig war dies Palmas Strategie - das Ansehen seiner Mitwisser Stück um Stück zu demontieren, so dass er nicht mehr genötigt war, sich ihrer zu entledigen, da ohnehin keine Gefahr mehr von ihnen würde ausgehen können.
"Sei es wie es sei, ich präferiere es ohnehin nicht, das Prinzip des do ut des in den Cursus Honorum zu über..tragen, und sofern ich dich sekundieren werde, wird dies nicht von einer Gegenleistung abhängen, sondern schli'htweg aus meiner Überzeugung resultieren, dass dies zum Vorteile Roms gereicht"
, fügte er schlussendlich seine Auffassung an - eine jener wenigen Geisteshaltungen, welche den Verlust eines Großteiles seiner Integrität und Prinzipien hatte überdauert, allfällig dadurch gar noch ein wenig mehr an Bedeutung hatte gewonnen. Ohne dass beide dies wussten, waren an diesem Tage jedoch ohnehin alle Worte diesbezüglich ohne Relevanz, würde Gracchus doch weder zu den Kandidaturen, noch zur eigentlichen Wahl den Senat betreten. -
Es schien als würde eine wachsende negative Aura von seinem Gegenüber ausgehen. All die Sätze, sie waren so merkwürdig geformt, so merkwürdig pessimistisch. Mit der Zeit musste sich Lepidus ernsthaft fragen, ob hier überhaupt noch ein Mann mit Ambitionen vor ihm stand, was es bisher nur zu verneinen galt. "Eine Proskription kann durchaus etwas Wert sein", sprach der Tiberier, um diesen Fakt etwas hervorzuheben. Wenn er da an seinen eigenen Patron dachte, der seine Verfolgung durch den Vescularier nutze und sich zum Kaiserklienten aufschwang, dann war das, was der Flavier mit seiner rühmlichen Vergangenheit (denn als solcher empfand er den Widerstand gegen den Usurpator) machte, geradezu kläglich.
In Bezug auf politische Bündnisse schien der Mann ebenfalls nicht allzu sehr auf einer Wellenlänge mit dem Tiberius zu liegen. Das Prinzip des 'eine Hand wäscht die andere' hatte nicht von der Hand zu weisende Vorteile, doch wahrscheinlich war es gerade dieses Vorteilsstreben, was dem Gracchen dann doch nicht beliebte. So blieb es bei einem heuchlerischen "Ich bewundere deine Haltung. Mögen dich deine Überzeugungen stets zu den richtigen Urteilen führen", welches mit einem besonders auffälligen Lächeln vorgetragen wurde. "Somit bleiben keine weiteren Fragen offen. Ich danke dir in jedem Fall für die Zeit, die du für mich erübrigen konntest." Die förmliche Verabschiedung brachte der Tiberier noch nicht vor, denn er sah als das Vorrecht des ranghöheren Senators an, hier den Schlussstrich zu ziehen und ein freundliches auf wiedersehen zu ermöglichen.
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Neuerlich ließ Gracchus seine Braue ein wenig empor wandern, enthielt sich jedoch eines weiteren Kommentars in Hinblick auf die Proskriptionen. Auch hernach war er zu keiner weiteren Replik bereit, fahndete er doch nach Anzeichen dafür, dass Tiberius Lepidus seinen Worten einen Hintergedanken hatte beigemengt, welchen er aufgrund der Fakten nicht zu denken berechtigt war, dies absichtlich hinter seinem Lächeln verbarg, den Flavier geradezu offen verhöhnte. Seine Kiefer aufeinander gebissen fixierte Gracchus seinen Besucher, doch weder brach dieser in schallendes Gelächter aus, noch setzte er zum finalen Stich an, leitete lediglich das Ende seiner Anliegen ein.
"Nun, Zeit ist ein Gut, welches ich derzeit freigiebig zu offerieren habe"
, antwortete Gracchus unbestimmt, zwar gänzlich ehrlich, doch ob dieser Tatsache ein wenig widerwillig, ehedem er fortfuhr:
"Ich wünsche dir viel Erfolg, Tiberius, bei deiner Kandidatur. Mögen die Götter deinen Weg ebnen, und die Senatoren die re'hte Entscheidung treffen." -
Ein Senator, der derzeit nicht allzu viel zu tun hatte, war wohl das beste Zeichen, dass der Übergang zur neuen Ordnung noch nicht vollzogen war. Irgendwie nahm der Tiberier an, dass doch gerade die Flavier, wie überhaupt alle edlen Patrizier, vom neuen Kaiser stark eingebunden werden mussten. Dem war offenbar noch nicht so. Zufrieden nahm der Tiberier allerdings die netten Worte des Gracchus entgegen und ebenso konnte er zufrieden sein, dass er die Zeit des Senators nicht verschwendet hatte. "Vielen Dank, Senator Flavius. Die Götter mögen auch über dein Schicksal wachen. Vale Bene." So verabschiedete sich der Tiberier und ging seines Weges in dem Bewusstsein damit hoffentlich einen weiteren Fürsprecher gewonnen zu haben.
Alles in allem blieb ein merkwürdiger Eindruck von diesem Gracchen zurück. Eine etwas mysteriöse Gestalt, die ihre Absichten nicht allzu leicht offenbarte - vor einem an sich recht oberflächlichen Charakter, wie dem des Lepidus, vermochte sie sich ohnehin recht gut zu verstecken. Zumindest blieb ein positives Gefühl zurück, gaben ihm die Worte des Flaviers doch auch wenig Anlass dazu, etwaige Vorbehalte gegenüber seiner Person und dem mit ihm verbundenen Namen zu vermuten. Ob sich dies freilich in der Zukunft bestätigen würde, blieb abzuwarten.
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"Vale bene, Tiberius"
, verabschiedete der Senator den Besucher und blickte hernach mit überaus gemischten Gefühlen auf die Türe, welche hinter Lepidus sich schloss.
"Ti-be-ri-us ..."
, prüfte er leise abwägend Klang und Gusto des Namens, so als könne dieser allein bereits ein Schicksal besiegeln, als wäre jeder Tiberius darin definiert, gefangen, gleich ob er längstens vergangen, gegenwärtig oder erst zukünftig war.
'Er kann ebenso wenig für seine Herkunft wie du für die deine.'
Obgleich Gracchus nicht einmal den Kopf wandte, den sinistren Schemen seines Vaters zu suchen, hob er missmutig eine Braue, enerviert durch die mahnende Stimme, welche Zeit seines Lebens ihn nicht in Ruhe mochte lassen, ihm derart realiter durch die Sinne zog, dass sie weit mehr war als nur ein bloßer Gedanke.
"Dies mag dur'haus zutreffen, doch was sollte es ändern?"
fragte er dennoch herausfordernd, da der Adhortation ohnehin nicht zu entkommen war.
'Dass sein Name ebenso wenig Garant ist für den Verrat, wie der deine für den Ruhm.'
"Allfällig nicht für den Ruhm, doch für den Wahn zweifels..ohne!"
wandte Gracchus unwirsch zur Seite sich hin, doch die Stimme in seinem Kopfe, die Stimme der Larve hatte bereits ihren imaginären Standort gewechselt, flüsterte nun zur Rechten in sein Ohr.
'Außer Domitianus und Calvaster fiel niemand in unserer Familie dem Wahnsinn anheim.'
"Ach nein?"
knurrte Gracchus, die Kiefer aufeinander gepresst.
"Woher kommt es dann, dass all deine Kinder früher oder später den Verstand ver..lieren?"
'Das ist lächerlich, Manius. Suche nicht deine eigenen Makel in allen anderen.'
Indigniert begann Gracchus mit den Fingerspitzen seine Schläfen zu reiben, gleichwohl um die Aussichtslosigkeit dieser Handlung wissend.
"Lä'herlich? Das einzige, das in diesem Raume lächerlich ist, bist du! Du bist tot! Tot, Vater, tot! Und noch immer sitzt du mir im Nacken und sagst mir, was ich tun soll! Warum lässt du mich nicht endli'h in Ruhe?!"
'Erst wenn du aufhörst, die Familie beständig in Schande zu stürzen!'
"Ah! Darauf läuft es hinaus, nicht wahr? Darauf läuft es doch immer hinaus!"
Wütend schlug Gracchus seine Hände auf den Tisch, erhob sich und wandte sich um, feindselig die Wand anvisierend, deren Schatten in seinen Augen die Züge des väterlichen Antlitzes ihm formten.
"Doch hast nicht du hierfür die Grund..lagen geschaffen, dafür Sorge getragen, dass ich geworden bin, was ich bin!? Du hast mich in dieses Leben gedrängt und dich selbst daraus retiriert als es spinös sich gestaltete! Hättest du einen anderen Weg gewählt, allfällig hätte ich niemals das Imperium in einen Bürgerkrieg ge..stürzt, Tiberius Durus hätte nie eine Chance erhalten, unsere Freundschaft zu verraten, und Tiberius Lepidus könnte ich un..eingeschränkt unterstützen!"
Zornig wandte er sich um und verließ den Raum, stieß die Türe hinter sich mit lautem Krachen zu, dass dies zweifelsohne in weiten Teilen des Hause noch zu vernehmen war. Allfällig war es naiv zu glauben, dass eine Kreatur, welche einzig in seiner Vorstellung war existent - denn Gracchus war nicht derart von Sinnen, zu glauben, dass dies anders sich gestaltete ,- sich durch eine Türe würde aussperren lassen, doch manches mal funktionierte es, und er wünschte, er könnte sich selbst ebenso leicht aus seinem Leben aussperren - aus diesem Leben, in welchem jegliche Wahl ihm bereits diktiert zu sein schien, selbst jene der Magistrate, aus diesem Leben, dessen Existenz er bisweilen nurmehr leid war.~~~ finis ~~~
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