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~ Charilaos von Smyrna ~
"Das All bezeichnet Demokrit von Abdera als unendlich" dozierte der Philosophiegeschichtler vor der Schar seiner Schüler. "Darin existiert sowohl die Fülle als auch die Leere: die Atome und der leere Raum. Daraus entsteht eine unendliche Zahl von Welten, und löst sich auch wieder in diese auf. Wie ist das möglich?"
Sein brennender, von der Glut des Wissens beseelter Blick schweifte über die Akroatai. Sie hatten sich auf einer der Terassen des Hauptgebäudes versammelt, sassen auf den breiten Mamorstufen, welche harmonisch übergingen in die weitläufigen Gärten des Museions. Es war ein schöner Tag, die Sonne wärmte die Versammelten mit ihren milden Strahlen.
"Und vor allem: welchen entscheidenden Schritt hat Demokrit hier getan, zurückblickend auf die großen Vordenker der Naturphilosophie vor ihm?"
Dexter sah ausdruckslos vor sich hin, darauf bedacht, dem Blick des Gelehrten nicht zu begegnen, denn ihm lag die Antwort keineswegs auf der Zunge. Was waren ihm die Atomisten? Dexter war hierher gekommen mit dem Drang, die kühnen, vor dem Umsturz keiner geistigen Autorität und keines Paradigmas haltmachenden Gedankengänge der Pyrrhonisten zu studieren.... doch der Meister Ariston hatte es abgelehnt ihn aufzunehmen, in den erlauchten Zirkel seiner Schüler, bevor er sich nicht ausgiebig mit den vorhergehenden Geistesströmungen, und ganz besonders den Schulen des Atomismus und des Sophismus beschäftigt hatte.
Und darum saß er nun hier, obgleich ihm das Streben nach Erkenntnis über die Prinzipien der Natur stets viel weniger nutzbringend dünkte, als die Beschäftigung mit den Kräften, welche in einer Gruppe von Menschen, einem Volk, einer Polis oder einem Reich, oder im Inneren des Individuums herrschten. Den Umfang der Erde zu kennen, beispielsweise, die Welt vermessen zu können, die Bestandteile der Materie zu identifizieren, dies alles war fraglos interessant, doch nützte es rein garnichts bei der Beantwortung der Frage, welche nach Meinung des jungen Römers Dreh- und Angelpunkt und Berechtigung der philosophischen Wissenschaft war.
Die Frage nämlich: Was sollen wir tun? Beziehungsweise: Was soll ich tun?
Doch es war ihm, in der Zeit, die er nun schon hier am Museion verweilte, sehr deutlich geworden, dass in seiner Umgebung eine wesentlich innigere Liebe zur Theorie, und zum Denken um der reinen Erkenntnis willen, vorherrschte, als er es ihm von seiner heimischen Kultur her vertraut war.
"Demokrit löst sich hier von der Vorstellung eines elementaren Urstoffes... wie dem Wasser bei Thales. Oder der Luft bei Anaximenes." meldete sich Abarim zu Wort, ein fleissiger und so gut wie nie um eine Antwort verlegener Mitakroates Dexters. Es war für den jungen Flavier im Übrigen eine neue, und keineswegs angenehme Erfahrung, hier unter den Akroatoi nicht länger so wie früher mühelos zu den Besten zu gehören... sondern ständig von irgendwelchen Überfliegern – wie jenem Abarim (einem armen und ungehobelten Peregrinen!) – auf einen weniger glanzvollen Platz verwiesen zu werden.
"So ist es." sprach gravitätisch Charilaos. "Auch Anaxagoras Idee des nous verwirft Demokrit. Zur Wiederholung: Was hat es damit auf sich?"
"Der nous ist der Geist am Anfang der Bewegung," sagte Dexter, und war dabei einen Hauch schneller als Abarim.
"Er ist unendlich und unvermischt, er ist laut Anaxagoras Urheber jeglicher Bewegung und ordnet die Welt." fügte jener dann freilich noch hinzu.
Charilaos nickte und strich sich den wirren Denkerbart.
"Bei Demokrit jedoch gibt es keinen nous, lediglich Materie. Die Atome und den leeren Raum. Wie kommt es nun zum Werden der Dinge?" Er hob den Zeigefinger. "Bevor wir dies beantworten, sehen wir uns die Eigenschaften der Atome einmal genauer an..."