Munera Tiberii Duri – Matutis – Pompa und Tierspiele

  • Der Morgen der Totenspiele war angebrochen wie jeder Morgen: Die Ianus-Priester hatten den neuen Tag ausgerufen und geopfert, der große Kalender war einen Tag vorgestellt worden und eine strahlende Sonne ging über einem wolkenlosen, stahlblauen Himmel langsam auf.


    Und doch war heute etwas anders, denn das Theatrum Flavium hatte schon kurz danach seine Tore geöffnet und jedem, der eintreten wollte, Zutritt zu den hohen Zuschauerrängen gewährt. An vielen Plätzen waren kleine Holzschächtelchen mit Schubdeckeln ausgelegt, bewacht von Sklaven, die dünne Schnüre zu den Deckeln der Schachteln hielten und die ein oder anderen frühen Gäste schon freundlich zu ihren Plätzen halfen, sich bei fragen zu den Schachteln aber geheimnisvoll gaben. Der Sand der Arena war frisch aufgefüllt und mit Besen und Rechen glatt gestrichen worden.


    Aber noch waren sehr wenige Menschen im Theater, denn der Einzug, die pompa begann traditionell am Forum Romanum, wo auch die meisten Menschen warteten, um sich alles genau anzusehen und im feierlichen Einzug mitzumarschieren.
    Mit einem Stoß in die tubae der Musikanten wurde so auch das Startsignal gegeben, nur kurz nach Erwachen des Morgens.


    Vorneweg in zwei Reihen gingen zwölf Liktoren, gekleidet in die weiße Toga eines römischen Bürgers, die Rütenbündel geschultert, wie es eigentlich einem amtierenden Consul gebührte. Heute, für die Ehrung eines toten Consulars, hatte Sextus das nur als rechtes Zeichen zu Ehren des Toten empfunden. Zumal momentan auch die Lemuria anstanden und die Geister der Toten erst recht gewürdigt werden sollten.
    Im Gänsemarsch daran folgte dann nicht Sextus als Gastgeber – er selbst hätte sich mit so vielen Liktoren nicht zeigen dürfen – sondern die der Villa Tiberia für diesen Zweck entliehenen Totenmasken. Allerdings Nachbildungen derselben aus Messing, die Sextus extra hatte fertigen lassen, dass den echten Totenmasken in der schon recht sommerlichen Wärme nichts geschehen würde. (Und angesichts der Tatsache, dass aufgrund der Todesart von Tiberius Durus keine solche Maske wirklich gefertigt wurde, ohnehin ein notwendiges – dafür aber sehr strahlendes – Übel.) Zuerst natürlich die Maske des heute zu ehrenden Toten, dem die ganze Ehrung galt, hoch auf einer Stange erhoben, damit die Bevölkerung Roms sie auch gut sehen konnten. Im Anschluss folgten die Toten der Familie, die hohe Ehren in früheren Zeiten errungen hatten. So auch Tiberius Vitamalacus, der es bis zum Aedil und Legatus Legionis gebracht hatte, oder auch Lucius Tiberius Commodus, der für seine Arbeit als Aedil eine Diploma erhalten hatte. Daneben wurden noch einige Götterstatuen mitgeführt, unter deren besonderen Schutz man die feierlichkeiten zu stellen gedachte.
    Erst danach kam dann Sextus. Zu Fuß! Vielleicht hätte es herrschaftlicher ausgesehen, wenn er geritten wäre, aber allein dieser Möglichkeit hatte er sich absolut strikt verweigert. Nachdem er sein letztes Pferd mit Genuss geopfert hatte, war er wild entschlossen, nie wieder seinen Hintern auf eines zu verfrachten. Daher waren die ihm folgenden ebenfalls alle gezwungen, zu Fuß zu marschieren. Traditionell durften sich hier neben seinen Verwandten natürlich auch die Familie des Toten einreihen, nebst dem ein oder anderen Klienten, wenn gewünscht.
    Danach kamen die Musiker. Eine halbe Centurie an Tubabläsern, Flöternspielern und ganze vier auf kleine Wägen montierte Wasserorgeln folgten und verliehen dem Zug den nötigen... Krach.
    Es folgten eine Horde an Ministri, die Tafeln hochhielten, auf denen das wichtigste zur Veranstaltung noch einmal zu lesen war: Wie viele Tiere bei den Tierhetzen sterben würden. Die Namen der Gladiatoren, die Kämpfen würden, nebst einigen ihrer Statistiken, so dass jeder mit denselben Informationen nach Herzenslust wetten konnte. Und natürlich die Ankündigung zum mittäglichen Rennen, das anstatt Hinrichtungen (mangels passender Delinquenten) angesetzt worden war.
    Danach dann kamen die herrschaftlich geschmückten Wagen der Pferde fürs Pferderennen, die edlen Tiere von Sklaven am Halfter geführt, damit sie nicht aufgrund der Menschenmassen und ihres Temperamentes aus der Formation ausbrachen.


    Im Anschluss durften sich die Bürger der Stadt ihrem Rang entsprechend dem Zuge anschließen, um so feierlich in Roms größtes Theater einzuziehen. Viele Bürger nahmen diese Möglichkeit auch durchaus wahr.
    Über das Forum ging es so im Gänsemarsch vorbei am Atrium Vestae und dem Tempel der Venus bis zum Amphitheatrum Flavium, wo sich erstmalig der Zug dann aufteilte. Ganz langsam ging der Führungsteil des Zuges in den dunklen Bauch der Bestie, während alle Zuschauer nun auf den Rängen oben schon gemütlich Platz nehmen konnten. Erst dann öffneten sich die inneren Tore der Arena, um den vorherigen Zug wieder ins Licht zu lassen, wo er in einer langsamen Kreisbahn noch einmal vor den Augen aller entlangmarschierte, ehe die Führungsspitze im Zentrum zum stehen kam.
    Die Pferde wurden wieder hinausgeführt, die Musiker bezogen Stellung an den Seiten und hinter gemauerten Verstecken, um bei den Tierhetzen nicht gleich als Zielscheibe missbraucht zu werden.
    Ein Priester trat hervor, an der Hand eine Ziege – das traditionelle Opfer für einen Toten schon seit dem silbernen Zeitalter der Menschheit. Die Masken der Toten wachten über ihn, ebenso die Statuen der Gottheiten, während die editores dieser Spiele – sprich Sextus und seine Begleiter, die nun in der Hauptloge des Theaters Platz nehmen durften (und das neben dem Kaiser, so dieser kommen sollte!) - sich nun zum Aufgang an der gegenüberliegenden Seite begaben.
    Kaum hatte Sextus Platz genommen, schritt der Priester auch schon zur Tat und opferte feierlich die Ziege dem Geist des Toten. Natürlich wurde das Opfer angenommen – selbst, wenn es nicht angenommen werden würde. Und damit war der erste Akt des offiziellen Teils vollendet. Den zweiten Akt – die feierliche Totenrede – überließ Sextus seinem Klienten. Es war eine gute Möglichkeit, sich ins rechte Licht zu rücken, ebenso eine gute Vorarbeit in Bezug auf ein späteres Aedilat. Und Sextus fand es angemessen, wenn ein Tiberius den Consular ehren würde und nicht er selbst.

  • Atticus war aufgedreht. Heute waren endlich mal so richtig große Spiele! Dass es Spiele für einen Toten waren, war ihm dabei total wurscht. Hauptsache, es gab mal etwas zu sehen, was er noch nicht kannte.
    Im Grunde war Atticus ja eher ein Bücherfreund als ein solcher von roher Gewalt. Verstand sollte über Materie stehen. Vor allem, wenn man zwar größer war als alle anderen in der Klasse, aber schmal wie ein Strich. Aber er hatte noch nie etwas so Großes erlebt, was auch so groß angekündigt worden war. Abgesehen davon gingen alle seine Freunde auch hin und redeten seit Tagen von nichts anderem. Da musste er schon allein hingehen, um am nächsten Tag mitreden zu können und eine Meinung auch überzeugend vertreten zu können.


    Leider aber war seine Mutter weniger begeisterungsfreudig, so dass sie nicht noch vor dem Morgengrauen aufgestanden waren, um auch ja in der ersten Reihe zu stehen, wenn alles für den Einzug ins Theater bereitgemacht wurde. Erst nach Prima Lux und einem seinem Geshcmack nach sowas von überflüssigem Frühstück waren sie aufgebrochen. Und da war die Pompa schon unterwegs und Atticus konnte gar nicht all das ansehen, was er sehen wollte.
    Dementsprechend zerrte er siene Mutter an der Hand hinter sich her, als es zum Theater ging, um wenigstens dort schnell einen guten Platz zu ergattern. Seine Mutter versuchte noch, ihn festzuhalten, aber irgendwo nach dem Einlass und vor dem Treppenaufgang entwand er sich ihrem Griff und schlängelte sich an diversen Menschen vorbei, drückte hier, drängelte da, und war schließlich bei einem der Ausgänge auf die Tribüne angelangt. Sehr schnell war dann auch ein Platz in den Reihen der Ritterschaft ausgemacht, und als seine Mutter endlich etwas gehetzt aussehend hinterherkam, stand er nur kurz auf die Bank und winkte mit beiden Armen zu ihr herüber, so dass sie ihn orten und sich zu ihm schleichen konnte. Er selbst schaute gebannt dann dem Einzug von hier oben zu, hörte die Musikanten, überflog die Tafeln mit den Informationen und bestaunte schon einmal die Rennpferde. Er hatte sich fest vorgenommen, die gesamte Veranstaltung zu besuchen, jede dargebotene Attraktion. Auch wenn es bis in die Abendstunden gehen würde und er zwischendurch ganz sicher seinen Platz würde verlassen müssen. Dennoch wollte er keine Sekunde hiervon verpassen und wartete schon mehr als gespannt darauf, dass es endlich 'richtig' losging.

  • In Mogontiacum gab es auch Spiele im Theatrum - und das war auch ein beachtliches Monstrum, das in Lucius' gar nicht so unendlich viel kleiner wirkte als das Amphitheatrum Flavium (wenn man bedachte, dass es natürlich nur halbrund war, folglich wohl etwa 50% der Sitzplätze bieten würde, falls er sich nicht völlig verschätzte - gezählt hatte er die Reihen in Mogontiacum nämlich nie). Die Spiele, die dort allerdings geboten wurden, waren schon eine andere Größenordnung: Nur ein einziges Mal hatte Lucius Gladiatorenspiele gesehen, wobei er währenddessen auch noch abgelenkt gewesen war, weil diese Nicaea ihn in die Mangel genommen hatte... wo sie wohl steckte?


    Aber das war heute egal, denn heute erlebte der junge Petronier endlich richtige Spiele mit Wagenrennen, Gladiatorenkämpfen und allem was dazugehörte. Schon die Pompa war höchst interessant: Zuerst glaubte er, der Consul führe den Zug an - dann war es aber doch eine Bronzemaske des zu ehrenden Tiberiers. Wie er in einer Taverne erfahren hatte, munkelte das Volk, dieser Tiberius Durus - ein Verwandter seines Patrons - hätte seine Finger mit im Spiel gehabt, als Valerianus ermordet worden war. Wie auch immer - die Sitte, eine Bronzemaske auf einen Stock zu hängen wirkte doch ein wenig eigenartig, wenn man den Brauch der Imagines Maiorum nicht kannte...
    Mit dem Rest konnte Lucius schon mehr anfangen: Der Spielgeber, der zugleich der Patron seines Patrons war, dann aber auch die zugehörigen Familien, eine für mogontinische Verhältnisse lächerlich überdimensionierte Kapelle an Musikern und der Werbeblock für die Gladiatoren und die Rennwägen.


    Nachdem alles eingezogen war, folgte dann aber wieder ein langweiliger Part - Lucius hatte die Götterstatuen ganz übersehen, nun wurde ihnen aber wie üblich ausführlichst gehuldigt. Der junge Petronier nutzte die Zeit, um sich nach einem Süßigkeitenverkäufer umzusehen - nur leider schienen die während des Opfers auch nicht arbeiten zu dürfen...

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    Klient - Herius Claudius Menecrates

    DECURIO - MOGONTIACUM

    MUNICEPS - MOGONTIACUM

  • Zielstrebig hatte der Aurelier diese großen Feierlichkeiten zu Ehren von Durus organisiert und bewies damit, dass er auch noch lange nach dem Tod seines Patrons ein treuer und ergebener Klient war. An jenen Tagen zeigte sich, dass es sicher auch in Durus' Sinne gewesen wäre, dass Lepidus nun zum Klienten von Lupus geworden war. Obwohl die Spiele vor allem dazu da waren, gute Laune zu verbreiten, so zeitigte sich dennoch eine etwas bedrückte Stimmung im Gesichte des Lepidus. Umgeben von den Totenmasken der Tiberii, welche einst so große und stolze Männer hervorgebracht hatten, so hoffte er immer noch, dass er ein würdiger Nachfolger ihrer großen Taten war. Während ihr Name aus dem Dunstkreis der großen Männer des Reiches verschwunden und während der Tyrannenherrschaft am Boden lag, so war dies nun der Anlass, der die endgültige Wende markieren sollte. Umso größer war wohl der Druck in Gegenwart einer so großen Menschenmenge zu sprechen. Seine letzten Reden waren für ein paar ältere Herren vor dem Senat und nun gleich dieses Schauspiel. Lepidus hatte natürlich ein wenig geprobt und insbesondere auf seine Lautstärke geachtet. Zudem war ihm auch der Beistand seiner Schwester eine große Hilfe.


    Nachdem das Opfer vollendet war und dieser Tag auch im Angesicht der Götter gute Zeichen brachte, konnte sich Lepidus endlich hervortun und die Totenrede halten. Ein paar Ausrufer kündigten dies nun an, riefen, dass nun Lucius Tiberius Lepidus eine Rede auf Manius Tiberius Durus halten würde. Eine Vorstellung war damit zum Glück nicht mehr notwendig und er konnte sich direkt dem Anlass des Tages widmen. "Bürger Roms! Wir haben uns heute hier zusammengefunden, um einen ganz besonderen Menschen zu ehren, der sich um das Reich in einer Weise verdient gemacht hat, wie es auch noch jedem zukünftig geborenen Römer zum Vorbild gereichen kann."


    "Wer war Manius Tiberius Durus? Die politischen Umstände haben dazu geführt, dass diese großen Feierlichkeiten zu seinen Ehren so lange auf sich warten mussten. Sein Tod liegt inzwischen einige Zeit zurück und so will ich euch allen in Erinnerung rufen, wer dieser Mann war, der nicht zuletzt selbst ein Opfer des furchtbaren Krieges wurde, der nun hinter uns liegt. Mehr noch als mit seinem Leben, musste er mit seinem Namen bezahlen für Gerechtigkeit eingestanden zu sein, auf dass sich die wahren Verhältnisse in Rom offenbarten. Damit nichts zurück bleibt von all den Schmähungen, Verleumdungen und Niederträchtigkeiten, die über ihn verbreitet wurden, so will ich euch nun den wahren Tiberius Durus präsentieren. Denn anders als die verleumderischen Worte über ihn, so lassen sich all seine großen Taten für Rom nachvollziehen. Sei dies in den Gebäuden, die er stiftete, sei es in den Senatsprotokollen, die seine Worte verzeichneten, sei es im Tabularium, welches die wichtigsten Stationen seines Lebens verzeichnete, seien es die Zeugen, die ihn wahrhaft kannten und schätzten. Sehen wir all dies, so bleibt uns viel Grund diesen Mann hier und heute zu ehren." Lepidus konnte nicht anders, als auf diese Weise in die Totenrede einsteigen. Wenn man bedachte, was er alles über Durus zu hören bekam, als er nach Rom zurückkehrte. Alles, was in der Acta geschrieben stand und durch diesen fettleibigen Tyrannen verbreitet wurde. All dies musste für immer ausgemerzt werden. Nichts sollte von den Lügen übrig bleiben. Die Spiele sollten auch noch den letzten Menschen davon überzeugen, dass sie durch Durus nur gutes wiederfahren hatten und dass sie selbst nach seinem Tod immer noch von seinem Antlitz profitierten.


    "Bedeutsam wird für die Geschichte wohl seine eindrucksvolle politische Laufbahn bleiben. Manius Tiberius Durus erreichte, was nur wenigen in ihrer politischen Laufbahn beschieden ist. Er erklomm die Spitze des Cursus Honorum und ward zum Consul gewählt. Doch nicht nur dieses Amt wird man mit ihm verbinden, sondern auch seine Tatkraft, die er darin entfaltete und nicht weniger als eine umfangreiche Reform des Strafrechts vorantrieb, die für unser Reich noch lange von Bedeutung bleiben wird. Innerhalb des Senats verfolgte er zielstrebig das Wohl Roms und seiner Bürger und sorgte dafür, dass der Senat in seiner Zeit als produktives und geschäftiges Gremium wahrgenommen wurde. Nie vermied er eine Diskussion, stets stellte er sich der Kraft des besseren Arguments, ehrgeizig verfolgte er Reformvorhaben zum Wohle des römischen Reiches. Zweifellos, er war ein Politiker durch und durch. Ein erfolgreicher noch dazu."


    "Doch wären die Taten des Manius Tiberius Durus sicher zu verkürzt dargestellt, wenn sie ausschließlich seinen consularische und senatorischen Höhepunkte beinhalten würden. Daneben galt er als clever Jurist, der sich Stück für Stück in kleineren Fällen einen Namen vor Gericht machte, später dann jedoch an einigen aufsehenerregenden Prozessen sowohl als Advocatus als auch als Iudex beteiligt war. Dass es ihm auch stets darum ging etwas Bleibendes zum Wohle der Menschen zu hinterlassen, kann unter anderem in Misenum beobachtet werden, wo man heute in einer von Tiberius Durus während seines Aedilats gestifteten Bibliothek wandeln und sich bilden kann. Sein Leben als aufrechter Römer ist nicht zuletzt durch seine ausgeprägte pietas gekennzeichnet. Neben all dem Irdischen, lebte er vor allem auch für die für die Götter. Es ist ein weiteres Beispiel, welches uns Manius Tiberius Durus gab und was er uns gemahnte nie zu vergessen: Wir müssen die Götter achten und sie niemals vernachlässigen. Selbst ein geschäftiger Mann wie er, ließ sich nicht davon abbringen, ausreichend zu opfern und die Riten ordnungsgemäß im Sinne der Götter zu vollziehen. Manius Tiberius Durus war ein angesehener Augur, bewahrte später in seiner Funktion als Pontifex die religiösen Traditionen und stand dem ehrwürdigen Collegium Pontificum häufig sogar selbst in seiner Funktion als Pontifex pro magistro vor. Er zeigte uns, dass es eine Einheit von politischen und religiösen Schaffen geben muss. Nur wer sich um das Reich und die Götter gleichermaßen sorgt, der kann ein wahrhaft vollkommener Römer sein. Eine Lehre, die wir uns stets aufs neue ins Bewusstsein rufen sollten!"


    Noch einmal erhob Lepidus kräftig seine Stimme, ansetzend zu einem Abschluss der Totenrede, die noch einmal auch aus Lepidus persönlicher Sicht zusammenfasste, wie die Konturen des Verstorbenen zu zeichnen waren. "Wer war nun also Manius Tiberius Durus, dessen Zeugnisse seines Schaffens so zahlreich sind? Mit Bestimmtheit und voller Überzeugung kann ich sagen: Sein Leben ist ein großartiges Beispiel für kommende Generationen. Tiberius war ein verlässlicher Freund, Verwandter und Patron, ein intelligenter Politiker und ein großartiger Diener der Götter - als solchen wollen wir ihn heute Ehren und für immer in Erinnerung behalten!"


    Lepidus beendete seine Rede und bemühte sich, nicht allzu erschöpft auszusehen, doch die Rede hatte ihn viel Kraft gekostet. Jedoch tatsächlich mehr aufgrund der physischen Anstrengung, als aus einer inneren Rührung, denn eines musste man zweifellos auch konstatieren: Er kannte diesen Mann kein bisschen. Wer auch immer Durus war, er hatte heute nur noch eine Funktion: Den Namen Tiberius glänzen zu lassen, auf dass auch auf Lepidus selbst ein wenig Licht fallen würde. Zum Glück profitierten fast alle davon. Die einen bekamen ein wenig Aufmerksamkeit und das Volk hatte seine Spiele. Es würde Lepidus auch nicht wundern, wenn es den meisten ohnehin egal war, wer dieser Durus war, wenn er nur dafür verantwortlich war, dass endlich wieder Menschen in der Arena starben und Wagen um die Wette fuhren. So sei es dann auch.

  • Als Tiberius Lepidus zurücktrat, nickte Sextus ihm einmal anerkennend zu. Eine gute Rede, nicht zu lang, nicht zu ausführlich, und doch ausführlich genug, die wichtigsten Stationen im Leben von Tiberius Durus wiederzugeben. Wenngleich die meisten Zuschauer mit eben diesen auch nicht viel anfangen konnten, kümmerten sie sich doch wohl eher weniger um politische Finessen der Rechtspolitik. Oder um Religion. Dennoch war es eine gute Rede.


    Als Editor erhob sich nun Sextus von seinem Platz aus, und hatte nun die erfreuliche Möglichkeit, sich äußerst kurz zu fassen:
    “Mögen diese Spiele den Verstorbenen ehren und den Göttern gefallen!“
    Er hob kurz beide Arme in einer auffordernden Geste, und die Sklaven gehorchten sofort. Sie zogen mit ihren feinen Schnüren die Deckel von den Schachteln. Einen Moment lang passierte nichts, und ein erstes, enttäuschtes Ooooh ging schon durch die Zuschauerreihen. Aber dann, erst zaghaft, dann immer schneller, stiegen von überall die Schmetterlinge hervor. Das Ooooh wandelte sich zu einem überraschen Aaaaah! Weiße, rote, gelbe, blaue, bunte... überall breiteten die Falter lautlos ihre Flügel aus, badeten kurz im Licht der Sonne und stiegen dann leise und still gen Himmel und hinaus aus dem Theater, ein Sinnbild von Wiedergeburt und einer friedlichen Seele, die ihren Weg ins Elysium antrat. Nicht nur das richtige für Totenfeiern, sondern wohl auch das richtige für Rom nach einer harten und verlustreichen Zeit, um letzte Wunden zu heilen.


    Mit einem kurzen Zwinkern in Richtung seines Klienten, als wolle er sagen gern geschehen, setzte sich Sextus wieder auf seinen Platz, um dem geschehen nun als Zuschauer zu folgen.


    Die Schmetterlinge waren davon, nur hier und da war einer auf einem zaghaftem Finger sitzen geblieben und ließ sich von Nahem bestaunen. In der Arena war der Moment genutzt worden, als alle Blicke nach Oben gerichtet worden waren, um in Windeseile einige Sträucher dekorativ aufzustellen, so dass sich der schlichte Sand in die glühende Savanne Africas verwandelte.
    Das große Tor stob auf, und heraus kam eine ganze Herde an Gazellen, schlanken Tieren, die die meisten Römer in ihrem Leben noch nie gesehen hatten. Wild aufgeregt sprangen sie los, davon in die Arena, suchten den Ausweg, fanden aber keinen, und zeigten den Zuschauern ihre Künste zu springen und schnell zu laufen.
    Erst danach betraten die Jäger die Arena, zwei halbnackte Männer, und zwei als Amazonen verkleidete Frauen. Allesamt mit Bögen bewaffnet, jeder zusätzlich am Gürtel eine blitzende Klinge. Alle waren sie barfuß, dunkelhäutig und gut eingeölt, so dass ihre Körper in der vormittäglichen Sonne glänzten. Sie grüßten die Menge mit winkender Hand.
    Wie ein Schwarm aufgeschreckter Vögel stoben die Gazellen vor ihnen davon und suchten erst einmal Schutz an den hohen Mauern der Arena.


    “Das Fleisch wollte ich hinterher in der Subura verteilen lassen. Ich denke, die Menschen dort werden darüber mehr als dankbar sein“, meinte Sextus zu Lepidus gewandt, halb als frage, halb als Feststellung.
    Unten in der Arena sirrte der erste Bogen. Die Jagd hatte begonnen.

  • Auf einen Sack Flöhe aufzupassen, war vermutlich einfacher! Gerade noch hatte Axilla ihren Sohn an der Hand gehabt, und schon war er ihr entwischt im dicksten Gewühl der Leute. Sie hatte ihm noch hinterher gerufen, aber vergeblich. Hier waren einfach zu viele.
    Beim nächsten Ausgang ging Axilla nach draußen, um sich umzusehen. Ihr Herz klopfte wie verrückt. Wer konnte schon wissen, was für Verrückte hier herumliefen? Am ende entführte einer noch den Jungen, oder prügelte ihn einfach tot. Dass Axilla kaum zwei Jahre älter gewesen war als ihr Sohn, als sie allein durch Alexandria gelaufen war und sich von niemandem davon abbringen hatte lassen, ignorierte sie bei diesen Sorgen einfach mal.
    Als Axilla sich oben angekommen umsah, erkannte sie erleichtert ihren Sohn, der ein paar Reihen weiter unten wild winkte und sich dann wieder setzte. Axilla schüttelte ärgerlich den Kopf und begab sich langsam zu ihm. Erst, als das Opfer schon begann, erreichte sie ihn. “Mach das bitte nie wieder“, zischte sie ihrem Sohnemann leise zu und atmete erst einmal ruhig durch. Als das Opfer zuende war, hatte ihr Herz auch aufgehört, vor lauter Ärger und Aufregung hart gegen ihre Brust zu schlagen.


    Die Rede des Tiberius war an ihrem Platz noch gut zu hören. Hier und da musste Axilla nicken. Tiberius Durus war in der Tat damals der einzige gewesen, der ihr nach Archias Tod wenigstens versucht hatte, zu helfen. Er hatte sie sehr nett beraten und sich bemüht, ihr mit ihrer Dos zu helfen. Wenngleich absolut nichts dabei herausgekommen war, vermutlich war der Tiberius damals schon zu alt gewesen, um noch wirklich zu brillieren. Aber wenigstens hatte er sich bemüht.
    Die Rede endete, und auf einmal waren überall Schmetterlinge. Auch wenn Axilla einen Moment lang düstere Gedanken gehabt hatte, als sie die vielen Papiliones sah, verflogen diese genauso lautlos mit aus dem Theater hinaus. Kein Mensch mit einer Seele konnte da wohl schlechte Laune haben, wenn er von bunten Schmetterlingen umgeben war, deren sanfte Flügel hier und da sanft die Haut streiften. Einer blieb auf der Tunika ihres Sohnes sitzen, und lautlos und vorsichtig machte Axilla ihn darauf aufmerksam. Genau sah sie sich die schwarze Flügelzeichnung des sonst blassgelben Schmetterlings an und genoss einfach einen Moment lang eben diesen.


    Dass unten die Jagd auf die Gazellen begonnen hatte, merkte sie erst, als das erste Raunen durchs Publikum ging, als das erste Tier getötet wurde.

  • Erst als Lepidus die Stimme erhob, erkannte Lucius seinen Patron selbst in der Ehrenloge. Und während dieser über einen alten, toten Mann schwafelte, fand der junge Petronier tatsächlich seinen Süßigkeitenverkäufer und ließ sich in Honig eingelegte Früchte geben. Als er auf seinen Platz zurückkehrte, war der Tiberier gerade dabei, über die juristischen Erfolge seines Ahnen zu reden. Einen Moment fragte Lucius sich, ob er sich das merken musste - würde Lepidus ihn eines Tages darauf ansprechen? Aber wenn er schon das Wort "Recht" hörte, wurde er müde...


    Am Ende entschloss er sich, dass es ausreichend war, wenn er sich den Namen merkte und dass er Consular gewesen war und wohl irgendwie unglücklich zu Tode gekommen. Und dann war es auch schon vorbei und ein Schauer Schmetterlinge erhob sich, die der junge Petronier am Anfang gar nicht richtig identifizieren konnte - von den höheren Rängen, auf denen er Platz nehmen musste (noch war er ja kein Eques) sah es anfangs eher so aus, als würde eine farbige Rauchschwade aus den Körben aufsteigen, erst dann wurde klar, dass es sich wohl um kleine Tiere handelte. Woher man wohl so viele Schmetterlinge nahm?


    Aber auch für diese Gedanken hatte Lucius keine Zeit, denn als er sich wieder auf die Arena konzentrierte, standen dort bereits Bäume, als hätten sie schon immer dort gestanden. Hatte er die tatsächlich übersehen? Oder gab es hier etwa geheimnisvolle Mechanismen, die die Arena binnen kürzester Zeit verwandeln konnten? Während er noch versuchte zu erkennen, ob es im Sand irgendwo Klappen oder Seile gab, tauchten aber auch schon die Gazellen auf, die er zuerst für Rehe hielt. Allerdings waren die Geweihe irgendwie komisch - ob es sich dabei um irgendwelche lokalen Tierrassen handelte? Zu dumm, dass Armin zusammen mit irgendwelchen anderen Sklaven auf den höheren Rängen saß, sodass er niemanden hatte, mit dem er sich austauschen konnte... - es gab hier einfach so unfassbar viele neue Eindrücke, dass er gar nicht wusste, worüber er zuerst nachdenken sollte!

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    Klient - Herius Claudius Menecrates

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  • Es war wohl der Fluch der Frauen nervös zu sein, wenn ihre Liebsten einen großen Auftritt hatten und dazu konnte man diese Rede eindeutig zählen! Während ihr Bruder Lepidus zwar häufig übte, aber ansonsten ziemlich gefasst wirkte, hatte Lucia die letzte Nacht vor Nervosität kaum geschlafen. Umso schwieriger war es für ihre Leibsklavinnen heute Morgen gewesen sie angemessen herzurichten. Durch das gesamte Opfer hinweg bemühte sich Lucia ruhig zu wirken, während sie innerlich vor Anspannung zu zerreißen drohte. Dann war es endlich so weit. Lepidus trug seine Rede vor.


    Mit dem Gefühl die ganze Zeit die Luft angehalten zu haben, atmete Lucia bei den letzten Worten erleichtert auf. Ihr Bruder war großartig gewesen! Sie schlug begeistert die Hände vor der Brust zusammen und strahlte Lepidus stolz an. Sie erfasste tatsächlich ein Hochgefühl, als ob sie selbst diese Rede gemeistert hätte. Die Worte von Aurelius Lupus und die anschließend aufsteigenden Schmetterlinge nahm sie wie im Rausch wahr. Das schwierigste war geschafft, jetzt konnten sie die Spiele genießen!

  • "Findest du, ich habe unseren Consular gut getroffen?", fragte Lepidus seine Schwester nachdem er wieder Platz genommen hatte. Was für eine 'niedliche' Einlage mit den Schmetterlingen. Das ließ sich nett ansehen und Lepidus quittierte das Zwinkern seines Patrons mit einem Lächeln und einem Nicken. Bisher lief alles hervorragend und der Tiberier konnte sich die über diese Ehrenloge wahrlich nicht beklagen. Auf die Anmerkung von Lupus das das schöne Gazellenfleisch in der Subura zu verteilen, antwortete er etwas gespielt wehklagend: "Mir kommen die Tränen, so gutes Fleisch dem Pöbel vor die Füße zu werfen. Ich kann mir gut vorstellen, wie gierig und würdelos er seine kaputten Zähne in diese für ihn so seltene Schmackhaftigkei hineinjagen wird. Aber was tut man nicht alles für die Etikette."

  • Sein Klient erwies sich wieder einmal als ein bisschen snobistisch und überheblich. Etwas, das Sextus nicht verurteilte, ein profundes Standesbewusstsein konnte man ihm durchaus auch nachsagen. Dennoch entschied er sich, ein wenig den ursus explanandis (oder neulateinisch: den Erklärbär) zu mimen und die Aussagen seines Klienten etwas zu erweitern.
    “Ich würde es weniger Etikette nennen, sondern schlichtweg Taktik. Dieser Grundstock römischer Stadtbevölkerung wird sich nicht für religiöse Errungenschaften interessieren, oder welche Erbschaften wer zugesprochen bekommen hat. Sie selbst haben nichts zu vererben und sind so abergläubisch, wie man es sich nur vorstellen vermag.
    Aber was sie wissen werden, ist, dass die patrizischen Familien Tiberia und Aurelia sie mit Fleisch versorgt haben. Etwas, was sie sonst nur von Hunden oder Ratten kennen, und das nur, wenn sie ein solches Tier fangen können. Sie werden ihre vollen Bäuche kennen und den süßen Geschmack und unsere Großzügigkeit preisen. Und zumindest in den nächsten Wochen werden sie ihre Zähne in jeden schlagen, der schlecht über dich als ihrem großen Gönner spricht.
    Wenn du einmal Ädil sein wirst, hast du ihre Begeisterung für dich völlig kostenfrei heute dazugewonnen.


    Und die übrigen Senatoren werden um diesen Umstand wissen. Wenn sie dich ausbooten wollen, müssen sie diese Großzügigkeit erst übertreffen. Und solange sie das nicht können, werden sie es sich deutlich überlegen müssen, etwas gegen dich zu unternehmen. Und wenn sie klug sind, bis dahin mit dir zusammen arbeiten.
    Sieh es also als Investition in deine politische Laufbahn. Und frische die Erinnerungen des Volkes immer wieder auf. Letzten Endes sind diese Massen die günstigsten Verbündeten, die du haben kannst.“


    ~~~


    Die Jäger unten in der Arena übertrafen sich an akrobatischen Einlagen gegenseitig. Sie schossen ihre Pfeile aus der Drehung, im Knien, im Springen, im vollen Lauf. Jedes Mal, wenn ein Pfeil sirrend die Sehne verließ, brach an anderer Stelle ein Tier zusammen und blieb blutend liegen.
    Panisch sprangen einige der Gazellen durcheinander. Zwei von ihnen flohen so in Panik, dass sie mit dem Kopf gegeneinander sprangen und liegen blieben, ohne dass ein Pfeil sie auch nur berührt hätte.
    Als nur noch etwa zehn Tiere übrig waren, legten die Jäger ihre Bögen beiseite und ließen sich Speere zuwerfen. Diese waren auch mit Messing überzogen, so dass sie deutlich im Sonnenlicht glitzerten.
    Als erstes warf einer der Männer seinen Speer nach einer der Gazellen – und verfehlte. Allerdings hatte sein Wurf solche Kraft, dass der Speer im gemauerten Rand der Arena stecken blieb. Seine weiblichen Kolleginnen lachten deutlich sichtbar mit theatralisch übertriebenen Bewegungen. Eine der Amazonen nahm ihren Speer hoch, so dass sie ihn werfen konnte. Sie nahm ein paar Schritte Anlauf, ihr Gang federte leicht. Als die Gazellenherde vor ihr auseinanderstob ließ sie den Speer von ihrem Arm schnellen. Zielgenau durchbohrte die Spitze die Schulter eines großen Bockes mit ausladendem Gehörn. Das Tier brach im Lauf zusammen und blieb auf seinen eingeknickten Vorderbeinen liegen.

  • Als das erste Blut floss, wurde Lucius aus seinen ganzen Überlegungen gerissen - erst jetzt wurde ihm klar, dass dies ja eine groß inszenierte Jagd mit richtigen Jägern und richtigen Tieren war! Und er selbst liebte die Jagd ja mindestens ebenso sehr wie diese eingeölten Schwarzen (von denen er in seinem bisherigen Leben auch nur einmal zwei im Flusshafen von Mogontiacum gesehen hatte)! Auch wenn er das Blut aus seiner Position nicht wirklich sehen konnte, blickte er doch wie gebannt auf eines der zusammengebrochenen Rehe, nahm jedes Zittern wahr - etwas im Todeskampf zu beobachten war einfach... aufregend! Und all das unendlich oft - er musste nur ein paar Fuß weiterblicken, da war schon das nächste tote Vieh!


    Es juckte ihn doch in den Fingern, selbst einmal wieder den Jagdspieß in der Hand zu halten! Ob man diese seltsamen Rehe auch vor den Toren Roms jagen konnte?

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  • Der in der politischen Arena deutlich erfahrenere Aurelier hatte da ein paar weise Worte gesprochen. Politische Lehren, die Lepidus wohl abseits seiner häufig zu abgehobenen Art erst noch lernen musste. Diese Cleverness war ihm wahrlich noch nicht zuteil geworden. "Ich zweifle nicht an dem Nutzen, der sich daraus ergibt. Das mag sein. Doch du deutetest es selbst an: Es ist alles temporär. Und sobald sich der nächste anschickt, ihre Mägen zu füllen, werden sie ihre Loyalität wechseln. Wenn auf sonst nichts verlass ist, aber auf die Wankelmütigkeit des Pöbels ganz sicher. So spielen wir das Spiel des wechselnden Gunstgewinns, setzen Unmengen an Geldsummen nur für ihren Spaß um und eben dieser Pöbel ist der strahlende Gewinner. Sie sind die wahren Könige Roms." Den letzten Satz sprach der Tiberier fast mit ein wenig Abscheu. Es fühlte sich nie gut an, nur ein Instrument zu sein und er wusste in der Tat noch nicht wie er später ein Aedilat bekleiden sollte, denn offensichtlich stieg ihm ein großer Widerwillen entgegen nur ein Volksbeglücker zu sein. Zu einem professionellen Heuchler im ganz großen Stil musste er sich erst noch entwickeln - auch wenn er im privaten Umfeld schon einiges an Übung darin gewann.

  • “Allerdings hast du einen taktischen Vorteil: Du bist Patrizier. Dieser Pöbel weiß, dass Patrizier reich sind. Oder zumindest sind sie dieser festen Überzeugung. Daher wissen sie, dass von einem Patrizier mehr Geschenke kommen. Und häufiger.
    Natürlich ist alles ein beständiger Prozess. Das ist das Finden von Freunden im Senat allerdings ebenfalls. Auch diese sind seltenst von Dauer. Ein kluger Mann wird immer an beiden Fronten investieren.“

    Sextus sparte sich irgendwelche Ausführungen darüber, dass dieser Pöbel das Volk von Rom sei, oder ähnlich pathetischen Schwachsinn. Er konnte die Abneigung seines Klienten ja durchaus nachvollziehen. Er hielt sich auch sehr auf Abstand zu jedem, den er unter seinem Stand wähnte. Einzig konnte er bezüglich seiner eigenen Abneigung eindeutig besser schauspielern.


    ~~~



    Auch mit dem Speer wurden die Reihen der Tiere weiter gelichtet. Zwischendurch kamen immer wieder unauffällig Helfer in die Arena geflitzt, die die bereits verendeten Tiere aus dem Weg zogen, so dass die Jäger nicht über Tierkadaver steigen mussten.
    Schließlich war nur noch ein einziges Tier übrig geblieben, das sich ängstlich hinter einem der Büsche duckte. Die Jäger indes glänzten inzwischen auch hier und da von Blut, wenn sie ein Tier aus der Nähe getötet hatten oder einem schlecht getroffenen und schreienden Bock mit dem Messer den Gnadenstoß gegeben hatten.


    Die letzte Gazelle aber rührten sie nicht an. Als ihr Werk getan war, hoben sie noch einmal ihre Arme zum Gruß an das Publikum, strahlten allen winkend entgegen – und verließen die Arena. Kurz noch huschten ein paar Helfer, um wirklich alle toten Tiere vom Sandplatz zu entfernen. Und dann war die Arena erst einmal leer.
    Die verängstigte Gazelle stand noch immer zitternd und bebend an einem der größeren Büsche und versuchte, etwas im Wind zu wittern. Aber überall lag der Geruch der großen Stadt und der vielen Menschen hier, so dass sich keine Beruhigung einstellen konnte.


    Als die Spannung sowohl bei Tier als auch beim Publikum wohl den Siedepunkt erreichte, öffnete sich rasselnd wieder ein Tor. Allerdings nicht das große Tor, durch das die venatores die Arena verlassen hatten, sondern zwei kleinere.
    Mit einem tiefen, dunklen Grollen kam aus jedem Tor ein Löwe, beide mit prächtiger, dunkler Mähne. Große Tiere, deren Muskeln sich deutlich unter dem Fell abzeichneten. Sie rochen das Blut im Sand, und fast augenblicklich tropfte von ihren Lefzen der Speichel. Ganz offensichtlich waren sie sehr hungrig.
    Und die Gazelle bemerkte es ganz offensichtlich auch in diesem Augenblick...

  • Die Jagd auf die Gazellen fand Atticus zwar durchaus interessant, aber nicht so fesselnd. Im Grunde waren es Variationen desselben Vorgehens. Erst mit dem Bogen ein Pfeil nach dem anderen, danach ein Speer nach dem anderen. Es gab kaum Unterschiede für ihn zu erkennen, und ein wenig hatte er Mitleid mit den Tieren, die nirgends hin fliehen konnten. Aber natürlich konnte er das nicht zugeben.


    Aber die Löwen, das war etwas anderes. Er konnte ihr Grollen bis zu sich hinauf hören, und sofort stellten sich alle seine Haare am Unterarm auf. Es waren große, herrschaftliche Tiere. Atticus hatte bisher nur Bilder von Löwen gesehen, auf Mosaiken oder als Schmuck auf Schatullen. Aber das waren die ersten beiden echten Löwen, die er sah. Und sie waren einfach wunderschön! So kraftvoll und groß! So muskulös! Fasziniert sah Atticus ihren geschmeidigen Bewegungen zu, wie sie den Sand betraten. Sah, wie sie die übrige Gazelle witterten. Wusste, was als nächstes passieren würde, bevor es tatsächlich passierte. Und in diesem Moment konnte er nicht sagen, jemals etwas gesehen zu haben, was ihn derartig zu fesseln vermocht hätte.

  • Die Gazelle versuchte, ihrem Instinkt zu folgen und zu flüchten. Aber die Arena war begrenzt und es gab keinen Punkt, an dem sie vor den großen Raubkatzen in Sicherheit wäre. Dennoch zwang die Angst das Tier dazu, die Flucht zu versuchen.


    Die Löwen wiederum folgten ihren Instinkten. Mit tiefem Grollen bedeuteten sie dem jeweils anderen, angemessenen Abstand zu halten, und näherten sich geduckt und nah am Boden. Immer dann, wenn die Gazelle drohte, seitlich an den beiden zur anderen Seite der Arena auszuweichen, machte eine der Katzen einen kleinen Satz, um ihr den Weg abzuschneiden, so dass die Gazelle wieder panikerfüllt einen Haken schlug und wieder zurück in den immer kleiner werdenden Raum auf ihrer Seite der Arena eilte.
    Schließlich waren die Löwen so nah heran, dass es für die Gazelle wohl keinen Ausweg mehr gab. Bevor die Löwen zum Sprung ansetzten, rannte sie in einem verzweifelten Ausbruchsversuch los. Wieder versuchte der nächstgelegene Löwe, ihr den Weg abzuschneiden, aber diesmal war die Verzweiflung wohl größer. Schnell rannte die Gazelle weiter, sprang hoch, als der Löwe ihr nahe kam, und war mit diesem verzweifelten Satz dann an der Raubkatze vorbei.
    Und die Jagd begann.


    Sofort setzte der so ausgetrickste Löwe nach, drehte sich so schnell um, dass er Arenasand dabei aufwirbelte und versuchte, aus dem Stand loszusprinten.
    Der zweite Löwe war aber schon der Gazelle auf den Fersen. Von seinem weiter entfernten Standort aus hatte er die Flucht sehen können und rannte so, dass er der Gazelle den Weg abschneiden konnte.
    Diese jedoch war des anderen Jägers durchaus gewahr und lief einen Haken. Allerdings gab es hier kein offenes Feld, auf welches sie flüchten konnte und war gezwungen, wieder in Richtung einer Wand zu laufen. Der erste Löwe war noch ein gutes Stück entfernt, aber der zweite machte den Richtungswechsel mit und holte mit großen Sätzen auf die Gazelle auf. Diese rannte immer weiter, immer weiter auf die Mauer zu. Schon versuchte der Löwe, sie mit seinen krallenbewehrten Pfoten zu berühren, und dennoch rannte sie weiter.
    Erst im allerletzten Moment schlug sie erneut einen Haken, so schnell in der Geschwindigkeit, dass der erste Sprung gegen die Wand der Arena ging und erst dann auf den Sand.
    Der Löwe allerdings war nicht so schnell in seiner Bewegung. Von seiner Stärke und Kraft war er behäbiger in seinen Bewegungen, so dass er diesen schnellen Richtungswechsel nicht mitmachen konnte. Hart prallte er gegen die Steinmauer und ging in einer Wolke von Sand erst einmal zu Boden.


    Dennoch konnte die Gazelle nicht aufatmen. Denn nun war auch der erste Löwe schon heran und während sein Kollege Bekanntschaft mit der Mauer schloss, setzte er der Gazelle nach und vollendete, was der andere begonnen hatte. Im Lauf fischte eine Pfote immer wieder nach den Hinterläufen der flüchtigen Gazelle, bis diese schließlich stürzte und die kräftige Raubkatze damit über ihr war. Dann war es nur noch ein schneller, blutiger Biss, und diese Jagd hatte ihr Ende gefunden.

  • Das... war... Atticus konnte gar nicht genau sehen, was alles passierte, und dann war es passiert. Da war Blut. Viel Blut. Und das krachende Geräusch von brechenden Knochen. Malmenden Zähnen. Das Fauchen und Grollen der Löwen. Eigentlich konnte er gar nicht hinsehen, aber er konnte auch nicht wegsehen. Wie der Rest der Zuschauer wohl saß er einfach da und starrte auf den toten Körper der Gazelle und das Blut auf der Schnauze des erfolgreichen Löwen.

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