Der Morgen der Totenspiele war angebrochen wie jeder Morgen: Die Ianus-Priester hatten den neuen Tag ausgerufen und geopfert, der große Kalender war einen Tag vorgestellt worden und eine strahlende Sonne ging über einem wolkenlosen, stahlblauen Himmel langsam auf.
Und doch war heute etwas anders, denn das Theatrum Flavium hatte schon kurz danach seine Tore geöffnet und jedem, der eintreten wollte, Zutritt zu den hohen Zuschauerrängen gewährt. An vielen Plätzen waren kleine Holzschächtelchen mit Schubdeckeln ausgelegt, bewacht von Sklaven, die dünne Schnüre zu den Deckeln der Schachteln hielten und die ein oder anderen frühen Gäste schon freundlich zu ihren Plätzen halfen, sich bei fragen zu den Schachteln aber geheimnisvoll gaben. Der Sand der Arena war frisch aufgefüllt und mit Besen und Rechen glatt gestrichen worden.
Aber noch waren sehr wenige Menschen im Theater, denn der Einzug, die pompa begann traditionell am Forum Romanum, wo auch die meisten Menschen warteten, um sich alles genau anzusehen und im feierlichen Einzug mitzumarschieren.
Mit einem Stoß in die tubae der Musikanten wurde so auch das Startsignal gegeben, nur kurz nach Erwachen des Morgens.
Vorneweg in zwei Reihen gingen zwölf Liktoren, gekleidet in die weiße Toga eines römischen Bürgers, die Rütenbündel geschultert, wie es eigentlich einem amtierenden Consul gebührte. Heute, für die Ehrung eines toten Consulars, hatte Sextus das nur als rechtes Zeichen zu Ehren des Toten empfunden. Zumal momentan auch die Lemuria anstanden und die Geister der Toten erst recht gewürdigt werden sollten.
Im Gänsemarsch daran folgte dann nicht Sextus als Gastgeber – er selbst hätte sich mit so vielen Liktoren nicht zeigen dürfen – sondern die der Villa Tiberia für diesen Zweck entliehenen Totenmasken. Allerdings Nachbildungen derselben aus Messing, die Sextus extra hatte fertigen lassen, dass den echten Totenmasken in der schon recht sommerlichen Wärme nichts geschehen würde. (Und angesichts der Tatsache, dass aufgrund der Todesart von Tiberius Durus keine solche Maske wirklich gefertigt wurde, ohnehin ein notwendiges – dafür aber sehr strahlendes – Übel.) Zuerst natürlich die Maske des heute zu ehrenden Toten, dem die ganze Ehrung galt, hoch auf einer Stange erhoben, damit die Bevölkerung Roms sie auch gut sehen konnten. Im Anschluss folgten die Toten der Familie, die hohe Ehren in früheren Zeiten errungen hatten. So auch Tiberius Vitamalacus, der es bis zum Aedil und Legatus Legionis gebracht hatte, oder auch Lucius Tiberius Commodus, der für seine Arbeit als Aedil eine Diploma erhalten hatte. Daneben wurden noch einige Götterstatuen mitgeführt, unter deren besonderen Schutz man die feierlichkeiten zu stellen gedachte.
Erst danach kam dann Sextus. Zu Fuß! Vielleicht hätte es herrschaftlicher ausgesehen, wenn er geritten wäre, aber allein dieser Möglichkeit hatte er sich absolut strikt verweigert. Nachdem er sein letztes Pferd mit Genuss geopfert hatte, war er wild entschlossen, nie wieder seinen Hintern auf eines zu verfrachten. Daher waren die ihm folgenden ebenfalls alle gezwungen, zu Fuß zu marschieren. Traditionell durften sich hier neben seinen Verwandten natürlich auch die Familie des Toten einreihen, nebst dem ein oder anderen Klienten, wenn gewünscht.
Danach kamen die Musiker. Eine halbe Centurie an Tubabläsern, Flöternspielern und ganze vier auf kleine Wägen montierte Wasserorgeln folgten und verliehen dem Zug den nötigen... Krach.
Es folgten eine Horde an Ministri, die Tafeln hochhielten, auf denen das wichtigste zur Veranstaltung noch einmal zu lesen war: Wie viele Tiere bei den Tierhetzen sterben würden. Die Namen der Gladiatoren, die Kämpfen würden, nebst einigen ihrer Statistiken, so dass jeder mit denselben Informationen nach Herzenslust wetten konnte. Und natürlich die Ankündigung zum mittäglichen Rennen, das anstatt Hinrichtungen (mangels passender Delinquenten) angesetzt worden war.
Danach dann kamen die herrschaftlich geschmückten Wagen der Pferde fürs Pferderennen, die edlen Tiere von Sklaven am Halfter geführt, damit sie nicht aufgrund der Menschenmassen und ihres Temperamentes aus der Formation ausbrachen.
Im Anschluss durften sich die Bürger der Stadt ihrem Rang entsprechend dem Zuge anschließen, um so feierlich in Roms größtes Theater einzuziehen. Viele Bürger nahmen diese Möglichkeit auch durchaus wahr.
Über das Forum ging es so im Gänsemarsch vorbei am Atrium Vestae und dem Tempel der Venus bis zum Amphitheatrum Flavium, wo sich erstmalig der Zug dann aufteilte. Ganz langsam ging der Führungsteil des Zuges in den dunklen Bauch der Bestie, während alle Zuschauer nun auf den Rängen oben schon gemütlich Platz nehmen konnten. Erst dann öffneten sich die inneren Tore der Arena, um den vorherigen Zug wieder ins Licht zu lassen, wo er in einer langsamen Kreisbahn noch einmal vor den Augen aller entlangmarschierte, ehe die Führungsspitze im Zentrum zum stehen kam.
Die Pferde wurden wieder hinausgeführt, die Musiker bezogen Stellung an den Seiten und hinter gemauerten Verstecken, um bei den Tierhetzen nicht gleich als Zielscheibe missbraucht zu werden.
Ein Priester trat hervor, an der Hand eine Ziege – das traditionelle Opfer für einen Toten schon seit dem silbernen Zeitalter der Menschheit. Die Masken der Toten wachten über ihn, ebenso die Statuen der Gottheiten, während die editores dieser Spiele – sprich Sextus und seine Begleiter, die nun in der Hauptloge des Theaters Platz nehmen durften (und das neben dem Kaiser, so dieser kommen sollte!) - sich nun zum Aufgang an der gegenüberliegenden Seite begaben.
Kaum hatte Sextus Platz genommen, schritt der Priester auch schon zur Tat und opferte feierlich die Ziege dem Geist des Toten. Natürlich wurde das Opfer angenommen – selbst, wenn es nicht angenommen werden würde. Und damit war der erste Akt des offiziellen Teils vollendet. Den zweiten Akt – die feierliche Totenrede – überließ Sextus seinem Klienten. Es war eine gute Möglichkeit, sich ins rechte Licht zu rücken, ebenso eine gute Vorarbeit in Bezug auf ein späteres Aedilat. Und Sextus fand es angemessen, wenn ein Tiberius den Consular ehren würde und nicht er selbst.