[Trans Tiberim] Der alte Serapistempel: evigilatio, anastasis, obturbator, pater, enkoimesis

  • ...versunken und überwach nahm ich dies alles wahr: ein Hauch von Weihrauch, der von der vorherigen Zeremonie noch in der Luft hing... ein Kribbeln in meinem untergeschlagenen Bein... das regelmäßige Muster der Mauerfugen... die Kühle, wenn beim Einatmen der Luftstrom über meine Oberlippe glitt... die Stimme meines Vaters... der meinen Namen aussprach...
    Moment... -
    Langsam, und noch immer von der Ruhe, die der Ewige schenkt, erfüllt, wandte ich mich um. Er stand im Eingang des Tempels, umflossen vom letzten Abendlicht. Ich stand auf und ging auf ihn zu. Es hätte auch ein Tagtraum sein können, eines der Bilder, die in den langen Meditationen bisweilen so lebensecht aus den unkartographierten Tiefen meines Ichs aufstiegen. Und es war irgendwie auch nicht so unpassend, dass mir – nun, da ich, nach allem was in den letzten Monaten geschehen war, erkennen mußte dass ich nicht hier in der Kultgemeinschaft bleiben konnte, nun, da ich zu entscheiden hatte ob es mich zurück in die schmutzige Welt Roms zog, oder auf eine Pilgerreise zum großen Serapeion, oder in die Arme Phantasos', oder in eine einsame Eremitenhöhle, oder zurück zu meiner Familie... – dass mir gerade da das Bild meines Vaters begegnete.
    Darum empfand ich wenig Verwunderung – und trat dieser Erscheinung mit interessierter Gelassenheit entgegen, so wie Anastasius es mich gelehrt hatte den Bildern zu begegnen.
    "Ich bin hier."

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    SODALIS FACTIO AURATA - FACTIO AURATA

    Klient - Decima Lucilla

  • Als Livianus die plötzlichen und vollkommen unerwarteten Worte aus dem Hintergrund hörte, schob er den Mann, den er eben noch recht zaghaft nach seinem Sohn gefragt hatte, einfach beiseite und starrte stattdessen in das Halbdunkel, aus der die ihm wohlbekannte Stimme gekommen war. Es waren zuerst nur schemenhafte Umrisse eines Mannes zu erkennen, der, ausgehend von seiner Statur, seine Sohn sein konnte. Langsam doch mit nun immer rasender werdenden Puls stapfte Livianus auf diese zu.


    "Faustus?"


    Ein paar Schritte reichten aus, um Gewissheit zu erlangen. Dort stand sein Sohn Faustus. Jeglicher kurz aufgekommene Zweifel verschwand mit einem Schlag, als er die unverkennbaren Gesichtszüge im fahlen Licht erkennen konnte. Nun passten sich seine letzten Schritte an seinen Puls an und er ging mit ausgestreckten Armen auf Faustus zu. Mit beiden Händen fasste er den Kopf seines Sohnes, musterte einen kurzen Moment sein Gesicht, nur um sicher zu gehen, dass er es tatsächlich war und zog ihn dann fest und sichtlich erleichtert an sich heran.


    "Faustus!"

  • Darauf war ich nicht gefasst. Er umarmte mich... So gar nicht war ich darauf gefasst. Überrumpelt verharrte ich, so wie ich da stand, ohne mich zu rühren, nur meine Schultern wurden hart. Natürlich war da ein Teil in mir, der sich ungeheuer freute, ihn zu sehen, und der mich sehnlich wünschen ließ, mich in die väterliche Umarmung hineinzuwerfen, ohne zu hinterfragen, dankbar und vertrauensvoll. Doch bestimmender war... der Argwohn. Das tiefe Mißtrauen, welches mir in Fleisch und Knochen hineingesickert war, in den Zeiten des Verrates. Mein Vater war mir vor dem Senat in den Rücken gefallen, um die Wahl zum Konsul zu gewinnen. Für das Wohl der Familie, möglicherweise hatte er damals mich einzelnen fallen lassen, in dem Glauben so das größere Wohl der ganzen Familie zu gewährleisten... so erklärte ich es mir zumindest. Und nichtsdestotrotz hatte er mich fallenlassen, und nichtsdestotrotz hatte er sich, obgleich er die ganze Wahrheit kannte, entschieden diese weiterhin zu leugnen. Livianus hatte mich im Stich gelassen, um das zu tun, was ihm den größten Nutzen versprach.
    Und dass er nun mit einem Mal hier erschien... allein?.... und in so unscheinbarem Gewand?... war gewiss auch irgendeiner Frage von Kosten und Nutzen geschuldet, so dachte ich zynisch.
    "Vater." sagte ich verhalten. "Du hier...?"
    Natürlich stand mir auch wieder das furchtbare Zerwürfnis vor Augen. Was ich da alles zu ihm gesagt hatte, in meinem Zorn und meiner Enttäuschung – wütende Worte, ungehörige Worte, Worte die man gegenüber seinem Pater familias, was auch immer der getan haben mag, einfach nicht sagen darf!! Ich schlug die Augen nieder, und dann kam mir als nächstes der bange Gedanke, ob womöglich etwas in der Familie vorgefallen war, etwas schlimmes. So schlimm, dass es ihn bewogen hatte, mich trotz allem selbst aufzusuchen.
    "Ist... ist etwas passiert?" fragte ich leise.

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    Klient - Decima Lucilla

  • "Nein Faustus. Keine Sorge." erwiderte der Decimer rasch, da er ahnte, welche Gedanken gerade durch den Kopf seines Adoptivsohnes schwirrten. "Es geht allen gut."


    Danach musterte er Serapio, der nicht gerade den gleichen Eindruck erweckte. Er wirkte nicht krank aber müde und hatte wohl auch etwas an Gewicht verloren. Sein früher muskulöser Körper wirkte auf den ersten Blick nun eher sehnig und abgemagert. Livianus hatte einfach viel zu lange gewartet, um diesen Schritt zu unternehmen und sich mit Serapio auszusöhnen. Auch wenn er es sich bisher nicht eingestehen wollte, gab ihm dieser Anblick Gewissheit.


    "Ich bin hier um dich nach Hause zu holen."


    Man konnte fast meinen etwas Angst im Gesicht des alten Decimers zu erkennen, als er diese Aussage tätigte. Sichtlich angespannt, sah er seinen Sohn in die Augen und wartete auf dessen Reaktion.

  • "Gut." murmelte ich. Erleichtert, als er diese Befürchtung zerstreute.
    Er musterte mich. Ich hob den Blick und betrachtete ihn meinerseits stumm. Die Rührung kroch in meine Kehle bei seinen Worten, und bewegt biss ich mir auf die Lippen. Was mußte es ihn gekostet haben, hierherzukommen. Mein Vater hatte schließlich auch den familiären Dickschädel.
    "Ich habe euch vermisst." flüsterte ich. Und trat näher an ihn heran, legte ihm die Hand auf den Arm. "Lass uns hinausgehen."


    Aus dem Inneren des Tempels traten wir auf den Vorplatz. Die Giebelspitze war von der Abendsonne noch mit Licht betupft, während der Platz schon in tiefen Schatten lag. Erst als wir zwischen den Säulen weitab lauschender Ohren waren, sprach ich weiter.
    "Ich habe euch vermisst." wiederholte ich. "Und doch..." Beklommen wandte ich den Blick ab, auf ein verwittertes Fries, kämpfte mit mir, sah fast schüchtern wieder zu Livianus. Es fiel mir so schwer das zu sagen, ich fürchtete ihn vor den Kopf zu stoßen, ihn zu enttäuschen, ihn zornig zu machen. Und doch ließ es sich beim besten Willen nicht ignorieren.
    "...ich meine... du weißt, dass ich nicht ohne Grund gegangen bin. Wie soll ich denn... leben in einem Haus, in dem selbst meine Familie die Lügen der Kaisermörder glaubt, die elende Propaganda, die mich... zum ruchlosen Schergen eines Ungeheuers macht. Oder sie zumindest zu glauben vorgibt. In dem selbst grünschnäbelige junge Verwandte nicht davor zurückschrecken, meinen Namen öffentlich in den Dreck ziehen. Ein Haus, in dem über den Mord an unserem Klienten, über die Verschleppung meiner Schwester und über meine Tortur, einfach drüber hinweggesehen wird."
    Verzweifelt schüttelte ich den Kopf. "Ein Haus, in dem ständig die Schweine ein und aus gehen, mit denen du dich... aus politischen Gründen, ich weiß, aber nichtsdestotrotz... verbündet hast? Der Mann, mit dem du dich da öffentlich ausgesöhnt hat, der Duccier..." Ich stockte. Holte erneut Atem, und sagte es schnell, ich versuchte, nur die Worte zu sagen, ohne die Gedanken zu denken, ohne die Erinnerungen hochkommen zu lassen, "...Im Kerker. Er hat mich gefoltert." Es schnell sagen, und schnell darüber hinweggehen, einfach weiter, nur nicht in den Abgrund sehen, einfach weitersprechen, weiterdenken, kühl die Luft, der welke Geruch des Laubes, und rauchblau der Himmel und glatt der Stein der Säule, und ich, ebenso kühl, mein Gesicht ebenso steinern, alles weit weg. Weit weg.
    "Ich möchte sehr gerne nach Hause kommen, Vater. Aber so. Das... geht einfach nicht. Das ertrage ich nicht."

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    Klient - Decima Lucilla

  • Natürlich hatte Livianus nicht damit gerechnet, dass sein Sohn ihm um den Hals fallen würde und all das Geschehene mit einem Schlag vergessen war. Aber er hatte sich auch vorgenommen, sich bei diesem Wiedersehen nicht in eine neue Diskussion über die Vergangenheit verwickeln zu lassen. Ihre jeweiligen Standpunkte hatten die beiden schon von langer Zeit mehr als deutlich gemacht und daran hatte vermutlich auch die inzwischen verstrichene Zeit nicht viel geändert. Der Ältere der beiden musste als Politiker und Patriarch der Familie Entscheidungen treffen, die oftmals rein politisch motiviert waren, dem Wohl der ganzen Familie gereichten, oder auch einfach nur dazu dienten, seinen eigenen Einflussbereich und seine Stellung in der römischen Oberschicht zu sichern. In all den Jahren hatte er gelernt auch mit unpopulären oder sogar schlussendlich falschen Entscheidungen zu leben. Eine Eigenschaft, die für sein Umfeld oft sehr befremdlich wirkte oder auf keinerlei Verständnis traf.


    "Wir alle versuchen uns und unsere Lieben durch das Leben zu steuern, dass oftmals einer fahrt über das Meer gleicht. Einmal ist die See ruhig, ein anderes Mal stürmisch und rau. Nicht immer sind die Entscheidungen die wir dabei zu treffen haben einfach und oftmals stellen sie sich im nachhinein sogar als falsch heraus. Ich bin nicht auf jede Entscheidung stolz, die ich im Laufe meines Lebens treffen musste, aber du kannst mir glauben, dass ich immer triftige Gründe dafür hatte und mir keine davon leicht gefallen ist.


    Ich verspreche dir, dass ich alles daran setzen werde, dich zu rehabilitieren und dir deinen gesellschaftlichen Stand wieder zurück zu geben. Was du dann aus deinem Leben machst und wie du in Zukunft zu mir stehst, überlasse ich dir und der Zeit. Denn hier geht es nicht nur um dich und mich. Es geht um die Familie, deren Teil du nach wie vor bist. Eine Familie die dich braucht und vermisst.


    Ich bitte dich daher - lass uns dieses Wiedersehen nicht erneut mit Vorwürfen und Diskussionen beginnen. Wir können die Vergangenheit beide nicht ändern. Komm mit nach Hause und lass uns einen gemeinsamen Neuanfang versuchen."

  • Stürmische See? Wohl eher hatte sich der Himmel aufgetan und blindwütige Mächte wie Zyklopen mit Felsen geworfen, Schiffe zerschmettert und Seefahrer elend absaufen lassen. Rauhe See. Bei jedem anderen hätte ich sogleich protestiert gegen den Euphemismus dieser Metapher... aber bei meinem Vater, da wußte ich, dass er, im Gegensatz zu anderen genau wußte wovon er sprach. Er war einst selbst ein Schiffbrüchiger gewesen, war in Gefangenschaft der grausamen Parther gewesen. Worüber er stets schwieg.
    Entscheidungen. Entscheidungen, auf die er nicht stolz war.... wie die Entscheidung, mir in aller Öffentlichkeit vor dem Senat in den Rücken zu fallen, mich fallen zu lassen, die Verleumdungen der Palma-Speichellecker gegen mich unwidersprochen hinzunehmen, um seine Wahl zum Konsul nicht zu gefährden? Ich biss die Zähne zusammen, die bittere Enttäuschung war wieder sehr präsent. War dies hier alles was er dazu zu sagen hatte? Offenbar schon. Vielleicht sollten wir unseren Familienwahlspruch mal umgestalten, honor et fortitudo schien dem Zeitgeist nicht mehr so ganz zu entsprechen. Wie wäre es mit flexibilitas et successus ?


    Resigniert schüttelte ich den Kopf, als er davon sprach, mein Ansehen wieder herstellen zu wollen.
    "Cornelius wird es mir nie verzeihen, dass ich seine schändliche Tat aufgedeckt habe. Und seine Anhänger werden es mir nie verzeihen, dass ich mich ihrem feigen Mitläufertum verwehrt habe." Ja, gab es etwas unverzeihlicheres, etwas nervigeres und störenderes, als sich nicht am gemeinsamen Duckmäusern zu beteiligen?
    "Solange Cornelius' Lügen Staatsraison sind, ist für mich kein Platz in dieser Welt. Ich weiß es, weil... Flavius Gracchus hat doch auch schon alles versucht. Er... bereut das Geschehene, und er hat es sogar geschafft, ein Treffen in die Wege zu leiten, zwischen Cornelius und mir. In der Rhegia, ganz diskret. Du wunderst dich sicher dass ich hingegangen bin. Aber ich bin einfach... zermürbt. Ich habe mich mein ganzes Leben lang (also, nach den adoleszenten Verwirrungen, das weist du ja, aber dann fortwährend!) für Rom eingesetzt, als Soldat, ich habe in drei Kriegen gekämpft, Truppen ins Feld geführt, Hochverräter überführt, die Garde kommandiert, und ich war gut in dem was ich tat – und jetzt sitze ich hier, verfemt, und kann nichts tun und nichts bewirken, wie... in einen Eisblock eingefroren. Darum bin ich hingegangen. Aber es war wie in einem absurden Theaterstück, ein Reden gegen Wände, ein Kampf gegen Windmühlenflügel. Cornelius war vollkommen taub für Argumente, schien sie einfach nicht zu hören, oder aber – er wirkte schon ziemlich senil - im nächsten Augenblick schon vergessen zu haben... sagte bisweilen heuchlerisch jaja, nur um dann wiederum konkretes Handeln empört von sich zu weisen."
    Ich schilderte meinem Vater den Verlauf dieses unsäglichen Treffens dann ausführlich von vorne bis hinten, und schloß mit den Worten:
    "...Worauf er sich blasiert brüstete, er sei ja so ungemein gnädig, er habe mich ja auch einfach töten lassen können. Ich sei rehabilitiert, sagte er dann widerwillig, ein Eques wie jeder andere auch. Mich wieder in die Militia Equestris einzusetzen kam ihm jedoch seltsamerweise, trotz allem vorherigen Blabla von Wieder-Eintracht des Reiches, Versöhnung der Parteien, trotz Manius... Flavius Gracchus entschlossener Fürsprache überhaupt nicht in den Sinn. Er würgte jede Möglichkeit, dieses Gespräch zu einem konkreten Ergebnis zu führen abrupt ab, schnitt uns das Wort ab und raste wie der Blitz aus dem Raum. Dass er seine persönlichen Ressentiments gegen mich über ein staatskluges Handeln stellt wundert mich nicht, aber dass er selbst Senator Flavius wie einen nichtswürdigen Untertan abfertigt.... Es war sinnlos und vollkommen bizarr."
    Und nichts, aber rein gar nichts, war darauf gefolgt. Ich atmete tief durch und massierte mir mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. Alleine mich daran zurückzuerinnern machte Kopfschmerzen... -



    Letztendlich konnte ich natürlich überhaupt nicht 'nein' sagen, zu der Bitte Livianus'. Er war nun mal mein Pater familias. Und auch wenn ich ihm gegenüber in Zorn und Verzweiflung aufbegehrt hatte, bei dem Streit, der zu meinem Weggang aus der Casa geführt hatte... im Grunde war mir natürlich klar dass es, auch wenn ich mich im Recht sah, eine absolute Ungeheuerlichkeit gewesen war, so mit meinem Vater zu sprechen. Dem ich so viel verdankte. Der mich... jedenfalls vor dem Bürgerkrieg... nie im Stich gelassen hatte, und dem ich es auch verdankte, gewisse Jugendtorheiten unbeschadet überstanden zu haben. Ich war froh, dass er hier war, froh dass mein Gedanke "er wird froh sein mich los zu sein" Unsinn war. Ich vermisste meine Familie. Ein Mensch konnte doch gar nicht losgelöst von seiner Familie existieren. Zum Serapis-Mysten in der Tempelgemeinschaft taugte ich auch nicht. Und... 'ein Neuanfang', das bedeutete doch, dass sich etwas verändern würde... oder nicht?
    "...Ja. Natürlich komme ich mit nach Hause." antwortete ich. "Ein gemeinsamer Neuanfang. Ja."
    Da war aber noch was. Wenn ich nach Hause zurückkehrte... sollte mein Vater wissen wer ich war. Ich war mittlerweile einfach aller Lügen und Verstellungen samt und sonders überdrüssig.
    "Kann ich..." Oh je. Das Herz schlug mir plötzlich bis zum Hals. "...ähm..." Mein Gesicht fühlte sich mit einem mal so heiß an.
    Ruhig Blut Faustus. Bestimmt weiß er es schon. Bestimmt hat er es sich selbst schon zusammengereimt.
    Tief durchatmen.
    "Ist es dir recht, wenn ich meinen Freund mitbringe?"

  • Der alte Decimer ließ seinen Sohn in aller Ruhe erzählen und hörte schweigend zu. Er erinnerte sich daran, dass Flavius Gracchus bei seiner Rückkehr nach Rom Gast in der Casa Decima war und dass Seiana erwähnte, dieser habe die Gens während und nach der Zeit des Bürgerkriegs sehr unterstützt. Doch der Kontakt war kurz danach irgendwie abrupt abgebrochen und da Livianus ohnehin mit dem Wahlkampf beschäftigt war, hatte er auch keine Zeit sich darüber Gedanken zu machen, warum der Flavier ihm offensichtlich auch im Senat aus dem Weg ging. Vor allem aber beschäftigte ihm damals die bis heute unbeantwortet gebliebene Frage, welche Verbindung zwischen dem Flavier und seinem Sohn herrschte.


    Bei den Schilderungen über das geheime Treffen, schüttelte Livianus hin und wieder verständnislos den Kopf. Nicht, dass er sich etwas anderes erwartet hätte, immerhin hatte er Palma als Consul und Praefectus Urbi oft genug selbst in Besprechungen hautnah miterlebt und wusste, dass Diskussionen mit dem Mann mitunter schwierig, wenn nicht sogar fast unmöglich waren. Doch auch sein Sohn war kein einfacher Diskussionspartner. Auch das kannte er aus eigener Erfahrung. Nichts desto trotz hatte Palma klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, dass Serapio rehabilitiert war und jedes Ritteramt bekleiden konnte, dass ihm zustand und wofür er sich eignete, nur nicht eben jenes des Praefectus Praetorio. Es war bestimmt eine große Enttäuschung für seinen Sohn, doch der alte Decimer erwischte sich auch bei dem Gedanken, ob er in der gleichen Situation nicht ähnlich wie Palma entschieden hätte. Einen Mann zum Kommandeur der eigenen Leibwache zu ernennen, der offen gegen einen selbst aufbegehrte, war keine wirklich logische oder besonders glückliche Entscheidung. Dennoch stand es Livanus nun zumindest frei für seinen Sohn jedwedes andere Amt anzustreben, dass ihm in den nächsten Wochen unterkam.


    Livianus wollte gerade ansetzen eine Verbindung zwischen Serapios letztem Satz über Palmas Abfertigung von Gracchus und seinen eigenen Beweggründen für so manche Entscheidungen und Handlungen herzustellen, als Serpaio plötzlich das Thema wechselte, sein Mitkommen bekräftigte und auch einen "Freund" erwähnte. Aus seinen Gedanken gerissen sah der Decimer seinen Sohn etwas irritiert an.


    "Ein Freund? Welcher Freund?"

  • Offenbar hatte er sich noch gar nichts zusammengereimt. Er blickte mich an wie eine Trireme.
    "Ich... ähm... Wenn es ein Neuanfang ist, dann will ich... ich will...ähm... offen sein." stotterte ich, den Rücken kerzengerade straffend, unwillkürlich Haltung annehmend. Ich wollte nicht, dass er mich nach Hause holte, und es dann herausfand, und dann meinte, ich hätte ihn getäuscht, nein, er sollte wissen worauf er sich einließ. (Natürlich hätte ich es ihm schon damals offen sagen müssen, bevor er mich adoptierte. Aber ich hatte es eben nicht gewagt.)
    Blut und Wasser schwitzte ich jetzt. Vor Livianus – besonders wenn er mich so ansah! - da verwandelte ich mich einfach automatisch vom Unwetter-des-Lebens-gegerbten Veteran zum kleinen Jungen. Der fürchtete, zu enttäuschen. Und fürchtete, dass gleich das hispanische Gewitter losbrechen würde. Das wohlbekannte.
    "Mein Freund." wiederholte ich abgehackt.
    "Er hat mir das Leben gerettet. Mich hierhergebracht. Wo ich Heilung gefunden habe. Und..."
    Und noch konnte ich abbiegen, und meinem Vater eine harmlose Geschichte von Kameradschaft, Blutsbrüderschaft, was auch immer erzählen.
    Ich atmete tief durch. Tief...
    "...er ist nicht nur 'ein Freund'. Er ist mein Gefährte. Wir sind..."
    Dies vor meinem Vater auszusprechen... das ging gar nicht... Ich spürte, wie die Hitze in meinem Gesicht glühte, bis in die Ohren hinein.
    "Wir sind Liebende."

  • Als Serapio mit seiner unbeholfenen Stotterei begann, wollte Livianus schon abwinken, ihm das Wort abschneiden und sagen, dass er diesen Lebensretter natürlich mitbringen konnte, wenn es weiter nichts war. Doch als ob er irgendwie geahnt hätte, dass dieser kurze Monolog noch auf etwas anderes hinauslief, hörte er weiter zu bis........ bis das berühmte L-Wort kam.


    Zuerst verfiel der sonst so hartgesottene Decimer in eine Art Schockstarre und musterte das Gesicht seines Adoptivsohns mit leicht geöffneten Mund. Unzählige Gedankenblitze zuckten in diesem Moment durch seinen Kopf. Meine Serapio das ernst? Natürlich musste er es ernst meinen! Dazu war diese Situation hier zu prekär, als dass er sich einen Scherz erlaubt hätte. War es nun für Livianus wirklich die große Überraschung, wie es dem ersten Anschein nach wirkte? Natürlich hatte sich dieser schon oft die einen oder anderen Gedanken über seinen Adoptivsohn gemacht. Er war in einem Alter, in dem ein guter und vor allem bisher ambitionierter und erfolgreicher Römer verheiratet sein sollte. Doch Serapio hatte bisher kaum Interesse für den Heiratsmarkt gezeigt, geschweige denn für Frauen an sich. Soweit sich Livianus zurück erinnerte, hatte er ihm noch nie eine vorgestellt oder überhaupt in der Casa zu Gast gehabt. Auch, dass ihm Serapio somit keine Enkel schenken würde, kam ihn in den Sinn und natürlich, dass er sich selbst und auch seinen Vater damit politisch angreifbar machte. Livianus selbst fing mit derlei Vorlieben nicht viel an, doch er war nicht Weltfremd und hatte gehört, dass so mancher Römer gleichgeschlechtlichen Gelüsten nachging. Sogar dem großen Iulius Caesar sagte man dies nach. Im Moment war ihm doch das alles einfach zu viel und sein Kopf drohte zu platzen, wenn er sich weiterhin Gedanken darüber machte. Er seufzte und nickte dann.


    "Ähm.... Du kannst ihn mitbringen..... Ich..... Wir reden dann daheim darüber."

  • Der Moment der Wahrheit. Sie hatte eingeschlagen wie ein Katapultgeschoss, mein Vater sah so aus wie jemand der knapp neben dem Krater stand, und nun benommen darauf starrte, mit dröhnenden Ohren, während der Staub sich langsam senkte.
    Ich sah diesen Schatten der Enttäuschung über sein Gesicht ziehen... hörte ihn seufzen... das tat weh, aber doch längst nicht so schlimm wie ich mir das immer vorgestellt hatte. Früher wäre ich sicher im Boden versunken, doch mittlerweile sah ich Livianus weniger verklärt, und war von ihm ja durchaus auch schon bitter enttäuscht worden.
    Da mußt du durch, Vater. dachte ich seltsam losgelöst. Das war nun also der Augenblick, vor dem ich mich so viele Jahre lang so schrecklich gefürchtet hatte? Komisch.
    Und dann sagte er tatsächlich, ich könne Borkan mitbringen... Ungläubig sah ich ihn an. Das hieß ja zuallererst... dass ich ihm trotzdem willkommen war. Dass er mich trotzdem nach Hause holen wollte. (Ob Borkan überhaupt mitzukommen gedachte, das wusste ich gar nicht, es würde sich sowieso erst in Zukunft finden.) Und alles andere... würde sich vielleicht auch irgendwie finden...
    Ich begann zu lächeln. Still zu lächeln, als diese Wahnsinnsanspannung von mir abfiel.
    "Gut."


    Im Handumdrehen hatte ich meine sieben Sachen zusammengepackt. Da es schon seit einer Weile (genaugenommen seit der Sache mit der mysteriösen Tabula... und Borkan... und den Urbanern...) klar war, dass ich nicht hier bleiben konnte, war es kein langer Abschied. Ich sagte Adieu zu Castus, Loquex und Anastasius - tausend Dank und auf bald!
    Dann ging ich zusammen mit meinem Vater nach Hause.



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    SODALIS FACTIO AURATA - FACTIO AURATA

    Klient - Decima Lucilla

  • „Faustus! Faustus!“
    Der Boden erbebte, als die Front der Panzerreiter auf uns zu donnerte. Panisch, doch gefangen inmitten der dichten Formation meiner Kameraden sah ich zu Lucullus, über den Rand meines Scutums. Auch in seinen Augen, tiefbraun und weit aufgerissen unter dem Rand seines Helmes, stand der Schrecken, und zugleich ein trotziger Todesmut.
    “Wir sehen uns dann auf der anderen Seite!“ rief er mir noch zu, als die stählerne Woge mit unsagbarer Wucht über uns hereinbrach, als der Schildwall barst, und Knochen knackten, und die Welt in einem blutbesprengten Wirbel von Lanzen und Gladii, Schreien, Waffenklirren und keilenden Hufen versank.


    Ich floh... Diesmal war ich geflohen, ich weiß nicht wie. Lucullus war tot. Ich rannte. Über die staubige Ebene, fort von der Schlacht, von blinder Furcht umfangen, das Heulen der Keren hinter mir, rannte was ich konnte, die Sonne hoch über mir, keuchend, endlos, mein Schwert hatte ich schon längst verloren, und auch die Schnallen meines Harnischs löste ich, und warf ihn von mir, in der feigen Hoffnung, schneller zu sein, ihnen doch noch entkommen, den Klauen der Keren – 'Keren in dunkler Gestalt, mit weißen Zähnen erklirrend'.


    Ihr blutiges Fraßlied in den Ohren erreichte ich den Garten, flüchtete mich hinein in dessen Nacht wie ein gehetztes Wild. Ein knorriger Olivenbaum reckte seine Zweige vor den Mond. Leise raschelten die Blätter im Wind. Es war im Grunde mehr... ein Innenhof, mit verschnörkelten Fensterbalustraden. Ich war... nicht allein. Um den schwarzen Schacht herum standen wir, ich sah nicht ihre Gesichter, und wusste doch mit aller Klarheit: Licinus. Imperiosus. Sparsus. Der Tribun. Mein Centurio.
    Erstarrt stand ich zwischen ihnen, und sah mit einem kalten Grauen den Schacht, der verschlossen war, fest verschlossen von einem schweren metallenen Gitter, eine solide feste eiserne Barriere... Aus der Tiefe drang ein leises vergessenes Geräusch an mein Ohr, wie von einem Stock, der über Stein schleift, und ein Knirschen... als die Luke begann, sich zu öffnen.



    Mein erstickter Schrei riss mich aus dem Schlaf. Ich hatte mich aufgebäumt, und sah wild um mich. Es war tiefste Nacht. Der Innenraum des Serapistempels lag im milden Schein der Öllampen. Unergründlich blickte das Kultbild des Gottes auf mich, ebenso wie auf die anderen Tempelschläfer und auf den Mysten, der sinnend am Eingang wachte. Es roch nach Bienenwachs und Räucherwerk, aber vor allem auch nach Wollfett und Blut, denn ich lag auf dem frisch abgezogenen Fell des schwarzen Widders, den ich dem unendlichen Serapis-Osiris am Abend zum Opfer gebracht hatte. Natürlich hatte ich zuvor auch gefastet, mich der rituellen Reinigung unterzogen, großzügig gespendet, versteht sich, und das Wechselspiel des Hymnus des Ewigen angestimmt, sowie... – nein, hier muss ich schweigen, manches muss verborgen bleiben.
    Den Zeitpunkt hatte ich mit Bedacht gewählt: zwischen den Lemuria und den Carnaria, wenn die Grenzen zum Reich des chtonischen Serapis am schwächsten sind. Doch was ich mir erhoffte... schien auszubleiben. Nur wieder die Albträume, die alten, sinnlosen, und darum doch nicht weniger beklemmenden Albträume!
    Aufgewühlt fuhr ich mir über die Stirn und legte mich wieder hin. Ich starrte an die gewölbte Decke des Kultraumes, an dem der Widerschein der Flämmchen umherhuschte, ein atemloses Spiel von Licht und Schatten.
    Warum ich überhaupt dort war? Auf dem stinkenden Fell, zwischen den anderen Tempelschläfern, manche von ihnen sichtlich krank. Unweit von mir lagerte ein zerlumpter Krüppel. Das war schon recht widerwärtig! Aber die Serapisjünger wiesen nun mal niemanden ab – was mir in meiner mehr oder weniger schillernden Vergangenheit schon einmal sehr (sehr!!!) zu Gute gekommen war.


    So lag ich da, an die Decke blickend, und wie in einem Kaleidoskop schoben sich Fragmente von Erlebtem übereinander, trudelten Eindrücke der jüngsten Zeit durch meinen überwachen und todmüden Geist...
    Ja, was suchte ich denn überhaupt in der Enkoimesis ?
    Ich hatte doch alles, so gut wie alles, was ein Mensch sich nur wünschen und erträumen kann.


    Primum: Mein Vater hatte mir die Führung unserer Gens anvertraut. Ich, einstmals das schwarze Schaf, hatte mich bewiesen und war nun derjenige, der auf dem höchst repräsentativen Stuhl des Pater familias sitzen durfte, und würdevoll die Geschicke unserer Familie (in Rom) lenken durfte...

  • Tertium:
    Fortuna lächelte mir wieder zu. Und obgleich Cousin Casca mir in der Zeit meiner ausufernden Nabataea-Mission meine liebreizende (und ausgesprochen tolerante) Auserwählte vor der Nase weggeschnappt hatte, so stand ich doch noch immer auf gutem Fuß mit Valentina, ja, konnte sie als vertraute Amica bezeichnen.
    Das leidige Ehethema hatte ich hingegen kurzerhand delegiert. An meine Großtante Drusilla, die sich darauf um Längen besser verstand als ich, und mir durch ihre mannigfaltigen Verbindungen in der Matronenschaft Roms dann auch schon eine Reihe von vielversprechenden Kandidatinnen aus gutem Hause vorgeschlagen hatte...

  • Und vor allem anderen! Folgendes:
    Man konnte wohl sagen, dass Manius' und meine langjährig immerzu halsbrecherisch unter dem Damoklesschwert schlingernde Amour fou nach dem letzten Drama in den Lucretilischen Bergen zu guter Letzt nun doch zu einem glücklichen Ende gekommen war.
    Wir trafen uns weiterhin regelmäßig und diskret in meiner Junggesellenbude, verbrachten dort gemeinsame schöne Stunden, pflegten ansonsten mittlerweile sogar offen einen wohlanständig erscheinenden gesellschaftlichen Umgang. Die Zerwürfnisse, der Wahnsinn des Bruderkrieges und die jahrelange Zeit des einander so bitter Entbehrens lagen endlich hinter uns, Vertrautheit trat an die Stelle ständiger Katastrophen, Gewissheit an die Stelle herzzernagender Zweifel, selige Erfüllung an die Stelle quälender ('torquierender' hätte Manius bestimmt gesagt) Sehnsucht und mittlerweile vielleicht sogar eine gewisse.....
    wie soll ich sagen........
    Routine...…?

  • Zu guter Letzt:
    Die Ernte war gut auf unseren Latifundien, mein Tribunat brachte ein Heidengeld ein, und ich konnte mir problemlos das ein oder andere hübsche Spielzeug, sei es das neueste Rennwagenmodell, ein edles Ross oder einen neuen Luxussklaven gönnen. Ich muss aber zugeben, dass mir all diese netten Dinge doch meist dann auch recht schnell (zunehmend schnell) wieder langweilig wurden, nun ja, ich war eben ein Freund der Abwechslung.
    Ich hielt mich dem hohen Standard der Garde gemäß auf einem guten Trainingsstand, und mein Ornator pflegte mich mit den erlesensten Essenzen, so dass ich noch immer eine schneidige Figur machte. Was ich mir dann auch gelegentlich bei der ein oder anderen flüchtigen Ausschweifung unter Beweis stellte...

  • Ergo, es war alles bestens. Ich hatte alles, was ein Mensch sich nur wünschen konnte, und vieles von dem andere nicht mal zu träumen wagten.
    Jedoch: woher kam dann immer wieder diese nagende Unzufriedenheit, dieser Überdruss, dieser Gedanke "soll das denn schon alles gewesen sein?". Mir war, als wäre alles schon mal dagewesen...
    Das Widderfell war rau unter meiner Wange. Ein anderer Tempelschläfer murmelte im Schlaf vor sich hin. Mit leisen Schritten durchquerte ein Myste die Cella und wechselte die Kerzen vor dem Bild des Ewigen. Das Untier mit den drei Köpfen, welches zu seinen Füßen wachte, fletschte die Zähne...
    Meine Lider waren schwer.


    Ein leises Lachen war vor mir in der Dunkelheit, ein Schemen und Schritte, die sich leichtfüßig entfernten. Ohne Ariadnefaden war ich in dieses Labyrinth geraten. Was sollte ich tun, als den Schritten zu folgen?
    "Warte!"
    Ich tastete mich vorwärts, hastete durch die Schwärze. Es ging abwärts. Einzelne Bänder von Hieroglyphen wie in einem ägyptischen Grab waren an den Wänden, rätselhaft und unleserlich. Als ich zur nächsten Wegkreuzung kam, konnte ich einen Blick auf die Gestalt vor mir erhaschen – ein Jüngling, hübsch und wohlgestalt, wenn auch nicht gerade kräftig, in einem leichtgegürteten Chiton, einen Blütenkranz auf dem langen dunkle Haar... Einen Blick über die bloße Schulter warf er mir zu, ein kokettes Lächeln, und schon war er wieder fort, nur seiner Schritte Widerhall drang noch an mein Ohr... Irgendwoher kannte ich ihn, mir fiel nur gerade partout nicht ein woher!
    Der Gang weitete sich zu einer Kammer. Sonnenlicht fiel in einzelnen Lichtstrahlen durch Gesteinsritzen, und Wurzeln hingen von der Decke wie Medusenhaar. Ich strich sie beiseite und fand mich vor einer Klinengruppe und einem gedeckten Cenatisch. Der Jüngling hatte sich auf eine Kline gefläzt und öffnete gerade mit einer Zange ein großes Schalentier, pulte genüßlich das weiße Fleisch aus den Ringen des... schwarzen... Panzers. Das war kein Hummer. Ein übergroßer Skorpion war es, den er hier verspeiste, und auf silbernen Platten lagen noch viel mehr, appetitlich angerichtet mit Zitronenscheiben und Petersilie garniert.
    "Was zum Hades...?"
    Er blickte kauend auf, einen halben Skorpionschwanz mit hochgerecktem Stachel noch in der Hand. Seine Augen waren sehr blau, mit Kohlestift umrandet, der Kranz auf seinem Kopf hingegen bestand aus duftigen roten Mohnblüten. Der Eindruck ihn irgendwoher zu kenne wurde stärker... und sein Name... der lag mir auf der Zunge, doch... ich bekam ihn einfach nicht zu fassen...!

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    SODALIS FACTIO AURATA - FACTIO AURATA

    Klient - Decima Lucilla

  • "Auch einen Happen?" fragte spöttisch der Jüngling, und wies einladend auf das makabere Mahl. "Oder etwas Lektüre gefällig? Du bist mal wieder in den Schlagzeilen..."
    Irgendwie war es dazu gekommen, dass ich mich ebenfalls auf einer der Klinen befand und eine brandneue Ausgabe der Acta Diura in den Händen hielt.
    IM BETT MIT EINEM KAISERMÖRDER - SKANDALÖSE ENTHÜLLUNG
    lautete die Überschrift des Leitartikels.
    "WIE ICH EINEN JAHRHUNDERTMORD AUFKLÄRTE UND DEM HAUPTSCHLDIGEN VERFIEL" - DECIMUS BRICHT SEIN SCHWEIGEN!
    Fassungslos ließ ich das Blatt sinken, und tatsächlich war mein erster Gedanke, dass die Acta seit den Zeiten, als meine Tante Lucilla und später meiner Schwester am Ruder gestanden hatten, doch gewaltig an Niveau verloren hatte. Dann erst wurde ich wütend.
    So ein Quatsch!" schimpfte ich, "Manius ist keineswegs der Hauptschuldige! Er ist... er war nur... dabei, als sie.... Er ist da so reingeraten... von den Ereignissen überrollt worden..."
    Der impertinente Jüngling jedoch lachte mich aus.
    "Hahaha," prustete er, "du Heuchler!"
    Dieser Nichtnutz! "Na warte!" schnaubte ich, und packte ihn grob bei den Schultern, schüttelte ihn, dass ihm der Kranz schief in die grinsende Visage rutschte. "Was weist du denn schon vom Leben?!"
    "Ich weiß, dass diese blasierte Gesellschaft mich einfach nur anwidert!" versetzte er hitzig, "Das alles ist so hohl und leer und ich fasse es nicht, dass du bei dem ganzen Zirkus ernsthaft mitmachst! Was zählt da denn?! Doch nur Macht und Geld und Prestige, in einem Regime, das auf Unterdrückung basiert, und Krieg, und banalen Spektakeln für die dummgehaltenen Massen!!"
    Jetzt, jetzt erst, dämmerte mir die Erkenntnis.
    "Flosculus?" fragte ich schwach. Doch er war mir schon wieder entwischt, wie ein Nebelschweif, und in meiner Hand blieb nur der Mohnblütenkranz zurück.
    Aus der Ferne schon, hörte ich ihn noch über mich lachen, und ein Raunen wie ein Echo seiner...meiner?... Stimme lag in der Höhle:
    "Klio lässt dir sagen, du lebst noch immer von gestundeter Zeit. Sieh genau hin."
    Dann war er unwiderbringlich fort.


    Rot wie Purpur und vergossenes Blut leuchteten die Blüten in meiner Hand. Ich sah genau hin. Mein Blick war eigentümlich geschärft. Durch die ungeheure Intensität der Farben sah ich hindurch, und erkannte, dass verschlungene Stränge ihr Wesen waren, und noch tiefer ging mein Blick, und ich sah, dass diese Stränge aus unzähligen kleinen Buchstaben bestanden, so zahlreich wie die Sterne am Firmament, die umeinander wuselten wie Käfer und sich zu immer neuen Worten und Sätzen formten, und zuletzt lösten sich sogar die Lettern in noch kleinere Teilchen auf, wurden zu einer Unendlichkeit kleiner aufrechtstehender Striche und ovaler Kreise, rätselhafte Kolonnen, die schwindelerregende Bahnen zogen. Und nicht nur die Mohnblüten bestanden aus diesem mysteriösen Stoff, je schärfer mein Blick wurde, um so mehr breitete sich das Phänomen aus, griff auf meine Finger über, meine Arme, zog sich durch mich hindurch, durch alles...
    Etwas rief nach mir, etwas von der anderen Seite, forderte mich auf mich selbst zu erkennen... doch in heillosem Schrecken vor der Auflösung, die da von mir... von allem!... Besitz ergriffen hatte, wandte ich mich ab und ergriff die Flucht.
    Da nahte unversehens Hilfe – es waren die gesottenen Skorpione, die mir beistanden. Sie formierten sich in einer prächtigen Phalanx auf dem Tisch und reckten kämpferisch die Stachelschwänze, dazu stimmten sie schmetternd ein Lied an – und zwar das Chorlied aus Medea:
    "Wo heftige Liebe den Mann /
    Vom Gleise reißt, dem kann sie nicht /
    Würde verleihen noch Ruhm."

    So deckten sie todesmutig meinen Rückzug. Sogar die schon halb aufgegessenen hatten sich eingereiht, versehrte Invaliden...
    Zwei Öffnungen in der Höhlenwand taten sich vor mir auf, die eine mit einem roten Vorhang verhängt, die andere mit einem blauen... Auf diesen hastete ich zu, stürzte mich in das Lichtblau, das mich kühl und wohltuend umfing...


    ~ ~ ~


    Ich erwachte auf meinem Widderfell, davon dass die Tempeltüren rituell geöffnet wurden, und das Sonnenlicht hell auf das Standbild des Ewigen fiel. Gähnend und mich streckend versuchte ich, der Träume der Nacht wieder habhaft zu werden, doch sie waren schlichtweg fort, wie weggeblasen.
    Stutzig rieb ich mir den Nacken, doch es war wie es war. Erstaunlicherweise fühlte ich mich trotz des unbequemen Lagers herrlich ausgeschlafen und erfrischt. Nach der Morgenzeremonie hatte ich dann meinen Termin zur Traumdeutung bei meinem alten Mentor Anastasius. Ich hatte mir ja auch einen Hinweis darauf erhofft, ob es wirklich das Richtige war, um Iulia zu freien, doch leider gab es nichts zu deuten, weil nicht mal ein vager Hauch der Erinnerung haften geblieben war. Anastasius meinte ungerührt, auch dies habe gewiss seinen Sinn, und gerade dem Verborgenen sei die größte Wirkungsmacht inne.
    Aha? Nun gut.
    Ich verabschiedete mich und schlug, gefolgt von meinem Leibwächter, den Heimweg durch das erwachende Rom ein. Es war ein herrlicher Morgen, ganz klar, die Stadt unter einem lichtblauen Himmel wie frisch gemalt, die Farben satt und leuchtend.
    Auf dem Weg kaufte ich mir (und auch meinem Sklaven) von einem Straßenhändler eine köstlich duftende Teigtasche. Sie war außen schön knusprig, innen mit gut gewürztem Fleisch (wie gut dass ich kein Serapis-Myste war) und Ziegenkäse gefüllt. Kauend, jeden Bissen genießend, spazierte ich weiter durch die Stadt Richtung Caelimontium, und tagträumte dabei ein wenig von einem umwerfenden Satyren mit eiserner Maske... Außerdem entschied mich mich spontan dafür, dieses Jahr aber nun wirklich mal wieder beim Equus october mitzufahren. Es war noch genug Zeit fürs Training und es würde gewiss ein großer Spaß werden.


    ~ Ende ~

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