Nicht noch ein Vater-Sohn-Gespräch!

  • "Audaod."


    Witjon störte seinen Sohn beim Studium des neuesten Decretum Decurionum.


    "Wir haben etwas zu besprechen", bemerkte er und setzte sich neben seinen Sohn auf eine Bank im Atrium, wo es am späten Nachmittag bei sommerlichen Temperaturen im Schatten des Säulenumgangs halbwegs erträglich war.


    "Vala...Alrik...also unser senatorischer Verwandter hat uns geschrieben." Er hielt Audaod den Brief vor die Nase. "Lies selbst."

  • Audaod war an diesem Tag im Domus Petronia zu Besuch. In der Casa Domitia herrschte bisweilen immer noch recht gedrückte Stimmung, weshalb es ihn nicht selten aus dem Hause zog und sich bei seinem Vater, seiner Stiefmutter und Naha, die für ihn mittlerweile wie eine Schwester war, aufhielt.


    "Vater", erwiderte Audaod die Anrede und legte seine Lektüre zur Seite. "Was gibt es denn?", fragte er und ließ sich neugierig den Brief geben.


    Was er dann zu lesen bekam, machte ihn für den ersten Moment sprachlos. Alrik schlug vor, dass Audaod sein Tirocinium Fori bei ihm machen solle. In Rom! Audaod war hin und weg. Er sah seinen Vater an, öffnete den Mund, schloss ihn wieder, warf einen weiteren erstaunten Blick auf das Schreiben.


    "Und...", rang er sich schließlich dazu durch irgendetwas zu sagen. "Was sagst du dazu?"

  • Mit gemischten Gefühlen beobachtete Witjon die Reaktion seines Sohnes. Ganz offensichtlich war Audaod an der zweiten Neuigkeit, die Alrik aufgezählt hatte, hängen geblieben. Das Tirocinium fori schien ihn sehr zu reizen.


    "Ich bin erleichtert, dass er endlich heiratet", gab Witjon auf Audaods Frage hin zurück, das Tirocinium fori erstmal gänzlich außer Acht lassend. "Und dazu noch eine Tiberia! Er scheint sich da unten verdammt gut zu präsentieren, wenn er eine Tiberia - oder deren Vater - von sich überzeugen konnte." Er schmunzelte.


    "Davon abgesehen ist es gut zu wissen, dass das Klientelverhältnis zwischen Vinicius Hungaricus und Alrik so fest ist, dass es bis nach Rom strahlt und dies positive Auswirkungen auf Germania Superior haben wird." Darüber war Witjon tatsächlich ziemlich glücklich. Dass er damit allerdings die eigentliche Erwartung hinter Audaods Frage unbeachtet ließ, war reines Kalkül. Er wollte seinen Sohn noch etwas zappeln lassen. Wenn er einen Wunsch hatte, sollte er ihn auch selbst aussprechen.

  • Audaod war sich sicher, dass sein Vater ihn zum Narren hielt. Er hatte doch etwas ganz anderes gemeint! Ihn interessierte doch gar nicht, ob Alrik heiratete oder gute Beziehungen zu den Viniciern hatte oder, oder, ...


    "Und das Tirocinium fori?", fragte er sichtlich erregt. "Ich...das ist doch eine tolle Idee, nicht wahr?" Audaod fürchtete, dass sein Vater es genau gegenteilig sehen würde. "Ich könnte doch richtig viel lernen von Alrik! Über Politik und Verwaltung und über Recht und Rechtsprechung. Und..."


    Audaod stockte. Zögerte. Unterdrückte schließlich den letzten Rest Zurückhaltung, indem er allen erdenklichen Mut zusammennahm. "...ich könnte Senator werden, wie Alrik!"

  • Witjon grinste. Audaod kam also doch gleich zur Sache.


    "Tatsächlich ist es keine schlechte Idee...", stimmte er zögerlich zu. "Du möchtest also Senator werden?" Die Feststellung klang nüchterner, als Witjon sich fühlte. Bei dem Gedanken, dass sein - bis jetzt - einziger Sohn Mogontiacum für lange Zeit verlassen könnte, dass Witjon ihn vielleicht nie wieder sehen würde - krankheitsbedingte Todesfälle oder Unglücke konnten ja jeden von ihnen täglich erwischen - stimmte ihn traurig. Das würde er natürlich niemals zugeben, so viel hatte er von seinem Vater Evax, seinem Bruder Arbjon und seinem Vetter Lando gelernt. Dennoch, die Idee bedrückte ihn.


    "Ich gebe zu, deine bisherige Ausbildung würde genügen, um dir einen Einstieg in die Senatorenlaufbahn zu ermöglichen", sagte er entgegen aller persönlich-emotionalen Bedenken, um seinen Sohn von der unerträglichen Spannung zu erlösen. Seine unbedingte Zustimmung hatte er zwar noch nicht gegeben, aber im Grunde genommen konnte Witjon seinem Sohn diesen Wunsch nicht abschlagen.

  • Ja bitte, Senator!, flehte ein Schreihals in Audaods Kopf sehnsüchtig. Das Funkeln in seinen Augen deutete dem Außenstehenden an, was dem jungen Mann in diesem Moment durch die Birne schoss. Seine kühnsten Vorstellungen könnten wahr werden! Ihr Götter, warum machte sein Vater es nur so spannend?


    "Ich..." Er stockte. Bei Donars Nüssen, reiß dich zusammen! "Ja, Vater. Ich möchte in den Senat einziehen." Audaod schluckte. "Das ist mir der größte Wunsch."

  • Audaod musste einige fürchterlich lange Momente auf eine Antwort seines Vaters warten. Witjon musste sich dazu durchringen, seinem Sohn eine positive Antwort zu geben. Die Zustimmung, nach Rom aufzubrechen, würde ihrer beider Leben völlig verändern. Audaod wäre meilenweit entfernt, nur durch Briefe erreichbar. Witjon würde keinen direkten Einfluss mehr auf Wohl und Wehe seines Sohnes nehmen können. Seines bisher einzigen Sohnes. Er fürchtete sich davor, was Audaod auf der Reise nach Italia passieren konnte und erst recht davor, was ihm in Rom zustoßen könnte!


    Letzten Endes aber überwog die Chance, die Audaod in Rom bekommen würde, die Angst vor den Gefahren einer solchen Unternehmung. Witjons ernstes Gesicht wandelte sich zu einem schmalen Lächeln.
    "Na gut", sagte er so entspannt klingend wie möglich. "Du sollst dir deinen Wunsch erfüllen dürfen. Geh nach Rom und versuche dein Glück. Wie könnte ich dir das verwehren?"

  • Beinahe wäre er seinem Vater um den Hals gefallen. Audaod war überglücklich! Er strahlte über das ganze Gesicht, denn sein Vater war einverstanden. Audaod würde nach Rom gehen. Er würde Senator werden. Er würde die Karriereleiter des Cursus Honorum emporklettern und am Ende würde er Consul werden. Davon war er überzeugt!


    "Danke, Vater", sagte er ergriffen und schluckte einen dicken Kloß im Hals herunter. "Ich werde dich nicht enttäuschen", versprach er.

  • "Nicht der Rede wert." Witjon klopfte seinem Sohn beruhigend auf die Schulter. "Na, das hoffe ich doch", kommentierte er scherzhaft Audaods Versprechen, ihn nicht zu enttäuschen.


    "Dann hätten wir das ja geklärt", konstatierte er schließlich und wandte sich zum gehen. "Ich habe noch ein bisschen zu tun, wir sehen uns dann zum Abendessen." Und damit stapfte er von dannen und ließ einen glücklichen und hoffnungsvollen Sohnemann im Atrium zurück.

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