Es war doch nur eine Inschrift gewesen. IOVI SERAPI M. IVLIVS DIVES V.S.L.M.
Nur ein paar Worte im Stein, und ein paar vergammelte Blumen. Aber seit dem Abstecher nach Ostia, seit meiner Rückkehr in die Tempelgemeinschaft, jagte mir das alles ständig ruhelos durch den Kopf. Der Name im Stein war der Name, an den ich seit... dem.... jeden Gedanken weit von mir geschoben hatte, und ja, es war schon etwas Schorf über die Wunde gewachsen. Doch jetzt lag sie wieder bloß, und die Sache mit ihm war wieder ganz nahe... und das schmerzte höllisch. Ich träumte immer wieder davon. Von ihm als bildschönem Apoll, der sich auf dem Felsen räkelt und... keinen Finger rührt, als der Strom mich in den Abgrund reißt. Taub für mein Flehen. Von ihm als nelken-bekränztem Mänaden, der selbstvergessen tanzt, in einem wilden Wirbel heißer Leiber... und mich nicht einmal sieht. Oder ich träumte von... einer engen Zelle, und darin eine weiße Blume, die Blütenblatt um Blütenblatt verlor, und im Traum wußte ich... wenn das letzte Blatt gefallen ist, werden die Wände des Zimmers mich zermalmen. Dann riss mich (und manchmal auch die anderen im Schlafsaal der Initiaten) der Schrecken aus dem Schlaf.
Tagsüber war ich gerädert und übellaunig.
Ich fragte den Medicus Loquex nach einem Schlafmittel, doch das Kräuterzeug was er mir gab roch zwar gut, half aber kein Stück. Und Opium rückte er nun mal nicht raus.
Ich fragte meinen Mentor Anastasius um Rat... wenn auch ohne ins Detail zu gehen, nur so als habe es sich um einen wirklich wichtigen Freund gehandelt.
"Lerne zu vergeben. Nimm die Last des Zornes von deinen Schultern und ziehe aufrecht deines Weges." - Das war so in etwa die Quintessenz seiner weisen Worte.
Aber ich kam damit nicht klar. Ich gab mir redlich Mühe, aber... kaum versuchte das zarte Pflänzchen Abgeklärtheit aus dem schroffen Fels zu knospen, da wurde es schon wieder zerfetzt von den bösen Erinnerungen, von der Wucht der Enttäuschung. Von dem Bild wie er... mich stehengelassen hatte. Die Hand seiner Erpresserin ergriffen hatte. Mich nicht mal mehr angesehen hatte.
Abstand. Brauchte ich dringend. Eines schönen Spätsommertages verließ ich den Tempel und ging alleine mit diesen düsteren Gedanken so vor mich hin, und war irgendwann bis hoch oben auf den Clivus Cinnae-Hügel gelaufen. Die malerische Natur, der tolle Blick auf die Stadt, das Sirren der Zikaden... meinen überreizten Nerven war das alles viel zu viel Idylle. Ich trat gegen einen Stein, ließ ihn den Hügel hinunter kollern, und warf mich, müde vom Aufstieg unter eine Pinie um auszuruhen. Der Stamm war über und über von Efeu berankt. Eidechsen huschten über die sonnenbeschienen Wurzeln. Es war derselbe Ort, an dem ich einmal die halbe Nacht vergeblich ausharrend auf ein Rendez-vous mit Manius gehofft hatte... (Und es war sogar fast die gleiche Jahreszeit wie damals.)
Was mich auf die bizarre Idee brachte, mich zu fragen, wie oft mir eigentlich schon "das Herz gebrochen" wurde?
Eine Hand reichte jedenfalls nicht zum Abzählen. Im Umkehrschluss erkannte ich, dass mein Herz offenbar in der Zwischenzeit jeweils wieder ganz passabel gekittet worden war, sonst hätte es ja nicht erneut so spektakulär brechen können.
Oder vielleicht war es wie bei den Eidechsen und ihren Schwänzen mutmaßte ich, und betrachtete ein gelbgrün-braun-getupftes Exemplar, das seinen offenbar schonmal verloren hatte, und nun nur noch über einen ziemlich unansehnlichen Stummel-Zweitschwanz verfügte. Tja. Wie oft die wohl nachwuchsen? Und ob sie jedesmal grauer, verkümmerter und kleiner wurden? Und ob das bei den Herzen genauso war? Ich hätte wirklich gerne gewußt, ob irgend ein schlauer griechischer Naturphilosoph diese Frage schon mal durchdacht hatte...