[Fochskabuff] Witjons und Octavenas Schlafzimmer

  • Ein paar Tage nach Alpinas letztem Besuch in der Villa Duccia, zog sich Octavena ungewöhnlich früh ins Schlafzimmer zurück. Es war etwas später am Nachmittag und nachdem Marga, die langsam mit dem Abendessen beschäftigt war, sich nicht von der schwangeren Petronia hatte helfen lassen wollen, hatte die beschlossen, die Zeit bis zum Essen doch noch zu nutzen, um etwas Ruhe zu bekommen. Sie hatte in der letzten Nacht schlecht geschlafen und obendrein war ihre Tochter den Tag über auch kaum zu bändigen gewesen, was Octavena, die im Augenblick wenig in der Lage war, etwas dagegen zu unternehmen, noch zusätzlich vor allem Nerven gekostet hatte. Sie wollte nur kurz ein wenig dösen und bevor die Familie mit dem Essen beginnen würde, wollte Marga ihr Ildrun schicken, um sie rechtzeitig nach unten zu holen.
    Also legte sie sich - wie sie sich vornahm "nur für einen Moment" - hin und döste fast auf der Stelle weg.

  • Als Octavena erwachte, verspürte sie ganz eindeutige Schmerzen im Unterleib und von einem Moment auf den anderen war sie hellwach. Die Wehen setzten ein. Es war zwar erst der Anfang, aber in jedem Fall kam jetzt das Kind. Zu früh, wenn sie Alpinas ursprünglicher Einschätzung für den Geburtstermin glaubte. Panik stieg kurz in ihr auf, aber sie kämpfte sie nieder. Dafür hatte sie jetzt keine Zeit. Sie musste irgendwem Bescheid geben, damit die Hebamme gerufen wurde.
    Vorsichtig erhob sich Octavena vom Bett und bewegte sich mit vorsichtigen Schritten zuerst aus dem Schlafzimmer und schließlich nach unten. Auf dem Weg zur Küche kam ihr ihre Tochter entgegen, aber sie ignorierte das Mädchen und schob sich unter deren verdutzten Gequengel an ihr vorbei bis sie Marga fand. "Lass nach Susina Alpina schicken! Das Kind kommt."

  • Es war soweit. Octavena hatte nach Alpina schicken lassen. Die Geburt begann. Es war zu früh. Nicht dramatisch zu früh, aber dennoch beinahe einen Mond vor dem Termin. Alpina biss sich auf die Lippen. Sie hatte Angst davor, dass ausgerechnet diese Entbindung ein tragisches Ende nehmen könnte. Nachdem bereits ein anderer Duccier seine Frau im Kindbett verloren hatte. Bis zum heutigen Tage hatte er sich nicht gänzlich von diesem Schock erholt. Alpina schickte ein Stoßgebet an Diana Lucina. Bitte lass Mutter und Kind überleben!


    Die Stirn von Sorgen umwölkt betrat die Hebamme das Cubiculum Octavenas. Jetzt bloß nicht anmerken lassen, dass sie Angst hatte.
    "Salve, Octavena! Du hast es dieses Mal aber eilig."


    Alpina versuchte zu lächeln. Sie packte ihren Korb aus, stellte die Karaffe mit Öl auf die Truhe neben Octavenas Bett und bat Marga ihr heißes Wasser, Essig und frische Tücher zu bringen.
    "Wie häufig kommen die Wehen? Sind sie regelmäßig und stark oder noch leicht?" Und während sie den Puls der Gebärenden kontrollierte, fragte sie weiter: "Ist Fruchtwasser abgegangen?"

  • "Oh, ich bin nicht diejenige, die es eilig hat", erwiderte Octavena und rang sich ein Lächeln ab, während sie sich darum bemühte, nicht an das zu denken, was sicher auch Alpina gerade durch den Kopf ging. Das Kind kam zu früh und das bedeutete, dass das Risiko jeder Geburt sich gerade noch erhöht hatte. Für sie beide. Und Octavena war nicht naiv genug, um sich dessen nicht bewusst zu sein. Auch wenn sie noch so sehr beschlossen hatte, sich davon nicht ablenken zu lassen.
    "Die Wehen…" Sie brach ab und verzog das Gesicht, als sie prompt wieder Schmerzen verspürte. Das war erst der Anfang, aber sie wurde das Gefühl nicht los, dass sie dieses Mal schneller stärker wurden als bei ihrer letzten Geburt. "Die Wehen sind inzwischen regelmäßig, jedenfalls habe ich den Eindruck. Fruchtwasser ist schon abgegangen, dieses Mal geht es glaube ich deutlich schneller."
    Sie versuchte dabei, möglichst ruhig die Tatsachen zu berichten, um ihr mindestens flaues Gefühl gar nicht erst hochkommen zu lassen. Sie hatte schon ein gesundes Kind zur Welt gebracht und sie würde das noch einmal schaffen. Genauso wie viele Frauen vor und nach ihr.

  • Oje, dieses Mal ging es offenbar sehr schnell. Die Wehen kamen schon regelmäßig und wie zur Bestätigung krümmte sich Octavena sogleich unter der nächsten kommenden Kontraktion der Gebärmutter. Das Fruchtwasser war auch schon abgegangen. Alpina musste handeln. Sie wusch sich die Hände, ölte sie ein und begann mit der vaginalen Untersuchung. Schon beim ersten Kontakt mit dem Beckenboden zeigte sich die deutliche Spannung der Muskulatur. Der Kopf des Kindes war bereits zu sehen. Die nächste Wehe kam und Alpina musste sogleich gegenhalten, um das Kind in seinem Impuls auf die Welt zu kommen zu hemmen. Octavenas Beckenboden wäre eingerissen, wenn sie das Kind bereits mit dieser Wehe geboren hätte. Doch eines stand fest. Die Presswehenphase hatte bereits begonnen.
    "Das Kind kommt!", presste die Hebamme hervor. "Wir haben keine Zeit mehr! Marga, bitte hilft mir. Greif dir Octavenas Knie und halte gegen, wenn sie presst. Sie braucht einen Widerstand um mit mir gemeinsam das Kind hervorzupressen."


    Alpina war vollauf damit beschäftigt, den Damm zu schützen, damit das empfindliche Gewebe nicht riss. Sie ölte und weitete mit sanften Händen den Unterleib der Gebärenden. Octavena schrie verzweifelt. Auch sie spürte, dass das Kind schneller auf die Welt drängte als ihr Körper es zulassen wollte.

  • Octavena schrie vor Schmerz und hatte das Gefühl, damit das gesamte Haus zusammenbrüllen zu müssen. Der Widerstand, den Marga ihr dadurch bot, dass sie ihre Knie hielt, gab ihr zwar vage das Gefühl, zu helfen, vor allem, weil sie Octavena so vor allem ähnlich wie das Bett unter ihr, in das sie sich gekrallt hatte, einen Fixpunkt gab, auf den sie sich konzentrieren konnte, aber das änderte nichts daran, dass ihr Kind es eiliger hatte als es sollte. Schreiend und keuchend presste sie weiter. Dieses Mal ging es schneller, das bedeutete auch, dass es hoffentlich schneller vorbei sein würde. Nicht mehr lange, sie musste nur durchhalten.

  • Markerschütternde Schreie gellten durchs Haus. Alpina schwitzte. Sie bemühte sich ein Einreißen des empfindlichen Beckenbodens zu verhindern. Nach nur zwei Presswehen war das Kind geboren. Es war klein, die Haut ein wenig marmoriert und noch deutlich von der weißlichen Käseschmiere bedeckt. Alpina fing das Bündel mit einem frischen Tuch auf. Zu ihrer Erleichterung meldete das Neugeborene der erschöpften Mutter sogleich mit einem quäkenden Schrei seine Lebendigkeit an. Ein prüfender Blick zeigte das Geschlecht.
    "Ein Junge! Octavena! Du hast einen Sohn geboren!"


    Haarlos und mit verquollen Augen bot der kleine Stammhalter keinen schönen Anblick, doch wie jede Mutter würde Octavena ihn für das schönste Kind auf Erden halten.
    Unterstütz von Marga nabelte Alpina den Jungen ab und während sie auf die Nachgeburt wartete, trug Marga den Kleinen zu seiner Mutter.

  • Das Neugeborene schrie und Octavena spürte, wie ihr ein Stein vom Herzen fiel. Ihrem Kind, ihr Sohn wie Alpina ihr im nächsten Moment mitteilte, ging es gut. Zu früh oder nicht, es lebte und damit war die erste Hürde geschafft.
    Octavena hob müde den Kopf und versuchte, sich etwas besser aufzusetzen, ehe sie langsam die Hände ausstreckte, als Marga mit dem Baby auf dem Arm auf sie zukam. Stumm lächelnd hielt sie ihren Sohn in den Armen, betrachtete das kleine rosa Bündel und musste unwillkürlich daran denken, wie glücklich sie auch schon gewesen war, als sie ihre Tochter das erste Mal so in den Armen gehalten hatte.
    "Mein Sohn", murmelte sie leise und lächelte weiter.

  • Wie immer war Alpina erfüllt von großer Freude, die Mutter mit ihrem Neugeborenen im Arm zu betrachten. Doch sie wusste auch, dass ein so kleines Kind, das vor der Zeit geboren war, anfälliger für Krankheiten war. Noch war es nicht sicher ob der kleine Junge überleben würde. Die kommenden Tage würden zeigen wohin die Reise ging.
    Natürlich wollte sie als erfahrene Hebamme die Idylle nicht stören und auch keine Kassandrarufe anbringen. Sie beschränkte sich darauf ein warmes wollenes Tuch zu holen und Marga anzuweisen, das Wasser für die Badeprozedur angenehm warm zu machen. Als sie zu Octavena ging, um ihr den Sohn für das Bad abzunehmen und die Nachgeburt zu überwachen, fragte sie.
    "Soll ich deinen Gatten rufen lassen? Du wirst ihm diese gute Nachricht sicher selbst mitteilen wollen. Nicht wahr?"

  • Witjon hatte das Einsetzen der Wehen völlig überrumpelt. Natürlich war ihm klar gewesen, dass Kinder auch früher als üblich kommen konnten. Aber warum ausgerechnet sein Kind? Als Marga durch die Villa gelaufen war und den anderen Mägden eilig Anweisungen erteilte, war ihm die Sorge kloßförmig bis in den Hals gestiegen. Entsetzt hatte er die anderen Männer am Tisch im Kaminzimmer angesehen. Es war doch noch zu früh! Das konnte nicht gut sein, weder für Kind noch Mutter. Der Schweiß war Witjon ausgebrochen und die anderen Männer hatten es nicht leicht, ihn zu beruhigen.


    Zunächst hatte Witjon nach seinem Freund Ortwini schicken lassen, denn von ihm erhoffte er sich die größte Unterstützung. Von Phelan konnte er ja immer noch keinen Optimismus erwarten. Vielmehr befürchtete er düstere Prophezeiungen über den Kindbetttod Octavenas, was das letzte war, das er jetzt hören wollte. Und Albin war zu alt und abgeklärt, um von ihm ein paar wirklich beruhigende Worte erwarten zu können.
    Nachdem der Bote zu Ortwini entsandt worden war, nahm Witjon seine Tochter mit in den Garten, wo sie zusammen für die Octavenas Gesundheit beteten und für eine glückliche Ankunft des noch Ungeborenen Kindes in Midgard. "Ihr Götter", sprach Witjon laut, "schenkt mir einen gesunden kräftigen Sohn und erbarmt euch meines Weibes, dann will ich euch zum Dank ein prächtiges Opfer darbringen!" Die kleine Ildrun an seiner Seite nickte heftig, während sie sich unruhig am Mantelsaum ihres Vaters festkrallte.


    Sie verharrten noch eine Weile im Garten an der Opferstelle der Familie und kehrten dann in die Villa zurück. Ortwini traf ein, aber es blieb ihnen nicht viel Zeit gemeinsam zu trinken und das Warten zu verkürzen. Diese Geburt war schnell zu Ende, schneller als Witjon gedacht hätte. Denn plötzlich war das Schreien des Neugeborenen auf den Gängen der Villa zu hören. Witjon erstarrte, die Finger um seinen Bierkrug gelegt. Oh Mutter Frigg, flehte er still bei sich, bitte lasst mir meine liebe Frau! Angsterfüllt saß er auf seinem Platz und starrte in die Luft, unfähig zu einer Bewegung. Was, wenn Octavena nun doch im Kindbett verschied? Bei allen bösen Geistern, er verfluchte sich sofort für diesen Gedanken.


    Ortwini boxte ihm hart auf die Schulter. "Na los, worauf wartest du noch? Sieh nach!" Witjon löste sich aus seiner Erstarrung. "Du hast recht", ächzte er und sprang auf. Unter den Augen der anderen Bewohner der Villa rannte der Hausherr aus dem Kaminzimmer und sprang die Stufen zum Fochskabuff empor. Seine Schritte wurden begleitet vom Steten Schreien des Neugeborenen. Noch bevor die Hebamme jemanden schicken konnte um ihn zu informieren, erreichte Witjon die Tür. Kurz zögerte er einzutreten, dann gab er sich einen Ruck und öffnete die Tür. Bangend übertrat er die Schwelle und sah Alpinas Rücken, für den er - so ansehnlich dieser sonst sein mochte - keinerlei Aufmerksamkeit übrig hatte. Er tat einen Schritt zur Seite und erblickte - den Göttern sei es gedankt! - eine lächelnde Octavena, ein kleines schmuddeliges Etwas im Arm haltend. Mit dem dümmlichen Gesicht eines frisch gebackenen Vater verharrte er, erneut unfähig sich zu bewegen. Witjon war so erleichtert, Octavena lebte! Aber, so meldete sich eine unbarmherzige Stimme in seinem Inneren, noch ist die risikoreiche Phase nicht überstanden. Fragend sah Witjon seine Frau an.

  • Octavena wollte gerade Alpina antworten und sie bitten, Witjon Bescheid zu geben, da erschien der Hausherr auch schon von alleine in der Tür. Sie mochte müde sein, dennoch bemerkte Octavena die Sorge, die einen Moment lang noch auf seinem Gesicht zu sehen war, auch wenn sie den Ausdruck stillschweigend überging. Er musste es nicht sagen, sie hatte auch so eine grobe Vorstellung davon, dass ihn die verfrühte Geburt sicher mindestens nervös gemacht hatte. Vielleicht auch noch machte, denn noch war ja nur der erste Schritt geschafft. Wie sie selbst ja auch.
    Gleichzeitig war das alles nichts, woran Octavena jetzt denken wollte. Im Augenblick war sie einfach nur müde, aber glücklich. Sie lachte leise, als ihr Mann sichtlich überfordert wie angewurzelt im Raum stehen blieb, und nickte mit dem Kopf in Richtung des Neugeborenen in ihren Armen.
    "Komm schon her." Sie grinste erschöpft. "Oder willst du nicht auch unseren Sohn sehen?"

  • Octavenas Stimme riss Witjon aus seiner Starre. Er machte die wenigen Schritte bis zum Bett und warf einen neugierigen Blick auf das Kind. Seinen Sohn. Er erwiderte das Grinsen seiner Frau. "Unser Sohn", wiederholte er fast andächtig. Er hatte wie stets wenig Sinn für die Schönheit, die manche Menschen einem Neugeborenen zuschrieben, aber der Anblick eines Kindes - seines Kindes - weckte dennoch Emotionen in ihm, die er schwerlich ausdrücken konnte. Deshalb sah er das knittrige Kindchen einfach an und betete still zu den Göttern, dass sie es vor Krankheit schützten. "Weib, du machst mich zu einem glücklichen Mann", sagte er nach einem Moment betont flapsig, um ja nicht eingestehen zu müssen, dass er gerührt war. Er räusperte sich und drückte Octavena einen Kuss auf die Stirn.

  • Octavena erwiderte nichts, sondern lächelte nur darüber still in sich hinein. Sie musste nicht noch extra darauf hinweisen, dass sie sicher war, dass der Tonfall seiner Antwort auch nur dazu diente, zu verbergen, dass er auch glücklich war.
    "Er braucht einen Namen", sagte sie dann, den Blick weiter auf den Säugling gerichtet ehe sie doch wieder den Kopf hob und ihren Mann fragend ansah. "Aber vielleicht sollten wir darüber auch einfach später sprechen."

  • Während das Paar die Ankunft ihres jüngsten Sprosses in trauter Zweisamkeit genossen, war Alpina mit dem Aufräumen und Reinigen des Wochenbettes beschäftigt. Als sie beiläufig hörte, dass Octavena die Vergebung des Namens auf später verschob, mischte sie sich räuspernd ein.
    "Hmmm, natürlich könnt ihr die Überlegungen für einen passenden Namen noch verschieben. Was sich allerdings nicht verschieben läßt, ist das Aufheben des Kindes. Nach römischer Sitte ist es üblich, dass du damit deinen Sohn anerkennst, Duccius Marsus. Willst du dies nur in meiner Gegenwart machen? Sollen wir noch Zeugen holen oder willst du auf diesen römischen Brauch verzichten?"


    Alpina sah das Oberhaupt der Duccier auffordernd an. Sie erlebte nur noch selten, dass Elternpaare, selbst wenn sie sich einem der Volksstämme der Germanen zurechneten, nach einer Geburt auf das "tollere infantem" verzichteten. Denn auch in der germanischen Tradition war die Anerkennung eines Sohnes eine wichtige Angelegenheit.
    "Ansonsten würde ich euren Sohn nämlich jetzt gerne baden und wickeln."

  • Witjon konnte nicht widerstehen seinen Zeigefinger zwischen die winzigen Fingerchen des Neugeborenen zu schieben, um so den noch schwachen Greifreflex des Kindes auszulösen. "Ja, lass uns nichts überstürzen", pflichtete er seiner Frau in der Namensfrage bei. Die Nornen sahen es nicht gern, wenn ein Neugeborenes so früh einen Namen erhielt und Witjon fürchtete stets, dass sie den Schicksalsfaden eines Kleinkindes deshalb früh durchtrennten.


    Gedankenverloren betrachtete der glückliche Vater das neue Familienmitglied, als Alpina räuspernd auf sich aufmerksam machte und ihn an seine väterlichen Pflichten erinnerte. Das Aufheben des Kindes hatte er völlig vergessen. Für ihn gehörte es wie selbstverständlich dazu, dass er das Neugeborene nach römischem Ritus anerkannte. Nicht nur, weil das so von ihm als Civis Romanum und Eques Imperii gewiss erwartet wurde, sondern auch weil er diesen Anspruch an sich selbst hatte. Er war Bürger des Reiches und wollte als solcher auch mit ganzer Konsequenz am römischen Rechtsleben teilhaben. Das selbe sollte auch für seine Nachkommen gelten. "Natürlich werde ich ihn aufheben", sagte er, irritiert davon, dass Alpina ihm ein anderes Vorgehen überhaupt zutraute.


    "Ich kann als zusätzlicher Zeuge neben dir, werte Obstetrix, fungieren", meldete sich eine Stimme von der Tür her. Lässig in den Türrahmen gelehnt stand Ortwini da, ein Lächeln auf den Lippen. Witjon war erleichtert, diese Frage geklärt zu sehen. Er stimmte zu: "Hervorragend! Dann bringen wir's hinter uns. Ganz behutsam hob er den in Wolle gewickelten Säugling hoch und vertraute ihn Susina Alpina an, damit diese ihn auf den Boden legte - er selbst hätte es merkwürdig gefunden, sich das Kind selbst vor den Füße zu platzieren. Mit einem Blick zu Ortwini versicherte Witjon sich dessen Aufmerksamkeit und nahm dann seinen Sohn zu sich. Erneut hob er ihn ganz behutsam hoch, den kleinen Kopf bedächtigt stützend um ja keine Halsverletzungen zu riskieren. Auch wenn Witjon den Säugling nun am liebsten wieder seiner Frau geben wollte, so war es jetzt an der Zeit für das erste Bad des Kleinen. Er reichte Alpina das Kindchen und schenkte ihr ein warmes Lächeln. "Danke für alles, Alpina. Iuno Lucina möge stets über dich wachen, denn du tust ihr gutes Werk." Er war dieser Frau wahrhaft dankbar. In diesem Moment waren kurzzeitig auch alle Sorgen um die Gesundheit seines Weibes verflogen. Jetzt durfte er einfach nur das Vaterglück genießen. Ortwini lehnte immer noch im Türrahmen, die Arme verschränkt. Kopfschüttelnd grinste er vor sich hin. Sein Freund, einer der mächtigsten Männer in der Provinz, war manchmal doch immer noch ein unverbesserlicher Träumer.

  • Die Tage verstrichen und während Octavena langsam wieder zu Kräften kam, zeichnete sich auch ab, dass nicht nur sie selbst, sondern auch ihr Sohn die Geburt überstanden hatten. Gut genug, als dass Octavena bereits begann, unruhig zu werden, und dem Kind einen Namen geben wollte. Bei der Geburt ihrer Tochter hatten sie auch nicht lange gefackelt und außerdem war sie gedanklich schon bei Familie und Freunden in Tarraco, denen sie eine Nachricht schicken wollte. Anders als zur Geburt ihrer Tochter würde allerdings dieses Mal natürlich keine Botschaft an ihren Vater gehen können... Der Gedanke versetzte ihr einen deutlicheren Stich als sie zugeben wollte. Ein Teil von ihr vermisste den alten Nörgler. Bereute es, dass sie ihre Streitereien nie beendet hatten.
    Doch genauso schnell wie diese Gedanken aufkamen, verscheuchte Octavena sie auch wieder. Sie hatte bereits getrauert und Vergangenes war vergangen. Jetzt waren Gegenwart und Zukunft entscheidend. Und das bedeutete erst einmal, den richtigen Moment abzupassen, um das vertagte Gespräch mit ihrem Mann zu führen.

  • Witjon war den ganzen Tag unterwegs gewesen. Erst hatte ihn die Arbeit im Statthalterpalast schwer beschäftigt und nach Feierabend hatten ihn auch noch beunruhigende Berichte über seine Handelsgeschäfte von seinen Verbindungsmännern aus der Provincia Germania Inferior erreicht. Da grenzte es schon an ein Wunder, dass er sich heute endlich die Zeit genommen hatte, bei dem Goldschmied der Familie eine fertiggestellte Auftragsarbeit abzuholen. Witjon hatte nicht lange darüber nachdenken müssen und sich kurz nach der Geburt seines zweiten Sohnes dazu entschieden, seine Gattin reich zu beschenken. Einfach so. Aus Dankbarkeit, Stolz und Erleichterung über ihr Überleben und die gute Gesundheit des Neugeborenen. Und jetzt, da sich nach einigen Tag abzeichnete, dass das Kindlein nicht kränkelte und wohl auch gute Chancen hatte mittelfristig zu überleben, war Witjon umso mehr überzeugt von seinem Plan.


    So betrat er also etwas erschöpft, aber guter Laune und leicht aufgekratzt das eheliche Gemach. In seiner linken Hand hielt er eine in dunkelblaues Leinen eingewickelte Schatulle, die er hinter seinem Rücken verbarg. Als er Octavena angesichtig wurde, versuchte er ein allzu breites Grinsen zu unterdrücken, um sich nicht gleich zu verraten. Ihre nicht mehr ganz so kleine Tochter hielt irgendwo im Erdgeschoss die restliche Familie auf Trab, weshalb Witjon diesen ruhigen Moment passend fand, um seiner Frau seinen Dank auszudrücken.


    "Hier bist du", stellte er lächelnd fest, trat zu ihr und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Die Schatulle hielt er weiterhin hinter dem Rücken verborgen. "Wie geht es dem Jungen?" Mangels eines Namens nannte Witjon das Neugeborene noch 'den Jungen', 'den Kleinen' oder manchmal frotzelnd auch 'den Pimpf'. Das musste sich auch bald ändern, dachte er sich. Womöglich sollte er nach Umsetzung seines Vorhabens die Namensfrage einmal anstoßen.


    "Ich habe hier etwas..., also für dich...", druckste Witjon sodann herum. Er, der sonst große Reden im Stadtrat schwang, kam sich stets lächerlich und dumm vor, wenn er vor seiner Frau plötzlich nicht die richtigen Worte zu finden vermochte. Es war zum Mäusemelken, aber so war es ihm schon immer mit den Frauen gegangen. Mit der Rechten fuhr er sich durch seine Haare, bevor er sein Anliegen auf den Punkt brachte: "Ich bin sehr glücklich über die Geburt unseres Sohnes und darüber, dass ihr beide wohlauf seid. Und, äh, ich möchte dir gerne als Zeichen meiner Dankbarkeit und meines, öh, unbändigen Stolzes" - etwas ungeschickt zauberte er die eingewickelte Schatulle hinter seinem Rücken hervor - "dieses... also das ist für dich."


    Wenn sie die Schatulle öffnete, würde Octavena eine goldene Kette sowie ein Paar goldene Ohrringe vorfinden. Die Kette war filigran gearbeitet und bestand aus einer Vielzahl goldener Stäbchen, die vom Hals aus nach unten einen Halbkreis bildeten. Die Ohrringe waren passend dazu angefertigt worden. Witjon war begeistert gewesen von der Anfertigung. Er hoffte, dass Octavena dem Geschmeide ebenfalls etwas abgewinnen konnte.

  • "Alles bestens. Er schläft."
    Octavena seufzte, das Grinsen, das Witjon versuchte zu verbergen, gar nicht weiter bemerkend. Mit einer gewissen Erleichterung stellte sie stattdessen fest, dass er allein war und ihre Tochter offenbar irgendwo anders durchs Haus rannte und so also nicht Octavenas Mühen, das Neugeborene nach ein paar unruhigen letzten Stunden schlafen zu legen, unbeabsichtigt zunichtemachen konnte.
    Ein müdes Lächeln zuckte um Octavenas Mundwinkel. "Endlich."


    Jetzt registrierte sie auch den gut gelaunten Ausdruck auf Witjons Zügen und hob fragend die Brauen. Sie wusste, dass er den gesamten Tag unterwegs gewesen war, da hatte sie erwartet, ihn jetzt müde und erschöpft anzutreffen. Irgendetwas war da im Busch. Als nun sein Tonfall plötzlich nervös wurde und er ganz offensichtlich nach den richtigen Worten für sein Anliegen suchte, begann sie zu ahnen, in was für eine Richtung sich dieses Gespräch entwickelte und ihr Lächeln wurde immer breiter. Es amüsierte sie immer wieder aufs Neue, wenn sie ihn so erlebte. Die Ironie gefiel ihr, dass Worte normalerweise nicht seine größte Schwäche waren, er aber jetzt trotzdem vor sich hin druckste. Ganz zu schweigen, dass sie sich davon auch ein wenig geschmeichelt fühlte, wusste sie doch, dass es auch dafür sprach, dass sie Glück gehabt hatte und nun eine gute Ehe führte.
    Bis er schließlich fertig war mit seiner kleinen Ansprache und ihr sein Geschenk in die Hand drückte, hatte sich der Ausdruck auf Octavenas Zügen in ein breites Grinsen verwandelt. Vorsichtig schlug sie zuerst den Stoff zur Seite und öffnete dann neugierig die Schatulle, die darunter zum Vorschein kam. Beim Inhalt sog sie kurz scharf die Luft ein und hob überrascht den Blick. Nun war sie diejenige, die einen Augenblick lang nach den richtigen Worten suchte. Beide Schmuckstücke in der Schatulle, Kette wie Ohrringe, waren nicht nur ohne Frage fein und kunstvoll gearbeitet, sondern auch wunderschön. Vorsichtig hob Octavena die Kette an und glitt mit den Fingern an dem kühlen Material entlang ehe sie mit einem breiten Lächeln den Kopf schüttelte und ihren Mann wieder ansah.
    "Das ist wunderschön." Sie legte die Kette zurück zu den Ohrringen. "Danke."
    Mit der nun freien Hand griff sie grinsend nach seiner, um sie sanft zu drücken. "Und ich bin auch sehr stolz. Über unsere Kinder und ganz besonders über das Glück, dass auch unser Sohn gesund und munter ist."
    Den Halbsatz, dass das bei der doch etwas aufregenden letzten Schwangerschaftswochen und der Geburt nicht selbstverständlich gewesen war, schluckte sie herunter. Jetzt war alles gut, das war wichtig. An alles andere wollte sie nicht mehr denken.

  • Witjon war erleichtert und glücklich, dass Octavena sein Geschenk gefiel. Im Grunde genommen hatte Witjon sich gar keine Sorgen machen müssen, denn welche Frau freute sich nicht über Schmuck? Dennoch, er war erleichtert und lächelte deshalb auch über das ganze Gesicht angesichts Octavenas Grinsen. Umso mehr freute Witjon sich, dass seine Frau seinen Stolz über die gemeinsamen Kinder aufrichtig teilte.


    "Wir sollten ihm langsam wohl einen Namen geben", bemerkte Witjon in Anknüpfung an Octavenas Worte über ihren Sohn. Er warf einen frohen Blick auf das schlafende Kindlein. "Was hälst du von Quintus als Praenomen?" Quintus, wie sein Bruder Quintus Duccius Eburnus. Wo er wohl steckte? Witjon hielt es für mehr als angebracht, seinen zweiten Sohn nach seinem Bruder zu benennen.
    Er erwiderte den sanften Händedruck seiner Frau. "Und weil er so gesund und munter ist... wollen wir ihm den Cognomen Firmus geben? Vielleicht wird er dann einmal ein erfolgreicher Wettkampfringer." Er grinste breit. Ja, das war eine amüsante Vorstellung.


    "Und natürlich möchte ich ihm auch einen germanischen Namen geben. Möchtest du dich diesmal an der Auswahl beteiligen?" Dieses Angebot hatte Witjon seiner Frau schon länger machen wollen. Er hatte das Gefühl, Octavena noch stärker in die Sitten und Gebräuche seiner Ahnen integrieren zu müssen. Andernfalls kam er sich vor, als schließe er sie aus einem bestimmten Teil seines Lebens aus. Da war es vielleicht ein guter Anfang, sie an der Auswahl eines germanischen Namens für ihren gemeinsamen Sohn zu beteiligen.

  • "Quintus Duccius Firmus..." Octavena überlegte kurz und nickte dann. "Ja, das klingt gut."
    Ein Grinsen huschte über ihre Lippen. "Das lässt sich auch gut schimpfen", meinte sie dann in Anspielung darauf, dass sie die Angewohnheit hatte, schon ihre Tochter besonders dann bei ihrem vollen römischen Namen zu nennen, wenn sie etwas angestellt hatte und in Schwierigkeiten steckte.


    Das Angebot, dass sie bei dem germanischen Namen mitreden sollte, überraschte sie dagegen und kurz blinzelte sie ihn erstaunt an. Octavana hatte damit gerechnet, dass Witjon sicher auch seinen zweiten Sohn nach jemandem benennen wollte, was bedeutet hätte, dass sie auch gar nicht den Anspruch erhoben hätte, sich dabei einzumischen.
    "Natürlich, gerne... Aber wirklich? Ich dachte, du würdest bestimmt wieder einen Namen aus der Familie weitergeben wollen. Oder woran hattest du sonst gedacht?"

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