[Fochskabuff] Witjons und Octavenas Schlafzimmer

  • Witjon grinste ebenfalls. "Hr hr hr, Quintus. Duccius. Firmus.", sagte er mit kurzen Pausen zwischen den Namensbestandteilen, so als male er sich im Geiste bereits die erste ernsthafte Schelte aus. Er nickte belustigt. "Joa, das passt." Amüsiert sah er seine Frau an, die im Schimpfen schon einige Übung hatte, leider gelegentlich auch mit ihm. Natürlich nie zu Recht.


    Octavenas Erstaunen über sein Angebot amüsierte Witjon ebenfalls. Er war ja stets für Scherze zu haben, aber noch mehr genoss er es, wenn er seine Frau ernsthaft überraschen konnte. "Ja, wirklich", bekräftigte er deshalb auf ihre Nachfrage. "Natürlich kannst du dich dafür entscheiden, einen Namen aus der Familie auszuwählen. Und völlig abwegige Namen werde ich dir im Zweifel wortreich ausreden." Witjon zwinkerte Octavena fröhlich zu. "Aber da du meinen Vorschlag für den lateinischen Namen bereits ohne Widerspruch übernommen hast, dachte ich mir, du möchtest vielleicht auch etwas beitragen. Und da mein Erstgeborener bereits den Namen meines Großvaters trägt, schadet ein wenig Kreativität beim zweiten Sohn wohl nicht." Er zuckte mit den Schultern. Anders als beispielsweise der alte Albin war Witjon nicht so rigoros, was die Einhaltung von Familientraditionen anging. Das hatte er ja schon bei seiner ersten römisch-germanischen Hochzeit gezeigt und mit der zweiten ähnlichen Heirat fortgesetzt. In Sachen Namensgebung wollte er da keine Ausnahmen machen. "Du kannst dich ja zum Beispiel in anderen Familienzweigen umsehen, ob dir dort ein schöner Name ins Auge springt." Das schlug Witjon vor, da er annahm, dass Octavena wohl nicht so viele germanische Namen kannte wie er. Und beeinflussen wollte er sie nicht, indem er ihr solche nannte, die er schön fand.

  • Octavena überlegte einen Moment. Sie kannte tatsächlich nur eine Hand voll germanischer Namen und das meiste davon beruhte auf Geschichten über Familienmitglieder oder Freunde der Duccii. Und mit den Bedeutungen einzelner Namen kannte sie sich zu schlecht aus, um auf diesem Wege einen schönen Namen vorzuschlagen. Aber nachdem sie ja gerade schon gewitzelt hatte, dass sich der römische Name ihres Sohnes gut schimpfen ließ, konnte sie ja auch einfach überlegen, was sich in ihren Ohren schlicht schön anhörte.
    "Gehört Farold zu den abwegigen Namen, die du mir 'wortreich ausreden' würdest? Oder Gunnar?" Sie lächelte. "Ich weiß nicht so richtig, warum, aber ich mag den Klang."

  • "Weder Farold noch Gunnar würde ich dir wortreich ausreden", beteuerte Witjon. "Auch nicht wortkarg." Er zwinkerte Octavena zu. "Welcher von beiden soll's denn sein?", fragte er dann.


    Witjon hielt beide Namen für angemessen. Farold war der Name seines Vetters, Yngves Erstgeborener. Yngve war seines Vaters Bruder gewesen. Witjon hatte Farold nie persönlich kennen gelernt. Aber er mochte den Namen. Und Gunnar hatte Phelans Vater geheißen. Konnte also auch nicht besonders schlecht sein, zumal dieser wiederum Witjons Onkel gewesen war. Octavena hatte also Namen aus Witjons direkter Familie gewählt. Er lächelte und warf einen zufriedenen Blick auf seinen Sohn. Farold. Gunnar. So oder so liebte er diesen Jungen.

  • Octavena reagierte auf das Zwinkern mit einem Grinsen und schüttelte ein wenig den Kopf, während sie sich wieder einmal bewusst wurde, wie angenehm es war, dass sie beide ihre Gespräche so entspannt führen konnten. Und dass sie Glück gehabt hatte, einen Mann zu heiraten, mit dem sie sich genau dafür gut genug verstand.
    "Dann Farold?", schlug sie vor, während ihr Blick zu dem Neugeborenen glitt. Ihrem Sohn. Der Gedanke war noch so neu und ungewohnt, dass Octavena unwillkürlich lächeln musste. Wenn sie vor inzwischen doch einigen Jahren gewusst hätte, wohin ihre Streitereien mit ihrem Vater führen würden, hätte sie sich vielleicht etwas weniger gesträubt, als er sie zu ihrem Onkel geschickt hatte.

  • "Farold dann", stimmte Witjon fröhlich zu. Sein Blick folgte dem seiner Frau zu ihrem Sohn. In einem Anflug von Glückseligkeit legte er seinen Arm um Octavenas Hüfte und drückte sie an sich. So verharrten sie einen Moment, bis Witjon plötzlich gähnen musste. "Puh, ich glaube ich bin schon reif für's Bett, heute war alles irgendwie anstrengend...", brummte er. "Wie war eigentlich dein Tag?" Dabei sprach er weiterhin mit gedämpfter Stimme, um ja nicht den Kleinen aufzuwecken.

  • "Lang", erwiderte Octavena mit einem Seufzen und streckte beiläufig eine Hand aus, mit der sie ihrem Mann kurz über den Rücken strich. "Der Kleine war unruhig und kaum hatte ich ihn kurz schlafen gelegt, kam von irgendwoher ein Geräusch oder Ildrun herein gestürmt und alles ging von vorne los. - Da fällt mir ein: Hast du sie eigentlich schon gesehen?"
    Octavena schnaubte. "Wahrscheinlich ist sie immer noch wütend, dass ich sie irgendwann deswegen ein bisschen zu scharf angefahren habe."
    Sie schnitt eine Grimasse und zuckte einen Moment mit den Schultern. Ein wenig tat ihr das ja auch leid, wusste sie doch, dass ihre Tochter es nicht böse gemeint hatte und noch nicht an ihr Dasein als große Schwester gewöhnt war. Das hatte die Situation zuvor allerdings auch nicht einfacher gemacht.

  • Witjon sah Octavena mitfühlend an. Er war manchmal wirklich froh, dass er beruflich tagsüber eingespannt war und nicht dauerhaft Kinder hüten musste. "Oh ja, die habe ich gesehen. Hat erst Marga in der Küche 'geholfen'" - er betonte das letzte Wort so, dass man Zweifel an einer echten Hilfe für die Köchin haben konnte - "und ist dann mit Leifs Tochter durch die Flure getobt." Er lächelte, als seine Frau eine Grimasse schnitt. "Sie hat es bestimmt schon vergessen. Jedenfalls sah sie eben nicht besonders wütend aus." Er küsste sie auf die Stirn. "Manchmal muss man seine Kinder auch wütend machen, sonst verzieht man sie. Die Gewissheit bleibt, dass sie einem auch wieder verzeihen. Jedenfalls in diesem Alter." Bei Audaod hatte das auch irgendwie funktioniert. Witjon war sich zwar nicht sicher, wie er das geschafft hatte, aber mit der Beherzigung einiger Grundprinzipien und derer konsequenter Einhaltung war aus seinem Sohn ein ganz vernünftiger junger Mann geworden.

  • "Dann ist ja gut." Die Information, dass ihre Tochter ihr den Ärger vermutlich nicht übel nahm, erleichterte sie. Dabei hatte Witjon ja recht: Das war eigentlich nichts gewesen, trotzdem hatte Octavena sofort ein schlechtes Gewissen bekommen. Schon allein Dank ihrer eigenen Familiengeschichte, obwohl die wegen ganz anderen Dingen schwierig geworden war.
    "Wahrscheinlich mache ich mir nur wieder zu viele Sorgen. Ein Nachteil am Elterndasein." Sie lächelte ein wenig schief. "Wenn der Kleine etwas ruhiger schläft und ich wieder entspannter bin, gibt sich das schon wieder."
    Octavena machte eine wegwerfende Handbewegung, um das Thema damit zu beenden. Sie hatte schon genug gejammert wegen nichts - auch wenn es gut getan hatte. "Vielleicht sollte ich mal nachsehen, ob Marga sich von Ildruns 'Hilfe' erholt hat und wirklich Hilfe gebrauchen kann. Bis zum Essen dauert es wahrscheinlich nicht mehr lang."

  • Seine Frau schien sich von Witjons Worten beruhigen zu lassen. Gut für sie und das Klima im Haushalt. Er hasste es, wenn eine Mutter mit Schuldgefühlen im Hinterkopf durch die Gänge huschte und im schlimmsten Fall die Tochter zu verwöhnen begann. Ein solches Hin und Her tat keinem Kind gut.


    "Lass dich von Lanthilda nachher einmal kräftig durchkneten", empfahl Witjon Octavena, als diese eine Prognose über ihre Sorgen abgab. "Dabei verfliegen für eine Weile selbst die schlimmsten Ängste." Er lächelte seine Frau gutmütig an. Lanthilda hatte ihm nach dem Tod seiner ersten Frau häufig mit Massagen die nötigen Pausen vom sorgenvollen Alltag bereitet. Sie war ihm sehr ans Herz gewachsen und er schätzte sie für den konsequent rein platonischen Ansatz ihrer Dienste. Octavena hatte er schon häufiger davon erzählt, welch eine gute Seele die Dienstmagd für die Villa war. Er war überzeugt davon, dass sie einmal Margas Platz im Haushalt einnehmen würde, wenn dieser nicht mehr konnte. Und angesichts von Margas Alter konnte dieser Tag früher kommen, als ihnen recht war.


    "Ist gut", kommentierte Witjon schließlich Octavenas Vorhaben in Sachen Küche. "Ich bin nochmal kurzm im Arbeitszimmer. Wir sehen uns gleich." Tatsächlich wollte er gar nicht arbeiten, sondern einfach nur hier stehen und seinem Sohn beim Schlafen zusehen.

  • Die Sonne schien und Octavena hatte schon seit Tagen gute Laune. Wirklich gute Laune. Das überraschte sie selbst ein wenig, weil diese Art Tage im letzten Jahr selten genug gewesen waren, und dann überraschte es sie auch wieder … kein Stück. Der Frühling hielt gerade Einzug in Mogontiacum. Endlich. Viel zu spät, wie Octavena fand, so wie jedes Jahr. Nur dieses Jahr hatte das auf eine Weise gestimmt, die anders als sonst gewesen war. Dieses Jahr hatte sie nicht nur einfach über das Wetter gemurrt und darüber, dass diese germanischen Winter einfach viel zu lang, kalt und nass waren, sondern dieses Jahr hatte sie all das irgendwann fast unerträglich gefunden. Nicht einfach nur, weil sie auch nach all den Jahren, die sie nun schon hier lebte, eine vage Sehnsucht nach der Hitze Hispanias hatte, sondern weil der Winter auch eine weitere Sammlung an ersten Malen ohne ihren Mann mit sich gebracht hatte.


    Sie vermisste Witjon nach wie vor, auch wenn sie sich sagte, dass das vermutlich albern war. Sie hatte ihn damals geheiratet, weil ihr Onkel das so arrangiert hatte, und Octavena hatte im Grunde nur keinen Einspruch erhoben. Warum auch? Witjon war wohlhabend und einflussreich und damit eine wirklich gute Partie, der Altersunterschied zwischen ihnen war nicht so groß gewesen, wie er bei so manchem anderen Mann hätte sein können, und sie hatte ihn ja auch tatsächlich sympathisch gefunden. Ganz davon zu schweigen, dass sie ja auch hatte heiraten wollen und insgeheim erleichtert gewesen war, dass es nun tatsächlich endlich einen Mann gab, der sie haben wollte. Das waren alles brauchbare Ausgangsbedingungen für eine Ehe gewesen und Octavena hätte sich genau damit auch zufriedengegeben. Ein Zuhause, ein Mann, der sie nicht lieben, aber vernünftig behandeln musste, und natürlich Kinder. Das wäre genug gewesen. Und vermutlich hätte das das gesamte letzte Jahr deutlich einfacher gemacht. Hätte.


    Gleichzeitig hatte der erste Winter nach dem Tod ihres Mannes Octavena vor allem eins noch einmal verdeutlicht: Sie vermisste Witjon, aber sie freute sich auch auf den Frühling. Sie freute sich darauf, dass alles wieder grünte und blühte, auf längere Tage und warmen Sonnenschein. Sie wollte endlich wieder den Frühling tatsächlich genießen. Sie wollte endlich etwas anderes tun als ihr Leben zusammen zu halten. Sie wollte nicht mehr traurig sein. Und im Gegensatz zu den langgezogenen Monaten im letzten Frühjahr und Sommer, als sie sich dazu hatte zwingen müssen, sich zusammenzureißen, fiel ihr das im Moment mit jedem Tag ein bisschen leichter. Octavena hatte schlicht das Gefühl, sich langsam, aber sicher die Kontrolle über ihr eigenes Leben zurückzuerobern. Schritt für Schritt. Zuerst im Haus und bei allen Aufgaben, die sie hatte schleifen lassen, weil ihr Kopf andernorts gewesen war, dann bei Witjons Erbe, von dem sie zwar immer noch nicht alles verstand, aber Fortschritte machte, und bald auch noch bei allem anderen, was noch so offen war. In ein paar Tagen war sie mit einer Freundin verabredet, um der auf den Zahn zu fühlen, was sie in den letzten Monaten so an wichtigem Klatsch und Tratsch verpasst hatte, und damit würde sie auch bald dem Gerede von Frauen wie Ceionia Secunda, die Octavena während der Saturnalienfeier in der Villa Duccia auf die Nerven gegangen war, ein Ende gesetzt haben. Es ging wieder bergauf. Endlich.


    Also stand Octavena an diesem Morgen in aller Frühe auf, öffnete das Fenster und atmete erst einmal gut gelaunt die kühle Frühlingsluft ein. Sie blieb dort einen Moment lang stehen und genoss das gute Wetter ehe sie sich wieder umdrehte und sich summend und pfeifend in ihren Tag stürzte. Als sie am Schminktisch vorbeiging, hielt sie kurz inne, als ihr Blick kurz an der Schmuckschatulle mit der Kette und den Ohrringen hängen blieb, die Witjon ihr zu Farolds Geburt geschenkt hatte, und ein kleines Lächeln huschte über ihre Lippen. Beides gehörte immer noch zu ihrem Lieblingsschmuck, auch wenn sie es im letzten Jahr nicht über sich gebracht hatte, weder die Ohrringe noch die Kette tatsächlich zu tragen. Vielleicht sollte sie das demnächst mal wieder ändern, wenn sich die richtige Gelegenheit für beides bot. Aber das hatte Zeit. Heute wartete erst einmal ihr Alltag in der Villa auf Octavena. Ein Schritt nach dem anderen. Und zumindest heute würde ihr nichts und niemand die Laune verhageln können. Das war ein Anfang.

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