Atrium - Germanicus Ferox

  • Gundhraban führte den Gast ins Atrium.


    Nimm doch bitte Platz. Ich werde einen der beiden Senatoren holen gehen. Ich hoffe es wird nicht zu lange dauern.


    Der Sklave deutete auf einen der freien Stühle und verschwand dann und dann konnte er vielleicht auch mal auf`s stille Örtchen wo er gar so dringen hin mußte. 8)


    Sim-Off:

    @Medi Wenn du Lust und Laune hast...



    ___________________
    Gundhraban Türsklave

  • Ferox wurden kurzzeitig die Knie weich. Er hatte es geahnt! Er hatte die ganze Zeit schon ein ungutes Gefühl gehabt, was das Verschwinden seines Vaters anbelangte. Doch er fing sich rasch wieder und folgte dem Mann, der seltsam steifbeinig vorneweg schritt. Der Tod von Varus war eine schlimme Nachricht, doch er hatte kaum eine Beziehung zu ihm gehabt. Dafür war dieser einfach zu selten bei ihm gewesen.


    Ferox wunderte sich, dass der Sklave ihn mitsamt seines voll bepackten Maultieres ins Innere des Gebäudes führte, aber vielleicht war das hier ja so Sitte. Das dumpfe Klopfen der unbeschlagenen Hufe hallte von den Wänden wieder. Er hoffte nur, dass sein Muli keinen Haufen fallen ließ.


    Der Sklave verschwand fast rennend.


    Mithilfe des Zügels band Ferox das Maultier an eine schlanke Säule und setzte sich auf den zugewiesenen Stuhl. Geistesabwesend betrachtete er den großen hellen Raum, von dem mehrere Zimmer abzweigten. Es war wohl eine Art Flur.

  • Als Sedulus im Atrium angekommen war, traute er seinen Augen nicht. Ein Maultier im Hause was war dass denn? Irritiert blickte er erst auf das Tier dann auf den Mann welcher da im Atrium saß.


    Beim Arsche des Mars, was ist denn hier los?!? Was macht dieses Vieh hier im Hause?


    Er blickte sich um und natürlich war das ganze Sklavenpack verschwunden. Typisch! Na warte, dass würde Konzequenzen haben.


    Du da, ist das dein Viehch da?


    Er deutete auf Germanicus Ferox und wartete nicht groß auf eine Antwort.


    Sieh zu, dass du es nach draußen schaffst und zwar ein wenig plötzlich! Wenn du das gemacht hast, möcht ich von dir wissen wer du bist und was du hier willst!


    Er blickte immer noch suchend nach einem Sklaven, aber es war keiner da. Na warte, Gundhraban würde was zu hören bekommen.

  • Eine autoritäre Stimme hallte durch den Raum wie ein Peitschenknall. Ferox, der gerade geistesabwesend die Fugen der Bodenkacheln betrachtet hatte, fuhr senkrecht von seinem Stuhl hoch. Vor ihm stand ein hochgewachsener Mann, der wohl dreißig bis vierzig Sommer gesehen haben mochte. Zwischen seinen Augenbrauen grub sich eine Zornesfalte senkrecht die Stirn hinauf. Ferox kam unter dem wütenden Wortschwall nicht einmal dazu, dem Sklaven die Schuld zuzuschieben. Eilends band er sein Muli los und führte es nach draußen.


    Vor dem Eingang des Hauses angekommen überlegte er, ob er besser das Weite suchen sollte, immerhin wusste er nun schon, dass sein Vater ihn nie wieder würde besuchen kommen. Und dann? Dann konnte er bis in alle Ewigkeit Jäger bleiben, der im hintersten Winkel der Welt tagein tagaus durch den Wald streift und seine Fallen kontrolliert bis er irgendwann starb. Oder er stellte sich der peinlichen Situation und kehrte zu dem verärgerten Mann zurück. Vielleicht konnte das seinem öden Leben die erhoffte Wendung bringen, die sein Vater ihm nicht mehr geben konnte.


    Was hatte er schon zu verlieren? Auffressen würde er ihn sicher nicht. Und immerhin hatte er ihn nicht hinausgeworfen, als er das Maultier entdeckte, was, wie Ferox nun wusste, keineswegs zum üblichen Inventar einer Casa gehörte, sondern ihm bloß befohlen, es hinauszuschaffen und sich dann vorzustellen. Also war er genau genommen schon fast nett. Zumindest redete Ferox sich das ein, um sich zu ermutigen.


    Er führte das Maultier in einen weniger gepflegten Teil des Gartens. Da niemand da war, um es in einen Stall oder an eine Anbindevorrichtung zu bringen, band Ferox es an einen Baum und hängte ihm den Futtersack um, damit es den Baum und die Wiese nicht anknabberte. Er hoffte innig, dass niemand das Tier oder die darauf befindlichen Reisesäcke entwendete, denn dies war fast alles, was er besaß.


    Er kehrte den Weg zurück ins Atrium. Bis auf ein paar Erdklumpen von den Hufen hatte das Muli zum Glück nichts fallen gelassen. Ferox hätte vor Aufregung fast seine Maultierfinger an der neuen Tunika abgewischt, konnte sich aber im letzten Moment davon abhalten und verschränkte sie hinter dem Rücken, damit sein Gegenüber den Schmutz daran nicht sehen musste.


    Dessen Blick schien ihn förmlich zu durchbohren, als er wieder eintrat. Ferox fiel auf, dass er nicht einmal wusste, wie man höher gestellte Personen angemessen begrüßte.


    „Salve“, sagte er schlicht und beobachtete genau das Gesicht des anderen, um rechtzeitig zu erkennen, wenn er wieder mit dem Fuß über einem Fettnäpfchen schwebte. „Ich heiße Nero Germanicus Ferox. Ich bin eigentlich gekommen, weil die Besuche meines Vaters Germanicus Varus seit längerem ausgeblieben sind und ich dachte, dass er sich vielleicht hier aufhält. Er hat ab und zu von der Casa erzählt. Doch der Mann an der Tür sagte mir, dass er wohl verstorben sei.“


    Ferox stand verloren mitten im Raum. Er traute sich nicht mehr auf den Stuhl, obwohl er gern Platz genommen hätte, weil ihm von der Reise die Beine weh taten.

  • Schon als er mit seinen genagelten Stiefel zur Treppe gepoltert war, hatte Antias von unten das energische Organ des Senators vernommen, gefolgt von wieder einsetzendem Geklapper. So viel zum Thema erhabene Stille. Vorsichtig, um die Geräuschkulisse nicht noch unnötig zu verstärken war er in’s Atrium hinuntergestakst um dortselbst Zeuge zu werden, wie sich das staubig graue Hintereil eines Maultiers durch die Porta nach draußen schob.


    „Alles in Ordnung, Senator?“ fragte er dünn, den Blick noch immer auf die Tür geheftet. Ob Sedulus ihn gehört hatte, vermochte Antias nicht zu beurteilen, beschloss aber vorsichtshalber, sich in respektvollem Abstand hinter dem Senator zu positionieren. Am besten, er ließ Germanicus Sedulus erstmal seine Ruhe. Der Tag schien für ihn bislang nicht ganz so gelaufen zu sein, wie er es gewohnt war. Ein Maultier im Haus, wie bizarr. Schweigend blickte Antias im Atrium umher. Keine Menschenseele war zu sehen. Als wäre nichts gewesen, hatte die erhabene Ruhe wieder Einzug gehalten. Kein Grund also, hier noch weiter herumzustehen. Aber der Senator schien auf etwas zu warten, und da Sedulus wartete, wartete Antias selbstverständlich auch.


    Nach einigen kontemplativen Minuten des Schweigens klangen schließlich Schritte von der Porta her. Antias spähte über Sedulus’ breite Schultern hinweg und gewahrte einen dunkelhaarigen jungen Mann in etwas zerknitterten Klamotten. Sicher der unaufmerksame Halter des verirrten Packviechs. Soweit also alles in Ordnung. Von dem Maultiertreiber hatte der Senator wohl nichts zu befürchten. Zeit, sich unauffällig wieder in die Bibliothek zurückzuziehen und dem Senator die Entgegennahme einer mehr als angebrachten Entschuldigung zu überlassen. Gerade im Begriff, sich leise davonzumachen, wurde er jedoch von zwei aufeinander folgenden verbalen Hieben jäh gestoppt. Dass der Bursche vorgab, ein Germanicus zu sein, traf Antias schon unerwartet genug. Als er aber hörte, auf wessen Namen sich dieser Bengel berief, stockte ihm der Atem. Alle Regeln des Anstands missachtend trat Antias zornfunkelnd hinter Sedulus hervor. „Was erlaubst du dir!“


    Das Blut schoss ihm in die Wangen. Er benahm sich daneben, das war ihm klar, aber eine derartige Unverschämtheit konnte nicht hingenommen werden, das sah der Senator sicher ebenso. „Bitte entschuldige, Senator Germanicus Sedulus ..aber das .. das ist .. ungeheuerlich!“

  • Kurz nachdem dieser Maultiertreiber sein Tier nach draußen geführt hatte, erschien auch schon Antias hinter Sedulus. Als dieser von Antias gefragt wurde nickte dieser und meinte knapp da er noch ein klein wenig perplex war.


    Ja, alles in Ordnung. Danke.


    Dann ging alles recht schnell. Als Sedulus den Namen des "Vaters" des Germanicus Ferox hörte ratterte es bei ihm. War dies nicht auch der Vater von Germanicus Antias?
    Noch ehe er den Gedanken zuende denken konnte, hörte er schon in lautem Tonfall Antias hinter sich.
    Nun war das Chaos wie es schien perfekt.


    Ruhe! Und jetzt mal langsam und in aller Ruhe. Setzen! Alle Beide!


    Er deutete auf die Sitzgruppe welche im Atrium stand. Außerdem deutete er einem Sklaven an, die Sauerei des Mulis aufzuputzen.


    Erst setzen wir uns und dann möchte ich euer beider Geschichten hören! So wie es den Anschein hat, seid ihr wie mir scheint und wenn der Name des Vaters stimmt, so etwas wie Brüder.


    Sedulus Blick wanderte von Ferox zu Antias und zurück.


    Du Germanicus Antius fängst an. Aber wenn es geht die Kurzfassung. Wann hast du deinen Vater das letzte mal gesehen und wer ist deine Mutter?


    Mal sehn ob wir keine Ordnung in den Saustall hier bekamen.

  • Antias zog instinktiv das Genick ein. Alle Achtung. Senator Sedulus konnte einen Ton anschlagen, gegen den sich das Gebrüll eines Optios ausnahm wie Kinderlachen. Zögernd folgte er Sedulus’ Aufforderung und setzte sich auf einen der Stühle. Den vermeintlichen Germanicus ließ er dabei nicht aus den Augen. Sowas wie Brüder? Unmöglich. Der Kerl sah seinem Vater doch kein bißchen ähnlich. Zugegeben, was Haarfarbe und Körpergröße anging, sah er Varus sogar ähnlicher als Antias selbst, aber sonst war keinerlei Ähnlichkeit vorhanden. Nun gut, Sedulus wollte Auskunft, in Ordnung, darauf hatte er auch Anspruch.


    „Also, Senator ... ich habe meinen Vater Marcus Germanicus Varus das letzte mal vor acht Jahren gesehen.“ Antias rechnete noch einmal nach. „Ja, im Winter vor acht Jahren.“ Dieser nachtschwarze Winter hatte bis heute kein Ende gefunden. Vieles hätte er berichten können aus jener Zeit, aber nichts davon war mehr von Belang. „Meine Mutter war Gisali Saxula vom Stamm des Tudrus.“ fuhr Antias leise fort. „Ihrem Vater wurde von Domitianus das Bürgerrecht verliehen, nachdem er mit seiner Sippe Lappius Maximus gegen den abtrünnigen Antonius Saturninus unterstützt hat.“ Ob das kurz genug war für zwei verstrichene Leben? „Von einem Bruder ..“ fügte Antias noch hinzu, weil er gar nicht anders konnte. „.. hab ich noch nie etwas gehört.“

  • 'Ich schon', dachte Ferox, aber das wäre eine schnippische Antwort gewesen, die dem Versuch des Hausherren, Ordnung zu stiften, nicht sehr zuträglich wäre. Also schwieg er und setzte sich auf den Stuhl, der am weitesten von Antias entfernt war. Eine bedeutungsschwere Pause hing in der Luft. Er war nicht sicher, ob der Hausherr noch etwas zu den Worten des anderen sagen wollte.


    Ferox` Gedanken jedoch überschlugen sich. Ausgerechnet dieser vorlaute Knilch da sollte sein Bruder sein? Er erwiderte dessen abschätzenden Blick und musterte ihn von oben bis unten auf der Suche nach irgendwelchen Ähnlichkeiten. Antias war ziemlich groß und obendrein blond. Kam wohl mehr nach der Mutter. Oder sonstwem. Aber Varus?

  • Sedulus hatte aufmerksam der Kurzfassung Antias`zugehört und genickt. Allerdings als er hörte das seine Mutter keine "Römerin" war schluckte er dann doch. Naja gut, weiter.
    Dann sah er Germanicus Ferox an und war auf seine Geschichte gespannt.


    Nun du Germanicus Ferox.


    Er nickte ihm zu, dass er beginnen konnte.

  • Sim-Off:

    Neue Schriftfarbe für wörtliche Rede^^


    Ferox überlegte kurz, wie er das ganze beginnen sollte. Er war kein guter Redner und dass ihn gerade zwei Augenpaare bis auf die Knochen durchbohrten machte es auch nicht besser. Das war einer der Nachteile, wenn man am letzten Ende der Welt aufgewachsen war.


    „Also Antias: Unser Vater war eine Schlampe.“


    Da er nicht wusste, wie er den Sachverhalt schonend verpacken sollte, nannte er ihn einfach beim Namen. Er hätte auch Weiberheld dazu sagen können, aber das klang zu positiv. Nein, Varus war sicher kein Held gewesen, mehrere Frauen gleichzeitig zu schwängern! Das war nun einmal schlampig. Und verantwortungslos den Frauen und Kindern gegenüber - nichts, womit man sich als 'Weiberheld' beweihräuchern lassen sollte.


    „Vater hat doch alles bestiegen, was nicht bei drei auf den Bäumen war - oder was ihm eins mit der Bratpfanne verpasste. Keine Ahnung, ob deine Mutter davon wusste, aber er hat vor seinem Verschwinden nicht nur sie geschwängert, sondern auch meine Mutter, Antonia Tertullina. Gut möglich, dass noch mehr von unserer Sorte herumlaufen.“


    Und, um den Rundumschlag komplett zu machen:


    „Varus hat uns auch all die Jahre besucht, während er mit deiner Mutter so gut wie verheiratet war. Nicht sehr oft, aber regelmäßig. Was glaubst du, woher er die schönen Pelzhandschuhe aus Silberfuchsfell hatte, die er deiner Mutter mal schenkte? Glaubst du, die hätte er sich von seinem Sold leisten können? Wir haben sie ihm für umsonst gegeben, weil er uns den Winter davor Medizin für meinen kranken Großvater aus dem Castellum mitgebracht hatte.“


    Wenn Antias vorhin nicht so vorlaut gewesen wäre, hätte er Ferox jetzt Leid getan. So aber verspürte dieser eine gewisse Genugtuung, während er ihm die Informationen servierte.


    „Ich war es übrigens, der die Handschuhe genäht hat. Ich hoffe, sie passen.“

  • Antias hörte schweigend zu, lauschte den Schmähungen, registrierte die Provokationen und wurde von Wort zu Wort ruhiger. Wer auch immer dieser Ferox sein mochte, ein Schwindler, ein Irrer oder auch sein Bruder, niemand hatte das Recht, in dieser abfälligen Weise von seinem Vater zu sprechen. Selbst dem tumbesten Waldbewohner sollte klar sein, dass ein derartiges Benehmen Konsequenzen haben musste. Sie waren in der Casa Germanica, im Haus des Senators. Antias würde sich nicht dazu hinreißen lassen, hier das Blut dieses Schandmauls über die Mosaiken zu verspritzen. Draußen aber, nur ein gutes Dutzend Schritte entfernt, war kein Platz mehr für Rücksichten irgendwelcher Art.


    Das alles war einfach nur traurig. Antias bedauerte es aufrichtig, seinen Besuch derart tragisch enden lassen zu müssen, aber er hätte nicht einmal Hispo, seinem besten Freund, gestattet, solche Reden zu schwingen. Als allerdings auch noch seine Mutter Erwähnung fand, drohte auch der letzte Rest von Bedauern zu weichen. Langsam und bedächtig erhob sich Antias und blickte Ferrox ausdruckslos an.


    „Dass dein Vater eine Schlampe war, tut mir leid.“ sagte er kalt. „Meiner war ein einfacher Soldat, der seinen Sohn an den Waffen geschult, Lesen und Schreiben gelehrt und auch ansonsten recht anständig behandelt hat. Ich erwarte dich draußen bei deinem Maultier.“ Mit einer linkischen Geste der Resignation wandte er sich an den bislang schweigenden Senator. „Ich bedaure das sehr, Senator Germanicus Sedulus. „Wenn du entschuldigst .. ich habe noch Mantel und Gepäck in der Bibliothek.“

  • Das Verhalten von Antias hatte sich verändert – hatte er ihn eben noch gedanklich als vorlauten Knilch bezeichnet, war es nun einfach ein Mann, den Ferox` harte Worte tief getroffen hatten.


    „Warte! Es … es tut mir Leid“, sprach Ferox, als Antias sich zum Gehen wandte. „Ich … es war nicht immer einfach. Ich hatte nicht viel von meinem Vater. Manchmal – meistens – hatte ich das Gefühl, dass du und deine Mutter ihn mir weggenommen habt, weil er bei euch lebte und nicht bei uns.“


    Er rieb sich das Gesicht um sich wieder zu beruhigen.


    „Und nun sitzt du plötzlich hier vor mir. Und Vater ist tot. Es war alles ein wenig viel heute. Du kannst ja auch nichts für dieses … sein Verhalten.“


    Plötzlich war Ferox ganz elend zumute. Da traf er nun endlich auf den unbekannten Teil seiner Familie und das Erste, was er tat, war seinen Bruder gleich wieder zu vergraulen. Den Wink mit dem Zaunspfahl, dass er ihn draußen erwartete, verstand Ferox sehr wohl. Verständlich, die Worte mussten weh getan haben, er hatte zu ihrem Vater vermutlich ein sehr viel engeres Verhältnis gehabt als Ferox. Er hatte ihn ja auch öfters gesehen...


    Die Worte, welche Dinge Varus seinem Bruder alles beigebracht hatte, waren wie Nadelstiche.
    Alles, was man sich als Sohn nur wünschen konnte.


    Neid, Eifersucht?


    Ja. Und wie!


    Aber wollte er sich wirklich mit ihm schlagen?


    Früher hatte er es sich manchmal gewünscht. Hatte sich ausgemalt, Antias und seine Mutter in die Wildnis zu jagen, damit sein Vater mehr Zeit bei ihm verbrachte. Und nun? Ein Teil in ihm wollte es noch immer. Ein anderer wollte seine Familie kennenlernen.


    Ferox beschloss Antias die Entscheidung zu überlassen.

  • Gerade einmal ein paar Schritte in Richtung Treppe hatte Antias getan, dann brachte er die Beine nicht mehr vom Boden. Mit mahlendem Kiefer starrte er in’s Leere. Wenn nicht gerade Militärstiefel oder Maultierhufe in die Stille schnitten, atmete die Casa wirklich etwas betörend friedvolles aus. Einen Platz wie diesen hatte er nie gekannt. Mehr als zwanzig Jahre seines Lebens hatte er in einer engen dunklen Ecke gehaust, die nur mit ein paar groben Wolldecken von den Schlaf- und Arbeitsstätten der Garnisonshuren abgetrennt worden war. Wie mochte das Heim des kleinen Ferox wohl ausgesehen haben? Er konnte es nicht wissen. Aber letztlich war es gleich, an welchem Ort ein trauriger Junge auf einen Vater wartete, der nicht kam.


    Mit einem tiefen Seufzer drehte sich Antias zu Ferox um und sah ihn lange an. Ja, die Handschuhe hatten gepasst. Er erinnerte sich gut. An die warmen weichen Fäustlinge seiner Mutter und an die endlosen Streitereien seiner Eltern, in deren Verlauf Gisali jedes mal diese Handschuhe aus der Truhe gefischt und sie Varus vor die Füße geworfen hatte, nur um sie hernach wieder klammheimlich aufzusammeln. Unzählige Gesprächsfetzen drangen ihm wieder in Erinnerung, bittere gehässig hingeworfene Sätze, die bislang nie einen Sinn für ihn ergeben hatten. Klein Nero. Muss Klein Nero auch Kornhülsen fressen? Freut Klein Nero sich schon auf Geschwister? Er hatte mit alldem nie etwas anfangen können. Später hatte ihm sein Vater erzählt, dass Nero einst Imperator gewesen war, vor langer langer Zeit.


    Mit schweren Schritten schlurfe Antias zu Ferox und Sedulus zurück und ließ sich stöhnend in den Korbsessel fallen. Er hätte ein Glas Massiker mit herunter nehmen sollen, besser noch die ganze Amphore. „Schon gut, Ferox .. schon gut.“ keuchte er müde, glotzte gedankenverloren auf das Mosaik zu seinen Füßen und suchte nach Worten, die er da unten nicht fand. Ferox hatte verdammt recht, es war wirklich alles ein wenig viel heute. „Wir haben ihn dir nicht weggenommen. Wie es scheint hat er uns ebensowenig gehört wie euch.“

  • Ferox atmete erleichtert aus. Aber er war auch verunsichert. Während Antias` erste Worte all seine Vorurteile ihm gegenüber untermauert hatten, geriet dieses Konstrukt nun ins wanken. Er schien nicht der verwöhnte Bengel zu sein, als den er sich ihn immer vorgestellt hatte.


    Und zum ersten Mal kam Ferox auf den Gedanken, dass er sich das Leben seines Bruders vielleicht anders vorstellte, als es wirklich gewesen war.


    Wann immer er früher in finsteren Gedanken gebrütet hatte, war sein Vater mit dem kleinen Antias auf den Schultern durch das Lager marschiert, in dem er stationiert war, und hatte allen stolz seinen Nachwuchs gezeigt – während er Ferox und seine Mutter möglichst unerwähnt ließ. Ferox hatte sich vorgestellt, wie Varus, Antias und Gisali gemeinsam Frühstück aßen, wie Vater sich danach liebevoll von seiner Familie verabschiedete und versprach, auf sich aufzupassen, ehe er den Dienst antrat.


    Aber war das denn die Wirklichkeit? Antias` letzter Satz ließ Ferox nachdenklich werden. Und er musste sich eingestehen, dass er verdammt wenig über das Leben der Soldaten und ihrer Familien wusste. Sein Vater war diesbezüglich sehr schweigsam gewesen.


    „Magst du vielleicht erzählen, wie es dir in all der Zeit ergangen ist?“, fragte Ferox. „Und bitte die lange Version“, ergänzte er mit einem kaum wahrnehmbaren Schmunzeln in Richtung des Hausherren.

  • Eben kam es Sedulus noch so vor als würde ihm die Situation hier entgleiten aber zum Glück hatte sich Antias wieder gefangen und so atmete der Senator erst einmal tief durch.
    Er blickte Antias an und dann sah er zu Ferox. Als dieser vorschlug Antias möge nun die Langfassung seiner Geschichte erzählen hatte Sedulus nichts dagegen einzuwenden, schließlich ging es hier quasi um eine Familienzusammenführung. Zwei Brüder die voneinader nichts wußten. Irgendwie kam ihm dies bekannt vor. Scheinbar gab es soetwas in der Gens Germanica öfters. Nun ja, wen wundert es auch, die Gens Germanica war ja auch recht groß und zuweilen im ganzen Imperium verstreut.
    Vielleicht kam ja auch irgendwann mal ein junger Mann zu ihm und behauptete er wäre dessen Vater. Wer wußte dies schon so genau. Wen man sich so überlegte wo Sedulus schon überall war und auch seinen Spaß in seinen jungen Jahren gehabt hatte. Aber dies war eine andere Geschichte. Hier ging es um Anitas und Ferox und deren Vater Varus.


    Ich habe keine Einwände.


    Stimmte Sedulus gelassen zu.


    Wenn es dazu führt diese Angelegenheit hier ein wenig zu entwirren und zwei Brüder näher zu bringen, dann so es mir recht sein.


    Er nickte Antias aufmunternd zu.

  • Wie es ihm ergangen war? Wo sollte er da anfangen? Antias blickte unentschlossen von Ferox auf den Senator und schließlich wieder auf die Spitzen seiner Caligae. „Naja, ich weiß nicht .. bevor ich erzähle, wie es mir ergangen ist, sollte ich mir vielleicht erst mal darüber klar werden, wie es mir im Moment ergeht.“ Aber gut, warum nicht. Wenn das heute der Tag für Wahrheiten war, dann sollte es eben so sein.


    „Ich denke, als Kind war ich recht glücklich. Meine Mutter und ich waren zwar in einem äußerst schäbigen Nebengebäude des Castellums der Secunda untergebracht, aber ich kannte es nicht anders und meiner Mutter hat das wohl auch nicht viel ausgemacht. Viele Soldaten der Garnison hatten Frauen und oft auch Kinder vor den Lagertoren, das war nichts außergewöhnliches. Natürlich war es ihnen nicht erlaubt, vor Ablauf der Dienstzeit zu heiraten, wilde Ehen wurden aber durchaus toleriert.


    Germanicus Varus hat uns aus seinem Sold unterstützt und nach uns gesehen, wann immer er die Möglichkeit dazu hatte. Die Winter waren die schönste Zeit im Jahr. Keine Manöver, keine größeren Patrouillen, die Soldaten blieben im Lager und mein Vater hatte Zeit, sich um mich zu kümmern. Er hat mir eine Menge beigebracht, eigentlich das Meiste von dem, was ich heute weiß und kann. Im Sommer waren seine Besuche dagegen weit seltener, was regelmäßig zu der paradoxen Situation geführt hat, dass bei uns ausgerechnet im Sommer Geld und Nahrung knapp wurden. Aber wie gesagt, ich kannte es nicht anders. Irgendwann würden wir sowieso alle zusammen in ein schönes kleines Haus ziehen, hatte Varus mir versprochen, irgendwo in Panonien vielleicht oder Aquitanien. Tja ...“


    Antias hatte genug von seinen Stiefeln gesehen. Nachdenklich hob er den Blick zu Ferox. „.. und dann wurde es wieder einmal Winter, und Varus kam. Einmal, dann nicht mehr. Nicht zu den Saturnalien, nicht zum Neujahrsfest, er tauchte nie wieder auf. Von einem seiner Kameraden wurde uns Wochen später mitgeteilt, dass er seit einer Kuriermission als vermisst gilt. Meine Mutter hat sich ausgezehrt in ihrer Trauer, monatelang. Ich nicht. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass er am Leben und einfach fortgegangen war. Geflohen vor seinem Weib, der einstigen Hure und vor seinem nicht standesgemäßen Sohn. Und ich habe ihn dafür gehasst.


    Als es Frühling wurde und meine Mutter noch immer in Schmerz versunken war, habe ich begonnen, auch sie zu hassen. Für die endlosen Streitereien mit meinem Vater, für ihre Herkunft, für das Leben, das wir führten, für alles. Während ich ihrem Einfluss langsam entglitt, begann sie wieder ihrem alten Gewerbe nachzugehen, um uns beide irgendwie durchzubringen. Sie hat mir Essen, Kleidung, einen warmen Schlafplatz ermöglicht, und dafür nichts von mir geerntet als Verachtung.


    Anstatt mich selber irgendwie nützlich zu machen, hab ich meine Tage mit Würfeln, Saufgelagen und Schlägereien vertan. Für mich war es immer Winter geblieben. Meine Mutter wurde schon in jungen Jahren alt. Dann wurde sie krank. Aber sie arbeitete so lange sie konnte. Schließlich beschloss ich doch noch, ihr zu helfen und schleppte ihr die bitter benötigten Freier in’s Haus. Ich war der Zuhälter meiner eigenen Mutter. Bis zu ihrem Tod. Hätte ich gewusst, dass ich noch irgendwo einen Bruder habe .. oder hätte ich mich wenigstens damit abgefunden, dass mein Vater umgekommen war .. alles wäre sicher ganz anders verlaufen. Aber so ...“ Sein Blick fiel wieder zu Boden.


    „Vielleicht wäre es besser gewesen, in Germania zu bleiben und in irgendeiner schmierigen Kaschemme erschlagen zu werden. Aber ich wollte einfach noch ein oder zwei Dinge in meinem Leben richtig machen, schon um zu wissen, wie sich das anfühlt, etwas richtig zu machen. So bin ich also nach Roma aufgebrochen, um Angehörige meiner Familie zu finden und vielleicht einen Rat zu erhalten, was ich mit meinem versauten Leben nützliches anfangen kann. Senator Germanicus Sedulus hat mir diesen Rat gegeben, mir seine Gastfreundschaft gewährt ... ohne viel zu fragen. Einfach so. Mir, einem ungehobelten wertlosen Bastard. Es tut mir leid, Senator ...“ mehr kam nicht aus ihm heraus. Seine Zähne pressten sich aufeinander, der Hals wurde ihm eng. Der Tag für Wahrheiten. Was für ein Scheißtag.

  • Ferox öffnete den Mund, um etwas zu sagen und machte ihn wieder zu, ohne dass auch nur ein Wort über seine Lippen gekommen war. All der Neid, der sich manchmal bis zum Hass gesteigert hatte, war völlig umsonst gewesen. Antias war nicht verwöhnt worden. Kein bisschen. Obwohl er mehr von ihrem Vater gehabt hatte, hatte er weniger vom Leben selbst gehabt.


    Ferox fühlte sich unsagbar schäbig für seine früheren Gefühle, am meisten aber für seine Rachefantasien.


    Er griff nach einem Säckchen an seinem Gürtel. Er erhob sich und reichte es Antias.


    „Das war eigentlich für Vater gedacht, jetzt sollst du es haben. Ich hatte dieses Jahr das erste Mal einen Bären in der Falle. Das ist einer seiner Eckzähne, ich habe eine Kette daraus gemacht. Sie soll dir Kraft bringen. Ich habe die Gleiche.“


    Vielleicht sprach die Geste aus, wofür er keine Worte fand.

  • Sedulus hörte sich Antias Lebensgeschichte an. Irgendwo gab es schon fast Paralelen zu seinem Leben. Allerdings war es damals Sedulus selbst der sich von Zuhause auf gemacht hatte um die Welt kennen zu lernen.
    Ab und zu hätte auch er die starken Hände seines Vaters nötig gehabt, gerade dann als er auf Abwegen war allerdings wollte er es damals nicht anders Doch dies war nun Geschichte.
    Als Antias seine Geschichte beendet hatte und Ferox ihm eine Kette schenkte war Sedulus sichtlich gerührt fast sprachlos.
    In späteren Streifen die man als Filme bezeichnen würde, würde man vielleicht sogar Kitsch dazu sagen, aber hier passte es. Die Kette welche für den Vater bestimmt war, bekam nun der Bruder von dem man zuvor nichts wußte. So etwas nannte man Familienzusammenführung.
    Sedulus war froh, dass es nun doch unblutig ausgegangen war und die beiden Brüder zueinander gefunden hatten. Sie hatte ja familiär gesehen auch nur noch sich.


    Es braucht dir nicht leid tun Germanicus Antias du bzw. auch Germanicus Ferox ihr könnt ja nichts dafür. Womöglich hätte ich auch so gehandelt.


    Erklärte der Senator mit beschwichtigenden und ruhigen Worten.

  • Germanicus Sedulus' freundliche Worte, drohten Antias den Rest zu geben. Mit einer fahrigen Geste fiuhr er sich über die Augen und sog zischend die Luft ein.
    Trocken schluckend blickte er schließlich auf und sah die ihm dargebotene Kette in Feroxs Hand. Ein gerührtes Lächeln begann seine Lippen zu kräuseln. Er hatte diesem gutherzigen Burschen, seinem Bruder, Unrecht getan. Da hatte Ferox voll Hoffnung diesen ganzen beschwerlichen Weg von Germania herunter auf sich genommen, noch dazu mitten im Winter, nur um erfahren zu müssen, dass sein Vater tot und sein Bruder anscheinend ein kaltherziges Arschloch war. Was mochte sich in ihm aufgestaut haben über all die Jahre, in denen er geglaubt hatte, nur das vernachlässigte Nebenprodukt eines Vaters zu sein, der andernorts ein harmonisches Familienleben führte.


    Mit einem rauen Räuspern erhob sich Antias und griff zaghaft nach der Kette. „Danke Ferox .. ich .. äh .. ich .. danke dir.“ Sollte er ihn jetzt umarmen? Ihm war danach, aber er wusste nicht recht, wie man mit Brüdern umging, immerhin hatte er vor einer knappen Stunde noch keinen gehabt. Ehrfürchtig betrachtete er die Kette, diese Bär musste ein verdammt stattlicher Brocken gewesen sein. Dann sah er wieder auf, blickte von Ferox auf Sedulus und straffte sich verlegen. „Nun, also ...“ versuchte er sich an einem beschwingt scherzhaften Ton. „.. ich bin Miles der Cohortes Urbanae, von mir wird Haltung erwartet. Senator Sedulus weiß, wovon ich rede, nicht wahr?“ Dabei wusste er selbst nicht so wirklich, wovon er da redete. Er brauchte einfach noch ein klein wenig Zeit. „Ferox, du möchtest dich sicher erst einmal ungestört mit dem Familienoberhaupt unterhalten ... äh ... ich wollte den Senator ohnehin bitten, einmal das Peristyl genauer besichtigen zu dürfen .. ich .. interessiere mich seit jeher für .. ähm .. Sträucher und so Sachen.“

  • Jetzt musste Ferox grinsen. Er hatte ja schon viele Ausreden gehört, warum sich jemand angeblich ganz schnell verdrücken musste, von einer vergessenen Verabredung bis hin zu einem sehr dringenden menschlichen Bedürfnis, aber das Interesse an kahlen Gehölzen war bisher noch nicht dabei gewesen. Antias war nicht nur ein netter Kerl, er hatte offenbar auch Humor.


    Ferox hatte keine Ahnung, wie Antias das aufnehmen würde, aber er war gerade so froh, dass er hier bei seiner Familie war und sich mit seinem Bruder ausgesöhnt hatte, dass er ihn fest umarmte. Einen Moment genoss er die Nähe. Dann klopfte er ihm auf den Rücken und gab ihn wieder frei.


    „Jetzt müsste nur noch geklärt werden, wer von uns der kleine Bruder ist und wer der große“, sagte er schmunzelnd. Er sah Antias an, der bestimmt einen halben Kopf größer war.
    „... oder auch nicht.“


    Er musste lachen. Es war ein herrliches, befreiendes Gefühl. Er war froh, dass er sich auf die lange Reise gemacht hatte!


    „Und klar will ich auch mit Senator Sedulus reden! Ich weiß ja noch nicht einmal, wer er ist. Mein Onkel? Mein Großvater? Ach, am liebsten würde ich die ganze Familie zusammenrufen und ein Fest veranstalten und mich mit jedem einzelnen stundenlang unterhalten! Im Wald ist es schön, aber einsam. Wieder einmal unter Menschen zu sein ist für mich nicht ganz einfach, aber trotzdem großartig!“


    Er setzte sich wieder auf seinen Stuhl.


    „Ich denke, dass man sich auch zu dritt gut unterhalten kann und hätte noch viele Fragen an dich, Antias. Aber wenn du ein bisschen Ruhe brauchst, nur zu. Einen Wandersmann soll man nicht aufhalten. Aber rechne damit, dass ich dir recht bald wieder über den Weg laufe … Brüderchen.“

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