Hortus | Schatten der Nacht

  • Trist und eisig hing die winterliche Nacht über Rom, einem schweren Tuche gleich oder einer staubigen Schicht, unter welcher das Atmen schwer fiel, zerfaserte Wolken zogen über das Firmament, dass die Sternenfunken und die halbe Scheibe der Luna unter ihnen verschwanden und wieder auftauchten, Ertrinkenden im Oceanos gleich, welche wieder und wieder der Oberfläche des Wassers entgegen strebten, um verzweifelt nach Luft zu schnappen. In die Dunkelheit hinein war Gracchus in seinem Cubiculum erwacht, in das trübe Dämmerlicht der Öllampen auf dem Flur hinausgetreten, um das fahle Schimmern zum Hortus hin wieder hinter sich zu lassen. Er kannte jeden Schritt in diesem Garten, der seit seiner Kindheit sich nicht allzu sehr hatte verändert, dass er auch in der Nacht seinen Weg fand über den kalten Stein hinweg, über das taufeuchte Gras, welches an den Rändern seiner Haussandalen seine Haut kitzelte und ihn an eine Elegie des Kallimachos von Kyrene entsann. Den mahnenden Geistern seiner Vorfahren gleich taxierten die Schemen der steinernen Musen seinen Weg als er an ihnen vorübereilte, ein Käuzchen sandte seinen Ruf ihm hinterher als er den arbor felix passiert und gemahnte ihn an längst vergangene Versprechen, längst vergessene Lügen, und erst die dunklen Umrisse des kleinen Teiches ließen in seinem Schritt ihn verharren. Einem mundus gleich lag die starre Oberfläche des Wassers vor ihm, schwarzfarben und endlos, vergessend, vergebend, bereit ihn ohne Vorbehalte in sich zu verschlingen. Gracchus sehnte sich so sehr danach, vergessen zu werden, vergebend, vorbehaltlos verschlungen zu werden. Die Welt hatte augenscheinlich sich erneut gegen ihn verschworen, nicht nur im großen, sondern ebenso im kleinen. Minor zürnte ihm noch immer ob der bevorstehenden Ehe mit Aurelia Prisca, ob dessen Gracchus nicht sicher war ob er verärgert, enttäuscht oder schlichtweg verwirrt sollte sein war, doch gleich welche Emotion dies in ihm selbst evozierte, dass Minor ihm derart zürnte destruierte gänzlich sein väterliches Selbstverständnis, gleichsam er nichts dagegen konnte unternehmen ohne zudem noch den letzten Rest an parentaler Autorität einzubüßen. Sein Onkel Aetius hinwider war entweder der Senilität anheim gefallen oder aber scheute keinerlei Mittel mehr, um aus dem fernen Ravenna ihn zu traktieren, und war ob dessen gar bereit, seine Tochter Domitilla an den Tiberius zu verschachern, von welchem Gracchus nicht sicher war, ob er schlichtweg alert oder intrigant war. Von Faustus' Verbleib hatte er seit dem Gespräch mit Cornelius in der Regia nichts mehr vernommen, doch zweifelsohne zürnte ihm dieser nur mehr noch als zuvor, da Gracchus sein Wort nicht hatte gehalten. Cornelius Palma indes war ein Fall für sich selbst und auch hierbei wusste Gracchus nicht ob er lachen sollte oder weinen oder beides zugleich, hatten die Götter den Kaiser doch schlichtweg von der Welt hinweggefegt - nach allem, was sie hatten getan, nach allem was geschehen war um ihn auf den Kaiserthron zu schaffen, und dazu noch ehedem Gracchus ihn konnte zur Rede stellen bezüglich seines Verhaltens in der Regia. An den Cornelier selbst wollte Gracchus nicht einmal mehr denken, denn der Gedanke an ihn, an seine Selbstsucht und Machtzerfressenheit bescherte dem Flavier Übelkeit. Die Konspiranten hatten ihr Leben riskiert für ihn, das ihrer Familien, manch einer hatte sein Leben gelassen, sie hatten Tod und Verderben über das gesamte Imperium gebracht, eine Ära des Schreckens und Leides, sie hatten gelogen, betrogen, gemordet - doch Palma war dies letzten Endes alles schlichtweg egal gewesen. Töte und herrsche! Nach meinem Tode soll Deukalion meine Knochen überspülen! - so hatte frei nach Straton von Sardis augenscheinlich die Maxime des Cornelius gelautet, und Gracchus hatte nicht unwesentlich dafür Sorge getragen, dass es überhaupt soweit gekommen war. Am Ende war all dies vergeblich gewesen und welcher Irrsinn noch würde folgen, dies wussten nur die irrwitzigen Götter, doch Gracchus wollte nicht mehr die Verantwortung tragen für noch mehr Leid und Verderben über Rom. War es die Welt, welche schlichtweg nicht mehr ihren Bahnen folgte, welche die Gesetze der Vernunft hatte hinter sich gelassen, oder war er es selbst? Zweifelsohne gab es nur ein plausibles Ende dieses Gedankenganges, denn zu lange spürte er bereits den süßen Hauch der Insania in seinem Nacken. Sie war seine letzte Tugend, nachdem Dignitas, Honestas und Veritas ihn hatten verlassen, sie war die verlorene Muse, welche in ihren Armen ihn umschlossen hielt, welche ihm Trost gab in einer Welt aus Wahn. Sie war es, welche ihn nährte einer Mutter ihr Kinde gleich, sie war es welche ihre Wärme ihm schenkte, ihre bedingungslose Güte.
    "Per aspera ad insania ..."
    , murmelte er leise und trat einen Schritt auf den Oceanos zu. Er mochte den Wahsninn der Welt nicht mehr ertragen, er mochte die Last seiner Welt nicht mehr tragen, er mochte nurmehr vergessen, vergessen werden.

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  • Da die Stadttore nach dem Tod des Kaisers geschlossen worden waren liefen die Geschäfte im Untergrund Roms bestens. Sciurus hatte die erste Hälfte der Nacht daher genutzt, seinen eigenen Angelegenheiten nachzugehen, was zumeist unbemerkt von seinem schlafenden Herrn blieb. Als er in dieser Nacht jedoch in die Villa Flavia zurückkehrte und den Weg zu dessen Cubiculum einschlug, wurde er von einem mageren, blassen Sklaven aufgehalten, der ihm aufgeregt mitteilte, dass der Hausherr nur wenige Augenblicke zuvor im Nachtgewand in den Hortus hinaus gegangen war und das Angebot nach einer Begleitung samt Laterne ausgeschlagen hatte.


    Mit zügigem Schritt durchquerte der flavische Vilicus die Villa und trat in den Garten hinaus. Still horchte er in die Nacht, doch außer der Natur war kein Laut zu vernehmen. Da Sciurus keine Vorstellung davon hatte, was genau sein Herr zu dieser Zeit im Hortus suchte, folgte er schlussendlich dem angelegten Weg. Am kleinen Teich wurde er fündig, stellte seine Laterne am Boden ab und beobachtete Gracchus einige Augenblicke, der vom Weg hinab an das seichte Ufer des Teichs trat. Da er annahm, dass Gracchus schlafwandelte nahm er seinen Umhang, trat vor und legte den Stoff sorgsam um dessen Schulter, dabei leise fragend: "Was tust du hier, Herr?"

  • Gänzlich in seine eigenen Gedanken versunken bemerkte Gracchus nicht das Herannahen des Sklaven, sah nur den Schimmer des Lichtes, welches auf der Oberfläche des Wassers vor ihm sich spiegelte, welches er ob dessen für ein Glühen aus der Tiefe empor hielt, ein Licht, mit welchem die gütige Insania ihm den Weg wies. Ein leises Lächeln schlich sich auf sein Antlitz als sie ihn zudem mit ihrer Wärme umfing, ob dessen die nachfolgende allzu reale Stimme Sciurus' jählings aus der Blase der ihm imaginierten Welt ihn riss, dass Gracchus erschrocken herum fuhr.
    "Sciurus!"
    nannte er den Namen, gleichsam ein Tadel ob der Klandestinität, mit welcher sein Sklave war aufgetaucht, wie auch Erleichterung über seine Person, denn keinen Menschen würde Gracchus in diesem Augenblicke bei sich wissen wollen. Nach einigen Herzschlägen, in welchen er den Schrecken abschüttelte, blickte Gracchus über die Schulter zurück auf den Teich und als er sich wieder Sciurus zuwandte, kräuselte erneut ein Lächeln seine Lippen.
    "Ich ... gehe in den Oceanos und werde vergessen."
    Da auf dem Antlitz seines Gegenübers sich weder Verständnis, noch die angemessene Freude über dies abzeichnete, fühlte sich der Flavier bemüßigt, sich zu erklären.
    "Auf meiner ersten Überfahrt nach Achaia befand sich ein Dieb an Bord, ein Peregrinus aus der Rudermannschaft, der eines Nachts den Kapitän bestohlen hatte. Am nä'hsten Morgen ließ der Kapitän diesen Mann schlichtweg über Bord in den Oceanos werfen. Ich beobachtete wie er strampelte und mit den Armen ruderte, wie er einige Male versank und wieder auftauchte, doch bald schon schlugen die Wellen ein letztes Mal über ihm zusammen. Er versank, und von diesem Augenblicke an war er ver..gessen. Ich fragte meinen Onkel, der mich auf der Reise begleitete, ob die Strafe des Kapitäns ohne ein Gerichtsverfahren re'htens gewesen war, doch er hieß mich nur zu schweigen. Ich fragte einige der Ruderer nach diesem Manne, doch sie schüttelten nur den Kopf, letztlich wagte ich gar den Kapitän zu fragen, doch er erinnerte sich an nichts und bellte mich an, dass ich aufpassen solle, was mein von der Sonne getrübter Verstand mir eingab. Der Oceanos hatte diesen Mann von der Welt getilgt, Sciurus, es war als hätte er niemals existiert, die Welt hatte ihn einfach vergessen."
    Eine tiefe Traurigkeit überkam Gracchus, ein leiser Anflug von Zaudern, doch letztlich wischte er alle Bedenken beiseite.
    "Wenn es eine Möglichkeit gibt, der Welt mich vergessend zu machen, so ist es meine Pfli'ht, sie zu ergreifen. Ich kann nicht gut schwimmen und ich werde nicht rudern, noch strampeln. Ich werde schlichtweg mich den Wellen überlassen und untergehen. Die Welt wird mich ver..gessen, und … so es gütige Götter gibt, werde allfällig auch ich vergessen."

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  • Ohne eine Miene zu verziehen blickte Sciurus an seinem Herrn vorbei auf den Teich, der nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Ozean hatte. Selbst wenn Gracchus bis in die tiefste Mitte hinein waten würde, würde das Wasser ihm höchstens bis an die Hüfte stehen. Die Kälte würde vermutlich dazu beitragen, dass er am Ende tatsächlich ertrinken könnte, doch vergessen würde ihn in diesem Fall wohl niemand. Im Gegenteil, die Schwierigkeiten würden danach erst beginnen, insbesondere für Sciurus.


    Es war zwar nicht ungewöhnlich, dass Gracchus in die Nacht hinein in seine Träume erwachte, doch dass sich ein Alptraum derart lange hielt war ungewöhnlich, ebenso dass sein Herr derart gegenwärtig darüber sprach. Sciurus' Blick ging zurück zu Gracchus und fixierte ihn. Der Flavier hatte ihm von der Zeit nach der Flucht aus Rom berichtet, von seiner Zeit in der Casa Decima und dass er sich dort vollkommen in einer andere Welt verloren hatte. Er hatte von seiner Furcht berichtet, eines Tages nicht mehr zu wissen, wer er war, eines Tages die Realität nicht mehr von Traum unterscheiden zu können. Womöglich war heute dieser Tag.


    Sciurus hatte gelernt mit den alltäglichen Marotten seines Herrn umzugehen, und wenn der Wahnsinn überhandnahm half nur noch die Illusion bedenkenlos zu zerstören.
    "Wenn die Welt ihn vergessen hat, warum erinnerst du dich dann an diesen Mann?"

  • Mit sich und seiner Entscheidung gänzlich im reinen öffnete Gracchus den Mund, um die Frage des Sklaven mit einer plausiblen Entgegnung leichthin abzutun, doch während der Sinn dieser Worte allmählich in seinen Verstand tröpfelte, stieg ebenso ein Anflug von Panik in ihm empor.
    "Nun ..."
    , begann er ohne zu wissen, was dem sollte folgen. Weshalb konnte er sich an diesen Mann, den die Welt hatte vergessen, entsinnen - und dies nicht nur in einer vagen Erinnerung, nein in unzähligen Einzelheiten? Er entsann sich der buschigen Brauen über blassbraunfarbenen Augen, der kantigen Nase, auf welcher eine feine Narbe verlief, dicken, spröden Lippen, ein wenig abstehende Ohren zwischen graufarben struppigem, von den Winden zerzaustem Haar. Er entsann sich der ausgebleichten, grünfarbenen Tunika, welche in der See sich mit Dunkelheit hatte vollgesogen, an ausgetretene Sandalen in welchen schrundige Füße steckten, eine dünne Lederschnur, welche als Gürtel um den mageren Leib lag. Und er entsann sich des durchdringenden Geruches, welcher ihn an einen Stall voller Ochsen gemahnte, an die raue Stimme, welche der salzige Wind hatte abgeschliffen, die von Schiffen phantasierte, welche durch die Sternenmeere fuhren. Und er entsann sich des klatschenden Geräusches, mit welchem der Mann in den Oceanos stürzte, an die flehenden Rufe, ihm zu vergeben, wenigstens ein Brett ihm zu lassen, an das leise Gurgeln als die Ruder ins Wasser tauchten und das Schiff allmählich wieder voran brachten, und den dunklen Flecken, welcher alles war, was von dem Ertrunkenen noch eine Weile im endlosen Wasser nachhallte. Er erinnerte sich an all diese Details als wäre dies am Vortage geschehen. Die Welt hatte diesen Mann nicht vergessen. Die Welt würde auch ihn nicht vergessen.
    "Ich ..."
    , versuchte er noch einmal einen Satz zu finden, ehedem die schreckliche Wahrheit dieser Erkenntnis ihn übermannte, sein Leib unmerklich zu beben begann, und er schlussendlich schluchzend an Sciurus' Schulter endete. Der Oceanos war seine Hoffnung gewesen, die Arme der Insania seine Flucht - doch nicht einmal dieser Ausweg war ihm vergönnt.

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  • Der Sklave legte seinem Herrn die Hände um die Schultern und ließ ein leises, beruhigendes Brummen von sich. Sciurus war dieses Gebaren durchaus gewohnt und auch wenn Sentimentalitäten nicht Teil seines Charakters waren, so barg die Szenerie doch einen Anschein von Vertrautheit, gar einen Hauch Fürsorglichkeit - auch wenn diese am Ende nur dem Eigennutz des Sklaven geschuldet war.
    "Weshalb sollte die Welt dich vergessen wollen, Herr? Die Welt sieht nur, was sie sehen will, das hat sie ausreichend bewiesen. Diese Tatsache, die du einst mit geprägt hast, ist schon mit der Machtergreifung des Corneliers verschwommen. Mit seinem Tod ist sie endgültig ausgelöscht. Das Augenmerk der Welt liegt auf anderen Dingen, deine Lüge ist nicht mehr nur Wahrheit, sondern endgültig Vergangenheit."

  • Noch immer an die Schulter des Sklaven gelehnt, schüttelte Gracchus den Kopf, ehedem er seinen Blick hob und Sciurus' Augen fixierte, welche im Schimmer der Nacht noch farbloser schienen als sie am Tage es ohnehin bereits waren.
    "Nein, Sciurus, nichts ist vergessen, nichts! Ver..stehst du das nicht, was nun geschieht, dies alles ist noch immer ein Effekt meiner Taten! Oben auf der Kuppe des Berges habe ich gegen einen Kiesel getreten, ich habe eine Lawine ausgelöst, welche bereits den gesamten Hang ver..wüstet, hunderte Leben mit sich gerissen hat, doch nun … nun rauscht sie durch das Tal und wird auch hier alles noch hinfortreißen, was mir lieb und teuer ist! Dieser einfältige Tor, dieser elendigliche ..."
    Gracchus' Stimme versagte, doch letztlich mangelte es ihm ohnehin an adäquaten Schimpfworten.
    "Was hat er sich nur dabei geda'ht?! Alles, wofür wir gekämpft haben, alles was wir verändern und bewegen wollten, alles, weshalb wir dieses Risiko eingegangen sind, weshalb wir die schlimmste Untat begangen haben, welche ein Römer begehen kann! Als wäre nicht ein Bürgerkrieg bereits genug, als würden wir nicht bereits bis zum Halse in Blut stehen, als wäre dies alles belanglos für ihn! Ich halte das nicht aus, Sciurus, ich kann nicht noch mehr Blut an meinen Händen er..tragen, nicht noch mehr Elend über dieser Stadt, nicht noch mehr Larven in meinem Rücken! Doch ihm … ihm war das alles glei'hgültig! Dieser elende … Verräter!"
    Verzweifelt hob Gracchus seine Hände vor das Gesicht, um jenes darin zu verbergen, denn nicht einmal Sciurus mochte er einen Blick auf seine Tränen noch vergönnen.
    "Ich habe alles zerstört, alles … für nichts! Für nichts! Meine Familie, Rom, meine Ehre, Faustus …"
    Er schniefte leise.
    "Er wird mich noch mehr hassen als ohnehin bereits."

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  • Es kam nicht oft vor, dass Sciurus die Kontrolle über seine Mimik verlor. Zumindest sah in diesem Augenblick niemand, dass er mit den Augen rollte. Das also war es, worauf alles am Ende hinauslief: der Decimer. Auch wenn sein Herr ganz anderer Ansicht war, am Ende hatte Decimus Serapio ihm doch nichts als Ärger eingebracht. Zuerst war Gracchus ihm völlig verfallen, hatte alles um sich vergessen und war in seiner naiven Liebe versunken. Als Serapio in die Provinz versetzt worden war, hatte er beständig zwischen depressiver und verklärter Sehnsucht geschwankt. Und nach dem Bürgerkrieg war er am Boden zerstört - zuerst im Glauben, dass Serapio tot war, danach weil er es nicht war und im Kerker saß, und am Ende weil der Decimer nur noch Hass für ihn übrig hatte. Sciurus hatte gehofft mit letzterem würde auch Gracchus endlich einsehen, dass Serapio nichts von all dem wert gewesen war, dass er im Gegenteil eine Gefahr für den Flavier darstellte und daher besser beseitigt werden musste. Doch Gracchus schien in Hinblick auf Serapio vollkommen blind für die Realität.
    "Vergiss den Decimer, Herr. In Hinblick auf deine Taten hat er keinerlei Beweise und mit Palmas Tod verliert er jede Grundlage für seine Angriffe."

  • Ein wenig derangiert ließ Gracchus seine Hände hinabsinken.
    “Angriffe?“
    Zähem Honig gleich tropfte die Erkenntnis über die Gedankengänge des Sklaven nur langsam in seinen Verstand.
    “Aber nein, Sciurus, dies ist ... belanglos“
    Ein wenig mitleidig schüttelte Gracchus den Kopf, ein wenig betrübt, dass Sciurus niemals würde nachvollziehen können, von was er sprach, niemals auch nur den Hauch einer Ahnung von dem Konzept der Liebe zwischen zwei Menschen würde verspüren können, denn letztendlich war er doch nur ein Sklave, gleich wie gefällig er sich bisweilen gab.
    “Was ich zerstörte ist fern aller profanen Politik, ist fern allen profanen Rivalitäten um Ma'ht und Einfluss. Ich habe ... ich habe das kostbarste Gut destruiert, das mir je zuteil wurde. Ich habe die Sonne vom Himmel meiner Welt ge..rissen, dass sie in finsterer Düsternis versinkt, habe mein Land ausgedörrt, dass nurmehr karge Wüste zurückbleibt, habe alle Vegetation entflammt, dass die Luft von ätzendem Rauche erfüllt und das Atem zur Qual wird, habe meine Flüsse des Wassers, meine Ozeane ihrer Wogen beraubt, dass bleiche Täler das Land dur'hziehen und endlose Leere es umschließt.“
    Nein, niemals würde Sciurus auch nur annähernd seinen Schmerz ermessen können.
    “Wie sollte ich dies vergessen, da ich jeden Tag erneut in diese abominable Welt hinein erwa'he?“
    Einige Augenblicke lag eine schwere Stille zwischen ihnen, aus der Ferne drang der Ruf des Käuzchens und noch ein wenig weiter hinfort das Rattern beschlagener Räder auf dem Straßenpflaster der Stadt. Mit einem Male verspürte Gracchus eine Kälte in sich aufsteigen, welche nicht nur aus seinem Inneren erwachsen war, welche vom taunassen Gras seine baren Füße in seinen Leib empor stieg. In dieser Nacht würde es kein Entkommen mehr geben aus seiner Pein. Sanft, doch bestimmt befreite der Flavier sich aus den Armen seines Leibsklaven.
    “Mir ist kalt.“
    Ohne einen weiteren Blick wandte er sich um, zurück in das Haus sich zu begeben, wohl wissen, dass Sciurus ihm würde folgen. Nicht einmal die gütige Insania wollte ihn noch aufnehmen, nicht einmal das Vergessen war ihm vergönnt. Auf dem Wege zurück in die trügerische Idylle der heimischen Villa glaubte Gracchus das leise Lachen der Parzen zu vernehmen, das leise Lachen der drei Frauen, die letztendlich nur eine war - die eine, die über sein Schicksal bestimmte, die ihn niemals so einfach würde ziehen lassen.

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  • Wortlos blickte der Sklave seinem Herrn nach und setzte sich sodann ebenfalls in Bewegung. Vermutlich verstand er mehr von dem, was Gracchus umtrieb, als dieser ahnte, andererseits verstand er nichts von dessen Begehren in Hinblick auf den Decimus. Es würde ihm wohl nichts übrig bleiben als weiter dafür Sorge zu tragen, dass Gracchus sich nicht in irgendwelche Dummheiten stürzte, sowie darauf zu achten, dass Decimus Serapio seinen Herrn nicht in Gefahr brachte. Für diese Nacht jedoch blieb seine Aufgabe darauf beschränkt, Gracchus' Bett wieder anzuwärmen.


    ~~~ finis ~~~

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