"Nosce te ipsum" - "Erkenne dich selbst" in Germania Libera

  • Auch Othmar war vor dem Aufbruch noch kurz bei Hildrun gewesen, grade als sich die beiden Frauen verabschiedet hatten, war er an der Hütte angekommen, hatte gewartet bis Alpina den Weg zurück eingeschlagen hatte und war dann seinerseits zu der Kräuterfrau gegangen. Mit einer mehr als freundschaftlichen Umarmung und einem verstohlenen Kuss hatten sich auch die beiden voneinander verabschiedet. Eigentlich verband sie eine enge Beziehung, doch konnten sie diese kaum wirklich ausleben. Es schmerzte beide, doch war ihnen klar, dass Othmar weder im Dorf bleiben konnte, noch dasd Hildrun mit durch die Gegend ziehen wollte. Damit war die Entscheidung getroffen: Beide würden, wie immer ihrer Wege gehen und sich auf das nächste Zusammentreffen freuen. Nun war Othmar aber schon verdächtig lang von der Gruppe getrennt gewesen, sodass er nun schnell aufbrechen wollte.


    So zogen sie ihres Weges, doch waren sie jetzt zu viert und hatten sich wie gewöhnlich organisiert. Hrothgar deckte seine starke linke Seite ab, während Othmar auf der rechten Seite ging. Wolfhart bildete die Nachhut und trottete zwei Schritte hinter dem Wagen her. Wieder herrschte eine lange Stille. Bei den drei Männern gehörte das mittlerweile schon zur Routine. Sie kannten sich so gut, dass sie nicht mehr Worte als nötig miteinander sprechen mussten, zumal Hrothgar ja ohnehin nicht sprechen konnte. Auch wenn Othmar sich grade eben nch von Hildrun verabschiedet hattem, war seine Stimmung noch vom üblichen morgendlichen Unwillen bestimmt, während Wolfhart immer wieder durch die Gegend schaute, die Baumwipfel betrachtete oder den Tieres am Wegesrand nachblickte. Und selbst Alpina, die sonst immer die Gespräche begann, war äußerst schweigsam. Allzu verständlich, wenn man an die vergangene Nacht dachte, in der Othmar klargemacht hatte, dass er irgendwelche Geisterabenteuer weder suchte, noch tolerieren würde. Die junge Frau schien dies zu beschäftigen. In den kurzen Pausen, die sie an einzelnen Wegsteinen, Lichtungen oder Rastverhauen machten, sammelte sie Blumen und Kräuter vom Wegesrand, wahrscheinlich für das Abendessen.


    Irgendwann zur ebenfalls üblichen Mittagspause, die sie auf einer Wiese verbrachten, die komplett von der Sonne beschienen wurde, kam Alpinas Möglichkeit. Hrothgar hatte sich auf die Suche nach kleinen Tieren gemacht, die sie am Abend verspeisen könnten und Wolfhart saß, mit dem Rücken an ein Wagenrand, hatte die Augen geschlossen und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Othmar wollte nach den Eseln schauen und stieß dabei auf Alpina, die sich wohl im Moment bei den Eseln wohler fühlte als in der Gesellschaft der drei Männer.

  • Als Alpina Othmar sah, fasste sie sich ein Herz und sprach ihn an.
    "Auf ein Wort bitte, Othmar. Es tut mir leid, dass ich für euch eine Belastung bin. Ich weiß das und ich würde es zu gerne ändern. Bräuchte ich eure Hilfe nicht, um noch tiefer ins Barbricum zu kommen, wäre ich längst auf eigene Faust unterwegs, glaub mir. Es liegt mir fern, euch in Gefahr bringen zu wollen."


    Sie atmete tief durch. "Ich habe lange über deine Aussage von heute Nacht nachgedacht und ich hoffe, ich kann dir einen Vorschlag machen, mit dem wir beide leben können. Da ich ohnehin in den meisten Nächten nur wenige Stunden schlafe, weil jede Schlafsequenz die Gefahr eines weiteren Alpitraums birgt ... kurz, weil dem so ist, ich biete dir an, einen Großteil der Nachtwache für die Gruppe zu übernehmen. Es würde mir reichen, wenn mich in den letzten Stunden vor dem Morgengrauen jemand ablöst, damit ich noch etwas Schlaf bekomme. Ich hoffe damit das Risiko für die mich verstörenden Bilder zu minimieren und Gefahr von der Gruppe fernzuhalten. Sollte ich feststellen, dass es mir nicht gelingt und ich eine Gefahr für euch darstelle, sei gewiss, dass du mich eines Morgens nicht mehr bei der Gruppe finden wirst."


    Sie griff in ihre Rückentrage und holte einige Münzen hervor.
    "Ich möchte dir jetzt die komplette vereinbarte Summe übergeben. Dann ist unsere Vereinbarung getilgt und ich muss mir keine Gedanken mehr darüber machen, dass wir nicht quitt wären, wenn ich eines Nachts feststellen muss, dass es besser für uns alle wäre, wenn ich alleine weitergehe..."


    Sie streckte die Hand aus und drückte Othmar die Münzen in die Finger.

  • Othmar war grade dabei, die Hufe der Esel auf Steine oder kleine Verletzungen zu prüfen, als Alpina ihn ansprach. Er erhob sich und blickte sie fragen an. Natürlich konnte er sich denken, was sie auf dem Herzen hatte, was sie ihm da aber grade anbot, ging natürlich weit über das hinaus. Er blickte in seine Hand, wo sich nun die kompletten fünfzig Sesterzen befanden und dann wieder hoch. Bevor er jedoch antwortete, griff er in den Wagen und schnappte sich eine leeren Geldbeutel, in den er die fünfzig Sesterzen steckte. Doch legte er ihn nicht zurück zu den übrigen Beuteln, sondern legte ihn seperat auf den Wagen, sofass er sich deutlich von den anderen unterschied. Dann blickte er wieder zu der jungen Frau.


    Erstens: Ich bin Geschäftsmann. Daher nehme ich kein Geld für eine Leistung, die ich nicht erbringe. Wir haben abgemacht, dass wir dich soweit ins freie Germanien begleiten und dich auch zu deinem Ziel bringen. Wenn das nicht möglich ist, kann ich dein Geld nicht annehmen.


    Er schüttelte den Kopf. Nein, sowas gab es nicht bei ihm. Wenn er einen Pelz verkauft, wollte er seinen Wert (plus eine Wegezugabe für die Einkaufsreisen) bekommen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und auch wenn er manchen römischen Kunden gerne mal erzählte, dass er die Tiere selber gejagt hätte, änderte das doch nicht an der Pelzqualität.


    Zweitens: Ich glaube, dir ist nicht klar, worauf du dich da einlässt. Besonders in der Nacht kann so ein Wald schlimme Fratzen zeigen. Tiergeräusche, Windböen, Knacken im Unterholz, mit all dem must du klarkommen. Und sie vor allem von echten Gefahren unterscheiden können. Hinzukommt, dass du unsere Feuerstellen am Brennen halten musst. Außerdem: Wie stellst du dir das vor, einfach während der Nachtwache zu verschwinden, wenn du damit nicht klarkommst? Uns schlafend und schutzlos zurücklassen, weil du mit deinen Geistern nicht klarkommst? Ganz bestimmt nicht. Die Nachtwache ist eine der vertrauensvollsten Aufgabe und ich sage es ganz offen: Ich kenne dich nicht. Ich weiß nicht, ob ich dir vertrauen kann. Das soll dich nicht davon abhalten, der jeweiligen Nachtwache Gesellschaft zu leisten, doch alleine? Ganz bestimmt nicht.


    Offensichtlich war ihr überhaupt nicht klar, was es hieß, unter freiem Himmel zu schlafen. Sie waren hier nicht mehr in einer warmen, gutbeheizten Casa in einer römischen Stadt, mit ihren Mauern, sondern im freien Germanien, mit Räuberbanden, aggressiven Kriegern und wilden Tieren, die alle nur nach Opfern suchten.


    Drittens: Natürlich verschwindest du nicht einfach, sondern sagst du Bescheid, wenn du alleine weiterreisen willst. Selbst falls wir dir doch mal die Nachtwache überlassen, kann, bei Heimdall immer etwas passieren. Wer sagt mir denn, dass du nicht von irgendeinem Tier gerissen oder von einem Räuber entführt worden bist. Verdammte Axt, Mädchen, ich habe mich verpflichtet für deine Sicherheit zu sorgen! Und bei Heimdalls scharfen Blick werde ich das solange machen, bis du mir sagst, dass ich das nicht mehr machen soll. So ist das Geschäft.

  • Verflucht, warum musste dieser Germane so einen unglaublichen Sturschädel haben? Was sollte sie mit dieser Antwort anfangen? Sie war nahe daran ihm zu sagen, dass er sie in Ruhe lassen sollte. Sie wollte nie so abhängig sein. Nie. Sie hatte nicht ohne Grund ihr eigenes Geschäft aufgebaut. Sollte sie umkehren? Sollte sie ihren Plan aufgeben? Alpina schwankte zwischen Wut und Verzweiflung.


    "Ich bin vor zwei Jahren mit meiner Mutter aus Raetia auch zu Fuß bis Mogontiacum gelaufen. Du brauchst nicht glauben, dass ich nicht weiß wie man ein Feuer in Gang hält und auch damals haben wir uns ab und an bei der Nachtwache abgelöst, wenn wir nicht bis zu einer Mansio gekommen sind, weil das Wetter umschlug. Gut. Du kennst mich nicht, du weißt nicht, ob du mir vertrauen kannst. Deshalb akzeptiere ich, dass ich zunächst nicht alleine eine Nachtwache übernehmen kann. Gib mir die Chance mich zu beweisen. Wenn ich feststelle, dass ich dem nicht gewachsen bin, werde ich dich morgen Früh von deinem Auftrag entbinden und alleine weitergehen."


    Sie war fest entschlossen, sich von ihm nicht wie ein Kind behanden zu lassen. Trotzig und beinahe ein wenig wütend, starrte sie ihm in die Augen.

  • Ranulf begrüsste Norwiga mit ihren Kriegern: Heilsa stolze Kriegerin ich bin Ranulf der Dorfälteste, was kann ich für dich tun?


    Heilsa Ranulf ich bin Norwiga und mit einem kleinen Teil meiner Krieger unterwegs. Wir sollten uns unterhalten damit du verstehst um was es geht und du meinen Forderungen besser nachkommen kannst.[/red]
    Norwiga hatte Ranulf jetzt versteckt angedeutet um was es für sein Dorf wirklich ging, nämlich ums nackte Überleben. Sollte er kooperieren würde alles gut.


    Ranulf zog sein Gesicht düster zusammen, er hatte schon so etwas erwartet, so eine Menge an Kriegern waren nicht einfach so unterwegs, sondern sie wollten etwas Bestimmtes von seinem Dorf. Und die versteckte Drohung in Norwigas Antwort hatte er auch verstanden. Vorerst wollte er mit den Wölfen heulen und sich die Geschichte anhören. Komm doch bitte in mein Haus, wir können dann in aller Ruhe über alles sprechen.


    Auf einen Wink von Norwigas entspannten sich die Germanen augenscheinlich doch sah das nur nach Außen so aus. Sie hatten sie so aufgeteilt, damit sie ggf. sofort losschlagen konnten. Der Dorfälteste schien kein einfältiger Mensch zu sein, sondern er hatte sofort begriffen wie die Chatten sie aufteilten. Jetzt würde es auf den Dorfältesten ankommen was weiter geschehen würde.


    Als Ranuld und Norwiga Platz genommen hatten betrachteten sie sich eine Weile, für Ranulf war es selten dass er eine richtige germanische Kriegerin und dann auch noch als Anführerin einer so großen Gruppe von Germanen erleben konnte. Doch er wusste dass es ab und an Frauen gab, die anders waren wie alle anderen. Doch halt da fiel ihm ein Norwiga hatte von viel mehr Kriegern gesprochen die ihr unterstehen sollten. Gerüchteweise war ihm schon zu Ohren gekommen, dass es eine neue Föderation von chattischen Germanenstämmen geben sollte die im Aufbau begriffen war. Konnte es sein das es tatsächlich der Wahrheit entsprach und er es wirklich mit diesen Germanen zu tun hatte. Dann würde es sehr schlimm werden für sein Dorf und ihn. Wie er bereits gehört hatte kannten die Krieger der Föderation keine Gnade wenn es darum ging ihren Willen durchzusetzen.


    Als Norwiga Platz genommen hatte und sich den Blicken Ranulfs gestellt hatte und er seine Augen gesenkt hatte sprach sie ihn an:


    [color=red[]Ranulf du warst sehr verständnisvoll draußen und hast fürs erste deinem Dorf sehr geholfen. Wir wollen offen und ehrlich miteinander reden damit du siehst dass ich es ehrlich mit dir meine und nicht unbedingt die Waffen zücken will. Wir übernehmen ab jetzt die Kontrolle über dein Dorf und ihr gehört ab sofort der neuen Föderation der Chatten an. Für euch wird sich nicht viel ändern, außer das ihr 10% eurer Ernte an uns abgebt, ebenso werden wir 30 deiner Jünglinge mitnehmen. Diese werden von uns zu Kriegern ausgebildet. Weiterhin werden in deinem Dorf 50 unserer Krieger stationiert um sicherzustellen dass ihr mit den Römern keine Geschäfte mehr macht. Diese Männer werden euch auch beschützen falls ihr in Schwierigkeiten kommen solltet. Du kannst in deinem Dorf ganz normal schalten und walten nur wenn es Interessen der Föderation tangiert schließt du dich mit uns kurz. Solltest du nicht akzeptieren werden wir dein Dorf dem Erdboden platt machen.


    Nun war es heraus was Norwiga wollte und Ranulf konnte kaum atmen aufgrund der Bedrohung. Sollte er nein sagen würde das Dorf dem Untergang geweiht sein und niemand würde am Leben bleiben. Er überlegte hin und her was er noch machen konnte, doch ihm wollte nichts Gescheites einfallen. Gut ich stimme zu, was soll ich auch sonst machen. Einzig deine 50 Krieger können wir in unserem Dorf nicht versorgen, das sind einfach zu viele. Wenn die vielleicht weniger so um die 30 Krieger bei uns lassen könntest würden damit klar kommen.


    Für Norwiga war alles klar als Ranulf zustimmte. Gut es bleiben 20 Krieger in deinem Dorf, ich komme dir dahingehend entgegen. Was Ranulf nicht wissen brauchte, war das ein Teil der Krieger in der Nähe im Wald ein Kastell bauen würden und dort fest stationiert werden würden. Norwiga erhob sich und meinte zu Ranulf: [color=red]Damit ist alles geklärt es ist abgemacht und ausgehandelt. Ich verlasse dich bis auf die 20 Krieger. Die Vereinbarung gilt ab heute. In einer Woche bringst du Teile der Ernte und Herden zu uns.[/color]
    So verließen die chattischen Krieger das kleine Dorf Ranulfs und zogen ihrer Wege.

  • Othmar hielt Alpinas Blick stand. Problemlos. Er hatte schon zu viel gesehen und mit zu vielen Kunden gesprochen, dass er sich durch einen wütenden, fast schon kindlich-trotzigen Blick aus der Ruhe bringen ließ.


    Ich sage dir jetzt eines, Susina Alpina. Das freie Germanien ist komplett anders, als das gut ausgebaute römische Reisenetz. Du bist hier nicht mehr im Römischen Reich, sondern in einer Umgebung in der Dorf- oder sogar Stammeskämpfe vollkommen normal sind. Wer dazwischenkommt, muss entweder ein bekanntes Gesicht haben oder erfahren genug sein, mit solchen Situation umzugehen.


    Er seufzte und wandte sich wieder den Eseln zu. Die junge Frau mochte schon einiges durchgemacht haben, aber das, was sie hier machte, war etwas komplett anderes und neues. Hier gab es nicht hinter jeder Ecke eine Mansio und keine römischen Patrouillen römischer Soldaten. Hier waren nur sie und niemand anders. Zwar waren einige Dörfe durchaus freundlich gegenüber fremen, doch es gab mindestens genauso viele, wenn nicht sogar mehr, die sie für eine Spionin oder Diebin halten konnten. Und mit denen gingen die wenigsten freundlich um.


    Wie gesagt: Niemand wird dich abhalten, in den kommenden beiden Nächten den Nachtwachen Gesellschaft zu leisten. Was du daraus machst, liegt an dir.


    Dann wandte er sich wieder den Tieren zu und prüfte nun die Hufe des zweiten Tieres.

  • Resigniert ließ Alpina die Schultern hängen. Othmar war es gelungen, ihr klarzumachen, wie hilf- und nutzlos sie war. Nicht nur das. Sie war eine Belastung für die Gruppe und der Germane ließ auch keinen Zweifel daran, dass ihre Hilfe unnötig, wenn nicht gar unerwünscht war. Alpina hatte gehofft, ihren Beitrag zum Gelingen der Reise leisten zu können...


    Vermutlich war Othmar nicht bewußt, dass er mit seiner harten Haltung Alpinas ohnehinschon angegriffenes Selbstbewußtsein endgültig ausradierte. Ihre Selbstzweifel wurden mit jedem Mal stärker. Was gab es überhaupt noch für einen Grund für sie, diese Reise fortzusetzen? Was sollte aus diesem Leben noch werden? Sie hatte so dringend eine Aufgabe gesucht und eine Zeit lang schien es so, als habe sie auch die Richtige Lebensaufgabe gefunden, doch dann kam ein Schlag nach dem anderen und jeder von ihnen nagte ein kleines Stück ihres Selbstbildes fort. Sie hatte anderen helfen wollen und nun waren es die anderen, die ihr halfen. Curio, der immer für sie da gewesen war, wenn sie ihn gebraucht hatte. Nie hatte er sich darüber beschwert, dass sie wieder und wieder seine Hilfe in Anspruch genommen hatte. Nicht einmal hatte sie sich revanchieren können... und sein Bruder... sie hatte ihm helfen wollen, seine Trauer zu verarbeiten und was hatte sie damit angerichtet? Sie hatte alles nur noch schlimmer gemacht...
    Im Prinzip war es egal ob sie diesen Weg fortsetzte oder nicht.


    War es das, was sie auf dieser Reise lernen sollte? Die Sinnlosigkeit des eigenen Daseins zu akzeptieren? Den Widerstand aufzugeben, der sich immer noch in ihrem Verstand regte? Den innigen Wunsch nach einem Sinn des Lebens ad absurdum zu führen?
    Das sich nun einstellende Gefühl der Leere schien sich sanft wie ein Mantel über Alpinas Seele zu legen. Es dämpfte den Schmerz.

  • Othmar rief alle Mitreisenden wieder zusammen. Wolfhart rappelte sich hoch, klopfte seine Kleidung ab und stellte sich wieder hinter den Wagen, um ihm bei Bedarf Anschubhilfe zu leisten und Hrothgar kam, leider ohne Beute, zum Wagen zurück. Er merkte schnell, dass Alpina blass war und etwas unschlüssig neben den Esel stand. Da es jetzt los gehen sollte, nahm er die Zügel, drückte sie Alpina mit einem aufmunternden Blick in die Hand und gab den Eseln einen sanften Klaps, sodass sie sich erst langsam, dann etwas schneller in Bewegung setzten. Er hatte ihre Geschichte am Abend mitbekommen, doch war er längst nicht so abergläubisch, wie Othmar. Grundsätzlich glaubte er nicht an irgendwelche überirdischen Wesen, denn als er sie während seiner Gefangenschaft angerufen hatte, hatte ihm nie, nicht einmal, irgendeine von ihnen geantwortet. Seitdem war er ein Zweifler. Doch konnte er das ja leider niemandem mitteilen. Auch glaubte er nicht, dass Alpina sie in Gefahr bringen würde, aber auch das behielt er, gezwungenermaßen für sich.


    Othmar hingegen trottete wieder rechts am Wagen, blickte in den Wald hinaus und immer mal nach oben in die Sonne, um ihren Stand und die Zeit abzuschätzen, die ihnen noch blieb, bis die Dämmerung einbrechen würde. Wieder kam kein wirkliches Gespräch zustande. Stille bestimmte die gesamte Reise bislang und würde sie wohl auch noch besonders auf den langen Wegstrecken bestimmen. Einerseits konnte sowas belasten, andererseits erhielt man dadurch die Möglichkeit, den Gedanken freien Lauf zu lassen oder vielleicht sogar das lästige Denken komplett abzustellen.


    Als die Dämmerung dann irgendwann einsetzte, verzog Othmar unzufrieden das Gesicht. Die Hütte, die er für heute angepeilt hatte, würden sie nicht mehr erreichen und würden daher die erste Nacht unter freiem Himmel verbringen müssen. Je länger sie gingen, desto deutlicher wurde ihre Lage, bis Othmar irgendwann das Wort an seine Begleiter richtete.


    Wir müssen nun langsam nach einem guten Platz für die Nacht Ausschau halten. Irgendwas Geschütztes. Also Augen auf!

  • Alpina ergab sich in ihr Schicksal. Sie ließ sich von Hrothgar die Zügel in die Hand drücken und trottete los. Die Gleichmäßigkeit des Gehtempos und die Stille führten dazu, dass sie nicht mehr grübelte. Sie setzte einfach Schritt vor Schritt.


    Erst als Othmar anmahnte, dass ein Lagerplatz gesucht wurde, stieg ihre Nervosität wieder. Sie würden tatsächlich unter freiem Himmel nächtigen müssen.
    Als ein geeigneter Platz gefunden war, half Alpina Hrothgar beim Ausspannen und Tränken der Esel. Dann machte sie sich daran für alle eine 9-Kräutersuppe herzustellen. So bekamen sie sogar in der Wildnis ein warmes Abendessen. Natürlich war die Suppe dünn, viel hatte sie ja nicht dabei, aber mit dem Brot, das sie als Wegzehrung eingepackt hatten, wurde es doch eine vernünftige Mahlzeit.


    Mit sorgenvoller Miene beobachtete Alpina, wen Othmar für die erste Nachtwache einteilen würde. Zum Glück war es Hrothgar. Sie wartete also ab, wo sich der stumme Germane niederlassen würde und wickelte sich nicht weit von ihm sitzend in ihren Fellmantel.


    Ein paar Mal ließ ein Knacken in der Dunkelheit ihren Puls hochschnellen. Doch konnte die Ursache des Geräusches in der Regel als ungefährlich enttarnt werden. Mehrmals legte Alpina Feuerholz nach, um die Lagerfeuer vor dem Verlöschen zu bewahren. Als Hrtothgar schließlich Othmar für den zweiten Teil der Nachtwache weckte, zog sich Alpina in den Schutz des Wagens zurück. Sie versuchte noch ein wenig zu schlafen. Um zu vermeiden, dass sie die anderen gefährdete, falls sie im Schlaf schrie, zog sie sich den Fellumhang über den Kopf. Er würde hoffentlich den Schall dämpfen.

  • Hrothgar fand zuerst einen guten Platz. Auf der einen Seite abgeschirmt von einer umgestürzten Eiche, konnte der Wagen auf der anderen Seite weiteren Schutz geben. Nachdem genug Feuerholz gesammelt und das Feuer angefacht war, kochte Alpina eine Kräutersuppe, die allen sehr gut schmeckte. Natürlich war sie dünn, doch wärmte sie die drei Männer von innen.


    Sehr gute Suppe.


    sagte Othmar, während er seinen Teller auslöffelte. Kurz vor dem Einbruch der Nacht verteilte Othmar schließlich die Aufgaben der Nachtwache. Hrothgar sollte beginnen, und zur halben Nacht Othmar wecken, damit er ihn ablösen konnte. Während des ersten Teils der Nacht herrschte wieder Stille. Nur das leise Schnarchen Othmars und das etwas lautere Schnarchen Wolfharts schufen eine kleine Geräuschkulisse. Zwischendurch war ein Knacken zu hören, die Hrothgar und Stirn runzeln ließ, doch immer waren es nur Kleintiere, die durch das Unterholz huschten. Immer wieder wanderte Hrothgars Blick derweil zu Alpina, die immer noch zutiefst besorgt wirkte. Doch leistete sie ihre Aufgabe zum Nachlegen von Feuerholz vertrauensvoll und gewissenhaft. Zu gerne hätte er erfahren, woher ihre Angst käme, doch hatte sie schon ganz recht, damit nicht hausieren zu gehen.


    Etwa zur halben Nacht weckte er dannn Othmar, der sich hochrappelte, kurz innehielt, einen Schluck Wasser trank und dann seinerseits wachblieb, während Hrothgar sich zum Schlafen legte. Alpina legte sich derweil an den Wagen. Auch der Rest der Nacht war unspektakulär, es veirrte sich lediglich ein Uhu in der Nähe, dessen regelmäßiges Rufen durch den Wald schallte. Als schließlich die ersten Sonnenstrahlen des Tages durch die Baumwipfel zu sehen war, standen Hrothgar und Wolfhart praktisch von selber auf, während Othmar zum Wagen blickte, ob Alpina auch schon, oder vielleicht sogar noch wach wäre.

  • Die Nacht war gut und ruhig gewesen. Selbst Alpinas Alpträume hatten sich bedeckt gehalten und ihr eine erholsame restliche Nacht beschert.


    Die Etappen hatten inzwischen eine gewisse Gleichförmigkeit bekommen. Jeden Morgen das Vorbereiten des Wagens, das Anspannen der Esel, die Vormittagsetappe in Stille und Kontemplation. Bei der mittäglichen Pause vielleicht ein kurzes Gespräch, dann der nächste Streckenabschnitt.
    Alpina begann jegliches Zeitgefühl zu verlieren. Wie lang waren sie schon unterwegs? Wo waren sie wohl? Wie lang würde ihre Zwangsgemeinschaft mit den germanischen Händlern noch dauern? Selbst ihrem Körper schien der übliche Rhythmus abhanden gekommen zu sein. Er hatte einen gewissen Reisemodus eingenommen. Der Neumond war vorüber, die monatliche Blutung aber ausgeblieben. Die Strapazen der Reise, Müdigkeit und Erschöpfung waren sicherlich ursächlich dafür. Alpina war es recht. Sie vermisste diesen unangenehmen Teil des Frau-seins kein bisschen.


    Mit dem Führstrick in der Hand achtete sie auf ihre Schritte, sicher dass auch dieser Tag ein Ende haben würde, wo auch immer und wann auch immer...

  • Auch die zweite lange Etappe gen Osten, immer weiter in Richtung Melocabus, wo sich die nächste Siedlung befand, war wieder lang. Othmar staunte, wie schnell sich Alpina an seinen Rhytmus und den seiner Leute gewohnt hatte. Das morgige Aufstehen klappte erstaunlich gut, ebenso die morgendlichen mittäglichen und abendlichen Vorgänge: Morgens das Einspannen der Tiere und die Vorbereitung des Wagens, mittags die kurze Rast an einem geeigneten Ort, wie einer Lichtung oder einer Schneise zwischen zwei Wäldern und am Abend das gemeinsame Abendessen, die Einteilung der Nachtwachen und das Anfachen des Feuers. auch gewöhnte sie sich offenbar an die Ruhe und das Schweigen der Händlergruppe, denn auch sie vermied es mehr und mehr Gespräche zu suchen. Bei dem Händler und seinen Begleitern hatte sich das eingebürgert, wenn neue Leute dazukamen, dauerte es immer ein bisschen, doch Alpina hatte sich erstaunlich schnell angepasst.


    Der heutige Tages führte sie nun weiter nach Osten. Der Wald wurde oftmals dichter und Othmar musste sich immer wieder anstrengen, den Stand der Sonne vernüftig auszumachen. Seine Begleiter hatten derweil ihre Augen zu den Seiten gerichtet, um auf mögliche Angriffe sofort reagieren zu können. Und Alpina hatte die Tiere so gut unter Kontrolle, dass sie kaum bockten oder unerwartet stehen blieben. Selbst wenn sie es taten, konnte die junge Frau sie immer wieder schnell dazu bewegen, weiterzuziehen. Othmar beobachtete auch das aufmerksam, denn dass sie dadurch viel Zeit einsparten, verstand sich von selbst.


    Als sich am Mittag die tägliche Pause anbot, stoppte die Gruppe an einem Bach, an die sie ihre Trinkschläuche auffüllen konnten. Hrothgar wiederum machte sich wieder an die Jagd von Kleintieren, während Wolfhart die Radachsen des Wagen kontrollierte. Othmar aber trat neben Alpina an den Bach.


    Du hast die Esel gut unter Kontrolle.


    sagte er, nicht ohne Anerkennung in der Stimme. Er hatte sie bislang nur als störrische, unberechenbare Lebewesen erlebt, die immer zu Unzeiten ihre Dickköpfe wiederentdeckten. Dass solche Aussetzer bislang ausgeblieben waren, erstaunte ihn deshalb auch.

  • Wieder eine mittägliche Rast, wieder das Tränken der Esel. Alpina setzte sich neben die beiden Esel an den Bachlauf, zog die Sandalen aus und ließ die Füße vom Wasser umspielen. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass Othmar zu ihnen getreten war. Erst als Secundus den Kopf hob und irritiert zu dem Pelzhändler guckte, nahm Alpina den Germanen wahr.


    Du hast die Esel gut unter Kontrolle., sagte er.


    Alpina sah ihn von unten her an. Es schien ein verstecktes Lob zu sein. Was sollte sie darauf sagen? Sie hatte die beiden Esel bislang als sehr willige und unproblematische Zugtiere erlebt. Auch sie wusste, dass Esel durchaus störrisch sein konnten, wenn ihnen etwas nicht passte. Mit Sicherheit war es nicht ihr Verdienst, dass Primus und Secundus so brav waren.


    "Ich glaube, sie mögen mich, weil ich sie von Anfang an mit Brotstücken bestochen habe", vermutete die Raeterin. "Bei Eseln, wie bei vielen anderen Lebewesen, geht die Liebe durch den Magen."


    Diese Aussage mochte Othmar auslegen wie er wollte, doch ihr war durchaus aufgefallen, dass die drei Männer nicht undankbar waren, wenn man ihnen ab und an mit einer kulinarischen Kleinigkeit den Alltag erleichterte.


    "Habe ich erzählt, dass meine Großeltern einen Hof mit Pferden, Hühnern und einem Hofhund hatten? Wenn ich den Sommer dort verbracht habe, gab es genügend Gelegenheiten, mich nützlich zu machen und die Tiere zu versorgen. Aber sei dir nicht zu sicher, dass die Esel immer auf mich hören werden. Sobald sich der Vorrat an Brot dem Ende neigt, wird auch ihre Liebe zu mir deutlich nachlassen."


    Alpina versah den letzten Kommentar mit einem sanften Lächeln.

  • Othmar ging in die Hocke, während er dir Trinkschläuche auffüllte. Er selbst hatte natürlich nie daran gedacht, die Esel mit Brot zu bestechen, dafür war ihm das Brot viel zu wertvoll, da er ja nie wusste, wann sie den nächsten Proviant bekämen. Dies Esel dagegen hatten immer die Möglichkeit, Gras vom Wegesrand zu essen, sodass ihre Versorgung in jedem Fall gesichert war.


    Ich glaube, da hast du recht.


    antwortete er auf ihre Behauptung mit dem Essen. Natürlich genossen auch die Männer das Essen, dass Alpina ihnen mit ihren Kräutern herstellte, war es doch etwas anderes, trockenes Brot zu essen oder etwas Kräuterdip dabeizuhaben. Auch die Suppe vom gestrigen Abend hatte gut geschmeckt, und war sicherlich auch besser, als wenn sie irgendwelche Beeren oder sonstiges hätten sammeln müssen.


    Dann hörte er ihrer Erzählung zum Hof ihrer Großeltern zu. Offenbar hatte auch sie vorher viel mit Tieren zu tun gehabt. Daher auch die Erfahrung. Othmar nickte verstehend, während er nun den zweiten Trinkschlauch mit Wasser füllte.


    Und dann bist du irgendwann in Mogontiacum gelandet und hast eine Taberna Medica eröffnet...


    führte er ihre Geschichte ein bisschen weiter. Zwar wollte er damit sicher nicht erreichen, dass sie ihm ihre ganze Lebensgeschichte erzählte. Aber nachdem er sie gestern so runtergeputzt hatte, war ihm jetzt dran gelegen, sie langsam wieder aufzubauen. Schließlich nutzte es niemandem, wenn sie sich komplett unnötig fühlte. Ganz im Gegenteil wäre sie eine größere Hilfe, wenn sie selbstbewusst an die neue Situation heranginge. Dass sie das konnte, hatte sie bei ihrem ersten Zusammentreffen klar gemacht. Allerdings wollte Othmar auch klargestellt wissen, dass Selbstbewusstsein alleine nicht ausreichte, um hier im freien Germanien zu überleben. Nicht umsonst war er ja auch nicht alleine unterwegs, sondern hatte immer ein bis zwei Begleiter bei sich.


    Dann hoffen wir mal, dass ihre Liebe noch mindest bis Meolcabus hält.


    sagte er dann, indem er ihr Lächeln erwiderte. als Tierführerin jedenfalls machte sie eine gute Figur und konnte ihnen dadurch auch durchaus nützlich sein.

  • Und dann bist du irgendwann in Mogontiacum gelandet und hast eine Taberna Medica eröffnet...


    Alpina nickte. Sie hoffte, dass Othmar nicht weiter nachhaken würde. Mit Sicherheit würde sie in Tränen ausbrechen, wenn sie mehr von sich erzählen müsste. Und das wollte sie bestimmt nicht. Sie wollte nicht schon wieder Schwäche zeigen, schon gar nicht vor Othmar, der sie offenbar ohnehin nicht für voll nahm.
    Zum Glück beließ es der germanische Pelzhändler dabei und schenkte ihr sogar so etwas wie ein Lächeln. Das erste seit sie gemeinsam unterwegs waren. Ein erster Schritt, ihr angespanntes Verhältnis zu bessern.


    Alpina zog die Schuhe wieder an und half Hrothgar die Esel einzuspannen. Es konnte weitergehen.

  • Nachdem Othmar die Trinkschläuche gefüllt und Alpina auch keine Anstalten gemacht hatte, das Gespräch fortzusetzen, kehrten sie gemeinsam zurück zum Wagen. Wolfhart hatte die Radachsen komplett geprüft und Hrothgar war zumindest dieses Mal bei der Jagd erfolgreich, sodass es zum Abendessen einen Hasen geben würde. Zwar war dieser nicht allzu groß, doch würde er für alle vier reichen. Othmar legte die Trinkschläuche zurück auf den Wagen und Hrothgar spannte gemeinsam mit Alpina die Esel ein. Und schließlich gingen sie weiter gen Osten.


    Dieses Mal waren sie, so glaubte Othmar, gut in der Zeit. Und nachdem sie wieder einige Stunden schweigend gewandert waren und nur auf einen anderen Händler getroffen waren, der ihnen entgegen kam und nach Westen reiste, erreichten sie pünktlich zur Dämmerung eine kleine Hütte am Wegesrand. Diese wurde regelmäßig durch vorüberreisende Händler genutzt und war zur allgemeinen Erleichterung auch noch nicht belegt. Othmar blickte kurz hinein, es gab zwei Betten aber genug Stroh für einen weiteren Schlafplatz. Da ja mindestens einer von ihnen jede Nacht Wache halten musste, reichte dies also gut aus. Wolfhart war derweil damit beschäftigt Feuerholz zu suchen und Hrothgar kümmerte sich wie immer um die Esen. Othmar wiederum leerte den Wagen, nahm alle Geldbeutel und die überzähligen Felle mit in die Hütte und half dann beim Suchen nach Feuerholz und schließlich beim Anfachen des Feuers vor der Hütte

  • Erleichtert stellte Alpina fest, dass sie die kommende Nacht nicht unter freiem Himmel nächtigen mussten. Es war windig und regnerisch - alles andere als gemütlich für eine Nacht im Freien.


    Alpina vermied die Frage nach der Nachtwache. Sie hatte ihre Lektion gelernt. Stattdessen versuchte sie sich beim Zubereiten des Abendessens nützlich zu machen. Sie zog dem Kaninchen das Fell ab, säuberte das Fleisch und holte ein paar übrige Zwiebeln aus den Vorräten. Viel war inzwischen nicht mehr von ihren Vorräten übrig. Alpina traute sich nicht zu fragen, doch sie hoffte sehr, dass es bald wieder irgenwo eine Siedlung gab, in der sie Nahrungsmittel einkaufen oder eintauschen konnten. Sonst würde sie in den nächsten Tagen noch mehr Zeit mit der Suche nach essbaren Wildkräutern verbringen müssen.


    Als die Nacht hereinbrach nahm der Wind zu, er steigerte sich bis hin zu einem heftigen Frühlingsturm. Die Hütte erwies sich als zugig, durch zahlreiche Spalten zwischen den Holzstämmen pfiff der Luftstrom, sang in ihren Ohren und sorgte dafür, dass nicht nur Alpina und die Nachtwache kaum ein Auge zumachten.

  • Wieder genossen sie das Abendessen. Für einen Außenstehenden könnte es interessant zu beobachten sein, dass jeder genau wusste, welche Aufgabe ihm zukam. Während Othmar die Schlafstätte aus Stroh vorbereitete, half Wolfhart beim Kochen und Hrothgar hatte immer einen Blick auf die Umgebung und die Tiere. Fast jeder Handgriff saß und nur die Anwesenheit einer vierten ungewohnten Person brachte ein wenig Unordnung hinein. Doch stellten sich alle schnell darauf ein, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen.


    Zum Abend hin hatten Regen und Wind eingesetzt und sich mehr und mehr zu einem Sturm aufgeschaukelt. Die Hütte war stabil genug und bot nicht viel Angriffsfläche für die Sturmböen, dennoch war sie nicht mehr die neuste und hatte viele Löcher, sodass einige Windzüge in die Hütte eindrangen, es von oben ein bisschen hineintropfte und der Wind über ihnen pfiff. Hrothgar hatte bereits die beiden Esel in die Hütte geholt, die nun aus allen Nähten platzte, und hatte vorher noch den Wagen gesichert. Nun saßen sie in der Hütte, eng an eng, Hrothgar versuchte die Pferde zu beruhigen, Wolfhart saß mit dem Rücken an der Tür, die sonst nur von einem Riegel gehalten wurde, und Othmar schaute immer wieder nach oben, ob das Dach hielt. Seine größteSorge war jedoch, wie die Pfade am morgigen Tag aussehen würden, denn eigentlich war es nur noch eine Tagesreise bis zu ihrem Zwischenziel. Je nachdem, wie die Pfade aussehen, müssten sie aber wohl unter Umstände eine weitere Zwischenstation einlegen. Daher fing er nach einiger Zeit an, eine Anrufung zu murmeln, die er immer wieder wiederholte.


    Thor, dein Hammer sei mir Zeichen, Unheil und Verderben müssen weichen!
    Hoch im Norden, dort wo Asgard liegt, Thor über das Unheil siegt!
    Im Osten die Sonne erwacht, Tag für Tag nach jeder Nacht!
    Der Hammer im Süden die Stätte weiht, heiliges Blót mit göttlich Geleit!
    Im Westen beginnt die Nacht, doch Heimdall stehts über uns wacht!
    Hört ihr hohen Götter, was ich von euch erbitte:
    Schutz und Weihe für unsere Mitte!

  • Es dauerte ein wenig, bis Mercurius diese Alpina gefunden hatte, die er im Gegenzug für ein großes Opfer ein wenig beschützen sollte. Und wo fand er sie? Natürlich im schlimmsten Sturm auf dieser Seite des Rhenus! Da musste er in seiner Rolle als germanischer Wodan wohl mal ein ernstes Wörtchen mit seinem hier als seinen Sohnemann verehrten Thor reden. So ging das ja nicht! Das eine Menschlein fing ja schon an, zu beten, so wie das hier tobte.


    “JETZT IST ABER MAL GUT HIER! ICH HAB HIER EINE AUFGABE!“, donnerte so also Mercurius-Wodan der Naturgewalt entgegen und wies sie damit in die Schranken. Blitz und Donner zuckten noch einmal protestierend auf, ehe der Regen gehorsam versiegte und nur ein missmutiges Grollen in den Wolken blieb, als diese weiterzogen.
    Jetzt waren die Straßen und Wege aber allesamt noch nass. Der Gott eben jener seufzte und erwartete für diese Schwerstarbeit hier aber mindestens einen Ziegenbock, als er von Süden einen warmen Wind heranholte, der die Natur vielleicht in den restlichen Nachtstunden nicht mehr gänzlich trocknen würde, sie aber doch zumindest befahrbar hielt.

  • Der Sturm steigerte sich noch immer. Regen peitschte das Dach der Hütte. Zunächst fand es Alpina nur ungemütlich, doch je lauter der Sturm wütete, desto unheimlicher wurde es. DIe Esel waren nervös, Hrothgar hatte sie ins Innere der Hütte geholt. Alpina versuchte sie durch sanftes Streicheln und beruhigende Worte zu besänftigen.


    Als Othmar begann leise eine Anrufung an seine Götter zu murmeln, bekam es Alpina mit der Angst. Sie war sehr abergläubisch. Dass ausgerechnet Othmar, der immer so kühl und distanziert wirkte, ein Gebet an Thor und die anderen Götter des germanischen Pantheons anstimmte, versetzte sie in Panik. Spätestens jetzt würde er vermutlich glauben, dass sie ihnen ihre Geister auf den Hals gehetzt hatte...


    Und dann geschah das Unglaubliche. Der Sturm ebbte ab und auch der Regen ließ nach. Beeindruckt sah Alpina zu Othmar hinüber. Er schien einen direkten Draht zu den Göttern seines Volkes zu haben. Alpina wusste ja nicht, dass sie die Beruhigung der Elemente dem Eingreifen Mercurs und dem Opfer und innigen Gebet von Runa und Curio zu verdanken hatte. Hätte sie es gewußt, hätte sie mit Sicherheit dem Gott der Händler, Reisenden und DIebe ein großes Opfer versprochen. Doch so glaubte sie daran in Othmar einen großen Magier vor sich zu haben. Ehrfürchtig beobachtete sie seine Erscheinung im Licht des Feuers.

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