Officium MFG | Feuer und Flamme

  • Entspannt zurückgelehnt, die Augen geschlossen, trieb Gracchus dahin auf den Worten, welche der schöne Paris ihm aus dem Werke des Sodates rezitierte, bald säuselte, bald donnerte, bald sang, bald flüsterte. Der Sklave verstand es aufs trefflichste, das Wesen eines Satzes einzufangen, den Zuhörer in sein Werk einzukleiden, dass jener sich gänzlich wohlig darin fühlte. Beinah glaubte Gracchus, das Pochen gehöre zu Paris' Darbietung, doch als der Fluss der Worte erstarb und nicht wieder aufgenommen ward, öffnete er seine Augen. An der Türe harrte Sciurus.
    "Ein Bote aus Lavinium, Herr, mit einem Präsent und einer Nachricht deiner Tochter. Die Angelegenheit sei dringen und der Brief nur von dir selbst zu öffnen."
    "Meiner Tochter?"
    Perplex blinzelte Gracchus den Sklaven an.
    "Aus Lavinium?"
    "Flamma, Herr", erklärte Sciurus als nehme er tatsächlich an, dass Gracchus seine Tochter vergessen hatte.
    "Flamma?"
    Der Name allein brachte nicht einen Funken Klärung, führte nur zu noch mehr Derangierung seitens des Flaviers, dass seine linke Braue sich empor hob.
    "Weshalb ist sie in Lavinium?"
    "Sie ist vor Wochen dorthin abgereist, Herr."
    "Vor Wo'hen!?"
    Die Verwirrung schlug nun um in väterliche Entrüstung.
    "Um was zu tun? Weshalb hat sie nicht meine Er..laubnis eingeholt!?"
    "Das hat sie, Herr", warf der Vilicus ein. "Sie erwähnte bei einer Cena, dass Rom ihr zu lärmend ist und sie vor dem Winter gerne noch einige Wochen aufs Land fahren möchte. Du hast dem zugestimmt."
    Gracchus' Braue senkte sich wieder herab und er öffnete den Mund, um dies zu dementieren, doch seine Gewissheit war zu gering.
    "Einige Tage danach fuhr sie auf das Gut nach Lavinium."
    Der Flavier schloss den Mund, ehedem er langsam nickte.
    "Ja, ... natürlich. Nun ... nun er..innere ich mich."
    Er wusste nicht, was ihn mehr in Unruhe versetzte - dass er sich dieses Gespräches nicht mehr entsann, oder aber dass er all die Wochen nicht hatte bemerkt, dass seine Tochter nicht mehr im Hause weilte.
    "Du kannst gehen, Paris"
    , entließ er den schönen Rezitator aus dem Raum und winkte Sciurus etwas näher.
    "Lies vor, was sie schreibt."

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  • Der Vilicus trat näher und stellte eine hölzerne Kiste - etwa eine Elle messend in jeder Dimension - neben sich ab. Dann brach er das Siegel des Briefes und begann zu lesen - in seiner faden, neutralen Intonation in Kontrast zur Lebendigkeit des Paris. Doch die Worte Flammas bedurften ohnehin keiner Klangfarbe, um ihre Wirkung zu entfalten.



    Werter Vater,


    seit Wochen nun suche ich einen Grund, diesen Brief hinauszuzögern, doch es will mir keiner einfallen. Im Gegenteil, jeder Tag hier in Lavinium bestärkt mich mehr in meinem Entschluss.


    Ich versuche mich an einen Tag zu erinnern, an dem du mich angenommen hast, Vater, doch es gibt keinen einzigen. Schon als ich geboren wurde, war ich dir nur eine Last. Wann immer du dir überhaupt die Mühe machtest mich zu beachten, lag Freude in deinen Worten, dass ich bald schon in den Kreis der Vestalinnen aufgenommen werden würde. Ich war nicht deine Tochter, ich war nur dein Dienst an Rom.


    War es mein Glück oder mein Unglück, dass der Bürgerkrieg diesen Plan vereitelte? Wir werden es nie erfahren. Du hast uns mit Mutter fort geschickt, weit hinfort von der Gefahr, aber auch fort aus deinem Leben. Die Sklaven wollten uns Kinder glauben lassen, dass dies alles ein großes Abenteuer sei. Doch Mutter litt an jedem Tag und auch ich spürte es. Welches Schicksal glaubst du ist schwerer zu ertragen - die politische Verbannung durch einen Usurpator, oder die Verbannung durch den eigenen Ehemann oder Vater? Manchmal habe ich mich gefragt, was Mutter sich wohl mehr wünschte - dass du sie zurück nach Rom holst oder dass du sie dort in der Ferne in Ruhe lässt?
    Aber du hast uns sowieso nicht zurück geholt. Nicht als der Bürgerkrieg vorbei war und auch nicht danach. Nichts habe ich von dir gehört, nicht ein einziges Wort, geschweige denn dass du uns sehen wolltest. Am Ende starb Mutter aus Gram. Aus Gram darüber, dass sie dazu verdammt war, in der Einöde zu verkommen, da sie die Einöde ihrer Ehe vorzog.


    Dir konnte das wohl nur Recht sein, denn als Titus und ich mit ihrem Leichnam nach Rom zurückkehrten, hattest du ebenso wenig einen Blick für uns, wie du eine Träne für sie hattest! Es konnte dir nicht schnell genug gehen, mich nach Baiae abzuschieben. Rom wäre keine Stadt für ein Mädchen ohne Mutter. Aber das war nicht dein Grund. In Rom war kein Platz für deine Tochter, in deinem Leben war kein Platz für mich. Nicht mehr und nicht weniger.


    Auch als die Zeit gekommen war, dass ich endlich in Rom meine Pflicht als Flavia erfüllen sollte, hattest du keinen Platz für mich. Ich war dir nicht einmal gut genug, mich für die Familienpolitik einzusetzen. Geschweige denn, dass du dich auch nur einmal dafür interessiert hast, wie es mir geht.


    Welche Zukunft gibt es noch für mich? Den erstbesten Ehemann, den du dich irgendwann genötigt siehst mir auszusuchen, um mich aus deiner Verantwortung zu entlassen? Dass ich enden werde wie Mutter, aus Gram und Kummer über meine Ehe zu sterben?
    Immer war ich dir nur eine Last, Vater, darum will ich dir wenigstens einmal eine gute Tochter sein und dich von dieser Last befreien! Nicht eine einzige Pflicht will ich dir noch aufnötigen, und nur eine letzte Tat von dir erbitten - dass du mir in diesem Leben einen Platz neben Mutter gewährst.


    Vale bene in perpetuum!


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  • Mit jedem Wort seiner Tochter, welches aus dem Munde des Sklaven drang, bohrte die Klinge der Bitternis sich tiefer und tiefer in Gracchus‘ Fleisch, während gleichsam Bestürzung sich mehr und mehr auf seinem Antlitz abzeichnete. Der Tag, an welchem er vom Tode seiner Mutter hatte erfahren vermengte sich mit dem Augenblick, da er die Nachricht über seiner Schwester Minervinas Tod hatte erhalten, überlagerte sich mit den Worten Flammas, mit ihr Klage, ihrer Anklage, ihrer erbarmungslosen Wahrheit.
    “Nein ...“
    flüsterte er heiser als der Klang Flammas Namens im Raume erstarb und erhob sich zitternd von seinem Stuhl.
    “Das ... das kann nicht sein. Öffne ... öffne ... die Kiste.“
    Er dachte an den zierlichen Dolch, mit welchem seine Mutter sich hatte entleibt, den geschlängelten, ägyptischen Dolch, mit welchem Minervina sich hatte entleibt, welche beide in einem hölzernen Kästchen aus Ebenholz in seinem Zimmer waren verwahrt, klammerte gleichsam sich an den Hauch einer Hoffnung - ein Scherz dies alles womöglich nur, geboren aus der Langeweile der Provinz, eine drastische Anklage, um ihn aufzuschrecken, eine drakonische Warnung an seine väterliche Pflichtvergessenheit. Zögerlich trat er um den Schreibtisch, um zu sehen, was Sciurus aus der Kiste entnahm.
    „Eine Urne, Herr“, kommentierte der Sklave weiterhin gänzlich nüchtern.
    Die Zeit tropfte in Schwarz und Weiß aus allen Ritzen, legte einem schimmeligen, graustichigen Befall sich über die zerfallende Realität - pelzig und schwer, farblos und gedämpft. Ein Schnitt und der Faden war gekürzt, der Spule des Lebens entrissen, dem Gewebe des Schicksales entnommen. Er wollte erwachen, dem Staub des Entsetzens, der Asche dieser erstickten Flamme entrinnen, doch seine Träume waren längst erkaltet und vor der Klarheit des Augenblickes gab es kein Entrinnen.
    Mörder
    Zerbrochene Knochen säumten die Straße verblasster Leben, von welchen er kein einziges hatte ziehen lassen aus freien Stücken, ein eiskalter Strom aus Vergangenheit vermengte sich mit dem Flüstern des Windes, welcher den galligen Geschmack der Verantwortung hinfortwehte.
    Mörder
    Kein Wort war mächtig genug, den Weg zu ändern, welchen der Autor einer Geschichte als Bühne wählte, kein Licht war hell genug, um den Schatten zu schlucken, welchen der Tod im Vorbeigehen warf.
    Mörder
    “Mörder“
    , repetierte er leise den Chor der Verdammnis, ehedem sein Leib entschied, dass dies Wort zu gewaltig war, um es in sich zu tragen, und eine tiefe, gedankenlose Schwärze ihn gnädig umfing.

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  • Eine kühle, eisige Hand brachte Gracchus zurück in die grausame Realität. Sein Schädel schmerzte - vermutlich hatte er ihn irgendwo angeschlagen, als die Ohnmacht ihn hatte überkommen -, doch war dies belanglos verglichen mit dem Schmerz, welcher seine Seele zerriss.
    „Der Verwalter hat der Urne eine Nachricht beigelegt, Herr. Sie haben Flammas Leib nach Sitte und Tradition verbrannt wie es ihr Wunsch gewesen ist.“
    "Nein..."
    Gracchus Leib krümmte sich unter der Qual der Realität. Er wollte dies alles nicht hören, er wollte zurückkehren in die belanglose Düsternis, in welcher aller Tod nichtig war.
    "Herr", Sciurus packte den Flavier an den Schultern, seine Stimme eindringlich. "Besinne dich! Du weißt besser als jeder andere, dass die Wahrheit nicht nur eine einzige Seite hat. Auch ihre Wahrheit nicht!"
    “Sciurus!“
    Gracchus packte die Hand des Sklaven und er blickte ihn aus großen, furchtvollen Augen an.
    “Du musst nach La..vinium! Du musst dafür Sorge tragen, dass ... niemals jemand hiervon erfährt! Hörst du, niemand ... darf jemals erfahren, was sie ge..tan hat!“
    „Und wenn der ganze Haushalt bereits davon weiß?“
    “Dann ... dann tue ... was du tun musst.“
    Tränen stahlen sich allmählich in die Augen des Flaviers, nicht einzig Ausdruck der Trauer über den Verlust, sondern gleichsam über das Ausmaß der Tragödie. Blut, mehr Blut noch an seinen Händen, mehr Lug und Trug.

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  • Am kommenden Abend, im Anschluss an den Hauptgang der Cena, unterrichtete Gracchus die Familie vom Ableben seiner Tochter, erwähnte nur, dass sie in Lavinium einer Krankheit erlegen sei, und entzog sich weiteren Fragen - wiewohl weiteren Lügen - dadurch, dass er sich ob der deplorablen Angelegenheit sogleich entschuldigen ließ und zurückzog. Die Nacht war ihm eine Qual, torquierte doch ein Alb nach dem nächsten ihn gänzlich hindurch, und verfolgten ihn noch in den Tag hinein, dass es schlimmer kaum noch hätte kommen können. Doch selbstredend kam es schlimmer - als ein hagerer Sklave - Sciurus war längst auf dem Wege nach Lavinium - in sein Officium trat und vermeldete:
    "Herr, ein Brief wurde für dich abgegeben, nicht adressiert, doch der Postbeamte ist sich sicher, dass du der Empfänger bist, da die Nachricht aus Alexandria stammt."
    Sorgenvoll zogen Gracchus‘ Brauen sich zusammen als er sucht, ein Aufstöhnen zu unterdrücken. Ein nicht adressierter Brief aus Alexandria - dies konnten nur unangenehme oder entsetzliche Nachrichten bedeuten, oder gar beides zugleich.
    "Lege ihn hier auf den Tisch und ... dann lasse mich allein"
    , wies er den Sklaven an, denn obgleich er sonstig niemals selbst seine Post las, so traute er doch an diesem Tage niemandem im Haus. Der Sklave legte die Rolle ab und als er den Raum verlassen hatte brach Gracchus das Siegel, welches unbezweifelt ein flavisches war.
    "Manius patri suo salutem dicit"
    , las er leise und fand auch den Namen seines Sohnes zum Abschluss des Textes. Einen Moment lang schloss er die Augen, atmete tief durch, um sodann mit zittriger Hand das filigrane bronzene Lineal von seinem Schreibtisch zu nehmen und dies Zeile um Zeile zu schiebend den Brief zu lesen. Gut angelangt war sein Ältester immerhin in Alexandria, auch untergekommen bei Sulpicius, und hatte sich bereits eingeschrieben im berühmten Museion. Obgleich die befürchtete Schreckensbotschaft bis zum Ende hin ausblieb - vermutlich war der fehlende Empfänger nur der Nachlässigkeit eines Sulpicius' Sklaven geschuldet - so bohrten die letzten Worte Minors sich doch einem Dolch gleich in Gracchus' Herz. Lange Zeit starrte er nurmehr auf den Namen seines Sohnes, starrte auf den Namen seiner Familie, versank in dem Grauen, welches dieses Erbe mit sich brachte, welches das Erbe seiner Mutter mit sich brachte, haderte ob der Wahrheit oder Lüge. Doch Minor war zweifelsohne alt genug, die Wahrheit zu erfahren, letztlich war es gar unabdingbar, dass er davon erfuhr - denn wer mochte ihn eines Tages vor einer Tochter bewahren? Am frühen Abend noch diktierte er darob einen Brief, die Wahrheit nicht gänzlich enthaltend, doch zumindest ohne eine Lüge.


    Manius Flavius Gracchus Minor, Domus Sulpicia, Polis Alexandreia, Oikiai tes Alexandreias
    Provincia Alexandria et Aegyptus


    Mein Sohn,


    nur allzu gerne würde ich dir noch einmal erfreuliche Neuigkeiten berichten aus deiner Heimat, doch muss ich dir deplorablerweise mitteilen, dass deine Schwester in das Elysium übergetreten ist. Hier wie dort in der Ferne deines Aufenthaltes bleibt nicht mehr als ihrer Iuno ein Opfer zu bringen, auf dass sie Frieden finden mag.


    Mögen die Götter über dich wachen und dich beschirmen!



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