Das Haus des Dionysios erscheint äußerlich überaus unscheinbar, exakt gebaut wie sämtliche übrigen Anwesen, die sich im zweiten Block hinter dem Museion aneinanderreihen. Dahinter befindet sich jedoch das Domizil eines selbsternannten Jüngers des Epikur, der häufig zu rauschenden Festen in seinen ausgedehnten Garten lädt. Weshalb nicht sämtliche seiner Kohabitanten in beständiger Einmütigkeit mit ihm leben.
Oikos Dionysiou | Der Kreis des Dionysios
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Der Dies Natalis Epicuri war gekommen, weshalb die Lektionen des Aristobulos an diesem Tage waren entfallen (allfällig zelebrierte auch dieser jenen höchsten Festtag der Epikureer im Zirkel seiner Freunde), was wiederum zur Folge hatte, dass der Exaltiertheit des jungen Flavius den gesamten Tag über keine Ablenkung einen Einhalt zu gebieten vermocht hatte. Den halben Morgen hatte der Jüngling gemeinsam mit Philippos, dem Kellerer des Sulpicius, und Patrokolos Weine verkostet (selbstredend in winzigen Dosen), da er bisherig wenig Passion für den Rebensaft hatte entwickeln können und somit auch niemals einen Favoriten bestimmt, und letztlich sich für einen Falerner-Wein aus dem Keller der Domus Sulpicia entschieden, der nach dem Dafürhalten Manius Minors zumindest ein gewisses Maß an Lokal-Kolorit versprühte und damit gegenüber den achaiischen Weinen zu präferieren war. Somit transportierte Patrokolos heutig nicht lediglich eine Lampe für den Heimweg, sondern ebenso eine versiegelte Amphore jenes kostbaren Weines, als sie durch die Straßen gingen, um jenes überaus anonyme Gastmahl aufzusuchen, zu welchem man sie so überraschend geladen hatte.
Fortunabel erwies sich die strikt geometrische Ordnung Alexandreias, als sie recht leicht den betreffenden Straßenzug erreichten, in welchem den Angaben zufolge die Festivität ihren Ort hatte. Da Namensschilder wie Hausnummern hiesig ebenso unbekannt waren wie in der Urbs verblieb ihnen zuletzt dennoch nichts, als an einer beliebigen Pforte zu klopfen und sich bezüglich der Nachbarschaft zu erkundigen. Selbstredend übernahm Patrokolos jene Obliegenheit, während der junge Flavius, noch immer ein wenig misstrauisch, sich an der Hausecke zurückhielt und dortig die Rückkehr seines Dieners erwartete.Als dies endlich geschah, vernahm der Jüngling in Ermangelung einer visuellen Impression der ambivalenten Mimik seines Sklaven lediglich ein nachdenkliches Schnauben, welches kommunizierte, dass jene Interaktion mit den Einheimischen eine gewisse Irritation hatte hinterlassen.
"Was ist?"
, fragte Manius Minor somit voller suspektem Vorwitz.
"Der Ianitor war irgendwie...eigenartig."
"Wie 'eigenartig'?"
"Ich glaube, er mag diesen Dionysios nicht sehr."
Die Suspektität wandelte sich in einen Anflug von Panik, als der Jüngling die übelsten Schlüsse aus der Faktizität eines wenig angesehenen Mannes in seinem Vicus imaginierte.
"Sollten wir lieber wieder nach Hause gehen?"
Doch wieder war es Patrokolos, der die Zuversicht seines Herrn zu eregieren vermochte, als er tröstend sprach:
"Ach, Unsinn, Domine! Dionysios ist sicherlich ein Schüler des Epikur und du weißt doch selbst, dass die nicht immer in höchstem Ansehen stehen!"In der Tat vermochte diese Ästimation den jungen Flavius zu kalmieren, sodass sie wenige Augenschläge später (der missmutige Ianitor hatte nämlich dennoch den korrekten Weg zu der destinierten Lokation gewiesen) vor der betreffenden Pforte standen und Patrokolos erneut zu klopfen hatte, während sein Herr wiederum sich in der Reserve hatte positioniert, um in jener sicheren Distanz die Situation zuerst zu evaluieren, ehe er sich in adventuröse Unwägbarkeiten stürzte oder gar einem Irrtum war aufgesessen. Aus der Ferne vermochte er zudem die Geschehnissse weitaus besser visuell zu verfolgen, die sich nun ihm darboten, als eine hagere Gestalt, gehüllt in ein scharlachrotes Gewand und bekränzt mit einem polychromen Blumenkranz, in ausgelassener Stimmung Patrokolos salutierte:
"Chaire. Zum Geburtstag?"
"Genau. Also vielmehr mein Herr."
, gab Patrokolos weitaus verhaltener zurück und wandte sich suchend zu dem Annunzierten, der sich bereits in Bewegung hatte gesetzt, in Ermangelung einer zeitigen Warnung mit seinem zügigen Schritt sich beinahe in der losen Kante einer Bodenplatte verhakte, doch fortunablerweise das Gleichgewicht fand und so lediglich strauchelte, anstatt zu stürzen.
"Na dann kommt 'rein!"
, explizierte der vorgebliche Ianitor und legte in jovialer Manier seine Hand auf die Schulter des untersetzten Patriziers, welcher vor Derangement ein wenig zusammenzuckte, mangels Orientierung ob der lokalen Gepflogenheiten jene servile Impertinenz jedoch gewähren ließ, um sogleich in den Garten hinter dem Hause sich geleiten zu lassen. -
Inmitten prächtiger tropischer Pflanzen, deren Provenienz selbst dem mondänen Manius Minor unbekannt war, fand der junge Flavius endlich eine vergnügte Schar bekränzter Jünglinge, welche auf Klinen sich bequemt hatten, über denen widerum aber auf einem Sockel eine güldene Büste des Epicurus, floral geschmückt gleich den Partizipanten jener Festivität von Fleisch und Blut, die wiederum erstlich keinerlei Notiz von den Ankömmlingen zu nehmen schienen.
Erstlich, nachdem der Ianitor mit lauter Stimme verkündete:
"Wir haben Gäste!"
, sank der auditive Pegel des heiteren Geplappers ein wenig, obschon aufs Neue niemand sich zu den flavischen Gästen umwandte, ehe endlich mit sichtlichem Bemühen ein augenscheinlich berauschter Mann sich wankend seiner Kline entwand und mit einigen Schritten auf sie zutrat. Sein Haar war sorgfältig geölt, seine Augen geschminkt (doch leicht verschmiert), sein Äußeres androgyn, sodass beinahe er den jungen Flavius an seinen lieben Vetter Iullus gewahrte (doch selbstredend nur im Entfernten, da dieser niemals in derart üblem Zustand sich hatte ertappen lassen, was angesichts der noch frühen Tageszeit wohl einen Ausweis seiner Selbstzucht repräsentierte, welchen vorzuweisen jener Genosse nicht imstande war).
"Chaire, junger Mann! Wie heißt du?"
, salutierte er erstlich Patrokolos und offenbarte dabei nicht lediglich eine irrige Ästimation der Relation seiner beiden Gäste, da er den Diener vor dem Herrn adressierte, sondern auch eine bereits leicht behäbig gewordene Zunge, welche ihn in seiner Artikulation nicht unwesentlich hinderte.
"Patrokolos, Domine. Aber dies hier ist mein Herr-"
, mühte der Sklave seine Position zu klarifizieren, doch schon hatte der augenscheinliche Gastgeber sich mit einer surprenant behänden Wendung zwischen die beiden postiert und seine Arme um die auf höchst ungleicher Positur sich befindlichen Schultern geschlungen, um sogleich dem jungen Flavius, garniert vom Odeur übermäßigen Weinzuspruchs, seine Schlüsse zu offenbaren:
"Dann musst du Achilleus sein, nicht wahr?"
Und amüsiert von jener Konklusion rief er sogleich, strahlend einem Favus gleichend, laut vernehmlich und für sämtliche Gäste aus:
"Darf ich vorstellen? Achilleus und Patrokolos!"
Nunmehrig verstummten die Unterredungen doch noch und zahllose Hälse reckten sich endlich ob der mysteriösen Präsentation, woraufhin sogleich sich einiges Gelächter erhob, da manch einem die Ironie jener Paarung, eines hochgewachsenen, überaus ansehnlichen Patrokolos, der einen untersetzten Achilleus von rundlicher Statur geleitete, mitnichten war entgangen, während andere augenscheinlich jenen plumpen Jux nicht zu erfassen vermochten, sondern schlichtweg sich dem Amüsement ihrer Freunde anschlossen, was dem jungen Flavius weniger ob der konkreten Verhöhnung seiner Statur, welche ihm ob seiner Perplexität, nicht wie es dem Usus entsprach als Spross seines uralten, hochangesehenen Geschlechts präsentiert zu werden, entging, sondern lediglich ob der unpräparablen Lacher der gesamten Gesellschaft die Schamesröte ins Antlitz trieb.
"Kommt rüber, ihr Helden!"
, rief eine vertraute Stimme, welcher der zur Cachierung seiner Fehlsicht in der Identifikation derartiger Impressionen wohlexerzierte junge Flavius sogleich zu assignieren vermochte. Der Kommilitone, welcher ihn überhaupt erst hierher geladen hatte, war augenscheinlich tatsächlich ebenfalls ein Gast und verspürte nunmehr vorgeblich die Pflicht, seinen Gast aus jener misslichen Lage zu befreien. Dankbar ergriff der Jüngling jene Option und schob sich bar weiterer Kommentierung, gefolgt von Patrokolos, hinüber zu dem Studenten, welcher auf den Platz neben sich deutete.
"Nehmt Platz! Bedient euch!" -
Der Hellene wies auf zwei freie Klinen an seiner Seite, welche augenscheinlich die letzten in der chaotischen Ansammlung von Speiselagern repräsentierten. Der Lärm schwoll aufs Neue an und niemand schien weiter Notiz von dem neuesten, imperial noblen Gast zu nehmen.
"Ich bin übrigens Anaximander!"
"Mein Name ist Manius Flavius Gracchus Minor, Sohn des gleichnamigen Praetorius Manius-"
, erwiderte der flavische Jüngling, da seine Präsentation als Achilleus ihm doch nicht als suffizient für ein derartiges Zwiegespräch erschien. Ehe er selbige indessen zu finalisieren imstande war, trat ein nackter Knabe heran, welcher mit einem Ithyphallos, Pferdeohren und einem Pferdeschweif ausstaffiert einen vollendeten Satyr repräsentierte. Er offerierte ein Tablett mit silbernen Bechern, die bis an den Rand mit rotem Rebensaft gefüllt zu sein schienen.
"Roter oder Weißer?"
, erkundigte sich Anaximander bezüglich der Vorlieben der beiden Gäste, griff jedoch, als selbige in Perplexität eine Replik verweigerten, selbst die Gefäße und reichte erstlich das eine dem jungen Flavius, sodann das zweite dessen Diener, welchem er auch spöttisch die nächste Frage widmete:
"Und du bist in Wahrheit der Sohn des Basileus, nehme ich an?"
"Nein, nein, ich bin der Diener von Manius Flavius Gracchus. Ich begleite ihn."
"Interessant, interessant. Dann fühle dich ganz wie ein Herr, du bist unser Gast! Und du weißt ja aus der Vorlesung, dass Epikur jeden Menschen gleich schätzte, ob Herr oder Knecht. So halten wir es hier ebenfalls! Zumindest bei den Gästen des Dionysios."
Sichtlich irritiert verfolgte Manius Minor jenen Fortgang der Präsentationsrunde, da doch, obschon eine Nivellierung gesellschaftlicher Differenzen ihm von den kürzlich vorübergegangenen Saturnalien mochte bekannt sein, er ebenso durchaus Einsicht in die Imaginationen von der Äqualität der Menschen in den Theorien Epikurs prinzipiell hatte erlangt, er derartiges auf einem Gastmahle niemals für realistisch hatte erachtet. Auch nun schien der wohlgestalte Knabe, der bisweilen lüsterne Berührungen seitens der Gäste mit freundlich-naiver Gleichmut ertrug, keineswegs aus Lust am mythologischen Mummenschanz seinem Dienste nachging, die Imaginationen Epikurs als in der Realität unpraktikabel zu erweisen. Dennoch mochte er es akzeptieren, dass seinem Leibsklave, welcher immerhin ihm selbst durchaus am Herzen lag und in einem der Freundschaft nicht insimilären Bande mit ihm war verknüpft, durch die Partizipation am Tische der Herren heute eine Ehre zuteil wurde, die für gewöhnlich ihm vorenthalten blieb.
"Und wer ist Dionysios, der Hausherr?"
, fragte er somit, die kuriose Szenerie vorerst neglegierend und die gebräuchlichen Normen aristokratischer Invitationen beachtend. Seine Antizipationen verifizierten sich indessen sogleich, denn Anaximander gestand freiheraus:
"Das ist der Herr, der euch vorgestellt hat. Wir haben schon ein wenig früher begonnen, daher ist er schon ein wenig angeheitert."
"Und ihr seid sämtlich Teil eines Philosophenzirkels um Dionysios?"
, erkundigte der junge Flavius sich wiederum und nahm einen Schluck seines Getränkes, welches, wie er mit Erstaunen erkannte, augenscheinlich in reinen Wein sich erging, anstatt wie gebräuchlich mit Wasser reduziert worden zu sein. Das Grinsen, welches der Interrogierte nunmehr präsentierte, vermochte der fragende Jüngling trotz der Fehlsicht zu erkennen, sodass seine Zweifel ob der Qualität jenes augenscheinlich kaum mit der Weisheit von Alter oder Mäßigung gesegneten Gastgebers sich als begründet erwiesen, noch ehe Anaximander mit einigem Kopfwiegen erklärte:
"Nun, sagen wir... Sagen wir, er ist das Haupt unserer... nein, sagen wir, er bietet uns in seinem Haus ein Forum für unseren Zirkel. Wir treffen uns hier regelmäßig, um Epikurs Philosophie zu leben. Denn was wäre Philosophie wert, wenn sie rein theoretisch bleibt?"
Mit einem breiten Lächeln erhob Anaximander seinen eigenen Becher und trank den beiden Rhomäern zu, die ihrerseits von ihrem Tranke nahmen. Trotz sämtlicher Reserven musste Manius Minor doch konzedieren, dass aus jener finalen Aussage seines Invitanten durchaus Wahrheit sprach.
Nach all jenen Novitäten erschien Manius Minor das bunte Treiben jener Gesellschaft durchaus nicht familiarer, doch vermochte er doch gewisse Schlüsse zu ziehen, da die hiesigen Mechanismen einerseits den ihm bekannten Stereotypen des hedonistischen Epikureers entsprachen, andererseits indessen ob der Absenz von greisen oder gesetzten Gästen ebenso jenem des jugendlichen Neureichen, der mit Schmeichlern und Freunden rauschende Festivitäten zelebrierte, was selbstredend das aristokratische Publikum der flavischen Cenae stets mit Abscheu und Degout hatte thematisiert.
Weiteres Reflektieren blieb ihm indessen verwehrt, da Anaximander nun das Heft des Dialoges ergriff und seinerseits begann, den jungen Flavius zu interrogieren:
"Aber erzähle von dir: Du bist tatsächlich der Sohn eines römischen Senators?"
"In der Tat!"
, erwiderte Manius Minor und präsentierte mit aristokratischer Beiläufigkeit seinen güldenen Siegelring, obschon selbstredend der flavische Acanthus in Aegyptus weitaus geringere Prominenz mochte genießen als in der Urbs selbst.
"Ich dachte, Senatoren ist der Zutritt in diese Provinz verboten?"
"Senatoren durchaus. Ihren Söhnen indessen ist es augenscheinlich gestattet."
"Und du bist zu Studium hier? Oder was hat dich so sehr in die Fremde verschlagen?"
Einen Augenschlag zögerte der flavische Jüngling, sodann replizierte er lakonisch:
"Zum Studium."
Mitnichten schien es Manius Minor geboten, die wahren Kontexte seines Exiles einem noch immer durchaus Fremden zu repräsentieren, zumal eine allzu offene Kritik Manius Maiors gegenüber Unbekannten letztlich auf ihn mochte zurückfallen. In Unkenntnis jener Hintergründe schien Anaximander indessen ohnehin mit seiner knappen Replik saturiert, denn stattdessen wandte er nunmehr sich seinem Aufenthalte selbst zu:
"Und seit wann bist du hier?"
"Seit vergangener Herbstzeit."
"Und du lebst im Museion? Ich kann mich nicht erinnern, dich im Speisesaal der Akroaten einmal abends gesehen zu haben!"
"Ich lebe bei einem Klienten unsere Familie, Supplicius Cornutus. Jedoch bin ich als Akroates immatrikuliert."
"Ein Klient der Familie - nicht schlecht! Es gibt aber nicht viele Senatorensöhne, die am Museion studieren, nicht wahr?"
"Mir ist derzeitig kein anderer bekannt. Obschon ich es nicht kategorisch exkludieren möchte, dass weitere existieren."
"Deine Familie muss sehr auf Bildung bedacht sein."
"Durchaus."
, kommentierte er einsilbig, da selbiges ja durchaus war zu behaupten, nachdem er seit frühester Kindheit ihm erstlich ein Paedagogus war zur Seite gestellt worden, der höchstselbst ihm die Anfänge der Gelehrsamkeit hatte vermittelt, während in späteren Tagen er die Rhetorenschule hatte besucht. Similär hatte man auch stets beachtet, die Bildung seiner Geschwister zu fördern, obschon Flamma selbstredend niemals in der Beredsamkeit, sondern vielmehr im Musizieren und Spinnen war unterrichtet worden, während Titus noch am Anfang seines Cursus Eruditionis stand.
"Ein großer Redner scheinst du aber nicht zu sein, so einsilbig wie du bist."
, bemerkte Anaximander auf sein Schweigen hin mit einigem Schalk, was Manius Minor anfänglich seiner Diploma gewahrte, welche Quinctius ihm zum Abschied aus seiner Rhetorenschule ob seiner konträr zur Assumption des Hellenen augenscheinlich exorbitanten Beredsamkeit hatte verliehen. Folgend indessen entschied er doch, sich ein wenig leutseliger zu zeigen, da es sich doch für einen Flavius geziemte, selbst in derart dubitabler Runde durch Manierlichkeit und Eloquenz seine noble Abkunft zu belegen:
"Nun, ich hatte deplorablerweise niemals das Vergnügen, an einem Symposion dieser Art zu partizipieren. Bisherig zeichneten die von mir visitierten Gastmähler sich eher durch die ausschließliche Partizipation honoriger, doch für gewöhnlich mehr denn doppelt so alter Herren als die hiesigen Partizipanten aus, sodass meine Beiträge am Gespräche für gewöhnlich eher kurz und beiläufig blieben."
Auch hiesig sprach der junge Flavius die Wahrheit, zumal es niemals seinem Naturell hatte entsprochen, auf den Cenae seines Vaters, des Cornelius oder jüngst im Hause des Sulpicius die Augen aller durch geistreichen Witz oder neuesten Klatsch auf sich zu ziehen.
"Oh, das kenne ich! Bei meinem Vater ist es ähnlich. Alte Männer mit grauen Bärten und noch graueren Themen. Einfach grauenhaft!"
Der Stereotyp seniler Debatten war dem flavischen Jüngling in der Tat nicht unbekannt, selbst wenn die römische Mode, obschon nicht wenige der letzten Imperatoren ihren Philosophenbart gepflegt hatten, eine eher inexistente Gesichtsbehaarung favorisierte. Dennoch autorisierte sein aristokratischer Habitus ihn nicht, derartig verächtlich sich über staatstragende oder gelehrte Dispute zu äußern, welche nicht selten das Zentrum abendlicher Gesellschaften in der Villa Flavia Felix hatten formiert.
"Nun, es lässt sich selbstredend auch einiges lernen von jenen Gesprächen. Politik, Rhetorik, Beziehungen-"
Ein wegwerfender Gestus kommentierte Anaximanders Haltung hinsichtlich derartiger Sujets, noch ehe er seine Beweggründe darlegte:
"Jaja, das sagte mein Vater auch immer. Aber da bevorzuge ich die Weisheit Epikurs, der über weitaus mehr Anhänger verfügt als mein Vater. Vor allem über weitaus glücklichere! Was nützt mir Politik und Klüngeleien? Am Ende des Tages bereiten sie mir doch mehr Unlust als Lust..."
Jene Replik derangierte Manius Minor sichtlich, denn sowohl hatte er im Nachgang der Lektionen des Aristobulos bisweilen ebendies bedacht, als auch musste er konzidieren, dass Manius Maior und all jene quiritischen Potentaten durchaus niemals den Eindruck erweckten, wahrhaftiges, dauerhaftes Glück in ihren Ränkespielen und Eitelkeiten zu gewinnen. Resümmierte er die Prämissen, welche sein Vater ihm, obschon er selbst ihnen in den präponderanten Stunde niemals war gefolgt, seit Kindertagen gelehrt hatte, so war doch weder das eigene Bedürfnis, noch das Glück an sich jemalig eine Kategorie gewesen, die auch nur am Rande annotabel erschien. Stets hatte man ihn ermahnt, Familie, ja selbst den schnöden Staat der Wahrheit vorzuziehen und niemals, dass Wahrheit in irgend einer Relation zu Glück oder Saturiertheit stand. Epikur, ja jedwede hedonistische Haltung war stets mit Geringschätzung betrachtet, jedes Behaupten der eigenen Wünsche nach Intimität und Geborgenheit in der Fülle vermeintlicher Zwänge und Obliegenheiten erstickt worden, sofern sie nicht eben zum Ruhme der Familie oder zum Nutzen für den Staat gereichten. Obschon noch immer die Schamlosigkeit, mit welcher die Partizipanten jener Festivität reinen Wein in ihre Schlünder gossen und trotz der frühen Stunde sich dem Rausche hingaben, dem flavischen Jüngling fremd und abstoßend erschien, erschien es doch im Kontext epikureischer Gelehrsamkeit weitaus akzeptabler denn die asketische Verbohrtheit seiner Heimat. Insonderheit da Manius Maior ohne Zweifel eine derartige Veranstaltung, verbunden mit ihrer subversiven ideologischen Grundlage, auf Schärfste missbilligt hätte, fasste Manius Minor final den Beschluss, in jene Praktiken einzuwilligen:
"Wohl wahr, wohl war. Dann lasst uns trinken!"
Beherzt ergriff der junge Flavius seinen Weinbecher und leerte ihn mit einiger Mühe in einem Zuge, womit er, wenn auch aus divergierenden Motiven, erstaunte Blicke Anaximanders und Patrokolos' erntete. Dies indessen entging ihm nicht nur ob seiner Fehlsicht, sondern ebenso aufgrund einer Hitzewallung, die ihn nach jener infamiliaren Intensität seines Konsum durchzog und damit einen Vorgeschmack auf die nunmehr folgenden Segnungen der Trunkenheit offerierte. -
Mit stupender Velozität glitt der junge Flavius nunmehr hinab in jenen deliriösen Zustand, welcher noch als plaisierlich war zu titulieren, indessen jedweden Konsum übertraf, dem jemalig er im elterlichen Hause hatte gefrönt, da es doch in der Villa Flavia dem Usus entsprach, maßvoll sich dem Trunke hinzugeben, um Gravitas und Dignitas nicht durch den alkoholisch evozierten Verlust der Kontrolle über das Selbst einzubüßen. Selbiges hingegen vollzog nunmehr sich in zunehmendem Maße nicht nur bei den ausgelassenen übrigen Festgästen des Dionysios, sondern ebenso bei Manius Minor selbst, der recht baldig nicht lediglich eine saturierte Gleichmut hinsichtlich des inappropiaten Verhaltens ersterer, sondern ebenso ein artikulatorisches Defizit an sich entdeckte, welches zwar das mehr und mehr sprudelnde, wenn auch eher ungeistige Gespräch mit Anaximander immer wieder hemmte, jedoch keineswegs ihm der Necessität einer Zügelung des Konsumes einsichtig machte.
Als sie endlich bei der favorisierten Zubereitungsweise von Lammfleisch waren angelangt, intervenierte schlagartig Dionysios mit lauter, wenn auch wenig sicherer Stimme und nötigte damit sämtliche Zwiegespräche zum Verstummen:
"Llibe Gäste, lliebefreunde!
Wir habenunss allle verssammlt, umm, hick, den Geburstag unsseres gellibtenn Epikur sufeiern. Wiihr allewiss', iss' Epikur dergrun', dasss wirhir glücklichund volller Lussst feiern könn' unnd unsser Leb'ngenissn! Essiss' alte Tradition, dassswir andiesemtach' Epikur unnserehre, hick, erweisen!"
Der Gastgeber unterbrach seine Rede, um aufzustoßen.
"Epikur issein Heros! Wir hoffen, hick, ne', wir wisssen: Er issdaob'n, wo die Unnnsterblichen glücklichundsufrid'n ssitzen und ehwig feiern! Wolll'n wir alsso sur Tatt schreitenun' ihmunsser Offer dabringen, aufdassswi' sso llustvoll llebenwieer!"
Mit einem theatralischen Gestus verwies Dionysios nunmehr auf die güldene Statuette inmitten der Klinengruppen, wo der gestrenge Epikur intangiert von jener dubitablen Exegetik seiner hiesigen Jünger verharrte, obschon selbstredend ohnehin seine Lehre selbst ihm jedwede Intervention aus dem Jenseits hätte verboten. Dionysios' verharrender manueller Verweis auf den weisen Philosophen indessen offenbahrte den Gästen deutlich, dass ihr Gastgeber nicht lediglich an Sprachvermögen hatte eingebüßt, sondern ebenso sich mitnichten suffizienten Gleichgewichtes erfreute, weshalb sogleich er sich genötigt fühlte, an der nächsten Kline Halt zu suchen und mit einer lockenden Geste einen Stellvertreter zum Vollzug des Opfers zu bestimmen:
"Anassimann-, hick, -mander! Esssiss' mireinne grosssehre, dassss du-"
Neuerlich hob er die Hand und schien geneigt, den Hellenen an der Seite Manius Minors über die Distanz hinweg mit dem Zeigefinger zu punktieren.
"- du Anassiman'er h-heute die Ehre übernnimms', dass, hick, Gebett susprech'n!
Steh'nwir alsssoauff, und erw-weiss'n wir Epikurdieehre, die er, hick, verdinn'"Selbst dem seinerseits nicht wenig touchierten flavischen Jüngling entging keineswegs, dass Dionysios durchaus objektiv außerstande war, die Rolle des Opferherrn zu übernehmen, zumal selbst der Zustand der vorgeblichen Kultgemeinde des großen Philosophen in den Kategorien des römischen Staatskultes wohl als Injurie gegen die Unsterblichen wäre zu ästimieren gewesen. Dass nunmehr hingegen sein eigener Gesprächspartner die Bürde auferladen erhielt, im Namen aller die Worte des Dankes und der Verehrung an Epikur zu sprechen, nötigte ihm einige Admiration ab, welcher er durch frenetisches Klatschen Ausdruck verlieh, woraufhin die gesamte Gastmahlsschar einstimmte und gleich einem theatralen Publikum dem Anaximander einen komödianten Auftritt verlieh.
In der Tat schwang jener elegant sich von seinem Speisebett, rückte keck den Blumenkranz auf seinem Haupte zurecht, schenkte seinem flavischen Spezialgast ein selbigem sich entziehendes Zwinkern und schritt mit admirabler Sekurität zu der hoch aufgerichteten Büste.
"Ich danke für euren Jubel, meine lieben Freunde!"
, adressierte er hingegen erstlich aufs Neue die physisch Präsenten, um sogleich die Appetenz auf den geistlich Anwesenden zu ziehen:
"An diesem seinen Geburtstag sollte unser Jubel jedoch zuerst Epikur von Samos, dem weisen Lehrer der einzig wahrhaftigen Philosophie gelten! Ich bitte also um ohrenbetäubenden Jubel für Epikur von Samos!"
Bereitwillig folgte das Publikum der Ordre und sekundierte das wilde Klatschen gar hie und dort durch lautes Rufen oder das Lärmen mit entleerten Pokalen, welche in trunkener Achtlosigkeit zu Musikinstrumenten wurden missbraucht. Auch Manius Minor stimmte freudig ein in jenes Gejohle und mischte seine noch immer mäßig maskuline Stimme unter den Chor der Gratulanten.
Als endlich alle waren wieder verstummt, ergriff Anaximander neuerlich das Wort:
"Lasst uns also beten zu Epikur von Samos, der uns den Weg zur Glückseligkeit weist uns vor dem lustlosen Treiben der Unwissenden bewahrt!"
Nun endlich wandte er sich um zum güldenen Antlitz des Philosophen und hob die Arme gleich einem Priester an den Feriae hellenischer Tradition, wobei eben der Kranz auf seinem Haupte wie das wallende Gewand die Illusion perfektionierten, es handele sich hiesig um ein kultisches Geschehen, obschon das Herantreten der knabenhaften Satyren mit ihren absurd eregierten Prothesen der Szenerie eine durchaus komische Note verliehen.
Mit einigem Ächzen bequemten nunmehr auch die ersten sich von ihren Klinen und auch Manius Minor mühte sich in die Vertikale, wobei mit einem Male ein grässlicher Schwindel ihn ergriff und beinahe zu Boden hätte gestürzt, wäre Patrokolos nicht ihm in gewohnter Manier zu Hilfe geeilt und hätte seinen Arm ergriffen, um ihn zu stützen.
"O großer Epikur, du Weisester der Weisen!"
, intonierte Anaximander in rituellem Ton, während der junge Flavius der Appetenz verlustig ging, da nunmehr eine irresistable Übelkeit in ihm aufstieg und ihm schreiend befahl, neuerlich die Horizontale zu suchen.
"Du lehrst uns die Lust als das höchste Prinzip, das wir erstreben!"
Konträr zu jenen philosophischen Worten verspürte der junge Flavius nunmehr keineswegs irgend geartete Lust, da der Schmerz aufkommenden Schwindels und schlagartiger Übelkeit ihn übermannte.
"Du heilst uns von allen Leiden der Seele und lehrst uns, das Leiden des Leibes zu überwinden!"
Sein Leib schien sich zu winden, seine Vitalia zu verknoten und kalter Schweiß bildete sich auf der Haut des flavischen Jünglings, einen mehr leiblichen den seelischen Schmerz, resultierend aus jener torquierenden Blümeranz zu verspürend.
"Du schartest um dich einen Kreis von Jüngern, um deine Lehre zu leben und an die nächsten Generationen weiterzugeben!"
Sein trüber Blick glitt über die nunmehr über die Attendenten, welche in augenscheinlich andachtsvoller Manier den erbaulichen Worten des erkorenen Priesters lauschten, was die Furcht Manius Minors erweckte, sich durch eine unvermittelte Eruption seiner zahllosen einverleibten Becher Weines coram publico zu beschämen.
"Durch deine Weisheit bist du zu den Göttern entstiegen und lebst in ewiger Lust und Freude, fern von der Welt und ihren Übeln!"
Nun bereute Gracchus seinen maßlosen Trunk mit heftiger Vehemenz und wünschte sich zu den ennuyanten Gastmählern in der Domus Sulpicia, wo spröde Demagogen und greise Kaufleute mitnichten zum heftigen Konsum des Weines ermunterten, sondern vielmehr das bekömmliche, frühe Bett rekommendierten!
"Unser Opfer lehre uns, das was schmerzt, loszulassen und das, was uns Lust gewährt, zu umarmen!"
Mit einem Male vermochte er nicht mehr, seinen Leib sich zu unterwerfen und in einer bordeauxroten Fontäne ergoss sich der Inhalt seines Magens über Patrokolos' stützenden Arm, die Kline an ihrer Seite wie den mosaikgeschmückten Boden. Stoß um Stoß brach der Wein zurück ans Tageslicht und ließ den Emittenten jedwedes Interesse für das nunmehr unterbrochene Ritual verlieren, da doch sein leiblicher Vorgang ihn gänzlich in Beschlag nahm, bis endlich mit ersticktem Würgen sich ein Ende jener schmerzhaften Purgation ankündigte. Erst, als Gracchus Minor mit einiger Abscheu die säuerlichen Restanten in seiner Mundhöhle in die schaumige Pfütze zu seinen Füßen spie, wurde er der Umstehenden aufs Neue gewahr und riskierte, zu blass um Schamesröte darzubieten, einen Blick in die verstummte Runde.
"V-Verzeihung!"
, stammelte er furchtsam, doch anstatt heftigstem Zorne ob seines pietätlosen Verhaltens brach mit einem Male ein Sturm des Gelächters sogleich über ihn herein.
"Ssso isst'srecht! Allles raus, wasss, hick, wass keinemiete sahlt!"
, rief Dionysios vergnügt in die Runde. -
Obschon der junge Flavius höchlich beschämt die Lektion am Tage nach Epikurs Anniversarium hatte aufgesucht, so war er doch keinesweges mit strafenden Blicken seiner Konbacchanten dortig begrüßt worden, sondern vielmehr mit größter Vergnüglichkeit für seine vollendete Internalisierung des epikurischen Prinzipes gepriesen worden, welches selbst vor dem Opfer des Weisen sich nicht verbiegen durfte, sondern auch hier die Lust zum höchsten Gebote erkor, welches im Zweifelsfalle eben die Trennung von dem unerquicklichen Magensatze mochte bedeuten. Obschon Manius Minor die Interruptur eines Opfers dennoch nicht recht als erstreblich verblieb, so verspürte er doch nicht geringe Satisfaktion, statt jenem moralinsauren Milieu seiner Familie hiesig einen gelösten Kreis fröhlicher Kommilitonen gefunden zu haben, welchem der äußere Schein ebenso wie die soziale Deszendenz oder das normgerechte Betragen keine Kategorie repräsentierte und somit geradewegs eine Kontrastgesellschaft zu den patrizischen Sozietäten im fernen Rom repräsentierte.
Entsprechend folgte er auch sogleich der nächsten Invitation am folgenden Abend, sodann der nächsten und immerfort, bis endlich er mehr Zeit im Haus des Dionysios denn jenem des Sulpicius zubrachte. Die Okkupationen jenes Etablissements waren zwar kaum sonderlich divers, da letztlich stets dem Weine wurde zugesprochen, bis binnen kurzer Dauer eine heitere Trunkenheit das Klima prägte, welches sodann in diversen Kontexten wurde kultiviert: Bisweilen visitierten die Jünglinge ein Badehaus, um sich mit Massagen und Schwitzkuren zu relaxieren, bisweilen schlenderten sie über die exklusiven Märkte der Stadt, wo die Myrmidonen, wie der junge Flavius seinen neuerlichen Freundeskreis im Stillen titulierte, da dem initiierenden Jux des Dionysios folgend er stets als Achilleus gerufen ward, was dem Jüngling zwar erstlich infamiliar und spöttlich erschien, letztlich aber ob der Einsicht, dass man ihm mit selbigem keineswegs bösen Hohn treiben wollte, gar Freude daran empfand und endlich beschied, dass Achilleus mitnichten gänzlich inadäquat wäre, so das Vorbild jenes Heros einesteils durchaus die Relation zu seinem Patrokolos beschrieb, anderenteils Unbesiegbarkeit ein überaus erstrebenswerter Nimbus blieb, welchen er sich durch diesen Kosenamen zueigen machte, die von ihren Vätern zugesandten Talente in Luxusobjekte jedweder Art konvertierten. Nicht selten hingegen hüteten sie auch schlicht das Haus, um sich in mehr oder minder sinnentleerten Debatten pseudophilosophischer Art zu ergehen, mehr oder minder anspruchsvolle artistische Darbietungen zu verfolgen, ehe jeder Abend in einer rauschhaften Commissatio endete, bis kaum einer noch des Gehens mächtig war und Patrokolos seinen jungen Herrn (sofern er nicht selbst dem Weine erlag und beide auf den Klinen am Ort des Gelages nächtigen) wankend nach Haus geleitete.
Bald schon ergaben sich im Strudel jener hedone neue Bande: Anaximander, welcher Manius Minor in den Kreis hatte introduziert, übernahm die Rolle eines jovialen Patronus, zu welchem der flavische Jüngling bald die engste Relation hegte, Philippos, ein Hellene, dessen Ahnen seit jeher in Neapolis am Golfe von Misenum lebten und dem jungen Flavius die Option bot, in den Erinnerungen an vergnügliche Sommerfrischen im Umfeld der Villa von Onkel Aristides zu schwelgen, Epimenides, ein altkluger Kreter, welcher jedwede Unterredung mit einer adäquaten Sentenz aus den Lehrsätzen Epikurs bereicherte und damit gleichsam als Manius Minors Repetitor für dessen Lektion am Museions fungierte, während der zwar fidele, doch bisweilen ein wenig primitive Dionysios den harlekinesken Fokus der Gemeinschaft bildete, stets auf der Pirsch nach neuen, extraordinären Genüssen und Lüsten, aber doch dem rhomäischen Jüngling in seiner primitiven Art stets in gewisser Weise fremd blieb. -
Wieder hatten sich die Myrmidonen im Hause des Dionysios versammelt, um gemeinsam den Tag zu verleben. Am Morgen hatte Manius Minor den Brief Manius Maiors empfangen, welcher, obschon er hatte beschlossen, den fernen Consul und Vater Consul sein zu lassen, ihm doch über den gesamten Tag hinweg immer wieder Kummer hatte bereitet, sodass nun, da einige Becher süßen Weines und die goutante Vertrautheit Anaximanders ihn bemüßigte, sein Leiden zu thematisieren:
"Mein Vater hat geschrieben."
"Und was schreibt der Alte? Nichts erfreuliches scheinbar!"
, erwiderte der Grieche, den Gemütsstatus seines Gegenübers trefflich beschreibend.
"Nun, er berichtete, dass der Senat ihn zum Consul erkor."
Anaximander bot ein anerkennendes Schnauben, ehe er neuerlich zur Rede ansetzte:
"Respektabel, respektabel. Und was ist so schlimm daran?"
"Nun, wie dir zweifelsohne bekannt ist, ist dies die Krone jedweden Politikers in meiner Vaterstadt. Ein Moment, welcher nicht nur die Person in die höchste Rangstufe der Senatoren erhebt, sondern zugleich die höchste Dignität für seine Familie verleiht. Doch gedenkt er augenscheinlich nicht, mich an diesen Ehren partizipieren zu lassen."
Er verstummte, um Worte ringend, die jene Desillusion mochten fassen.
"Er erwägt nicht mit einem Wort, mich an seine Seite zu holen, um ihm zu assistieren... oder dergleichen... gewissermaßen..."
Bekümmert nahm er einen Schluck des Weines, während Anaximander ebenfalls einen Augenblick zu spintisieren schien, ehe er sich von seiner Kline zu dem jungen Rhomäer hinüberbeugte, um ihm stärkend die Hand auf die Schulter zu legen.
"Oh, Achilleus, o Achilleus. Noch immer liebst du den Ruhm mehr als das Glück! Denke zurück an Epikur: Der Ruhm der Politik bringt nur Leid und Schmerz! Heute ist dein Vater Consul, morgen muss er sein Amt zurückgeben! Du hast selbst gesagt, dass du dich nicht in dieses Tretrad stellen willst, um mühevoll auf der Stelle zu treten. Diese Ehren sind belanglos! Denk an das, was Lust bringt, nicht an die lästigen Pflichten, vor denen du buckeln sollst!"
Der flavische Jüngling schwieg. Die Worte seines Freundes waren allzu wahr, doch obschon seine Ratio nur zu konsentieren imstande war, so blieb doch zu konzidieren, dass sein Herz noch immer jenem alten Leben anhing, welches bestimmt war von Pflicht und Dienst, von Problematiken und Übeln, deren Existenz lediglich selbst geschaffene Bürden waren, doch durch ein Verlassen jenes selbstdestruktiven Systems theoretisch so leicht zu annihilieren waren. Doch wie so oft differierten Theorie und Praxis, paradierte doch nicht nur sein stets so ferner Vater, sondern ebenso der Geist seiner geliebten Mutter vor dem geistigen Auge umher, mit scharfen Worten die Schlüsse des weisen Epikurs scheltend und zur Pflicht mahnend. Zahllose Male hatte Manius Minor über die Berechtigung und die Unsinnigkeit jenes alten Lebens disputiert, doch blieb am Ende jener Debatten doch stets die Einsicht, dass der Iuno Claudiae Antoniae doch nicht mehr zu gehorchen war als jenen imaginierten, zürnenden Göttern, welche die Abergläubigen durch blutige Opfer zu besänftigen sich mühten, ja eine Furcht vor der Erwartung von Familie und Staatswesen keinerlei Lust oder Nutzen evozierten. Der Privatmann, jener idiotes, der das Staatswesen Staatswesen und den Cursus Honorum Cursus Honorum, einen sinnlosen Wettlauf um Ehren, sein ließ, war das einzig einsichtige Ideal, das Epikur folglich sehr klar seinen Jüngern hatte empfohlen.
"Ich weiß."
, stimmte er somit letztlich ein und nahm einen neuerlichen Schluck. Der Schmerz jenes Briefes würde vergehen, sofern nicht durch Einsicht, so doch durch die Zeit.Ehe Anaximander indessen ein neues Sujet aufs Tableau zu bringen imstande war, ergriff wieder einmal Dionysios das Wort, doch mit einer admirablien Klarität in der Artikulation, welche zu jener Tagesstunde höchst selten bei ihm war zu finden.
"Meine lieben Freunde,
ich verkündige euch mit Freude, dass gestern wieder eine Lieferung Mohn vom Nil angekommen ist. Es ist also wieder Zeit für die Milch der Träume!"
In Händen hielt er einen güldenen Pokal, welchen er nun in die Höhe reckte. Darauf war, selbstredend inidentifikabel für den jungen Flavius, ein Relief mit dem Bild des Thanatos zu erblicken, in der einen die gesenkte Fackel des Endes, in der anderen die Mohnkapsel, deren Saft augenscheinlich sein Inneres füllte.
"Folgt mir also auf diesem neuen Weg der Lust! Trinkt und tretet ein in die Welt des Opium!"
Irritiert, doch durchaus vorwitzig verfolgte Manius Minor den nun folgenden Trankritus, der einer Opferhandlung gleich wirkte, so würdevoll, wie Dionysios seinen Becher an die Lippen setzte und einen bescheidenen Schluck von dessen Inhalt konsumierte, um das Gefäß sogleich weiterzureichen. Jeder der Jünglinge nahm einen Schluck und reichte ihn weiter, ehe er schließlich Anaximander erreichte, der ebenso davon nahm und das Gefäß zuletzt seinem Freunde überreichte.
Unterdessen war der flavische Jüngling in ein Wechselbad aus Furcht und Sensation gestoßen, da doch das Opium theoretisch ihm wohlbekannt war, da auch manch vornehmer Römer die Milch des Mohnes genoss, doch manche, wie es hieß, ihr völlig waren ergeben und, gleich den starken Trinkern, nicht ohne sie mehr zu sein imstande waren. Im Übrigen verhieß jener Trank doch auch mirakulöse Erfahrungen, ja faszinierende Visionen und erquickliche Zustände, die indessen jungen Flavius bisherig waren verwehrt geblieben, da ersterer Aspekt den Diskurs in der Villa Flavia Felix bezüglich jenes berauschenden Produktes hatte dominiert.
"Wie wirkt das?"
, raunte er somit, als er das inzwischen durch zahllose Hände gewärmte Gefäß entgegennahm, halb fürchtend, in seiner Furchtsamkeit den Spott seiner Konbacchanten zu erfahren.
"Probier' es aus. Trink und warte ab! Es wird dir gut tun."
, replizierte Anaximander mit größter Sekurität, ehe er sich auf seiner Kline räkelte und zur Decke blickte, als erwarte er den Masseur im Bade.Manius Minor zögerte, blickte um sich, wo die Schemen zahlloser Antlitze seine Reaktion erwarteten. Der kleine Manius Maior in ihm, an seiner Seite der greise Artaxias, sein Paedagogos, wie auch seine Amme schienen warnend ihre Zeigefinger zu heben, um ihm jene riskante Tat zu untersagen. Doch obschon er den Blick seiner Freunde nicht klar zu identifizieren imstande war, so spürte er doch nicht nur die Erwartung in ihren Gesichtern und dahinter jenes Damoklesschwert der Exklusion, das über ihm schwebte, um gnadenlos darniederzusausen und ihn von jener so erstreblichen Gemeinschaft zu trennen, sollte er sich dem kommunen Ritual entziehen und ängstlich, gleich einem Wurm, jener riskanten, doch ebenso verheißungsvollen Droge sich versagen. Alle taten ist, warum also nicht auch er? Was mochte geschehen?
Er setzte den Pokal an seine Lippen. Er nahm einen vorsichtigen Schluck der milchig-weißen Substanz. Er schmeckte einen widerwärtigen Degout, ungleich abstoßender als der süße Wein, den er so liebte und ihm ebenso erquickliche Stunden bereitete, welcher zugleich ihn jedoch motivierte, das Getränk zügig hinabzuwürgen. Sodann geschah... nichts. -
In Expektanz psychodelischer Reisen oder anderweitiger exorbitanter Erfahrungen blickte der junge Flavius, noch immer erregt ob des Nervenkitzels jenes zumindest im flavischen Haushalte illegal anmutenden Konsums, ehe er endlich ein wenig enerviert seinen Freund adressierte:
"Was geschieht nun?"
Jener indessen wandte sich von der Decke ab, blickte hinüber zu dem Adepten in der Welt der Opiate, lächelte und erwiderte:
"Warte ab, Achilleus, warte ab!"
So blieb dem Jüngling nichts, denn zu warten, weshalb auch er eine Position auf dem Rücken einnahm, um den Blick seinerseits auf die Decke zu richten, wo ihm trotz seiner Hypermetropie doch zumindest die Konturen der Kasetten erkenntlich wurden, obschon die floralen Motive, welche diese durchsetzten, ihm verborgen blieben. Rastlos wartete er, wobei ihm gewahr wurde, dass auch die übrigen Bacchanten ihre Gespräche gedämpft, ja nicht wenige augenscheinlich sich in eine similäre Position hatten begeben, um den vermeintlichen Rausch zu erwarten.
Konträr zu der Erwartung erquicklicher Erlebnisse verspürte der junge Flavius hingegen bald schon ein Grimmen des Magens, verbunden mit einer leichten Blümeranz, welche ihn besorgt die Hand auf den beachtlichen Magen ließ legen.
"Ich fürchte, mein Leib mag diesen Trank nicht akzeptieren."
, kommentierte er resigniert und setzte schon an, sich zu erheben, um einem der Sklaven die Ordre zu erteilen, ihm ein Gefäß zum Vomieren zu reichen, doch Anaximander drückte ihn sanft auf seine Kline zurück.
"Entspanne dich, Achilleus! Das geht gleich vorbei!"
Insekur, ob jener Schritt tatsächlich ein weiser Schluss mochte gewesen sein, legte Manius Minor sich somit aufs Neue darnieder und blickte hinüber zu Patrokolos, welcher einige Klinen entfernt angeregt mit einem der anderen Myrmidonen plauderte. Seit sie in jenen Kreis waren geraten, war die Relation zwischen Herr und Diener mutiert, hatte Patrokolos an Autonomie gewonnen und mit den freien Mitgliedern des Kreises um Dionysios Freundschaften geschlossen, welche er similär zu jenen seines Herrn pflegte und weshalb er auch nicht mehr an dessen Seite klebte, wie dies früher der Fall war gewesen, zumal augenscheinlich keinerlei Necessität bestand, in diesem Kreise die Fehlsicht des jungen Gracchen zu cachieren, da Inperfektionalität den Lehren Epikurs gemäß hiesig nur insofern als Makel wurde betrachtet, sofern der darunter leidende sich davon in seiner Lust ließ trüben. Dennoch bereitete der Verlust jener extrakorporalen Extension seiner Gliedmaßen, als welche Patrokolos stets hatte fungiert, dem jungen Flavius bisweilen noch manche Strapazen, zu schweigen von dem stets ermutigenden Wort, das der Sklave in den zahllosen Momenten der Insekurität, wie auch der hiesige einen repräsentierte, seinem Herren schenkte.Doch in der Tat kalmierte sich jenes Missbehagen in psychischer wie physischer Form baldig und schuf einem wohligen Gefühl von Wärme Raum, das ebenso sich über den ganzen Körper des Jünglings verbreitete. Mit Staunen verspürte er, wie nicht nur das Grimmen seiner Vitalia, sondern ebenso das Leid hinsichtlich der paternalen Verstoßung zwar nicht entschwanden, doch jedweder Relevanz verlustig gingen. Womöglich war es wahr, was Anaximander hinsichtlich der Einsichtigkeit Epikurs hatte gesprochen, doch vor allem entfaltete sich Manius Minor die Einsicht, dass all dies für den akuten Moment des Glückes, welchen er nunmehr verlebte, keine Bedeutung beizumessen war.
"Nun, wirkt es bereits?"
, entriss Anaximander ihn unerwartet aus jenen erquicklichen Regungen. Für einen Augenschlag verspürte der Jüngling eine Insekurität hinsichtlich der adäquaten Replik. Dann hingegen antwortete er:
"Mir deucht, es wirkt." -
Obschon der Morgen nach dem ersten Opium-Genuss keineswegs als erfreulich sich hatte erwiesen, war der junge Flavius rasch dazu übergegangen, jener neuen Droge zu fröhnen und nur noch mäßiges Interesse an dem exzessiven Zuspruch des Weines zu verspüren, da selbiger nicht nur eine sedierende Wirkung entfaltete, sondern ex post sich als widriger Gast in seinem Leibe erwies, welcher jeden Morgen aufs Neue ihn mit Hauptschmerzen, einer brennenden Kehle und einem generellen Missbehagen torquierte, das lediglich frischer Zufluss an spirituösen Getränken zu vertreiben imstande war, während die Übelkeit nach dem Thanatos-Trunk von selbst mit der Zeit sich minderte. Selbstredend annihilierte er dennoch bisweilen seinen Verstand und gab sich dem alkoholischen Rausche hin, um mit den übrigen Myrmidonen orgiastisch zelebrieren zu können, doch generell präferierte er einen Schluck Opium, welcher seine Stimmung ebenso zu heben imstande war, ihm aber weniger Leid bereitete.
In eben jenem Nebel war er auch an diesem Tage gefangen, als er im Kreise seiner Freunde am späten Nachmittag einer künstlerischen Darbietung, nämlich dem Reigen berbischer Sklavinnen, folgte, welche mit aufreizendem Kreisen ihre von güldenen Plättchen und feinen Stoffen geschmückten Hüften vor den Augen der Jünglinge präsentierten, was zweifelsohne zur Folge würde haben, dass nicht wenige von ihnen das Ende des Tanzes auf den Klinen oder in den Gemächern des Hauses fanden. Auch Manius Minor, der im Laufe der Zeit bei den Myrmidonen eine gewisse Unbefangenheit hinsichtlich der geschlechtlichen Vereinigung hatte entwickelt, da doch im Hause des Dionysios, dem Lustprinzip in jedweder Form sich gänzlich unterwerfend, stets auch überaus ansehnliche Dirnen und Pueri Capriciosi waren zu finden, die sich neben dem Hausherrn auch dessen Freunden stets zum Gebrauch andienten. Und obschon der junge Flavius noch immer eine gewisse Befangenheit ob der eigenen korporalen Defizität (insonderheit hinsichtlich seiner Leibesfülle, welche dem hellenischen Körperkult grundlegend widersprach) verspürte, vermochten Wein oder Opium gleichermaßen seine Hemmungen zu dämpfen, seine Libido anzufachen und ihn gar zu sexuellen Experimenten hinsichtlich des Gebrauches von Damen und androgynen Knaben zu verführen.
Da indessen selbst ein libidöses Versagen im Rausch der Dionysionischen Orgien keineswegs mit Spott, sondern vielmehr mit heiterer Gelassenheit oder Gleichmut wurden aufgegriffen, verflog auch jene Insekurität, die den flavischen Knaben in so vielen Hinsichten hatte beklommen und kleinmütig gemacht, sodass eine Saturiertheit sich in ihm einstellte, welche sein gesamtes Leben ihm stets war unbekannt geblieben. Inmitten jener Parallelgesellschaft junger Aristokraten, deren paternale Intraden es ihnen gestatteten, sorgenfrei nahezu jeder Lust zu fröhnen, welche mit Geld war zu erkaufen, verspürte er eine Geborgenheit, die ihn von sämtlichen Lasten und Leiden befreite, unter denen er sein junges Leben hatte laboriert: Die Pflichten eines Cursus Honorum und der aristokratischen Familienehre, ja selbst die Wahrung des persönlichen Ansehens waren ebenso ferne wie die Furcht vor jenen Larven und Lemuren, die ihn so oft des Nachts hatten heimgesucht und nunmehr verschonten. Selbst über die Pein des Verlustes seiner Mutter und jüngst seiner Schwester wie die Sorge um seine Familiaren ob der aurelischen Invasion in der Familia Flavia Romae legte sich sanft der Vorhang des Opiums und hüllte all das in einen Schleier der Behaglichkeit und Lustbarkeiten.Selbst der deplorable Umstand, dass die Tänzerinnen, welche aufreizend sich seiner Kline näherten, dadurch immer unschärfer und schemenhafter sich dem Jüngling darboten, vermochte jenem keine Frustration zu bereiten, zumal es ihm immer wieder möglich war, den fehlenden visuellen Eindruck durch eine haptische Erkundung der Mädchen zu ersetzen, sobald sich eine von ihnen auf Armlänge seinem Lager näherte.
"Welch schöne Kleider!"
, sinnierte er gedankenverloren, was Anaximander prompt konfirmierte:
"Sehr hübsch, wirklich." -
Als der Tanz schlussendlich zu einem extatischen Fanal sich steigerte, spendeten die Myrmidonen einhelligen Beifall, ehe jeder von ihnen sich mühte, hurtig eine der Damen zu ergreifen, um sich ihrer Gesellschaft weiters zu erfreuen. Auch Manius Minor griff nach jener, die in Reichweite soeben noch ihre Hüften hatte kreisen lassen, und zog sie mit sanfter Gewalt auf seine Kline.
"Mein Täubchen, wie schön du bist."
, präsentierte er ihr ein Kompliment, welches ihr ein mädchenhaftes Kichern entlockte, ehe sie bereitwillig sich an ventralerseits an ihn schmiegte und artig erwiderte:
"Danke, junger Herr."
Entflammt vom tranquillierenden, doch erhitzenden Saft des Mohnes gab der Jüngling sich der Libido hin und begann, weiter freundlich plaudernd, die femininen Formen der Tänzerin über und unter ihren Stoffen zu erkunden.
"Woher stammst du, Täubchen?"
"Aus Marmarica, junger Herr."
"Doch nicht vom Ammonium selbst?"
Die Mär von der Weissagung des Alexander in jenem weithin bekannten Orakel war selbstredend in Alexandreia in aller Munde, sodass Manius Minor jene famose Anekdote sogleich zu ergreifen nutzte, um die Konversation zu prolongieren, obschon ihm die Wüstenregionen Africas sonst gänzliche Terra incognita waren und herzlich geringes Interesse erweckten.
"Oh nein, nein, junger Herr, ich bin ein Kind der Wüste. Mein Stamm führte aber Karawanen auch dorthin."
"Und was zog dich hierher ans Meer?"
, erwiderte der junge Flavius naiv, was der berbischen Schönheit ein sarkastisches Lächeln entlockte.
"Die Ketten des Sklavenhändlers, der uns fing."
Selbstredend waren insonderheit die Wüstenregionen jenseits der römisch kontrollierten Städte gesetzlose Räume, in welchen Sklavenjäger und Banditen einträglichen Geschäften nachgingen und jeder, welcher nicht sich mit der Waffe in Händen zu defendieren wusste, leichtlich auf den alexandrinischen oder gar delischen Sklavenmärkten mochte landen. Obschon er zweifelsohne Profiteur jener widerrechtlichen Strukturen war, plagte den flavischen Jüngling sogleich ein gewisses schlechtes Gewissen, welches er durch eine fürsorgliche Frage zu trösten sich mühte:
"Aber dein Herr behandelt dich gut, wie ich hoffe?"
"Wie du siehst, junger Herr."
Anmutig streckte sie sich und präsentierte ihren makellosen Bauch und Rücken, welche ihr Kostüm freiließ, was dem fehlsichtlichen Flavius selbstredend kaum nutzte, da ihm die Striemen von Peitschenhieben oder leichte Blessuren in jener Distanz zu identifizieren impossibel war. So nahm er wie so oft seine Hand zu Hilfe und fuhr über den zarten Rücken und den festen, doch zugleich überaus sanften Bauch des Mädchens.
"Ich zweifle nicht, dass du ein artiges Mädchen bist."
, fuhr er endlich in jener jovialen Art fort, derer Herren sich allzu oft gegenüber ihren Dienern zu bedienen pflegten, die Bedenken ob ihrer illegitimen Versklavung schlicht hinfortwischend, da doch keineswegs es mochte sicher sein, dass das Schicksal eines Karawanenführerweibes in der unwirtlichen Wüste der Marmarica einem sicheren Sklavenleben als Tänzerin war präferieren.
"Oh, ich kann ein sehr böses Mädchen sein."
, feixte die Tänzerin nunmehr und streckte auf laszive Weise ihr Bein, um es in einem einzigen Schwung über die Kline und den darauf ruhenden Manius Minor zu schwingen, sodass sie endlich sich einer Reiterin gleich auf seiner Hüfte wiederfand. Der junge Flavius ergab sich jener eindeutigen Offerte und wälzte sich auf den Rücken, um der Berberin Zugang zu seinen Intima zu gewähren, welche unter der Tunica bereits dem Fanal jener aufreizenden Darbietung entgegenlechzten.Selbiges erfolgte rasch, weitaus rascher als auf anderen Plätzen des Speisesaales, was neben der routinierten Weise der Regungen jener Berberin dem distanzierten Beobachter zweifelsohne hätte eröffnet, dass selbige sich beeilte, ihren Dienst an dem wenig ansehnlichen, dennoch zu bedienenden Knaben zügig zu vollenden. Dennoch genügte es, um Manius Minor den Schweiß auf die Stirne und sämtliche Partien seines Leibes zu treiben, was ein unerquickliches Kleben seiner Synthesis auf dem Leibe evozierte. Das Mädchen, welches zweifelsohne den weitaus größeren Aufwand zur Erzeugung jener Klimax hatte geleistet, schwang ihr Bein unterdessen ohne jedweden Anschein von Ermüdung zurück zur Erde und erhob sich, um sich sogleich der Hinterlassenschaften der virilen Lust zu entledigen.
Manius Minor blickte ihr nach und dann hinüber zu Anaximander, der es augenscheinlich hatte vorgezogen, anstatt des Coitus besser der Träumerei zu frönen, was ebenfalls eine Folge des Opium-Konsumes schien zu sein.
"Die Kleider erscheinen mir als von größter Praktikabilität angesichts dieser Temperaturen."
, nahm der junge Flavius somit den Faden der vorhergehenden Unterredung wieder auf und erweckte seinen Freund damit aus seiner geistigen Absenz. Es bedurfte zwar einiger Augenschläge der Orientierung, doch sodann replizierte selbiger leutselig:
"Die Ägypter pflegen auch solche dünnen Stoffe zu tragen. Selbst die Priesterinnen."[/quote]
Durchaus hatte auch der junge Flavius bereits Notiz genommen von jener Tracht semitransparenter Stoffe, welche in Rom bestenfalls einer Lupa hätte wohlangestanden, hier jedoch selbst von ehrbaren Hohepriesterinnen mit einem Leib, welchem derartige Offenheit wenig schmeichelte, wurde voll Selbstbewusstsein getragen.
"Ich frage mich, welches Gefühl derartige Stoffe wohl auf dem Leibe evozieren mögen."
Anaximander zuckte unbedarft mit den Schultern.
"Wir könnten es versuchen. Die Mädchen sind sicherlich noch hier und hätten nichts dagegen, wenn wir ihre Tracht für einen Augenblick ausprobieren."
Er blickte hinüber zu einem der Myrmidonen, welcher noch mit einer der Berberinnen sich vergnügte, sie dabei jedoch sämtlicher Kleider entledigt und in animalischer Weise begattete. Derartige Formen der Indiskretion waren in diesen Räumlichkeiten bei weitem keine Seltenheit, sodass Manius Minor und Anaximander eine Weile dabei verharrten, jenes Schauspiel zu verfolgen. Sodann wendete der flavische Jüngling den Blick zu den verstreuten Kleidern des Mädchens.
"Mir scheint, das Mädchen ist ein wenig feingliedriger als ich."
Wortlos erhob sich Anaximander und trat auf den achtlos hinfortgeworfenen Rock, hob ihn an und begutachtete das Stück.
"Es ist gewickelt. Also komm herbei, Achilleus! Tu es deinem Namensvetter in Skyros gleich!"
Die beiden sich Liebenden hielten inne, ebenso zog jener Ruf die Appetenz der übrigen Myrmidonen mit einem Male auf die beiden. Für einen Augenschlag zögerte der Jüngling ob jenes großen Publikums, dem transvestitisch sich darzubieten einem jeden Rhomäer zur tiefsten Scham hätte gereicht, sodass selbst die Mär vom Achill in jenem Kreis stets mit Spott und Hohn war kommentiert worden. Sodann besann er sich jedoch des epikureischen Prinzips, welches der Lust den Vorzug vor der Konvention gab, womit der Vorwitz, ein Gefühl jener Stoffe zu erlangen, die leeren Meinungen von Virilität und Tabu übertraf, zumal zweifelsohne ihm selbiger Akt in diesem Kreise mehr Respekt denn Abscheu würde gewähren.So erhob er sich, folgte Anaximander auf dem Fuße und musterte den feinen Stoff in dessen Händen.
"Herab mit der Kluft!"
, feuerte sein Freund ihn an, sodass endlich er seine Synthesis ergriff und ansetzte, sich derer zu entledigen. Indessen bedurfte es erst des heraneilenden Patrokolos, der in serviler Treue seinem Herrn zur Hand ging, als dessen Haupt inmitten der Kleidung sich verfing, sodass er, den Unterleib nackt und bloß der Runde präsentierend, gleich einem im Netz gefangenen Fischlein, durch hektische Regungen das Unheil nur amplifizierte, was selbstredend das Publikum zu heiterem Gelächter anspornte. Erst mit einiger Mühe trat so das selbstironisch amüsierte Antlitz des jungen Flavius zutage, welcher nunmehr gänzlich textilfrei den Rock der Tänzerin ergriff, um ihn sich um den Leib zu wickeln. Sanft fuhr er über den feinen, transparenten Stoff, welcher einem Windhauch gleihh aufs Zarteste seine Beine umspielte, ja seidengleich durch seine Finger floss und ihm allzu leicht die Imagination gestattete, er trüge ein Konstrukt aus Luft selbst.
"Es ist... formidabel!"
, durchbrach er endlich in seliger Stimme das expektierliche Schweigen der gesamten Runde, welches durch das Innehalten der Musikanten war vervollkommnet worden.
"Es trägt sich phantastisch leicht und weich, ja so zart wie die Damen, welche es tragen!"
Neuerlich erhob sich Gelächter angesichts des drolligen Anblicks eines adipösen Jünglings, gehüllt in einen transparenten Rock, welchen mit einer Hand er zu halten genötigt war, während beständig die andere über jenen zarten, doch bisweilen bereits ein wenig knitterigen Stoff strich, als hege sie ein geliebtes Schoßtier. Einzig Dionysios, der vorwitzigste der Runde, sprang enthusiastisch auf und eilte, im Gehen bereits den Chiton abstreifend, auf den jungen Flavius zu.
"Gib her, das will ich auch!"
, rief er aus und schon hatte er Manius Minor seines Rockes entledigt, um selbst ihn sich um die Hüften zu schwingen, beständig sich drehend und wendend, als wolle ihm dadurch gelingen, aus sämtlichen Perspektiven sich in dem neuen Kleide zu betrachten.
"Wirklich, unglaublich angenehm! Solltet ihr wirklich ausprobieren!"
, konsentierte er dem ersten Probanden. -
Nicht wenig Zeit war verronnen, ehe sämtliche der Myrmidonen den Tänzerinnen waren hinterhergeeilt, um selbige ihrer Kleider zu berauben, was zweifelsohne den Maiordomus des Hauses mit einer inprävisiblen Summe zu addierender Kosten für jenes Gastmahl konfrontierte, da doch selbst einem Erben fabulöser Reichtümer, wie Dionysios augenscheinlich einer war, für gewöhnlich pro Abend ein bestimmtes Budget zu Verfügung hatte, welches die Garderobe der Unterhaltungsdamen nicht inkludierte. Nichtsdestotrotz trug selbiger Ausfall zum allgemeinen Vergnügen jenes Abends bei, welchen endlich nahezu sämtliche der Jünglinge in den transparenten Röcken der Berberinnen verließen.
Dass selbiges Kapitel hingegen am folgenden Mittag eine Kontinuierung würde erfahren, vermutete Manius Minor nicht, als er am selbigem erneut den Oikos Dionysiou aufsuchte und wie gewohnt das Andron betrat, wo man ihm, obschon das abendliche Mahl noch in weiter Ferne lag, einen opiaten Aperitif reichte, mit welchem er seinen gewohnten Platz einnahm. Denn erst als Dionysios die Lustbarkeit des heutigen Tages verkündete, wurde offenbar, dass der vorhergegangene Abend seine Folgen würde zeitigen:
"Liebe Freunde,
sicherlich erinnert ihr euch noch sehr gut an den gestrigen Abend, an dem uns nicht nur die schönen Wüstentöchter bezaubert haben, sondern auch ihre luftig-leichten Gewänder!"
In jener Remineszenz schwelgend, strich der junge Gastgeber sich versonnen über den entblößten Arm.
"Da habe ich mich heute morgen gefragt: 'Dionysios,', habe ich mich mich gefragt, 'warum sollten wir dieses wunderbare Gefühl nicht jeden Tag haben?'
Weil es unschicklich ist, einen durchsichtigen Seidenstoff zu tragen? Aber warum? Im Gymnasion laufen alle nackt herum! Selbst die großen Philosophen im Museion tragen gern nichts unter dem Himation! Ist das unschicklich?
Deswegen habe ich mir gedacht: Warum eigentlich nicht? Was interessiert es uns, was die feinen Herren und Sittenwächter denken, wie wir herumlaufen? Hat Epikur uns nicht gelehrt, dass das, was uns Lust bereitet, das höchste Gut ist? Warum also irgendeiner Schicklichkeit hinterher rennen, die uns in diese unbequemen Fetzen zwängt?"
Abfällig zupfte er an seinem Chiton, welcher zweifelsohne doch aus exquisitem Material mit exorbitantem Tragekomfort war gewebt. Indessen fühlte sich der junge Flavius doch genötigt, im Grundsatze beizupflichten, denn in der Tat repräsentierten Kleiderordnungen ja nichts anderes denn leere Konventionen. Unterdessen echauffierte der ungestüme Dionysios sich immer fort:
"Es kann doch nicht sein, dass durchsichtige Gewänder Dirnen und Ägypterinnen vorbehalten bleiben, während wir unsere Prachtkörper unter Stoffbahnen verstecken müssen!
Ich habe deswegen heute Serapion, einen Schneider eingeladen. Er wird uns zeigen, was mit diesem sagenhaften Stoff so alles zu machen ist und auch einige Schnitte zeigen, damit wir uns selbst direkt einkleiden können!"
Der Kreis der Myrmidonen schien überrascht, doch nicht wenige präsentierten unverhohlene Begeisterung ob jenes neuen Winkelzugs ihres Meisters, die ordinäre Gesellschaft zu provozieren und sich damit der eigenen Spezialität zu versichern. Auch der junge Flavius fiel daher endlich ein in den Applaus der Jünglinge, mit welchem sie jenen ältlichen Ägypter mit blank polierter Glatze und extravaganter Gewandung begrüßten. -
Es verstrichen nur wenige Tage, ehe die Myrmidonen sämtlich sich neuer Kleider, welche wohl dem gemeinen Rhomäer und selbst hier im multikulturellen, aegyptischer Freizügigkeit nicht abholden Alexandria als überaus extravagant, ja geradehin obszön mussten erscheinen, erfreuten und in selbigen zum Gastmahle erschienen, aber ebenso bisweilen auf den Straßen sich präsentierten. Die Stoffe waren von hauchdünner Machart, welche in ihrer Transparenz die mehr oder minder virilen Körper der Jünglinge dem Passanten weniger imaginabel denn schlicht visibel sich erboten und damit ihre Funktion beinahe ad absurdum führten. Manius Minor, respektive Achilleus, dessen Korpulenz ihm in dergestalter Tracht insonders deplaisierlich erschien, weshalb er nicht geringe Genanz an den Tag legte, als erstmalig sie es wagten, in ihren femininen Gewändern das Haus des Dionysios zu verlassen, hatte ebenfalls dem Schwunge juvenilen Übermutes sich ergeben, zumal vornehmlich Anaximander und Dionysios darauf bestanden, dass dem Urheber jener grandiosen Eingebung es wohlanstand, sich als erster unter ihnen auch in derartiger Montur zu präsentieren.
Zumindest hatte der junge Flavius sich für ein in aegyptischer Manier plissiertes, weites Kleid entschieden, welches ihn bisweilen an jene matronenhafte Art von Stola gewahrte, die seine Mutter zu staatstragenden Anlässen hatte präferiert, und dank der Falten zumindest eines Mindestmaßes an Kreativität bedurfte, um darunter den wenig ansehnlichen, adipösen Leib zu erahnen, obschon selbiger dank des Opiumkonsumes, welcher seinen Appetit doch signifikant hemmte, an Umfang zuletzt ein wenig hatte eingebüßt. Das Selbstbewusstsein, mit welchem er in jenem Aufzuge sich seinen Freunden oder gar auf der Straße präsentierte, oszillierte hingegen stets zwischen kleinmütigem Scham, in dem er bei jeglicher günstiger Situation sich hinter den ansehnlicheren Exemplaren des Myrmidonenkreises verbarg, bis hin zu übermütigem Stolz, der ihn bisweilen, meliorisiert durch Zuspruch von Wein und Opiaten, gar, dem Exempel seines Namensvetters gleich, voll von Vorwitz an der Spitze seiner Getreuen durch die Straßen ließ paradieren, die irritierten Blicke (obschon er selbige selbstredend nicht zu identifizieren imstande war) trutzig erwidernd und sich von etwaigem Straucheln ob übersehener Hindernisse nicht im mindersten discouragieren lassend.
In jenen Tagen war es insonderheit Epimenides, welcher durch eindringliche Referate die Jünglinge immer wieder aufs Neue in ihrer Haltung von Opposition und Resistenz gegen vermeintlich gute Sitten und ehrwürdige Tugenden, die doch in allem nichts anderes blieben als jene von Epikur so eifrig gescholtenen leeren Meinungen, zu affirmieren und durch Zitate aus dem Kepos, aber auch diverser weiterer konsentierender Weiser, jenem Treiben philosophische Weihen zu verleihen.
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