In Tiberim: Tirones beim Planschen

  • Die bewusste Stelle hatte sich bei den Schwimmübungen der Cohortes als bewährt erwiesen und so führte Maro einmal mehr einen Haufen Tirones zum Schwimmen zur tiberinischen Drecksbrühe.


    "Alle da?"

  • << Exerzierplatz


    "Jawohl, Centurio", rief Scato mit den anderen im Chor. Wobei, Lurco hatte er noch nicht gesehen; den hatte er während des Marsches aus den Augen verloren. Allerdings war es Scato gerade nicht möglich, sich suchend nach ihm umzuschauen, wenn der Centurio sprach.


    Vor ihnen floss träge, braun und dreckig der Fluss, in den man jene Toten warf, die nicht in das Leben nach dem Tod eintreten sollten. Man hatte ihm gesagt, jene, deren Leichen in diesen Fluten trieben, fänden nicht den Weg ins Jenseits, sondern würden für immer vergehen. Die Gebeine von Verrätern oder in Ungnade gefallenen Personen lagen darum überall im Schlamm, zusammen mit dem Müll und den Abwässern der Latrinen. Die Cloaca Maxima führte direkt in den Tiber, zusammen mit allen anderen Abwässerkanälen der Stadt. Es war ein sehr unwürdiges Grab und Scato erschauerte bei dem Gedanken, in einem Fluss zu schwimmen, der nicht nur dermaßen schmutzig war, dass jeder Medicus davor warnte, das Wasser zu trinken, sondern in dessen Schlamm auch noch hunderte oder tausende unbestattete Tote ruhten. Auch der in Ungnade gefallene Prätorianerpräfekt Sejanus, dem sie die Castra Praetoria verdankten, war nach seiner Hinrichtung auf die Gemonische Treppe geworfen worden, wo das Publikum ihn in Stücke riss, ehe seine Überreste im Tiber ihr nasses Grab fanden.


    Das alles schoss Scato durch den Kopf, während die größte Sorge von manch anderem wohl die anschließende Reinigung der Ausrüstung war. Er aber rief sich ins Gedächtnis, dass, sollte heute jemand hier ertrinken, dieser Kamerad um jeden Preis aus den Fluten gezogen werden musste. Er straffte die Haltung und wartete auf den kommenden Befehl.

  • Auch Lurco schloss sich dem allgemeinen "Jawohl Centurio" an, während er wie alle anderen gebannt auf die Fluten des Tiber schaute. Dort sollten sie ihre Schwimmübungen machen. Lurco hoffte inständig, dass er sich in dem Fluss mit samt der Ausrüstung über Wasser halten konnte.


    `Bloß nichts davon in Mund, Nase oder Augen bekommen und bei den Göttern, bloß nichts davon verschlucken´, dachte er sich besorgt.


    Wer wusste welche gesundheitlichen Auswirkungen das hatte? Vermutlich konnte der Medicus jeden von ihnen behandeln, der davon einen unfreiwilligen Schluck genommen hatte. Lurco wappnete sich innerlich und biss die Zähne so fest aufeinander, wie er konnte. Er war bereit in die grausigen Fluten zu steigen.

  • Immerhin hatten es alle zum Fluss geschafft. Beim vorletzten mal war ihnen unterwegs einer verloren gegangen. Drei Stunden hatten sie den Idioten gesucht. Aber ganz so blöd war der Haufen hier offenbar nicht.


    "Sehr gut. Wie die intelligenteren unter euch vielleicht schon bemerkt haben, sind wir hier am Tiber. Und ihr werdet jetzt die Ausrüstung ablegen. Behaltet eure Tunika an. Wir sind hier nicht in der Therme, das will hier draußen keiner sehen. Dann werdet ihr den Fluss durchschwimmen. Zweimal hin und zurück. Jeder ist mir hier für jeden verantwortlich. Keiner ersäuft mir hier. Wenn einer schlapp macht, schleift der Rest den mit. IST DAS KLAR?!"

  • "JAWOHL", kreischte Scato zusammen mit den anderen. Nicht einmal die Tunika durften sie ausziehen, die konnte er hinterher wegwerfen und von seinem Sold ersetzen. Was erbrachte man nicht alles für Opfer! Er wandte sich Lurco zu, um ihm aus dem Panzer zu helfen. Dann ließ er sich selber aus seinem befreien. Alles, was keine Tunika war, landete auf einem Stapel, auch der Gürtel, so dass seine Tunika nun an ein knielanges Nachthemd erinnerte, das um seinen dünnen Körper herumschlackerte. Wobei, so dünn war er gar nicht mehr, jetzt, am Ende der Ausbildung. Er guckte kurz seine Arme an, freute sich, verglich sie mit denen von Lurco und hörte auf, sich zu freuen.


    Es war wohl am besten, sich für diese Übung besonders dicht bei Lurco zu halten. Scato tastete an seinem Hals nach dem unanständigen Anhänger, den sein Kumpel ihm geschenkt hatte. Während jedes einzelnen Tages hatte er ihn getragen, seit Lurco den Knoten in seinem Nacken geschlossen hatte. Er überlegte, ob er ihn nun abnehmen sollte, damit das Geschenk nicht in Berührung mit dem Ekelwasser kam, doch entschied sich dagegen. Das hier war ein Glücksbringer, es wäre töricht, ihn ausgerechnet jetzt abzulegen. Er blieb ganz dicht an Lurcos Seite. Der sah mit seinen ganzen Muskeln aus, als könne er hervorragend schwimmen. Für seine andere Seite krallte Scato sich Ramnus, der war schön kompakt und Fett schwamm bekanntlich gut.


    "Bereit?", wisperte Scato seinen beiden Kameraden nervös zu.


    Dann ging er langsam in das widerliche, eiskalte Wasser. Als er bis zur Hälfte der Oberschenkel im Tiber stand, blieb er kurz stehen. "Och NÖ!", rief er halb wütend, halb verzweifelt. "Der ist auch so schon so klein!" Tapfer ging er weiter. "Weißt du was, Lurco", plauderte er, um sich und seine Kameraden vom aufsteigenden Ekelwasser abzulenken, "die Griechen haben für solche Anlässe den Kynodesme erfunden. Das ist ein schmaler Riemen, mit dem man ein Schleifchen um seine Vorhaut macht, damit sie nicht zurückrutscht. Das gilt da als extrem peinlich! Hat mir Terpander erklärt. Aber für solche Anlässe wie heute wäre so ein Ding auch nicht schlecht. So als Sperre, weißt du?" Er hatte es bis zum Bauchnabel in den Tiber geschafft und wünschte sich exakt so ein Schleifchen. "Wir hätten einen Lederriemen von der Rüstung nehmen können", laberte er weiter, während er bis zur Brust ins Wasser watete.

  • Scato, Ramnus und Lurco halfen sich gegenseitig aus den Rüstungen. Ausgezogen bis auf die Tunika machten sie sich auf zum Wasser.


    Welch ein Paradoxon, dass ihre Feuerprobe im Wasser stattfinden sollte und zwar nicht in irgendeinem Wasser, sondern den brauen, widerwärtigen Fluten des Tiber. Einem Fluss in dem mehr Tod wohnte als Leben.


    Langsam watete Lurco in die Brühe, während Scato etwas von Vorhautschleifchen zum Besten gab. Lurco musste den Drang unterdrücken die Tunika zu heben um rückversichernd seinen eigenen Schwanz zu inspizieren. Normalerweise war ein Schwanz dafür da, etwas auszuspucken und kein Wasser zu schlucken. Scatos Erklärung machte die ganze Sache weder besser noch einfacher, aber er gab alles um sie aufzumuntern, mit seiner griechischen Horrorgeschichte.


    Lurco hätte seinem Freund Scato gerne geantwortet, aber er hatte die Zähne so fest aufeinander gebissen, dass sein Kiefer schmerzte. Das Scato trotz allem dem Glücksbringer trug, den er ihm geschenkt hatte, freute Lurco.


    Bis zur Brust watete auch er hinein, stieß sich ab und versuchte zu schwimmen. Das Wasser umfing ihn mit eisiger Kälte. Klamme Finger griffen nach ihm, zerrten ihn erbarmungslos in die Tiefe, so dass ihm die letzte Luft aus den Lungen gedrückt wurde. Mühsam und unerbittlich kämpfte sich Lurco zurück die Wasseroberfläche. Dort verharrten er eine Weile und starrte sich für einen Moment ungläubig um.


    Die Strömung war träge und zäh, dennoch verlangte sie nach einer Kraftanstrengung um zur anderen Seite zu kommen. Gemeinsam schwammen sie drei zum Festland auf der anderen Seite. Zweimal hin und zurück, das war der klare Befehle gewesen. Kaum dass sie an der anderen Flußseite standen und einen Moment verschnauft hatten, ging es zurück in die Fluten. Lurco versuchte dabei während seines Kampfes gegen das Wasser trotzdem Scato und Ramnus im Auge zu behalten.


    Zweimal hin und zurück durchquerten sie den Fluss des Todes, den Tiber. Gefühlt wurden Lurcos Arme, Beine und seine Tunika immer schwerer. Als sie es endlich geschafft hatten, ließ er sich tropfnass und erschöpft auf die Knie sinken.


    Lurco wrang seine Tunika aus und schenkte Sacto und Ramnus ein Lächeln.
    "Wir haben es geschafft", freute er sich.

  • Während Lurco auf Knien verschnaufte, stand Scato mit den Knöcheln und vor lauter Ekel abgespreizten Fingern noch immer im Tiber. Seine Lippen waren blau und er klapperte vor Kälte, während Ramnus sich mit den Fingern die Nase schnaubte und lediglich etwas gerötet wirkte. Mehr Masse war in dem Fall von Vorteil. Ramnus nahm neben Lurco Platz, während Scato noch immer dastand wie angewurzelt. Er fragte sich, ob es flüssige Miasmen gab und war in dem Moment der hundertprozentigen Überzeugung, dass es so sein müsse. Lurco war sogar kurzzeitig mit dem Kopf untergetaucht - womit er Scato ziemlich erschreckt hatte - und hatte sie in die Augen, Ohren, in die Nase und vermutlich sogar in den Mund bekommen. Der musste dann mehr als gründlich in den Thermen baden, am besten sie alle! Steifbeinig drehte Scato sich um und pinkelte, um seine Harnröhre auszuspülen, ehe er sich auf die andere Seite von Lurco plumsen ließ.


    "Jaaa, alle sind hier. Und wir haben es überlebt", ergänzte er, während er sich zitternd umschaute. Die übrigen Kameraden wrangen auch ihre Tunikas aus, einige lachten erleichert, andere grummelten mürrisch. Aber jeder einzelne hatte es ans Ufer zurückgeschafft. "Seht es mal so", plauderte Scato mit klappernden Zähnen, "wenn in der Subura nun jemand einen Pisspott über uns auskippt, kann uns das ab heute so was von egal sein. Was ist das bissen Unrat schon gegen ein Ganzkörperbad im Tiber?" Mit vor Kälte verzerrtem Gesicht verkniff er sich ein Feixen, da Maro es nicht mochte, wenn in seiner Gegenwart ein Tiro lachte. Das hatte er gleich am ersten Ausbildungstag gesagt.


    Der erste Ausbildungstag ... viele Wochen waren seither vergangen. Das Bad im Tiber war ihre letzte Ausbildungseinheit gewesen. Und jetzt wurde Scato etwas bang ums Herz, denn nun erwartete sie die Auswertung, ob sich die ganze Plackerei gelohnt hatte, ob die Cohortes Urbanae sie gebrauchen konnte, ob sie bestanden hatten, ob sie als Miles taugten. Entweder würden sie das jetzt sofort erfahren oder später auf dem Exerzierplatz, doch nun gab es keine Möglichkeit mehr, irgendetwas zu korrigieren. Was geschehen war, war geschehen und was getan war, war getan.


    Mit bangem Blick schaute er in Richtung des Centurios. Er tippte Lurco an und erhob sich. Vermutlich würde es Maro nicht mögen, wenn sie gemütlich saßen, während er stand.

  • Lurco kämpfte sich auf die Beine und zog Ramnus mit sich hoch. Beschissener hatte er sich im Leben nie gefühlt und ausgesehen fand er. Lautlos betete er zu Mars, dass das Bad zwischen den unheiligen Toten keinen Einfluss auf sie nehmen möge und dass er seine schützende Hand über sie halten solle.


    Sie standen am Ende ihrer Ausbildung und Maro würde verkünden, wer es von ihnen geschafft hatte und tatsächlich zur Cohortes gehören würde und wer versagt hatte. Lurco hoffte, dass es Scato und er gepackt hatten. Vermutlich war nicht nur die reine Leistung ausschlaggebend, sondern auch das Verhalten.


    Sie hatten ihr Bestes gegeben, der Rest lag in der Hand der Götter und in der von Maro.

  • Tatsächlich war keiner ertrunken.


    "Na schön, wer jetzt von euch Wasser geschluckt hat, bitte jetzt umgehend auskotzen, sonst gibts Dünnschiss. Danach geht's zurück zur Castra zum Waschen. Aber wagt euch nicht in die Therme. Verschafft euch stattdessen klares Wasser. Dann Schluss für heute."

  • "Ich hab nichts verschluckt", erklärte Scato reflexartig an niemand Bestimmtes gewandt und schaute sich um. Der bedauernswerte Tarpa gehörte zu denen, die sich den Finger in den Hals schieben durften und sich krümmten. Er war jedoch nicht der Einzige.


    Scato hob Lurcos Panzer auf, damit dieser hineinfahren konnte. Nun war er an dem Punkt angelangt, wo er begann, sich über das anschließende Reinigen der Ausrüstung und ihrer Körper Gedanken zu machen. "Wir nutzen in der Castra einfach ein paar Eimer", überlegte er laut. "Die halten wir gegenseitig über uns zum Duschen. So werden wir keine Eimer und Lappen mit Tiberbrühe einsauen."

  • Lurco überlegte ob er Wasser geschluckt hatte, nein zum Glück nicht. Er war kurz unter Wasser gewesen, aber er hatte die Zähne fest aufeinander gebissen. Er musterte die Kameraden, denen es nicht so gut ergangen war.


    Scato machte sich Gedanken, wie sie sich reinigen konnten, ohne etwas anderes gleichzeitig zu beschmutzen. Die Überlegungen waren gut und logisch. Lurco nickte anerkennend.


    Der Befehl von Maro war klar, zurück zur Castra und nicht in die Therme. Oh der Mann musste Gedanken lesen können, denn Lurco sehnte sich gerade nach nichts sehnlicher als nach einem ausgiebigen Bad in genau jenen Thermen.


    Das er dies nicht durfte, war klar. Zuerst einfach, weil Maro es befohlen hatte. Befehle wurden befolgt und nicht hinterfragt. Und zweitens, weil er damit das gute Wasser mit dem Unrat aus dem Tiber verseuchen würde.


    Trotzdem durfte man noch etwas träumen und nach einer gründlichen Reinigung, waren die Therme sicher wieder erlaubt. Lurco lockerte seine verkrampften Muskeln und knuffte Ramnus und Scato dankbar.


    "Gute Idee, wir besorgen und Frischwasser und nutzen die Eimer, um uns damit zu übergießen. Das haben wir gut hinbekommen, der Tiber hat ganz schön an unseren Kräften gezerrt, aber wir haben es gepackt", freute sich Lurco.

  • "Das war wirklich gut, haben wir genial hingekriegt", antwortete Scato zähneklappernd und grinsend. Er knuffte Lurco und Ramnus zurück, der sie widerum knuffte. Das kollektive Knuffen bildete sich langsam zu ihrem Zeichen für Zusammenhalt heraus, was Scato freute. Tropfend und schlotternd legten die Tirones ihre Ausrüstung wieder an, ehe sie gemeinsam zur Castra Praetoria zurückkehrten, um sich am Brunnen zu waschen.


    Brunnen der Castra Praetoria >>

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