Lucius musste einen Text über die Errungenschaften der Griechen schreiben - Befehl von (fast) ganz oben, wenn auch ein ziemlich absurder Befehl. Aber er hatte schnell festgestellt, dass er zumindest einen Bereich kannte, in dem die Griechen überragend waren: die Mathematik, sein Lieblingsthema! Sein einziges und Lieblingsbuch waren Euklids Elemente, die er vor vielen Jahren Xanthippus, seinem Lehrer in Mogontiacum, gestohlen hatte. Als er es anlässlich dieser Strafarbeit wieder aufschlug, musste er aber feststellen, dass das Buch so nüchtern gehalten war, wie er sich erinnert hatte - keine lästigen Erklärungen über die Herkunft bestimmter Theorien, noch weiterführende Literaturtipps.
Damit er aber nicht einen Bericht allein über Euklid und sein Buch schreiben musste - zumal er sich erinnerte, dass Xanthippus erzählt hatte, dass es noch sehr viel mehr griechische Mathematiker gab - marschierte der junge Petronier schließlich dorthin, wo er sicherlich Antworten erhalten würde: in die Bibliothek von Alexandria!
Als er in der großen Halle angekommen war - fast froh, dass die beiden Pharaonenstatuen darin doch eher griechisch aussahen und damit bestätigten, dass er auf der richtigen Spur war - suchte er sich den nächstbesten Bibliothekar:
"Ave, ich bin Petronius."
grüßte er mit dem lateinischen Gruß - eigentlich unbeabsichtigt, aber es auch nicht bereuend. Immerhin war er - trotz aller Griechenliebe des Präfekten - hier die Besatzungsmacht, nicht umgekehrt!
"Chaire, junger Mann. Was kann ich für dich tun?"
"Ich suche Informationen."
Der Bibliothekar lächelte verschmitzt.
"Das tut hier jeder."
Diese arrogante Reaktion verärgerte Lucius direkt wieder - Höflichkeit war keine Tugend der Griechen, wie es schien! Wenn er ihn ausreden hätte lassen... - naja, egal. Je schneller er zum Ziel kam, desto schneller hatte er seinen Aufsatz fertig!
"Ich suche Informationen über die griechische Wissenschaft. Arithmetik, Geometrie und sowas."
"Denkst du an einen konkreten Philosophen?"
Lucius stockte kurz - an einen bestimmten? Einen Moment überlegte er, womit er am rationalsten anfing. Am besten mit dem Naheliegendsten:
"Euklid und so."
"Euklid und so? Du meinst den großen Euklid von Alexandria?"
Euklid von Alexandria? Lucius stutzte - Euklid stammte aus Alexandria? Er lebte jetzt seit ewiger Zeit an diesem Ort und hatte noch nicht mitbekommen, dass er am Geburtsort seines Helden wohnte? Er sah seinen Siegelring mit dem Euklid-Portrait an - das war ja eine Überraschung!
"Von Euklid von Alexandria haben wir einige Originalschriften von ihm selbst. Die werden jedoch nur ausgewählten Besuchern vorgelegt. Aber wir haben Abschriften aller seiner Werke. Was darf ich dir bringen? Die Elemente? Die Optika? Die Phainomena?"
Wieder musste der junge Petronier kurz überlegen. Die Elemente kannte er schon. Die Optika klangen auch interessant - vielleicht war das etwas über das Funktionieren des Menschen... Und Phänomene? Das klang ziemlich kryptisch - aber da Euklid ihn bisher nie enttäuscht hatte (auch wenn er nur ein Werk von ihm kannte), machte ihn das eher neugierig als desinteressiert. Nach kurzem Zögern sagte er schließlich:
"Alle!"
Der Bibliothekar schien kurz zu überlegen, dann zuckte er mit den Schultern.
"Bittesehr. Folge mir!"