[Iatreion] Kurs: Medizin

  • Herophilos von Samothrake

    http://www.imperiumromanum.net…/ava_galerie/Grieche1.jpg Endlich meldete sich einer der Studenten - das Mädchen, das ihm so bekannt vorkam! Ihre Frage bezog sich aber nicht direkt auf den Stoff, sondern eher darauf, was man noch alles lernen konnte. Scheinbar hatte er sich bei dem bisher Gesagten klar genug ausgedrückt...
    "Wir werden in der Tat morgen eine Sektion durchführen, um die Anatomie des Menschen anhand dem tierischen Abbild kennen zu lernen. Wir können uns dabei gern in besonderer Weise dem Schädel zuwenden. Auch kann ich demonstrieren, wie eine Operation in diesen Bereichen funktioniert."
    Immerhin hatte sie nach seinem Fachgebiet gefragt, was ihm natürlich sehr schmeichelte.
    "Eine echte Operation werden wir dagegen kaum durchführen können - es sei denn, es findet sich zufällig ein Patient, welcher genau solcher Therapien bedarf. Interessiert dich ein spezieller Eingriff oder ist es eher ein allgemeines Interesse an der obersten Extremität, das dich leitet?"




  • Die Medica aus Rom lächelte. Die Ankündigung, dass sie bei einer Sektion teilnehmen durfte, ließ sie zufrieden aussehen. Wenn wohl auch nur ein Tier seziert werden sollte, erwartete sich Chrysogona doch interessante Erkenntnisse.
    "Da ich bislang wenig Gelegenheiten hatte, an Sektionen oder Operationen teilzunehmen, da ich die verganenen 8 Jahre am Askleieion von Kos tätig war, wo man keine Operationen durchführt. Zuvor während der Ausbildung am Museion befand man mich für zu jung dazu. Allerdings bin ich an allem interessiert, was mir die Chirurgie näher bringen kann. In meiner jetzigen Tätigkeit könnte das immerhin doch einmal nötig sein."

  • Herophilos von Samothrake

    http://www.imperiumromanum.net…/ava_galerie/Grieche1.jpg "Das ist bedauerlich. Auch wenn Hippokrates noch stark zwischen den Chirurgen und den Allgemeinärzten differenziert und noch heute viele entweder das eine oder das andere betreiben, muss jeder Arzt Kenntnisse in beiden Bereichen besitzen."
    kommentierte er die fehlende chirurgische Ausbildung der jungen Frau.
    "Wir werden natürlich nicht alles behandeln können, aber ich kann euch zum einen Literatur empfehlen, um euch später selbst weiterzubilden. Zum anderen werde ich euch zeigen, wie man eine Sektion durchführt, sodass ihr die Theorie auch selbst in die Praxis umsetzen könnt."
    Ausbildung zur Selbstbildung - ein Prinzip, das Herophilos für einen Wissenschaftler für unerlässlich hielt.
    "Ich werde die Vorlesung für heute beenden. Dann sehen wir uns morgen. Bis dahin lest die ersten Kapitel in den Anatomischen Untersuchungen des Herophilos von Chalkedon. Ihr findet das Buch in mehrfacher Ausführung in der Bibliothek."
    Er winkte die wissbegierige Studentin zu seinem Pult herab.
    "Wenn du konkrete Fragen hast, können wir diese gern noch einen Moment diskutieren."




  • Herophilos von Samothrake

    http://www.imperiumromanum.net…/ava_galerie/Grieche1.jpg Als die Studenten an diesem Tag den Hörsaal betraten, lag auf dem langgestreckten Pult etwas, das von einer Decke verdeckt war. Herophilos war heute - anders als bei den letzten Vorlesungen - offenbar ein bisschen aufgeregt. Der Gnorimos hatte auch keine Schriftrolle vorbereitet, wie es schien, denn der Philologe stand direkt vor dem Tisch, als er begann:
    "Wir werden heute dort weitermachen, wo wir gestern aufgehört haben. Wir sprachen von den drei Formen der Therapie - der Diätik, der Chirurgie und der medikamentösen Behandlung. Für alle drei sind anatomische Kenntnisse von Bedeutung:


    Denn um zu verstehen, wie die vier Säfte und das Pneuma im menschlichen Körper wirken, ist es bereits notwendig, diesen Körper genau zu studieren: Möchte ich zur Ader lassen, muss ich wissen, an welchen Stellen dies nützlich ist. Möchte ich chirurgisch tätig werden, liegt die Notwendigkeit den Körper, in den ich einwirke, zu kennen auf der Hand. Aber auch der Diätiker wird um die menschliche Anatomie nicht herumkommen, denn schon der erste Schritt des menschlichen Handelns - die Beobachtung - setzt voraus, dass wir Veränderungen erkennen.


    Ich werde also nun nach der Theorie zur Anatomie kommen. Sie beschäftigt sich einerseits mit dem Aufbau des menschlichen Körpers - also der topographischen Lage der Organe, Muskeln und Knochen - zum anderen mit deren Zusammenwirken. So können wir verstehen lernen, wie ein Muskel funktioniert, aber auch, welche Nerven welche Partien des Körpers kontrollieren."




  • Es war soweit. Chrysogona fieberte der ersten Lektion in angewandter Anatomie entgegen. Sie würde einer Sektion bewohnen können, um besser zu verstehen, wie das Innere des Körpers aufgebaut war, wo die Säfte flossen und wie das Pneuma im Körper wirkte. Die Medica war sehr neugierig.
    Selbstredend kannte sie berteits die Stellen, an denen man einen Menschen zur Ader lassen konnte und auch die wichtigsten von außen sicht- und palpierbaren anatomischen Strukturen, aber der Blick ins Innere war dann doch noch einmal etwas ganz anderes.


    Chrysogona sah zu, dass sie einen guten Platz in erster Reihe bekam. Sie hing an den Lippen des Lehrers und verfolgte jede seiner Bewegungen.

  • Herophilos von Samothrake

    http://www.imperiumromanum.net…/ava_galerie/Grieche1.jpg "Die Grundlage des menschlichen Körpers stellt das Skelett der Knochen dar. Es ist das, was bei einem Haus die Wände sind - sie stützen und halten den Leib und ohne sie ist jede Einrichtung sinnlos. Wir werden also mit diesem beginnen und dann nach und nach ein wenig Fleisch auf die Knochen bringen."

    https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/1/14/Human-Skeleton.jpg/143px-Human-Skeleton.jpg

    Er trat hinter das Pult und zog die Decke beiseite. Darunter lag ein bräunlich gefärbtes, menschliches Skelett. Während es nahezu im gesamten römischen Reich verboten war, Menschen zu sezieren und damit menschliches Anschauungsmaterial zu besitzen, verfügte das Museion in alter Tradition über einige Privilegien, die es ihm auch heute noch gestatteten, ihre menschlichen Präparate zum Studium zu verwenden - wie dieses Skelett:
    "Dies hier ist das Skelett eines echten Menschen, eines ägyptischen Mannes genauer gesagt, der vor einigen Jahren hier in Alexandreia hingerichtet wurde. Findige Gnorimoi haben seinen Körper damals, als es noch gestattet war, Menschen zu sezieren, fachkundig auseinander genommen und die Knochen in der Weise verbunden, in der sie auch im Körper eines Menschen aus Fleisch und Blut zusammen hängen.


    Manchen von euch mag dies erschrecken, doch kann ich euch versichern, dass dieser Mann es ohnehin nicht verdient hatte, ins Jenseits einzutreten und seine übrigen sterblichen Überreste in den Nil gewandert sind. Da die Musen dieses Heiligtum schützen, müssen wir uns aber auch nicht vor seinem Geist fürchten. Schließlich kann er glücklich sein, nach seinem Tod einen größeren Nutzen für die Allgemeinheit zu erbringen als vor seinem Tod, denn nur mit Hilfe derartiger Original-Präparate ist es möglich, eine korrekte Vorstellung von den Proportionen und Zusammenhängen des menschlichen Körpers zu gewinnen."
    Er lächelte ein wenig freudlos und deutete dann auf die Gelenke, die mit feinen Metalldrähten verbunden waren.
    "Ich bitte euch, hierher nach vorn zu kommen, um genauer beobachten zu können, was ich euch zeigen möchte."
    Er griff nach der knochigen Hand und zog sie nach oben. Dank der Verbindungen hob sich der gesamte Arm.
    "Schon hier können wir erkennen, auf welch wunderbare Weise die Knochen zusammengefügt sind, aber auch wo ihre Grenzen liegen."
    Er bog die Hand nun gegen das Ellenbogengelenk, bis es nicht mehr weiter ging, sodass man erkennen konnte, wie das Zusammenspiel der Knochen hier eine natürliche Barriere bildete.
    Dann jedoch legte er den Arm wieder sorgfältig auf das Pult und umrundete den Tisch.
    "Beginnen wir aber mit der Benennung der einzelnen Körperpartien. Am besten ganz oben: Der Schädel ist einer der größten Knochen des menschlichen Körpers und dazu einer der beachtenswertesten. Er beherbergt nämlich nicht nur einen Großteil usnerer Sinnesorgane wie die Zunge, die Nase, die Augen und die Ohren, sondern auch jenes Gewebe, das unser Bewusstsein steuert - das Gehirn!"
    Vorsichtig griff Herophilos nach dem Schädel, zog ein wenig und nahm dann die sauber abgesägte Schädeldecke ab, sodass man den dahinter liegenden Hohlraum sehen konnte.
    "Hier drin liegt das Gehirn, die Schaltzentrale des menschlichen Geistes. Herophilos von Chalkedon machte sich sehr um die Erforschung dieses Wunderwerks der Natur verdient. Ihm zufolge sitzt hier die menschliche Intelligenz im pneuma psychikon, das sich in Hohlräumen des Organs sammelt. Hier werden auch Sinneswahrnehmungen in den Geist transferiert und geistige Befehle in Materie umgesetzt.
    Die Gelehrten streiten über die konkreten Zuordnungen und Bedeutung der einzelnen Teile, doch sicher ist: Wird das Gehirn verletzt, leidet nicht nur der Kopf, sondern auch der Mensch: Hier sitzt der menschliche Geist, sodass eine Verletzung die Intelligenz beeinflussen kann. Hier wird aus Geist Bewegung, sodass ebenso Lähmungen bestimmter Glieder auftreten können, wenn das Gehirn verwundet oder gestaucht wird.


    Insofern ist es mehr als verständlich, dass wir mit dem Schädel einen höchst stabilen Knochen vor uns haben, der eine erstaunliche Kraft an Schlägen unbeschadet überstehen kann."
    Er lächelte und reichte die abgenommene Schädelplatte an die Studenten weiter, damit diese sie selbst erkunden konnten.


    Bildquelle: Wikipedia
    Autor: Sklmsta




  • Auch Lucius war heute wieder mit von der Partie. Während die einzelnen Schritte der Therapie ihn weniger interessiert hatten - er war ja in erster Linie hier um zu lernen, wie man Menschen vernichtete, nicht wie man sie heilte - schien es heute interessant zu werden.


    Enttäuscht erfuhr er dann aber, dass sie zwar über Sektionen sprechen würden, aber diese nicht an Menschen durchführten. Umso mehr begannen seine Augen zu leuchten, als das Skelett unter der Decke auftauchte. So stürzte er auch begeistert vor, während viele Studenten eher etwas unsicher von ihren Plätzen aufstanden und sich um das Pult positionierten.


    Der Subpräfekt suchte sich den Platz gleich zur Linken des Philologen aus und bekam so als erster die Schädeldecke in die Hand. Interessiert befühlte er sie, strich die seltsame "Naht" auf ihr entlang und fragte sich, ob die Schädeldecke bei allen Menschen gleich aussah. Er hätte es ja schon herausfinden können - er hatte genügend Menschen in seinem Leben getötet, um zumindest eine kleine Kontrollgruppe skalpieren zu können...

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  • Unter dem Tuch befand sich ein menschliches Skelett. Chrysogona kannte dieses Skelett. Ihr Vater hatte es bereits früher zur Ausbildung seiner Schüler vorgezeigt. Chrysogona war noch ein junges Mädchen gewesen, fast ein Kind. Sie hatte sich vor dem Knochenmann gefürchtet, hatte Angst vor der Rache der Lemuren gehabt. Nun war sie erwachsen und eine erfahrene Praktikerin. Sie schätzte jetzt den Wert eines solchen Demonstrationsobjekt höher ein.


    Die Ausführungen des Lehrers boten ihr keine wirklichen Neuigkeiten, doch tat es gut, die Anatomie mal wieder so aus der Nähe betrachten und auch anfassen zu können. Als sie die Schädeldecke aus der Hand eines der anderen Studenten bekam, strich sie sanft fühlend über die Unebenheiten. Sie tastete die Suturen, die Vertiefung für die Falx cerebri und das Tentorium cerebelli. Ganz genau betrachtete sie die Rinnen, in denen die Gefäße der Hirnhäute ihre Bahnen zogen.

  • Herophilos von Samothrake

    http://www.imperiumromanum.net…/ava_galerie/Grieche1.jpg "Zweifellos fallen euch die Narben oder Risse auf der Hirnschale auf, die die einzelnen Partien den Schädels abgrenzen: Die große Fläche ist das Scheitelbein, davor das Stirnbein, links und rechts das Schläfenbein und hinten das Hinterhauptsbein.
    Auch im Gesicht gibt es einige separate Partien, die wir kennen sollten: Das Nasenbein, das relativ leicht bricht, wenn uns jemand auf die Nase schlägt, das Jochbein - um dieses zu brechen, muss schon brutalere Gewalt aufgewendet werden - und schließlich der Oberkiefer, in dem die Zähne sitzen. "

    Routiniert deutete er auf die jeweiligen Knochen, jeweils einen Augenblick darauf ruhend, um allen Studenten die Möglichkeit zu geben, sich die Stellen einzuprägen.
    "An ihm sind typische Bruchstellen nachzuweisen, nämlich direkt am oberen Ende des Schnurrbartes, dann zwischen den den Augenhöhlen und dem Ende der Zahnreihe, sowie ein wenig höher durch die Schläfenbeine."
    Auch dies zeigte er - allerdings diesmal an seinem eigenen Gesicht.
    "Um diese Brüche zu diagnostizieren, müssen wir den Kopf des Verletzten abtasten. Das Problem dabei sind häufig die Begleitverletzungen einer derartigen schweren Verwundung, also Prellungen, Blutergüsse und Schwellungen. Wir erkennen sie aber am durch vorsichtiges Bewegen des starren Oberkiefers - sollte sich ein Teil nämlich bewegen oder knirschen, können wir von einem Bruch ausgehen.


    Zur Prüfung setzen wir Daumen und Zeigefinger an die oberen Schneidezähne und rütteln vorsichtig an ihnen. Natürlich ist diese Bewegung sehr schmerzhaft für den Patienten, allerdings können wir dadurch mit der anderen Hand die typischen Bruchstellen abtasten - idealerweise wieder mit Daumen und Zeigefinger."
    Nach dieser Vorstellung des oberen Schädelbereichs fuhr Herophilos mit dem Unterkiefer fort, an dem er ebenfalls die deutlich häufigeren Frakturen erklärte. Schließlich kwar auch der Kopf abgehandelt und es ging zur Wirbelsäule.
    "Hippokrates lehrt uns: Die Wirbelsäule trägt Ursache und Wirkung in Eins" oder Erlanget Wissen über das Rückgrat, denn von diesem gehen viele Krankheiten aus. Ihm wollen wir uns also intensiv widmen.
    Tatsächlich begann der Philologe nun einen kleinen Vortrag über die Lage und Zusammensetzung dieses langen Knochengefüges, das wichtige Nerven schützte. Er erwähnte mögliche Verschiebungen von Wirbeln und die Therapie-Empfehlungen des Appolonius von Kitium. Zuletzt verwies er jedoch auf den nächsten Lehreinheit zum Thema Muskeln und Organe, ehe er sich den Knochen am Torso zuwandte - vor allem natürlich den Rippen und ihrer Funktion als Stütze der Lunge.


    So ging es immer weiter den gesamten Körper hinab. Am Ende hatte er ziemlich lange geredet und sah fragend in die Augen seiner sichtlich ermüdeten Schüler.
    "Noch Fragen? Sonst sehen wir uns morgen zur nächsten Sitzung."

    Sim-Off:

    Ich erspare mir und uns eine intensive Würdigung jedes einzelnen Knochens und Organs - wir wollen ja keine SimOff-Ärzte werden ;)




  • Herophilos von Samothrake

    http://www.imperiumromanum.net…/ava_galerie/Grieche1.jpg Der Folgetag lag wieder etwas unter einer weißen Decke auf dem Pult. Der Philologe bat die Studenten auch direkt, nicht im Auditorium Platz nehmen, sondern vorn stehen zu bleiben. Auch diesmal schien er etwas aufgeregt, als er schließlich begann:
    "Geschätzte Akroatoi,
    nachdem wir gestern die Mauern des Hauses des menschlichen Körpers erkundet haben, wollen wir heute mit der Einrichtung, den Fensterscheiben und Dachziegeln fortfahren. Der Körper ist ein unendlich komplexer Mechanismus, in dem die Säfte fließen - wir sprachen davon - aber auch eine Mechanik am Werk sind, deren Funktionsweise sehr ähnlich den Dingen ist, die wir von den Berechnungen des Aristoteles und anderer Physiker kennen.


    Um diese Mechanik zu erkunden, müssen wir den menschlichen Körper untersuchen - aber nicht nur äußerlich, sondern auch sein Inneres. Nur, wenn wir die Dinge unter der Oberfläche intensiv betrachten - die Muskeln, die Organe, die Adern - werden wir verstehen lernen, wie der Mensch funktioniert. Da es jedoch im Imperium nicht mehr gestattet ist, menschliche Leichname zu sezieren."
    Herophilos' Miene zeigte, dass er diese Entscheidung nicht gerade unterstützte.
    "Für den Iatros, der keine Tiere, sondern Menschen heilen möchte, ist es dennoch von größter Wichtigkeit, das Objekt seiner Kunst genau zu kennen. Wir müssen uns bei der Untersuchung deshalb afu die Analogien aus dem Tierreich verlassen."

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    Er zog die Decke beiseite. Darunter lag auf dem Rücken ein Berberaffe, ausgestreckt wie ein Mensch*. Sein Fell war nass und tropfte ein wenig.
    "Dies ist ein Berberaffe, die geeignetste Spezies unter den Tieren für analogisierende Sektionen. Je ähnlicher uns ein Tier nämlich ist, desto ähnlicher werden seine Organe sein - ein Affe also besser als ein Pferd, ein aufrecht gehender Affe besser als ein solcher auf allen Vieren. Die Schädelform dieses Exemplars kommt schließlich ebenfalls besonders gut in die Richtung eines Menschen, sodass wir hier von größter Ähnlichkeit ausgehen können.
    Es gibt zwei Möglichkeiten des Sezierens: Einmal an toten Objekten wie hier - am klügsten ist es, den Affen zu ertränken, damit er möglichst wenige Verletzungen aufweist, und ihn möglichst frisch zu benutzen, ehe sein Blut absinkt oder ähnliches. Zum anderen kann auch an lebenden Affen die Funktionsweise der Körpermechanik im Gebrauch studiert werden. Sobald der Körper stirbt, beginnen nämlich Prozesse der Zersetzung im Körper. Ohne die Kraft des Geistes erstarren die Muskeln und erschlaffen schließlic für immer, das Blut sinkt ab, es bilden sich Gase. All das lässt die Mechanik unter Umständen anders erscheinen, als sie sich eigentlich verhält. Darüber hinaus können bestimmte Zusammenhänge - etwa die Steuerungsfunktion der Nerven und des Gehirns - nur am lebenden Objekt studiert werden. Da weder Tiere, noch Menschen sich aber höchst ungern sezieren lassen, wollen wir für den Anfang mit einem toten Tier beginnen."

    Neben dem Affen lag ein Ledermäppchen, das Herophilos nun aufrollte. Darin befanden sich verschiedene Messer, Skalpelle und Haken. Dann hob er den linken Arm des Affen an, der offenbar rasiert worden war.
    "Vor dem Aufschneiden eines Affen ist es sinnvoll, die Haare zu entfernen - das verschafft einfach mehr Überblick, dazu ist das Fell für unsere Zwecke unerheblich. Das Entfernen der Haut sollte dagegen durch den Arzt selbst vorgenommen werden, denn manche Dinge liegen direkt unter der Haut und können nur dann Beachtung finden, wenn der Forscher selbst mit ihnen konfrontiert war.
    Ebenso ist es von Bedeutung, nach Möglichkeit stets mit den Muskelfasern zu schneiden und ein Durchtrennen der Fasern zu vermeiden - unter Umständen kann dieses Kappen nämlich die Funktion des Muskels zerstören, sodass sie später nicht mehr nachzuvollziehen ist. Grundsätzlich ist es insofern klug, zuerst theoretische anatomische Schriften zu studieren, ehe man sich selbst an das Objekt macht.
    Unter diesen Maximen wollen wir also mit der Hand beginnen - ein höchst komplexes System, doch bietet es einige grundlegende Einsichten, die uns später zugute kommen werden. Zuerst also die Haut."

    Herophilos griff nach einem Skalpell und begann zu schneiden. Vorsichtig setzte er einen Schnitt quer über den Unterarm und begann dann, Stück für Stück die Haut vom Knochen zu trennen. Natürlich kam rasch Blut zum Vorschein - der Affe war ja frisch ertränkt, aber hatte zumindest keinen Puls - doch davon ließ der Philologe sich ebensowenig beeindrucken wir von dem gelegentlichen Zucken der Muskeln.
    "Da unser Affe sehr frisch ist, funktionieren die Nerven teils noch. Das Zucken ist also kein Grund zur Annahme, er lebe noch - es sind lediglich die Rückstände von Leben im Körper."
    Nachdem der Unterarm freigelegt war, reichte ein Gnorimos einen Tupfer, mit dem das Blut ein wenig abgetupft wurde, bis die Muskeln deutlich sichtbar wurden.
    Der erste Muskel an der Oberfläche des mittleren Unterarms (palmaris longus). Davon später mehr. Es werden auch Bänder sichtbar, die über den Gelenken liegen, beide innen und außen am Glied. Unter ihnen liegen die Sehnenköpfe - innen die, die die Finger beugen, außen diejenigen, die sie strecken."
    Geübt hielt er den Arm hoch und deutete an die entsprechenden Stellen. Als er die Sehnenköpfe erwähnte, drückte er auf die noch unsichtbaren Stellen, was tatsächlich zu einer Reaktion der sonst schlaff hängenden Finger führte.
    "Auf jeder Seite der Bänder auf der inneren Seite des Arms ist ein Muskel. Der, der das Gelenk beugt, liegt in einer Linie mit dem kleinen Finger, der andere mit dem Zeigefinger. Außen liegt ein einzelner Muskel im Unterarm, der das Gelenk streckt sowie zwei, die das Gelenk bewegen. Der letztere bewegt auch den Daumen. Die Sehnen all dieser Muskeln an der Außenseite, die erwähnt wurden, haben Bänder quer um sie herum.


    Es gibt auch einen Muskel, der von der Speiche herabkommt und hier nicht unter der Sehne endet wie die bisher erwähnten, sondern in einer Art Membran. Dadurch wird dieser Teil gebeugt. Kein netzartiges Band umgibt diesen Muskel, kaum mehr als die Muskeln innen, die das Gelenk bewegen, aber er wird fleischig und membranös am unteren Ende der Speiche und geht nach innen zum Gelenk. Man könnte das faserige Ende Muskel-Sehne nennen (Hymenode tenonta). Dieser Muskel hat eine Mittelposition, da er wieder zu den Muskeln außerhalb des Glieds, noch zu denen innerhalb gehört, wenn die Hand in ihrer natürlichen Position ruht, da er auf dem gesamten Glied und der Speiche ruht. Da Anatomen die Teile des Unterarms in "innere" und "äußere" Region unterteilen, müssen wir ihrem Beispiel folgen. Dieser Muskel sollte zu den äußeren Muskeln gezählt werden.


    Ein weiterer Muskel im Unterarm hat eine ungewöhnliche Funktion außer an der Wade. Er ist auf der Oberfläche innerhalb der Hand unter der Haut, zwischen Elle und Speiche. Er endet in einer flachen Sehne, die sich unter der weichen, haarlosen Partie der Hand ausbreitet. "
    Immer wieder zeigte der Philologe die erwähnten Zusammenhänge am Objekt, schnitt hier und da weiter voran, um die darunter liegenden Schichten zu zeigen.



    Bild: Wikimedia Commons
    Autor: Thomas Bresson
    * Man muss sich den Affen natürlich auf dem Rücken liegend denken.

    Sim-Off:

    Quelle der Vorlesung: Galenus: Über Anatomie





  • Die Vorlesung über die Knochen war schon ziemlich interessant - immer wieder bekam Lucius Hinweise, an welchen Stellen Knochen besonders leicht brachen und wo man hinschlagen musste, um am Nachhaltigsten Schäden zu verursachen. Immerhin hatte er schon so viel verstanden, dass Knochenbrüche zu den schwer zu heilenden Verwundungen zählten - je tiefer der Knochen, desto komplizierter die Heilung!


    Der nächste Tag war aber noch einmal sehr viel interessanter. Der junge Petronier spürte, wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten, als er den toten Affen sah. Er hatte gedacht, man hätte das stinkende Vieh abgewaschen, aber die Idee mit dem Ertränken war auch logisch - selbst beim Erdrosseln zerstörte man vermutlich Strukturen im Hals! Trotzdem war es natürlich schade, dass man keine Menschen auf dem Tisch liegen hatte - im Grunde war es ja wieder eine abergläubische Angst vor irgendwelchen Geistern, die dahinter steckte: Wenn man Epikur glauben konnte, zerfiel der Körper nach und nach, weil die Atome sich trennten - wieso sollten die Seelenatome noch irgendwelchen Einfluss ausüben? Und wenn man bedachte, was es nützen konnte, nicht an irgendwelchen Tieren, sondern am Original zu studieren... sicher gab es auch zwischen diesem haarigen Biest und einem Menschen Unterschiede!


    Dann folgte er genau den routinierten Handgriffen des Philologen, der die Haut so vorsichtig abzog, als könne sie jederzeit reißen - er wusste dagegen, dass man Haut auch mit roher Gewalt vom Fleisch bekam. Metzger machten das ständig an irgendwelchen Straßenständen. Aber andererseits war seine Aussage logisch - schon ein Schnitt in die Haut konnte ja höllisch wehtun und bluten, folglich mussten auch dort Adern und Pneuma fließen! Faszinierender als kleine Äderchen waren aber die Muskelstränge, die Lucius an die konturierten Rücken und Arme der Ruderer auf den Liburnen der Classis erinnerten. Der Subpräfekt selbst war kein Schwächling und wenn er anspannte, war auch einiges zu sehen. Deshalb beobachtete er nun vergleichend seinen eigenen Unterarm und tastete, ob er ähnliche Muskeln an den gezeigten Stellen hatte...

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  • Chrysogona war beeindruckt, als Herophilus das Tuch wegzog und ein noch sehr frisch wirkender Affe zum Vorschein kam, der als Objekt zur Sektion dienen sollte. Das war genau das, was sie sich erhofft hatte. Das Begutachten und Üben am mehr oder weniger lebenden Objekt, zumindest an einem echten Körper. Ein Affe war sicherlich ein gutes Studienobjekt.


    Gebannt verfolgte die Medica wie der Anatomielehrer die Haut öffnete und vorsichtig den ersten Muskel unter dem Unterhautfettgewebe freipräparierte. M. palmaris longus. Sie sah die Ligamente und die Sehnen, welche die Flexion und Extension der Finger steuerten. Faszinierend! Chrysogona folgte seinem Vortrag, sah die Bewegung, die auf den Druck auf das Sehnenköpfchen folgte und begutachtete die Querbänder um die Gelenke. Die Erklärungen über die Lage und Funktion der Handmuskeln machten nun besonderen Sinn, wo man den Ursprung und den Ansatz direkt sehen und damit die Funktion verstehen konnte. Sie erkannte die Palmaraponeurose und die Muskellogen in den Fächern des Carpaltunnels.


    Ein wenig scheu noch, doch getrieben von Neugier fragte sie.
    "Sag, darf ich dieses komplexe Gebilde einmal mit der Sonde berühren? Ich würde gerne sehen, wo die drei Nerven des Nervus Radialis, Nervus Medianus und Nervus Ulnaris durch den Carpaltunnes laufen. Kannst du das noch deutlicher zeigen?"

  • Herophilos von Samothrake

    http://www.imperiumromanum.net…/ava_galerie/Grieche1.jpg Obwohl Herophilos als Grieche andere Begriffe für die Nerven hatte, verstand er natürlich, worauf die Plinierin hinaus wollte. Damit auch die anderen Studenten etwas verstanden, erläuterte er kurz:
    "Zweifellos Der Ellennerv, der Speichennerv und der Mediannerv sind drei Nerven, die durch den ganzen Arm laufen. Ersterer ist quasi zu erspüren, wenn ihr am Ellbogen die Vertiefung zwischen den beiden Knochen ertastet. Der Nerv wandert jedoch den gesamten Arm entlang und passieren auch unsere Aufschnittstelle hier."
    Er nahm die Sonde zur Hand und deutete auf die entsprechenden weißlichen Kanäle zwischen den Muskeln.
    Dann griff er zum Skalpell und begann ein wenig an der Handwurzel des Affen zu schneiden. Dann schob er mit der Sonde den Palmaris longus ein wenig beiseite.
    "Bittesehr."
    erklärte er und bot Chrysogona mit einer Geste sein Mäppchen voller Sonden und Messern an.
    "Gern dürft ihr selbst die Muskeln und Nerven ertasten."




  • Beherzt griff Chrysogona nach einer der Sonden. Sie schob das Metallende unter die freipräparierte Sehne des Palmaris longus und schob sie dann bis zum Handgelenk des Affen vor. Mit einer Pinzette hielt sie sich schließlich die Sehne beiseite und beugte sich weit vor, um einen Blick auf die Logen zu werfen, in denen Muskeln, Sehnen, Nerven und Gefäße durch die Engstelle unter dem quer verlaufenden Band ihren Platz fanden.
    "Faszinierend!", staunte die Medica. "Ein Wunderwerk, der menschliche Körper. Beeindruckend!"


    Sie zog die Sonde wieder hervor und tippte von außen auf den noch unversehrten Teil des Handgelenks an der Kleinfingerseite. "Und hier befindet sich die Loge, in der der Ellennerv verläuft?"
    Fragend sah sie den Lehrer an. Ihre vielen Fragen würden ihm sicher bald lästig sein, doch Chrysogona wollte unbedingt die Gelegenheit nutzen, wenn sie schon einen direkten Blick unter die Haut haben konnte.
    Verstohlen sah sie auf den Kopf des Affen. Ob sie wohl auch noch den Schädel öffnen würden? Sie hatte noch nie gesehen, wie eine Trepanation vorgenommen wurde. Gelesen hatte sie davon und Geschichten gehört. Aber dieser diffizile Eingriff am Kopf erschien ihr ebenso erschreckend wie faszinierend.

  • Herophilos von Samothrake

    http://www.imperiumromanum.net…/ava_galerie/Grieche1.jpg Herophilos zeigte ein schmales Lächeln angesichts der Begeisterung der Studentin.
    "Korrekt."
    Er griff wieder nach dem Skalpell und begann, den Kleinfingerballen vorsichtig aufzuschneiden. Vorsichtig durchtrennte er das Dach der Loge und legte somit den Nerv frei. Leider war er dabei nicht vorsichtig genug und verletzte die direkt daneben laufende Ader - sofort lief ein wenig Blut heraus (natürlich nicht sehr viel, denn das Herz pumpte bei dem toten Affen nichts mehr nach).
    "Oh, wie ihr seht, befindet sich direkt neben dem Ellennerv eine Ader, durch die das Blut in die daumenabgewandte Seite der Hand gepumpt wird."




  • Chrysogona sah auf das Blut, das aus dem angeschnittenen Blutgefäß tropfte. Es war doch interessant zu sehen, dass dieses tote Wesen noch immer blutete. Die Medica wusste natürlich, dass den Körper bis in die Peripherie unzählige größere und kleinere Blutgefäße durchzogen, die untereinander korrespondierten. Für den Aderlass verwendete Chrysogona in der Regel eine Vene am Ellbogen und nicht an der Hand. Aus diesem Grund sah sie genau hin, wo dieses Gefäß lag und ob es sich nicht auch für einen Aderlasse eignen könnte.
    "Wir nehmen ja in der Regel ein Blutgefäß an der Ellbeuge oder am Unterschenkel für den Aderlass. Verbietet die Nähe des ellenseitigen Nerven den Aderlass am Handgelenk? Wäre die Gefahr zu groß, diesen zu verletzen oder warum nehmen wir nicht einfach diese Stelle um die schlechten Säfte abzuleiten?"
    Die Längsfalten auf ihrer Nasenwurzel deuteten an, dass Chrysogona intensiv grübelte und nach einer Lösung für ein Problem suchte.

  • Herophilos von Samothrake

    http://www.imperiumromanum.net…/ava_galerie/Grieche1.jpg Der Philologe legte die Stirn in Falten - er war kein Experte für Aderlass und betrachtete den menschlichen Körper oft etwas isoliert aus der Perspektive des Anatomen. Er musste kurz überlegen, ehe er antwortete:
    "Nun, die Stelle des Aderlasses hängt ja vor allem auch damit zusammen, dass bestimmte Stellen am Körper Verbindungen zu bestimmten Organen und Säften haben - je nach dem, wo wir den Aderlass ansetzen, wirken wir damit ja nicht nur auf die Blutmenge, sondern auch die Produktion der anderen Säfte ein. Insofern gibt es hunderte Stellen am Körper, an denen wir-"
    Er rieb sich nachdenklich die Stirn.
    "Am Handgelenk ist mir auf die Schnelle keine Stelle für den Aderlass ein. Allerdings sprichst du einen wichtigen Punkt an: Abseits aller Beachtung von Mikrokosmos und Makrokosmus und organischer Zusammenhänge müssen wir immer auch die Anatomie beachten: Es mag probat sein, über die Venen am Handgelenk die Produktion der Säfte zu beeinflussen - wenn wir dabei den Nerv beschädigen, kann dies zu einer Lähmung von Teilen der Hand führen! Auch deshalb ist Anatomie für jeden Arzt von zentraler Bedeutung!"




  • Aderlass - eine Sache, die Lucius noch nie so 100% verstanden hatte, obwohl er auch als Kind öfter etwas Blut hatte spenden müssen, wenn er krank war. Damals hatte er sich vorgenommen, diesem verdammten Quacksalber eines Tages selbst so lange zur Ader zu lassen, bis er leer war - wie viel wohl aus so einem Menschen herauskam? Wenn er bedachte, wie blutig so ein Schlachtfeld werden konnte - oder was für eine Sauerei Caius damals angerichtet hatte - offensichtlich eine ganze Menge!

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  • Herophilos von Samothrake

    http://www.imperiumromanum.net…/ava_galerie/Grieche1.jpg Die Anatomie-Demostrationen gingen voran. Nach den ersten Stunden wurde die Hand in aller Ausführlichkeit analysiert, Herophilos zeigte jeden Muskel, jede Sehne und die wichtigsten Adern und Nerven, die sie antrieben. Als nächstes war das Bein an der Reihe - mit besonderer Betrachtung des Kniegelenks - und schließlich der Kopf. Natürlich erinnerte sich der Philologe an die Bitte der Studentin aus Kos, dass sie hier etwas über Operationen lernen wollte. Deshalb hatte er beschlossen, die Schädeldecke (wie bei seinem Skelett) nicht einfach aufzusägen, sondern zuerst eine komplizierte Operation - die Trepanation - am toten Beispiel zu demonstrieren.
    "Die Trepanation ist eine komplizierte Angelegenheit, denn wie ich bereits erwähnte, ist das Gehirn ein zentrales Organ. Dort wird nicht nur das Phlegma als einer der vier Säfte produziert, sondern auch das pneuma psychikon, das unser Bewusstsein und jede Handlung steuert. Wie genau dies funktioniert, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen - was man schon daran erkennt, dass manche medizinischen Schulen behaupten, dass das Pneuma an anderen Stellen im Körper entsteht und selbst um die Bahnen, in denen es durch den Körper fließt, gestritten wird.
    Unsere Augen sind zu schwach, um die zweifellos in den Organen geschehenden winzigen Prozesse zu beobachten, dazu ist es kaum möglich, ihre Arbeit beim lebenden Menschen zu beobachten. Zwar konnten einige große Anatomen durch ihre langjährige Praxis - etwa bei der Behandlung von Menschen mit Schädelverletzungen - einige Erkenntnisse darüber gewinnen, welche Teile für welche Dinge zuständig sind, aber verbietet es natürlich die Ethik, dies empirisch zu prüfen, denn dazu müsste man ja einen lebenden Menschen gezielt und in aller Regel dauerhaft am Gehirn verletzen. Dazu ließe sich das Resultat nur dann erkennen, wenn der Mensch dabei nicht stirbt - etwas, das nicht einmal mit Sklaven vertretbar erscheint."

    Es ließ sich nicht recht erkennen, ob Herophilos das bedauerte oder der Gedanke bei ihm Abscheu erregte. Auf jeden Fall machte er eine kurze Pause, ehe er fortfuhr:
    "Ich werde euch heute eine Trepanation demonstrieren, die vor allem dann angewandt wird, wenn sich Anzeichen für eine Blutung oder Schwellung im Gehirn zeigen. Durch das Öffnen der Schädeldecke lässt sich Druck abbauen. Ganz praktisch ist es aber auch bei einer Schädelverletzung nötig, Knochensplitter, Pfeilspitzen oder ähnliches zu entfernen. Wichtig ist dabei, den Knochen so wenig wie möglich zu beschädigen, denn er schützt das Gehirn auf natürliche Weise und besser als jede künstliche Schutzvorrichtung, zumal größere Operationen immer die Gefahr von Entzündungen mit sich bringen, die besonders im Kopfbereich überaus gefährlich und nicht selten tödlich sind.
    Deshalb haben Chirurgen verschiedene Arten von Bohrern und Sägen entwickelt, um minimalinvasiv - also mit möglichst geringem Schaden - die Schädeldecke zu durchdringen."

    Er holte aus seinem Mäppchen einen Bogen und eine Art Metallzylinder mit gezacktem Rand.
    "Dies ist ein sogenannter Krontrepan, ein Bohrer. Durch rotierende Bewegungen fräßt er sich in den Knochen und schafft ein rundes Stück, das herausgehoben werden kann.


    Bevor wir jedoch ansetzen, wollen wir hören, was Hippokrates uns zur Trepanation empfiehlt:"
    Er legte den Bohrer wieder ab und der Gnorimos reichte ihm eine Schriftrolle, die Herophilos neben dem Affenleichnam ablegte und dann zu lesen begann:
    "Zur Trepanation: wenn sich die Notwendigkeit ergibt, einen Patienten zu trepanieren, muss man über folgendes Bescheid wissen: Wenn du die Behandlung von Anfang an übernommen hast und trepanierst, darfst du den Knochen nicht sofort bis auf die Hirnhaut heraussägen. Denn es ist nicht zuträglich für die Hirnhaut, wenn sie vom Knochen entblößt und lange Zeit Schädigungen ausgesetzt ist; sonst wird sie schließlich schwammig. Es besteht die weitere Gefahr, dass du mit dem Trepan die Hirnhaut während der Operation verletzest, falls du sofort den Knochen bis auf die Hirnhaut aussägst und abhebst. Sondern man muss beim Trepanieren, sobald nur noch wenig durchgesägt werden müsste und der Knochen sich schon bewegen lässt, mit Sägen einhalten und den Knochen von selbst sich loslösen lassen. Denn in dem angesägten Knochen, soweit er von der Trepanation noch nicht erfasst ist, könnte wohl kaum ein Schaden entstehen; denn der übrig bleibende Teil ist schon dünn. Im Übrigen aber muss man behandeln, wie es für die Wunde am besten ist.
    Während der Operation muss man den Trepan wegen der Erwärmung des Knochens oft herausnehmen und ihn in kaltes Wasser tauchen. Denn wenn sich der Trepan bei der Rotation erhitzt, verbrennt er den Knochen, indem er ihn erhitzt und austrocknet, und das führt dazu, dass in der Umgebung ein größerer Teil des Knochens abstirbt, als hätte absterben dürfen. Und wenn du sogleich bis auf die Hirnhaut durchsägen und dann den Knochen abheben willst, musst Du den Trepan gleichfalls häufig herausnehmen und in kaltem Wasser abkühlen.
    Falls du die Behandlung aber nicht von Anfang an übernimmst, sondern den Patienten von einem andern Arzte übernimmst- spät für die Behandlung!- muss man mit einem gezähnten Trepan den Knochen sofort bis auf die Hirnhaut aussägen, den Trepan häufig herausnehmen und ringsum entlang dem Weg des Trepans untersuchen, mit und ohne Sonde. Denn der Knochen wird viel schneller durchgesägt, wenn du einen Knochen mit Eiter darunter oder darin anbohrst, und oft kommt es vor, dass der Knochen nur noch dünn ist, zumal wenn die Verletzung an einer Stelle des Schädels ist, wo dieser eher dünn ist als dick. Du musst auf der Hut sein vor jeder Unachtsamkeit beim Ansetzen des Trepans und immer dort den Trepan ansetzen, wo der Knochen am dicksten zu sein scheint, indem du häufig nachprüfst, und indem man den Knochen hin und her bewegt, muss man versuchen, ihn abzuheben, und nachdem man ihn entfernt hat, muss man im weitern so behandeln, wie es für die Verletzung am besten ist, indem man die Entwicklung im Auge behält.
    Und wenn du, den Fall von Anfang an behandelnd, sogleich heraussägen und den Knochen von der Hirnhaut abheben willst, musst du in gleicher Weise häufig mit der Sonde den Gang des rotierenden Trepans nachprüfen und den Trepan immer an der dicksten Stelle des Knochens ansetzen und den Knochen hin und herbewegen, um ihn abzuheben. Wenn Du eine Perforativtrepan verwendest, musst Du nicht bis auf die Hirnhaut vordringen, falls du einen Patienten trepanierst, dessen Behandlung du von Anfang an übernommen hast, sondern du musst eine dünne Lamelle des Knochens belassen, wie es in der Anleitung zum Trepanieren geschrieben steht.
    "

    Er deutete auf eine Wasserschale, die auf der anderen Seite des Kopfes des Affen stand.
    "Wir müssen uns also vorbereiten, ehe wir zur Tat schreiten. Wobei diese Operation niemals von unerfahrenen Ärzten gemacht werden darf. Man sollte zuvor mindestens einmal eine echte derartige Operation beobachtet haben, ehe man sie selbst durchführt. Außerdem darf sie nur dann zur Anwendung kommen, wenn keine andere Möglichkeit besteht, das Leben des Patienten zu retten."
    Nun endlich griff er nach dem Skalpll und begann, die Haut des Affen am rasierten Schädel aufzuschneiden. Er kam nicht sehr tief hinein, denn wie beim Menschen war der Schädel ziemlich dicht unter der Oberfläche. Dann klappte er die Haut beiseite und griff nach dem Bohrer.
    "Wer hat aufgepasst? Wo muss ich ihn ansetzen?"




  • Schon früh war Chrysogona zur Anatomiestunde erschienen. Sie lauschte den Ausführungen. So richtig hellhörig aber wurde sie erst als der Anatom sich dem Kopf des Affen zuwandte. Nun griff er nach einem Mäppchen und holte ein Trepan hervor. Chrysogonas Augen leuchteten auf, als Herophilos von Samothrake erklärte, eine Trepanation durchführen zu wollen. Er zitierte Hippokrates. Die Medica aus Kos kannte die Zeilen aus dem Werk des Altmeisters. Doch bislang hatte sie noch keiner Trepanation beigewohnt.
    Der Anatom öffnete die Haut über der Schädelkalotte. Die folgende Frage beantwortete sie prompt.
    "Nun, da unser Affe ja keine Verletzung vorweist, können wir nicht an dieser Stelle öffnen. Hippokrates empfiehlt jedoch im Bereich der Verletzung die Stelle zu wählen an der der Knochen am dicksten ist. Man findet die Stelle, indem man den Knochen hin und herbewegt."

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