[Iatreion] Kurs: Medizin

  • Herophilos von Samothrake

    http://www.imperiumromanum.net…/ava_galerie/Grieche1.jpg "Sehr richtig, wir müssen die dickste Stelle suchen."
    Er betrachtete die Schädeldecke, die in diesem Fall natürlich unbeschädigt war.
    "Beim Affen ist die Schädelwand übrigens dünner als beim Menschen, aber auch hier sehen wir grob, dass der Hinterkopf ein wenig stärker ist als die obere Partie."
    Vorsichtig begann er nach der dicksten Stelle zu suchen und setzte schließlich den Bohrer an. Mit einem langen Bogen begann er, die Sägezähne in Bewegung zu setzen. Vorsichtig bohrte er, hielt jedoch immer wieder inne und tauchte den Trepan in die Wasserschüssel, um sie abzukühlen.
    "Es ist nie zu vergessen, die Säge abzukühlen - der Schädel, die Hirnhaut darunter und das Gehirn sind wie gesagt unglaublich empfindlich, auch gegen Temperaturen."
    So ging es fort, bis der Schädel beinahe durchbohrt war. Nun griff Herophilos nach einer Pinzette.
    "Wie Hippokrates schreibt, sollen wir den Knochen nicht ganz durchdringen, sondern das letzte Stück herausbrechen."
    Mit der Pinzette ging er in die Schnittkante seiner Bohrung und drückte ein wenig, bis man erkennen konnte, dass das kreisrunde Knochenstück sich bewegte. Nun wurde es mit einer größeren Pinzette herausgehoben. Darunter wurde eine weißliche Oberfläche sichtbar.
    "Hier sehen wir die Hirnhaut. Sie ist von Adern durchzogen und auch schmerzempfindlich. Das darunter liegende Gehirn dagegen nicht. An dieser Stelle könnten wir nun Projektile herausnehmen oder Blutstau ablassen. Um die Stelle wieder zu verschließen, würden wir nun eine Bronzeplatte einsetzen und die einzelnen Schichten wieder darüber decken in der Hoffnung, dass sie wieder festwachsen. Die Haut müsste selbstredend wieder zugenäht werden. Dann bleibt nur die Hoffnung: Nimmt der Körper die Platte an und wächst alles wieder ordentlich, überlebt der Patient. Geht es schief - und man weiß nicht, was im Einzelfall dazu führt, obwohl die Sauberkeit des Werkzeugs von großer Bedeutung ist - wird der Patient bleibende Schäden davon tragen oder im Zweifelsfall sterben."




  • Mit einer Mischung aus Faszination und deutlichem Unbehagen sah Chrysogona zu, wie der Anatom den Bohrer ansetzte. Doch Herophilos beherrschte sein Handwerk. Mit dem notwendigen Augenmaß und gebührender Vorsicht ließ er das Trepan durch den Schädelknochen gleiten. Wieder und wieder gekühlt kam er schließlich zu dem Punkt wo der Rest mit manuellem Geschick erfolgen musste. Die Medica aus Kos hätte zu gerne selbst gespürt wie es sich anfühlte, wenn sich der letzte Knochenrest löste und man ihn mit der Pinzette abheben konnte.


    Ein Raunen ging durch das Auditorium als die Hirnhäute sichtbar wurden. Dura mater, Pia mater und Arachnoidea rekapitulierte Chrysogona das Gelernte. Nun konnte sie diese empfindlichen Umhüllungen des Gehirns zum ersten Mal sehen. Sie ging leicht auf die Zehenspitzen und beugte sich vor, um noch besseren Einblick in das Trepanationsloch zu bekommen. Dabei lauschte sie den Ausführungen des Mannes aus Samothrake. Eine Stelle jedoch ließ sie stutzen.
    "Du verwendest Bronze? Mein Vater sprach von Argentum - also Silber - und verwendete laut seiner Schilderung eine Münze, wenn ich mich nicht irre. Er schrieb diesem Metall besondere heilungsfördernde Wirkung zu."

  • Herophilos von Samothrake

    http://www.imperiumromanum.net…/ava_galerie/Grieche1.jpg Herophilos mochte es nicht sehr, wenn er von seinen Studenten korrigiert wurde - immerhin war er hier der Experte! Daran änderte auch nichts, dass diese Studentin scheinbar schon seit acht Jahren als Ärztin tätig war (und trotzdem einen Einführungskurs in Medizin besuchte) und dass ihr Vater offenbar auch chirurgisch tätig gewesen war.
    "Da streiten die Gelehrten. Ich verwende Bronze - mit Münzen habe ich schlechte Erfahrungen gemacht. Aber wie wir schon gelernt haben, gibt es in unserer Wissenschaft immer wieder divergierende Meinungen."




  • Chrysogona errötete, blickte zu Boden und schwieg. Sie merkte, dass sie den Anatom verärgert hatte. Nach einer Weile jedoch hob sie den Blick wieder um seinen Ausführungen und der Demonstration weiter zu folgen. Es war doch eine so sensationelle Gelegenheit. Die durfte sie nicht ungenutzt verstreichen lassen.

  • Herophilos von Samothrake

    http://www.imperiumromanum.net…/ava_galerie/Grieche1.jpg Die anatomische Vorlesung ging voran: Nach dem Kopf war der Torso an der Reihe, der ähnlich wie der Kopf einige Besonderheiten bot - die inneren Organe. Vermutlich hatte jeder der Studenten schon einmal gesehen, wie Opferhelfer einen Stier oder ein Schaf ausnahmen, um die Vitalia zu prüfen. Herophilos ging aber natürlich weitaus vorsichtiger vor und ließ es auch nicht aus darauf hinzuweisen, dass eine Leberschau, bei der die Organe so grob entnommen wurden, wie es in den Tempeln üblich war, die Hälfte der Fehler und Missbildungen an der Leber überhaupt nicht mehr nachvollziehbar machten.


    Zum Abschluss der Vorlesung kam aber auch der Philologe noch auf übernatürliche - oder besser: überweltliche - Themen zu sprechen:
    "Nachdem wir nun die körperinneren Grundlagen betrachtet haben, die es als Iatros zu beachten gibt, wollen wir zuletzt noch einen kleinen Seitenblick auf die körperäußeren Faktoren werfen, die medizinische Eingriffe bestimmen:
    Ich meine natürlich die Iatromathematik, also die Bedeutung der Sternenkonstellationen für den Arzt. Denn wie der Mond das Meer bewegt, so bewegen auch die Sterne den menschlichen Organismus. Dabei entsprechen bestimmte Planeten bestimmten Funktionen des Körpers:
    Saturn steht für das Skelett
    Mars steht für die Muskeln
    Merkur für die Verdauung, die Atemwege und Nerven
    Iuppiter für die Ausscheidungen
    die Sonne für die Blutbahnen
    der Mond für die Lymphe und das Geschlecht


    Ebenso können bestimmte Körperpartien einzelnen Tierkreiszeichen und Planeten zugeordnet werden:
    Widder: Kopf
    Stier: Mund, Schlund und Speiseröhre, Hals und Nacken
    Zwillinge: Luftröhre und Lunge, Arme und Hände
    Krebs: Busen, Magen und Bauch
    Löwe: Herz, Blutkreislauf
    Jungfrau: Dünndarm
    Waage: Lendenregion, Nieren, Blase, Haut als Kontaktorgan
    Skorpion: Geschlechtsorgane, Dickdarm, Mastdarm
    Schütze: Hüft- und Oberschenkelregion, Leber
    Steinbock: Knochengerüst und Knie
    Wassermann: Unterschenkel, Knöchel
    Fische: Füße


    Diese Zuordnungen sind zu beachten, wenn es an Therapien geht. So ist ein Aderlass an den Gliedern nicht geraten, in deren Tierkreiszeichen der Mond sich aufhält. Ebenso sind vor chirurgischen Eingriffen die Planetenkonstellationen zu beachten."




  • Lucius wurde das Aufschneiden nie langweilig - Stunde für Stunde war er begeistert dabei, wenn Herophilos den Affen zerlegte, Muskeln sezierte und Organe freilegte. Jede Gelegenheit nutzte er, um selbst im Fleisch dieses Tieres zu bohren und dabei darüber nachzudenken, ob es wesentlich anders war als mit dem Schwert in einen Menschen zu stechen. Abgesehen davon war es faszinierend zu sehen, wie die Muskeln zusammenarbeiteten, wie die Nerven und Adern den gesamten Körper durchzogen und, wie der Philologe immer wieder bemerkte, doch wunderbar zusammen gesteuert wurden, wie es keine Maschine des Imperiums konnte.
    Und immer wieder kam ihm der Gedanke, dass es doch sehr viel logischer wäre, die Funktion der menschlichen Organe und Muskeln an lebenden Menschen zu erproben - es gab ja genügend Abschaum, dessen Leben man dadurch überhaupt erst Sinn verschaffen würde, wenn man ihn auf dem Altar der Wissenschaft opferte! Ein Mensch kostete ja auch nur ein paar hundert Sesterzen - warum also nicht Sklaven sezieren? Aber natürlich gab es analog zur Angst vor den Göttern auch eine Scheu davor, Menschen zu töten - zumindest bei anderen!


    Zum Abschluss kamen sie auf die Planeten zu sprechen. Der Petronier hatte bereits bei seiner Recherche für die Strafarbeit des Präfekten etwas davon gelesen und horchte auf - die Planeten beeinflussten also den menschlichen Organismus! Es kam ihm zwar einerseits unlogisch vor, dass etwas so weit entferntes wie die Planeten tatsächlich so großen Einfluss ausübten, andererseits stimmte es - sie brachten ja auch Licht, die Sonne hatte ihm am Anfang auch mehrmals das Gesicht verbrannt! Insofern war es zumindest nicht ganz irrational anzunehmen, dass sie auch auf restlichen menschlichen Organismus wirkten. Außerdem behauptete das hier ja nicht irgendein abergläubischer Priester, sondern ein vernünftiger Wissenschaftler!

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    Klient - Herius Claudius Menecrates

    DECURIO - MOGONTIACUM

    MUNICEPS - MOGONTIACUM

  • Herophilos von Samothrake

    http://www.imperiumromanum.net…/ava_galerie/Grieche1.jpg

    https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/7b/Bloodletting.jpg

    Der Philologe ging noch auf einige Einzelheiten ein, erklärte die Zusammenhänge von Geburtshoroskopen und persönlicher Veranlagung, zeigte eine große Tafel mit dem Aderlassmännchen, an dem er exemplarisch verschiedene Aderlasspunkte anzeigte und erklärte, unter welchen Tierkreiszeichen man welche von ihnen benutzte, um das Säftegleichgewicht in die entsprechende Richtung zu verschieben.


    Schließlich erklärte er:
    "Hier sehen wir also, wie die verschiedenen Aspekte der Heilkunst zusammenfließen: Beim Aderlass muss ich einerseits die menschliche Anatomie kennen, um die richtigen Adern zu treffen und keine Organe zu verletzen. Ich muss wissen, muss natürlich die Humoralpathologie kennen, um zu wissen, was ich erreichen will, aber auch die Iatromathematik, um die richtigen Zeitpunkte für die richtigen Stellen zu bestimmen.


    Dies zeigt exemplarisch, wie komplex und wie zusammenhängend zugleich unsere Wissenschaft ist. Dieser Kurs kann somit nur einen kleinen Einblick geben, kann Themen anreißen und exemplarisch abhandeln. Um es aber zu Meistern der Heilkunde zu bringen, werdet ihr viele Jahre des Studiums und vor allem der Praxis benötigen. Erst wenn ihr viele Male bei einer Operation zugesehen und assistiert habt, werdet ihr erkennen, dass der konkrete Körper des Patienten zwar niemals genau so aussieht, wie ihr es gelernt habt, aber doch ein Gefühl dafür entwickeln, wo was zu erwarten ist. Ihr werdet mindestens ebenso viele eigene Einsätze als Chirurg benötigen, um eine Technik sicher zu beherrschen und hunderte von ihnen, um einen Eingriff wirklich meisterhaft vornehmen zu können. Dazu wird es stets notwendig sein, sich durch theoretisches Studium weiterzubilden, die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft einzubeziehen und so immer weiter zu reifen.


    Und wer weiß? Vielleicht werdet ihr am Ende eines Tages selbst hier vorn am Rednerpult stehen, und einer neuen Generation von Iatroi die Grundlagen der Heilkunst lehren, so wie ich es bis heute mit euch getan habe. Ich danke euch für die Teilnahme!"
    Mit einem Lächeln blickte er in die Runde, die nun zu applaudieren begann. Inmitten des Geklatsche und dem aufkommenden Stimmengewirr der Akroatoi, die sich nun von den Stufen erhoben, um den Hörsaal zu verlassen, hob Herophilos noch einmal den Finger und ließ die Menge verstummen:
    "Die Durchführung der Prüfung und die Verkündigung der Prüfungsergebnisse wird übrigens der Gnorimus übernehmen!"
    Ein Seufzen ging durch die Reihen - die lange und detaillierte Vorlesung würde sicherlich eine schwierige Prüfung nach sich ziehen!


    Bildquelle: Wikimedia
    Autor: Hans von Gersdorff




  • Zitat

    Original von Herophilos: Ich meine natürlich die Iatromathematik, also die Bedeutung der Sternenkonstellationen für den Arzt. Denn wie der Mond das Meer bewegt, so bewegen auch die Sterne den menschlichen Organismus. Dabei entsprechen bestimmte Planeten bestimmten Funktionen des Körpers: Saturn steht für das Skelett Mars steht für die Muskeln Merkur für die Verdauung, die Atemwege und Nerven Iuppiter für die Ausscheidungen die Sonne für die Blutbahnen der Mond für die Lymphe und das Geschlecht Ebenso können bestimmte Körperpartien einzelnen Tierkreiszeichen und Planeten zugeordnet werden: Widder: Kopf Stier: Mund, Schlund und Speiseröhre, Hals und Nacken Zwillinge: Luftröhre und Lunge, Arme und Hände Krebs: Busen, Magen und Bauch Löwe: Herz, Blutkreislauf Jungfrau: Dünndarm Waage: Lendenregion, Nieren, Blase, Haut als Kontaktorgan Skorpion: Geschlechtsorgane, Dickdarm, Mastdarm Schütze: Hüft- und Oberschenkelregion, Leber Steinbock: Knochengerüst und Knie Wassermann: Unterschenkel, Knöchel Fische: Füße


    Fasziniert hörte Chrysogona zu, was der Dozent über die Astromedizin zu sagen hatte. Sie hatte bereits das ein oder ander zu dieser Medizintheorie gelesen und gehört, aber es faszinierte sie überaus und sie wollte gerne mehr erfahren. Eifrig schrieb Chrysogona mit. Sie nahm sich vor auch diese Vorgaben bei ihren zukünftigen Behandlungen zu berücksichtigen. Im Stillen hoffte Chrysogona, den Lehrmeister noch einmal persönlich zu diesem Fachgebiet konsultieren zu können. Die Griechin nahm sich vor, ihren Vater in der Sache einzuschalten. Seine guten Kontakte sollten es möglich machen, Herophilos von Samothrake womöglich zu einer Cena einzuladen, bei der man fachsimpeln konnte.


    Der Moment der letzten Vorlesung und des Abschieds nahte. Chrysogona war froh und dankbar, dass sie den weiten Weg aus Rom nach Alexandria gemacht hatte. Herophilos von Samothrake war wirklich ein herausragender Lehrmeister. Sie applaudierte begeistert. Als alle Akroatoi den Hörsaal verlassen hatten, trat sie an den Anatom heran und dankte ihm persönlich.
    "Vielen Dank, hochvererhrter Herophilos, deine Vorlesung und vor allem die Sektion haben mir viele neue Erkenntnisse beschert. Ich danke dir für diese Erweiterung meines Horizonts. Asklepios hat dich wahrlich gesegnet. Möge er dir auch in Zukunft gewogen. Vielleicht sieht man sich einmal wieder? Es würde mich sehr freuen."

  • Herophilos von Samothrake

    http://www.imperiumromanum.net…/ava_galerie/Grieche1.jpg Der Philologe packte seine Sachen zusammen, während sich die Studenten auf den Weg nach draußen machten. Die Plinierin kam aber noch einmal zu ihm und bedankte sich persönlich. Geschmeichelt lächelte Herophilos.
    "Die Freude wäre ganz auf meiner Seite, Plinia."
    Er hatte inzwischen herausgefunden, wer die wissbegierige Schülerin war und wohin sie einzuordnen war:
    "Richte auch deinem Vater meine besten Grüße aus!"




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