Nachdem die Getreideflotte in Alexandria aufgebrochen war und ein wenig Distanz zu den Untiefen der Küste gewonnen hatte, hatten die mächtigen Frachter ihre Segel gesetzt und sich den Westwind im südlichen Mare Nostrum zunutze gemacht und waren in die Levante gesegelt. Damit begann für den Subpräfekten - hoffentlich zum letzten Mal - die langweilige und unangenehme Zeit der Schiffsfahrerei. Auf hoher See war der Seegang immer etwas härter, sodass es auch wieder nicht lange dauerte, bis auch wieder die vertraute Übelkeit zurück war, die er trotz jahrelangen Flottendienstes nicht abgelegt hatte - immer, wenn das Deck ein wenig stärker zu schwanken begann, drehte sich sein Magen um und er musste sich in seiner Kajüte verstecken. Das ärgerte ihn zum einen wegen des unangenehmen Gefühls - wer kotzte schon gerne? - vor allem aber, weil er scheinbar der einzige war, dem es so ging. Am Anfang seiner Dienstzeit in Alexandria hatten die anderen noch versucht, ihn zu trösten - angeblich ging diese Seekrankheit irgendwann vorbei. Bei Lucius war das allerdings bis heute nicht passiert, sodass er bei seiner großen Überfahrt wieder immer ein bisschen blass um die Nasenspitze war.
Immerhin trat auch hier Gewöhnung ein - "Was schmerzt, spürt man nicht ununterbrochen im Fleisch; vielmehr ist der größte Schmerz nur von kurzer Dauer" hatte Epikur dazu wohl gesagt. Komisch, dass er sich manchmal noch immer an den genauen Wortlaut dieser Lehrsätze erinnerte - er hatte es gehasst, sie auswendig zu lernen und angenommen, dass er sie sofort vergessen würde. Aber gerade, wenn er Leerlauf hatte, dachte er spontan immer wieder an sie. Vor allem natürlich die, die sich auf seine Wissenschaftsphilosophie bezogen: "Wenn du irgendeine Wahrnehmung einfach verwirfst und nicht unterscheidest zwischen der Vermutung, die noch auf Bestätigung wartet, und dem, was bereits als Wahrnehmung und Empfindung und als ein umfassender, von einer Vorstellung geprägter Zugriff des Verstandes gegenwärtig ist, dann wirst du durch deine unbegründete Meinung auch die übrigen Wahrnehmungen durcheinander bringen und so jeden Beurteilungsmaßstab verlieren. Wenn du aber aufgrund von Mutmaßungen sogar das, was noch auf Bestätigung wartet, und was nicht, insgesamt für gewiss erklärst, wirst du dich unweigerlich einer Täuschung aussetzen; denn du wirst jeden Zweifel bei jedem Urteil über richtig und nicht richtig zwangsläufig gelten lassen."
Eine dieser seltsamen Wahrnehmungen war der Umstand, dass die Winde im Winter fast immer aus dem Westen kamen - warum das wohl so war?