Tribunal | Ruit rudis delictum

  • "Der Angeklagte Caius Minidius Scato!"
    , rief der Praeco (welcher selbstredend ein gewöhnlicher Legionarius war) an der Pforte und öffnete selbige. Hereingeführt wurde, geleitet durch einen Wächter, besagter Beklagter, ein großer, muskulöser Mann mit schwerem Schritt, welcher vor den Augen des Tribuns, der am Ende der Schola auf einem erhöhten Tribunal Platz genommen hatte, zu einem Schemen verschwamm, der kaum von seinem Wächter zu differenzieren war. Er war heute als Iudex in einem Militärjustizverfahren eingeteilt worden, um den allzeitig okkupierten Legatus zu entlasten. Der Fall, welchen er zu verhandeln hatte, war nicht sonderlich kompliziert, wie dies dem Usus von Militärjustizverfahren entsprach, dennoch gewährte er Einblick in die rohe Welt der gemeinen Milites.


    Kaum hatte der Beklagte seinen Platz vor dem Tribunal eingenommen, erhob sich von der Bank zur Rechten des jungen Flavius ein Centurio, der zum Advocatus des Opfers bestimmt worden war:
    "Legionarius Minidius wird zur Last gelegt, an den Kalenden des September seinem Kameraden Quintus Fulvius Macer nachts im Intervallum aufgelauert und ihn mit seinem Dolch schwer verwundet zu haben. Anschließend ließ er ihn liegen und kehrte in seine Centuria zurück. Die Anklage legt ihm deshalb versuchten Totschlag zur Last."
    Selbstredend verzichteten die Tribunale innerhalb einer Legion auf jenen rhetorischen Zierrat, welcher die Gerichtshöfe Romas dominierte, zumal es sich bei den Rhetoren ja um gemeine Soldaten handelte, welche womöglich Geschick besaßen, wenn sie ihre Männer erbauen sollten, die jedoch keinerlei Kenntnis hinsichtlich der Feinheiten kultivierter Beredsamkeit besaßen. Indessen genügten selbst jene dürren Fakten, um den Tribun zu motivieren, irritiert das Haupt zu schütteln angesichts jener stumpfsinnigen Brutalität, welche jedweder Mär von soldatischer Kameradschaft und Disziplin Hohn sprach.
    "Bist du geständig?"
    , formulierte Manius Minor seine erste Frage, obschon die Replik ihm aus den Akten längst bekannt war.
    "Ich geb' ja zu, dass ich Macer e' bissle mit dem Dolch bearbeit' hab', aber umbringe' hab' ich'n net g'wollt!"
    Der Tribun runzelte die Stirn ob der dialektalen Entstellung der Sprache des Beklagten, welche es ihm kaum gestattete, den Sinn jener Worte zu erfassen. Sogleich erhob sich der Centurio des Minidius, verpflichtet als Defensor seines Untergebenen, um seinen Wunsch das Wort zu ergreifen zu exprimieren, was der Jüngling auf dem Richterstuhl selbstredend gestattete:
    "Minidius hatte nicht vor, Fulvius zu töten. Es ging bloß um einen Streit wegen eines Würfelspiels, bei dem Fulvius den Angeklagten betrogen haben soll. Der Angriff sollte also nur... einem vermeindlichen Betrüger eine Lektion erteilen."
    Neuerlich war der junge Flavius genötigt, die Stirne zu runzeln, da er auch beim neuerlichen Vernehmen jenes Motives, obschon der Casus ihm längst bekannt war, nicht nachzuvollziehen imstande war, warum man aufgrund derartiger Nihilitäten das Leben eines Kameraden in jener Weise riskieren konnte. Obschon sein Tribunat nun bereits eine Weile währte, fühlte er sich noch immer außerstande, die primitive Welt jener tumben Legionäre zu ergründen, aus deren Schar lediglich ausgesuchte Exemplare mit mehr Geist und Reflexionsgabe hervorragten.
    "Warum, Legionarius Minidius, ließest du dann deinen Kameraden in seinem Zustand achtlos zurück?"
    , mühte er sich, der Einsicht des Beklagten ein wenig auf die Sprünge zu verhelfen, erntete jedoch lediglich einen spöttischen Kommentar:
    "Na ich hol' doch net de' Capsarius für so'en Betrücher!"
    Augenscheinlich verstand Minidius nicht lediglich nichts von Sensibilität und Selbstdisziplin, sondern ebensowenig von strategischem Verhalten bei Gericht, wie der Tribun zu konzedieren genötigt war. Doch selbst sein Centurio schien wenig motiviert, jenen unklugen Gesellen zu defendieren, denn seine Explikation fiel mäßig aus, als der junge Flavius die Aussage kritisch subsummierte:
    "Du nahmst also lediglich den Tod von Fulvius billigend in Kauf?"
    "Minidius hat wohl nicht über die Folgen seines Handelns nachgedacht. Es ging ihm nur um den Ärger, dem er Luft machen wollte."
    Bereits vor Beginn jenes formellen Verfahrens hatte Manius Minor den Centurio des Täters gehört, um seine Einschätzung hinsichtlich des geeigneten Strafmaßes zu hören, weshalb jene nebulöse Rechtfertigung, welche vor einem regulären Gericht zweifelsohne eher Spott auf sich gezogen hätte, da bekanntlich Fahrlässigkeit mitnichten vor Strafe schützte, ihn nur mäßig verwunderte, hätte er doch selbst kaum vermocht einen derart brutalen Angriff zu defendieren.


    Im Grunde war jenes Verfahren somit beendet, ehe es recht begonnen hatte, was wiederum den Tribun nicht eben motivierte, sämtliche Formalia peinlichst zu befolgen. Fragend blickte er zu dem Delator, dessen Dienste in diesem Raume nahezu obsolet erschienen, nachdem Tat und Täter so trefflich für sich selbst sprachen:
    "Bestehen Zweifel hinsichtlich des Tatherganges?"
    Der andere Centurio erhob sich und blickte streng zu seinem Prozessgegner.
    "Der Angeklagte ist geständig. Das Opfer befindet sich noch im Valetudinarium, konnte aber seinen Angreifer zweifelsfrei identifizieren. Ich denke, das genügt."
    Fortunablerweise war Minidius zumindest derart aufrichtig, dass er seine Tat nicht negierte, sondern augenscheinlich freiheraus gestanden hatte, kaum war der Verdacht auf ihn gefallen.
    "Dann werden wir die Beweisaufnahme schließen."
    , beschied somit der Tribun und nickte. Minidius wurde aus dem Raum geführt, um eine private Unterredung der Offiziere zur Schöpfung des Urteils zu ermöglichen.

  • Als erster ergriff der Delator das Wort:
    "Wegen der Schwere der Verletzungen würde ich fast für eine Missio Ignominosa plädieren. Ich sehe keinen großen Unterschied zu einem versuchten Totschlag."
    Manius Minor dachte zurück an den Prozess gegen Germanicus Peticus, wo ihm das Strafmaß des Praefectus Urbi reichlich milde erschienen war, zumal der Procurator a cognitionibus für eine härtere Strafe plädiert hatte, wurde in seinen Gedanken indessen vom Defensor unterbrochen:
    "Minidius ist kein Mörder. Er ist nicht besonders helle und ein bisschen heißblütig. Aber wenn wir ihn entlassen, sehe ich ihn schon als Straßenräuber auf dem Schafott stehen. Das nützt weder uns, noch ihm."
    Jene Einschätzung erschien dem jungen Flavius nicht eben juristisch, doch vermochte auch er nicht zu imaginieren, wer einen derartigen Narren, welcher konträr zu Germanicus Peticus nicht über eine reiche Familie verfügte, die wohl oder übel sich seiner annehmen musste, in Lohn und Brot befördern würde.
    "Außerdem ist er ein guter Soldat. Gewandt. Furchtlos. Es wäre ein Jammer, ihn an die Gegenseite zu verlieren."
    Auch jenen Gedankengänge vermochte Manius Minor zu folgen, zumal Furchtlosigkeit nicht selten mit Dummheit einherging, ja in einem gewissen Umfange gar als ein Synonym war zu ästimieren. Der Delator schien dem indessen nichts hinzuzufügen haben, da augenscheinlich er lediglich sich in professioneller Weise in den Casus engagierte.
    "Nun, dann möchte ich eine Militiae Mutatio zu den Auxiliares unterbreiten, verbunden mit einem eintägigen Strafstehen ohne Cingulum Militare vor er Principia, um die Schändlichkeit seines Verhaltens gegenüber einem Kameraden allen Passanten vor Augen zu führen."
    Der Codex Militaris gab wenig Handhabe hinsichtlich eines exakten Strafmaßes für dergestalte Vergehen, doch erschien dem Jüngling jene Lösung als hinreichendes Äquivalent zu der bis zu neunmonatigen Haftstrafe, welche der Codex Iuridicialis für schwere Körperverletzung vorsah.
    "Fulvius Macer sollte auch eine Entschädigung bekommen. Er wird zwar wieder, aber ich glaube, er hatte auch ordentlich Schmerzen."
    , warf nun wiederum der Delator ein, was wiederum Minidius' Centurio sogleich aufgriff:
    "Wir können ihm den Sold für einen Monat abziehen und an Fulvius zahlen."
    Da dem Tribun ohnehin jedwedes Gefühl für finanzielle Mittel fehlte, nickte er schlicht.
    "Dann sei es so. Militiae Mutatio, Strafstehen und ein Schmerzensgeld von einem Monatssold."
    Die beiden Centurionen konsentierten ihrerseits mit einem Nicken.
    "Dann teilen wir Minidius sein Schicksal mit!"

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