Die Melodie seines Leben neigte sich dem Ende zu. Er gehörte zu jenen Männern, die ihr ganzes Leben einer einfachen Sache gewidmet hatten: der Wahrheit. Manius war ein alter Speculator und hatte es sogar in den Rang eines Centurios gebracht. Wenn er etwas konnte, dann war es einen Sachverhalt zu ermitteln und dies frei von jeder persönlichen Verwicklung. Manius und seine handverlesenen Leute wurden dann entsandt, um für das Imperium eine Sachlage zu klären. Ihnen lag nichts am persönlichen Ruhm oder Ehre, sondern sie dienten schlicht und einfach ihrem Bestreben einer soweit möglichen Wahrheit nahe zu kommen. Sie standen nie im Lichte und waren im Schatten aktiv, um dem Lichte Roms zu dienen. Manius war von den Unruhen nicht betroffen gewesen. Er war ohnehin zu alt, um noch aktiv an Frontkämpfen teil zu nehmen. Zunehmend war es ja auch nicht mehr die Aufgabe der Prätorianer blutige Kämpfe zu bestreiten. Der Konflikt war anderer Natur geworden. Manius blickte bereits auf seine Pension, sein graues Haar und seine tiefen Falten sprachen von einem durchsetzten Leben, so dass er überaus froh nur den Hergang des Vorfalles zu ermitteln, der zu Varia und ihren Horden geführt hatte. Zwar konnte er auch auf Berichte von Augenzeugen, Soldaten und weiteren Quellen zurückgreifen, so war doch die Aussage und die Geschichte einer Täterin von bedeutsamen Interesse. Manius hatte nie verstanden, warum für viele Gewalt ein Lustgewinn war. Für ihn selbst war sie stets nur ein Werkzeug gewesen. In seinem langen Leben hatte er bereits viele Geschichten gesehen und erlebt. Manius glaubte an nicht mehr viel, außer an die detektivisch erarbeitete Zusammenstellung, die er auf Vernunft basierend zusammenschloss. Seine beiden engsten Kameraden waren Simplex und Gracchus. Sie waren mit ihm in diesem Geschäft groß geworden. Die Wahrheitssuche war ein Geschäft sowie ein steter Handel mit dem Schicksal. Manius hatte mit seinen beiden Vertrauten vor der Zellentür gewartet, um das Schauspiel der unfähigen Soldaten zu belauschen und gelegentlich durch den geheimen Spalt zu beobachten, der mit einem Riegel verschlossen war. Es entlockte ihm kein müdes Schmunzeln mehr, da er sich angewöhnt hatte, sich nicht emotional zu beteiligen. Als Ermittler stand es ihm nicht zu, eigene Emotionen in den Sachverhalt einfließen zu lassen. Es könnte die Wahrheit beeinträchtigen, der er sich nähern wollte. Mitunter war er der Beste seines Faches, so dass dieser Auftrag wohl der letzte Fall seiner Karriere sein würde. Trotzdessen das er jene Prätorianer für Idioten hielt, konnte er durch die Beobachtung der gebotenen Szene erste Eindrücke vernehmen, die ihm bereits halfen.
"Auf ein Letztes," sagte die väterliche Stimme des Manius, während die peinigenden Soldaten durch den Korridor entschwanden und die Zelle freigaben. Dieses Geschäft brauchte Ruhe und keine hektischen Narren. Man öffnete die Zellentür erneut. Manius selbst trat ein, trug keine Rüstung aber einen Knüppel in seinen Händen, den er geschickt auf einem herausstehenden Mauerwerk ablegte. Seine beiden Vertrauten brachten Öllampen aus Ton, um den Raum besser auszuleuchten. Schnell waren diese entzündet. Die Lampen standen in sicherer Entfernung, so dass diese nicht als Waffe verwendet werden konnten. Manius brauchte Licht für seine Arbeit, um die Gefühlsregung deuten zu können. Er hatte bereits eine Ahnung, was für eine Person Varia war. In gewisser Hinsicht bewunderte er sogar diese Frau, die allem trotzte und noch einmal mit einem Getöse verschwinden wollte. Ihre Welt war traurig und dunkel. Manius war geübt darin, Charaktere zu bewerten und einzuordnen. Sein ganzes Leben hatte er nichts anderes getan. Die arme Varia befand sich in einem desolaten Zustand, gar zugerichtet von diesen bestienhaften Soldaten, die nicht verstanden, was hier vor sich ging. Wie so oft, fehlte es an Verstand und Vernunft. "Fußketten fehlen," stellte Simplex sachlich fest und tat ohne Befehl, was ihm wichtig war. Man legte der Gefangenen Fußketten an, die man durch einen großen Ring an der Wand zog. "Stümper," meinte Gracchus und ging einen Schritt aus der Zelle, nachdem er sicher war, dass Simplex nicht angegriffen wurde. Man sicherte sich in diesem Gewerbe ab. Simplex selbst trat gebückt einen Schritt zurück und richtete seinen Gürtel, an dem ein Knüppel aber keine Stichwaffe hing. Man nahm keine gefährlichen Waffen, wie Schwerter oder Dolche mit zu einer Gefangenen. Simplex trug zusätzlich noch zwei Lederarmschienen, um seine Armmuskelatur zu entlasten, sobald er schwer heben musste. Gracchus kam mit zwei Eimern Wassern wieder hinein, auf seinen Schultern lagen mehrere Leinentücher. Er stellte die Eimer ab und warf die Tüchter achtsam zu Manius, der seinem Gehilfen zunickte. "Wir brauchen noch zwei Stühle," fragte Manius und Simplex führte aus, indem er aus dem Vorraum hektisch zwei einfache Holzstühle besorgte, um diese sich gegenüber in den Raum zu stellen. Danach stellte er sich mit einem sicheren Abstand neben Varia auf, um mit einen breitbeinigen Stand, ein argwöhnisches Auge auf die Gefangene zu haben, während Gracchus die Ketten straff anzog, um sie an der Wand aufzurichten, bevor man ihr mit einem Fußtritt den Stuhl anbot. "Sitzen ist bequemer," meinte Manius nüchtern und schloss die Zellentür bis auf einen kleinen Spalt, durch jenen ein schwaches Licht fiel. Die Öllampen gaben der Atmoshäre tatsächlich etwas Wärme und Ruhe im krassen Kontrast zur gesamten Situation. "Es tut mir leid, was sie dir angetan haben," erklärte Manius aber näherte sich nicht weiter, sondern nahm auf seinem Stuhl Platz, damit er auf Augenhöhe sprechen konnte. "Ich habe ein paar Fragen an dich und bin nicht hier, um dich erneut ohne Vernunft zu verletzen," versicherte der Ermittler. "Varia, das ist doch dein Name?" - eine reine Resonanzfrage, um die ersten leibhaftigen Eindrücke aus ihrem leidgebundenen Gesicht zu erhalten. Der alte Mann legte ruhig seine Hände auf seinen Schoß aber machte durch seinen Blick klar, dass er eine Antwort verlangte. Simplex und Gracchus hielten ihre Position, während ihre Hände wartend auf den Griffen der gefertigten Holzknüppel ruhten. "Du stammst aus Themiskyra?" - ergänzte er eine weitere Frage und nickte ihr zu. Es gehörte dazu, sich auf eine Person einzulassen und diese verstehen zu wollen. Manius war kein Mann, der moralische Urteile fällte, sondern versuchte nur zu erfahren, was einen solchen Menschen bewegte und was die Geschichte hinter dem Vorfall war. Zugegeben für die Prätorianer und sämtliche mit der Sicherheit des Imperiums Betrauten war dieser Vorfall mehr als peinlich, sondern sogar ein Totalversagen. Manius musste also schnellstens Ergebnisse liefern, damit man einen Urheber dieser Fehlerreihe in der römischen Kommandokette oder dem System als solchem finden konnte. So etwas dürfte sich nicht wiederholen.
Dennoch zog Manius zwischen sich und Varia keine künstliche Grenze, sondern näherte sich ohne Vorwurf auf echter Augenhöhe. Er tat es immer so, denn es war ein kaltes Geschäft, welches auf einer grundlegenden Akzeptanz der menschlichen Umstände fußte. Es war ein Geben und Nehmen. "Du wünscht dir deinen Tod, nicht wahr?" Wieder nickte Manius, nachdem er bereits einige Eindrücke sortiert hatte. Wer konnte es ihr verübeln, nicht immer war die Welt für jeden wunderschön. Manius wusste das, denn er hatte viele Leidengeschichten gesehen und selbst sogar gefördert durch seine Ermittlungen. Für sich selbst rechtfertigte er es allein mit einer Wahrheitssuche, was andere mit dieser Wahrheit taten, war nicht seine moralische Schuldigkeit. Dennoch konnte sich sein altes Herz nicht davon freimachen, so dass er mit diesem Fall auch seine letzte Episode als Prätorianer erleben wollte. Es war genug für ein ganzes Leben.
"Ich möchte deine Geschichte hören," begann er mit seiner letzten Befragung, die nach altem Schema zwischen Vertrauen und Furcht verlaufen würde. Solange Varia kooperativ war und er annahm nicht belogen zu werden, würde er das Vertrauen nicht brechen, sofern es soetwas überhaupt geben konnte. Es war eher ein Vertrauen darauf, dass keine Gewalt drohte. Manius gab sich sozial und nicht hungrig auf Vergeltung. Ein Respekt lag in seinen Worten, welcher nicht für und auch nicht gegen Varia gerichtet war. Er war ehrlich in seiner Person und versicherte mit jeder Geste und Wort, was er war und was er tun würde. Derzeit fragte er nur. Seine geübten Augen fixierten nun ganz Varia.
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