Vor Wochen im fernen Baiae war der Plan zur gemeinsamen Rückkehr der Gracchen gefasst worden, doch das Leben verlief nicht stets in geplanten, geradlinigen Bahnen. Am Tage vor der Abreise umfasste ein Dunst Leib und Seele des Vaters, welcher alsbald als winterliche Grippe sich offenbarte. Zwei Tage noch verharrte Minor in Baiae, am dritten indes mochte er die Reise nicht mehr länger aufschieben, um nicht seiner Pflichten als Magistrat Roms sich zu entziehen. Ungeduldig und missmutig blieb der ältere Gracchus zurück, ließ nach viel zu wenigen Tagen der Ruhe die Warnungen des Medicus außer Acht, um sich erneut auf die Reise vorzubereiten, was indes sein geschwächter Leib mit einem neuerlichen, diesmalig noch heftigeren Aufflammen der Grippe quittierte. Tage und Wochen zogen ob dessen nochmalig in das winterliche Land, ehedem Gracchus endlich den nächsten Versuch mochte wagen - angestoßen durch die freudige Nachricht über Scatos baldige Eheschließung, welche gerade noch rechtzeitig das Landgut erreichte. Die Reise verlief ereignislos, ein wenig gehetzt für Tiere und Kutscher ob der terminlichen Eile, für den Flavier indes geradezu öde, doch eben ob dessen ganz zu seinem Wohlgefallen. Der Reisewagen erreichte Rom einen Tag vor dem Hochzeitstermin zum späten Abend, beinahe schon zur Nacht hin, ob dessen Gracchus bis vor die Tore der Villa Flavia darin konnte verharren. Ein wohliges Prickeln durchströmte seinen Leib als er schlussendlich vor der Türe zu seinem Heim stand, und als er das Vestibulum und hernach das Atrium des heimischen Hauses betrat, glaubte er beinahe seine Sinne müssten zerspringen. Seinen Nasenflügel bebten, sein Herz flatterte und vor seinen Augen flimmerte der Raum als schiebe die Vergangenheit sich über die Gegenwart. Endlich zu Hause. Zu Hause, so süß und berauschend wie der pastellige Duft von Mandelblüten im Frühling, tief golden klingend wie der samtige Schimmer eines Tautropfens am filigranen Blatte einer Rose im transluzenten Morgenlicht, traut wie der mächtige Flügelschlag eines edlen Graureihers, der sich behäbig aus der Flussaue empor hebt und gewichtig in den Himmel davon gleitet, zart umhüllend wie das Tropfen des Herbstregens auf die tönernen Ziegel des Daches. Mit jedem Schritt in das Haus hinein versank Gracchus tiefer und tiefer in einem Meer aus Sentiment, in einem elegischen Choral purpurner Sternhyazinthen, im güldenen Honigtau eines tiefblauen Frühlingstages liebkost vom zarten Kuss der Sonne, im weichen Flaum eines neugeborenen Lammes, in den labyrinthenen Rillen eines alten Pinienstammes, in den bedeutsamen Kraterspuren eines Regenwurms in tiefschwarzer Erde nach einem sommerlichen Schauer. Zu Hause. Die Räume waren bereits präpariert und geschmückt für den kommenden Hochzeitstag, doch Gracchus schien als würde das Haus seine Ankunft feiern. Beinahe überschwänglich trat er zu der Büste seines Vaters und küsste den kalten Marmorkopf auf die Stirn.
Rückkehr ins Ungewisse
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Obgleich in den Wirtschaftsräumen zweifelsohne noch geschäftiges Treiben herrschte waren die Wohnräume der flavischen Villa von einer behaglichen Stille erfasst, untermalt von dem leisen Knistern der Kohlen in den Feuerschalen, dass selbst Sciurus' sonstig unhörbaren, leisen Schritte den Flavier aufmerken ließen.
"Deine Gemahlin ist noch wach, Herr. Soll ich sie herunter beordern?" fragte der Sklave ohne Umschweife.
"Aber nein"
, schüttelte Gracchus vergnüglich den Kopf.
"Ich möchte ihr keine Umstände bereiten. Ich werde sie aufsuchen."
Beschwingten Schrittes strebte er dem seitlichen Flügel zu, nahm die Treppenstufen ehrfürchtig und achtsam als besteige er einen heiligen Berg, sog auf der letzten Stufe noch einmal tief die Luft ein, jene traute Melange aus römischer Pracht und flavischer Herrlichkeit. Mit jedem passus, welchen er weiter in das Innere des Hauses vordrang, wurde das heimelige Gefühl größer und größer, bis dass er vor jener Türe zu stehen kam, deren hölzerne Maserung ihm so traut war. Noch immer kannte er jedes einzelne Detail, jede dunkle Anhöhe, jede helle Vertiefung, jede Linie und jede Rundung. In seinem Gedankengebäude gab es einen Raum, welcher diese Maserung exakt in ein Labyrinth projizierte, welches er so oft hatte durchschritten - zögernd, hoffnungsvoll, freudig oder gar voller Furcht -, dass er die einzelnen Gelegenheiten längst nicht mehr aufzuzählen wusste. Er kannte jede Faser, jede Rundung, jede Gerade und jede Abzweigung des hölzernen Weges bis zum Türgriff empor und selbst darüber hinaus. Auch nun betrat er diesen in sich verschlungenen und gefalteten Wege von der Schwelle her, folgte der ersten Geraden, nahm sodann die Abzweigung links bis hin zu einem Riss, kaum sichtbar und doch eine rechte Fallgrube für jeden unbedachten Geiste. Gracchus indes war nicht unvorbereitet, setzte mit einem behänden Schritt hinüber und setzte unbeirrt seinen Weg fort. Alsbald angelangt auf halber Höhe der Türe zögerte er nur einen kurzen Moment, klopfte sodann, und als er vermeinte eine leise Stimmen zu hören trat er sogleich in das Gemach Aurelia Priscas ein, ungeachtet dessen dass er den tatsächlichen Wortlaut der Antwort nicht hatte vernommen.
"Teuerste Gemahlin"
, grüßte er eben jene wohlgemut.
"Ich hoffe, ich störe dich nicht zu so später Stunde, doch drängt es nach meiner Rückkehr primär deines Wohlbefindens mich zu versi'hern."
Gracchus' eigene Erscheinung zeugte nicht von jener Konvaleszenz, welche in Baiae er sich hatte erhofft, lag noch immer ein diffuser Schatten über seinem Antlitz. Auf Wochen und Monate des Trübsinns und der Melancholie waren die mehr als zehrenden Tage der Erkenntnis seiner surrealen Imagination gefolgt, durchbrochen von klärenden Tagen im Beisein Minors, welche alsbald indes wieder waren übergegangen in ein Stadium physischer Malaise. Gracchus' Antlitz war fahl, leichte Schatten lagen unter seinen Augen, doch in ihnen glimmte ein Funke unbändiger Euphorie über die Rückkehr nach Hause und auf seinen blassen Lippen trug er ein sublimes Lächeln. -
Der Hausherr war zurück gekehrt! Die Nachricht erreichte Prisca´s schlaftrunkenen Geist in Form einer Sklavin, die ihr die frohe Kunde soeben ins linke Ohr soufflierte. Auf dem rechten Ohr hatte Prisca bereits gelegen, im Begriff eine weitere Nacht alleine zu verbringen. Mein Gemahl ist zurück? ... Das Gesagte ließ Prisca sogleich kerzengerade im Bett auffahren und beinahe hätte sie der Sklavin dabei den Ellenbogen mitten ins Gesicht gerammt. Geistesgegenwärtig tauchte die Sklavin jedoch zur Seite ab und sie verschwand so schnel lund leise aus dem Gemach, wie sie herein gekommen war. Mein Gemahl ist zurück! ..., wiederholte Prisca im Geiste das eben Gehörte und sie konnte es kaum fassen. Gracchus war endlich zurück und das ausgerechnet am Vortag der Hochzeit seines Verwandten. Da war wohl auch der Grund seiner Rückkehr und diese Vermutung ließ jenen Hoffnungsschimmer verkümmern, er wäre womöglich aus Sehnsucht zu ihr zurück gekehrt.
Was soll ich jetzt tun? ..., überlegte Prisca und sie sie war versucht, sich wieder schlafen zu legen. Nur an Schlaf war nicht mehr zu denken, dazu pochte das Herz in ihrer Brust viel zu stark. Innerlich war Prisca hin und her gerissen zwischen Freude, Angst, Liebe, Wut und Ratlosigkeit darüber, wie sie ihrem Ehemnann am besten gegenüber treten sollte. Ist er nicht ohne eine Erklärung aus Rom weg gegangen und hat mich alleine hier zurück gelassen? Dieser Schuft! Und ausgerechnet jetzt, wo ich mich fast daran gewöhnt habe den Haushalt alleine zu führen, unter den Argusaugen seines Sohnes, ...jetzt kehrt er zurück? ...Hat am Ende doch die Sehnsucht nach mir ihn zu diesem Schritt bewogen, nur ein kein wenig vielleicht? ... Er ist doch mein Mann und ich liebe ihn ... ich brauche ihn ...
Gehüllt in dieses gedankliche Gefühlschaos und einem seidenen Nachtgewand, stieg Prisca aus dem Bett, um einer Schlafwandlerin gleich trunken zu ihrem Gemahl zu gehen. Ich muss ihn sehen, muss mit ihm reden, ihn fragen, ...muss wissen, ob er mich noch liebt, mich je geliebt hat und wenn ich ihm etwas bedeuten sollte, warum er mich dann alleine zurück gelassen - mich verlassen hat ... So viele Fragen und Gedanken auf einmal, viel zu viele ... Nein, ich darf ihn nicht mit meinen Fragen und Sorgen überrumpeln, darf ihm keine Vorwürfe machen ... darf ihn nicht verschrecken ...ich ...ich brauche ihn doch!!, gebot Prisca sich selbst Einhalt, aus Angst ihren Gatten damit völlig zu verlieren. Wir hatten doch auch schöne Moment zusammen und haben diese Zeit genossen! So wie damals, bei dem Rätsel-Wettstreit, dachte Prisca an die wenigen schönen Augenblicke zurück, die sie mit ihrem Mann hatte verbringen dürfen.
Sogleich rief Prisca ihre Leibsklavin herein. "Los los, mach mir die Haare und hole mein Morgengewand. Ich muss mich schön machen, falls mein Mann ..., weiter kam Prisca nicht, da es bereits an der Tür klopfte. Oh, zu spät. Da ist er bereits. Schnell schnell ...verschwinde!, scheuchte Prisca die Sklavin durch eine Nebentüre hinaus und wirbelte auf der Stelle herum.
Du meine Güte, er sieht so blass aus und schmal, schoss es Prisca durch den Kopf, als sie ihren Mann nach Wochen zum ersten Mal wieder sah. Aber sie bemerkte auch das Funkeln in seinen Augen und die leichte Beschwingtheit in seiner Stimme.
"Mein lieber Gemahl ... wie könntest du mich je stören?, seufzte Prisca leise und ein warmes Lächeln umspielte ihre Lippen. Mit ein paar Schritten war sie bei ihm und vorsichtig ergriff sie seine Hände, um sie sanft anzuheben. "Mir geht es gut, jetzt, da du zurück gekehrt bist ... ", hauchte sie ihm einen ergebenen Kuss auf den Handrücken, ehe sie seine Hände wieder frei gab. Ihre Augen wanderten dabei ganz verliebt über sein Anlitz und versanken in den seinen. "Willkommen daheim ..." mehr wagte sie nicht zu sagen, aus Angst er könne ihre Bitte ablehnen wenn sie ihn jetzt fragen würde, ob er noch ein wenig bei ihr bleiben wolle. Einzig und allein ihre Augen schienen diese Frage zu stellen, während sie versonnen lächelnd zu ihm aufblickte.
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In ihrem seidenen Nachtgewand, von erster Nachtruhe noch leicht benetzt, das Haar nicht in Unordnung, doch auch nicht gebändigt, glich Prisca einer epiphanen Erscheinung, einem transluzenten Wesen aus zarten, zerbrechlichen Traumgefilden entstiegen. Gracchus war nicht sicher, was er hatte erwartet, doch ihr minniglicher Empfang, ihre behutsame Berührung vermochten den anheimelnden Augenblick des Nachhausekommens weiter zu steigern.
"Ich habe erwartet, dass du während meiner Absenz ein wenig älter geworden bist, doch es scheint mir, dass du keinen Tag ohne mich hast ver..lebt, dass du die Zeit nicht in Alter wandelst, sondern in Anmut."
Er fasste ihre Schultern und zog sie sanft zu sich, ihr einen Kuss auf die Stirn zu hauchen. Ihr Haar duftete nach einem zarten Hauch von Pfirsich, ihr Körper berührte warm und weich den seinen und in diesem Augenblicke der Verzückung schien es der einzig passende Leib, um in seinen Armen zu liegen.
"Ich hatte nicht erwartet, dass es mich so sehr nach euch sehnt"
, gestand er leise.
"Das Haus in Baiae ist formidabel, die Landschaft schon immer wunderschön, die Luft frisch und rein, das Meer endlos und die heißen Quellen eine Wohltat. Doch ohne meine Familie war es letztli'h nur eine triste Einöde, welche nicht vermag die Sinne zu klären, gegenteilig sie verklärt und verquert. Ich habe euch so sehr vermisst, dich und Minimus, Scato, meine Heimstatt."
Die Erkenntnis dessen war ein langsamer Prozess gewesen, doch spätestens mit Minors Besuch ihm bewusst und nach dessen Abreise schmerzlich gewesen. Letztendlich waren es allfällig nicht einmal einzelne Menschen, welche dies Sentiment in ihm formten, es war das gesamte Konstrukt aus vertrautem Raum, vertrauter Gesellschaft, vertrauten Konstellationen und Mechanismen, ein Netz aus familiärer Obhut, in welches er war eingewoben, welches selbst ihn in seiner Rolle als pater familias und Herr des Hauses sicher und geborgen trug. Behutsam strich Gracchus eine Haarsträhne hinter Priscas Ohr und berührte dabei ihre Wange. Sie war noch immer so schön - insbesondere wenn sie lächelte wie in diesem Augenblicke -, so wunderschön dass allein ihr Anblick ihn enthusiasmierte. Der Grund ihrer Ehe mochte ein rational zwingender gewesen sein, doch in diesem Moment schätzte Gracchus sich überaus glücklich ob seiner wundervollen Gemahlin. -
Kann es sein, kann es wirklich sein …? Prisca konnte es kaum fassen, dass dieser Augenblick real war. Gracchus wirkte wie verwandelt. Nicht nur äußerlich, nein, auch in seiner Art wie er sie sanft an sich zog, sie zärtlich küsste und ihr sagte, wie sehr er sie alle vermisst hatte. Das war nicht der Gracchus, den sie vor vielen Wochen zum letzten Mal gesehen hatte: Einen alten Mann, der seine Gefühle nicht zeigen wollte (oder konnte), der stets verschlossen wirkte und der niemanden an sich heran ließ und der zuletzt auf Prisca den Eindruck gemacht hatte, als wäre er nur noch ein schwindender Schatten, der unaufhaltsam verblassen würde. Und jetzt? Kein Vergleich zu damals!
Mit geschlossenen Augen genoss Prisca die Berührung seiner warmen Hände, wie er ihr sanft die Haarsträhne zurecht strich und dennoch wagte sie nicht daran zu glauben, dass von nun an alles anders sein könnte und er sie fortan lieben und begehren würde, wie ein "normaler" Mann es tun würde. Aber das verlangte Prisca im Grunde auch nicht. Wenn ihr Gemahl nur so bleiben würde, wie in diesem wundervollen Moment, dann wäre sie schon glücklicher denn je. Dieser Hoffnungsschimmer entzündete sich tief in ihrem Inneren und gab ihr zumindest die Zuversicht, dass vieles besser werden könnte. Würde Fortuna am Ende gar ihr Schicksal neu bestimmen und ihr den letzten und sehnlichsten Wunsch erfüllen? Nein, soweit wollte Prisca nicht denken. Nicht hier und jetzt!
Selbst an die unüberwindlichen Differenzen mit Gracchus´ Sohn wollte Prisca jetzt nicht denken, just, als ihr Gemahl den eigenen Sohn liebevoll "Minimus" nannte. Wenn er wüsste, dass ich seinen Sohn noch vor ein paar Tagen als Kröte bezeichnet habe, schämte sich Prisca regelrecht, doch sogleich beschlich sie wieder das dumpfe Gefühl, dass die augenblickliche Euphorie des Neuanfangs bald schon wie eine Traumblase zerplatzen könnte. Die Frage war nur, ob und wie sich dieses unausweichlich scheinende Schicksal würde abwenden lassen …
"Wir haben dich ebenso vermisst, Liebster, denn dies hier ist dein Haus, das Haus deiner Ahnen ... und das deiner Familie, die dich liebt und die dich braucht ", bekräftigte Prisca Gracchus´ Gefühl der Sehnsucht dahingehend, dass sie ihm zeigen wollte, dass er einen festen Platz inne hatte und seine Familie (und sie) zu ihm stünden. "Und ich bin unendlich stolz und dankbar, dass ich ein Teil deiner Familie sein darf, …. ein Teil von dir … und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als immer für dich da zu sein", gab Prisca ein ehrlich gemeintes Versprechen, das sie nicht leichtfertig so daher sagte. Von ihrem Onkel hatte sie schließlich gelernt, wie wichtig der Zusammenhalt in der Familie war und diesem Credo fühlte sie sich zutiefst verpflichtet.
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Priscas Worte hallten nach in Grachhus' Sinnen und nährten in ihm weiter das Sentiment heimeligen Wohlbefindens.
"Und ich schätze mich wahrhaft glücklich, dass du Teil meiner Familie bist"
, quittierte er ihre Worte indem er seine eigenen Gedanken aussprach, ehedem ein schelmisches Lächeln seine Lippen kräuselte.
"Ich werde morgen ein wenig an mich halten müssen, schlussendlich soll es doch Scato sein, welcher der glückli'hste Mann auf der Hochzeit ist."
Letztlich musste Glück nicht zwangsläufig mit einer Eheschließung einhergehen, dennoch war es einer der guten Wünsche, welchen die Gäste dem Brautpaar mit auf den Wege gaben.
"Gibt es noch etwas, das ich wissen sollte, ehedem wir uns morgen gemeinsam in die römische Gesellschaft wagen?"
In Baiae hatte Gracchus Informationen jeglicher Herkunft keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt, gegenteilig sie nicht einmal hatte vernehmen wollen, ob dessen er abgesehen von den Gegebenheiten in der flavischen Villa kaum über Neuigkeiten in Rom war orientiert. Gleichwohl vertraute er Prisca, dass jene seine Interessen konnte abschätzen und vor etwaigen Fauxpas ihn würde bewahren können. -
Das Antlitz ihres Gatten wirkte um Jahre verjüngt, als er schelmisch lächelte. Prisca betrachtete fasziniert die kleinen Grübchen um seine Mundwinkel herum und lächelte ebenfalls versonnen. Ach wenn es nur mehr von diesen Momenten geben könnte. Momente, in denen Zeit und Raum keine Rolle mehr spielen, wünschte sie sich insgeheim mit ihren Gatten an das Meer, von dem er ihr soeben vorgeschwärmt hatte. Um ehrlich zu sein hatte sie sogar in Erwägung gezogen es seinem Sohn gleich zu tun und ihn in Baiae zu überraschen. Aber sie hatte es nicht getan, aus Angst ihren Mann damit zu verschrecken. Davon abgesehen hatte sie die Verantwortung für den Haushalt und die Sklaven inne und diese konnte sie nicht einfach auf Scato übertragen, da dieser mit seinem Amt und den Hochzeitsvorbereitungen schon genügend zu tun hatte.
Letztendlich war es ohnehin müßig über Möglichkeiten und Versäumnisse der Vergangenheit weiter nachzudenken. Nun waren sie - im Hier und Jetzt – wieder vereint und würden fortan gemeinsam in die Zukunft blicken. “Dieser Vorsatz gilt ebenso für mich, mit Blick auf die Braut, denn du hast recht, der morgige Tag gehört allein den beiden“, merkte sie schmunzelnd an und wieder etwas ernster blickend dachte sie einige Sekunden über die Frage ihres Gemahls nach.
Tja, welche Neuigkeiten gibt es eigentlich zu berichten? Sicherlich interessierte es Gracchus weniger, welche Sklaven und sonstigen Anschaffungen sie während seiner Absenz getätigt hatte und was sonst alles neu im Haus wäre. Umgekehrt musste Prisca gestehen, dass sie in letzter Zeit die politischen und gesellschaftlichen Vorgänge in Rom nicht mit allzu intensivem Interesse verfolgt hatte. Viel „bewegendes“ konnte es allerdings nicht gegeben haben, denn das hätte sie in jedem Fall mitbekommen.
“Nun, mein lieber Gemahl, es gibt eigentlich nicht viel neues oder gar aufregendes aus Rom zu berichten, außer über die üblichen öffentlichen Veranstaltungen und Festivitäten. Um die politischen Dinge wiederum haben sich Flavius Scato und dein Sohn vortrefflich gekümmert. Ich denke, wir können morgen ganz entspannt die Feier genießen“, war Prisca überzeugt, dass sie unwissentlich keine wichtigen Informationen „unterschlagen“ hätte.
Eine (nicht ganz unwichtige) Information fiel ihr aber noch ein: “Ach ja. Vor ein paar Tagen ist übrigens deine Verwandte, Flavia Polla, angereist. Sie wird sicher morgen auch auf der Feier erscheinen. Ich kannte sie bis dato nicht persönlich, aber sie macht einen sehr sympathischen Eindruck auf mich. “ Sollte es eine persönliche Zwistigkeit zwischen Gracchus und Polla geben, so wäre ein unvermutetes Aufeinandertreffen auf der Feier sicher suboptimal, wobei Prisca nicht davon ausging, dass etwas zwischen den beiden im argen läge. Aber sicher war sicher … -
Gracchus kannte die Braut nicht - eine Enkelin des Menecrates war alle Information, die ihm bekannt war -, konnte darob auch nicht abschätzen, ob sie Gefahr lief sich von Prisca den Rang der schönsten Dame auf der Hochzeit ablaufen zu lassen. Zweifelsohne würde sie jünger sein. Die Aussicht, den morgigen Tag ganz entspannt zu genießen sagte dem Flavier durchaus zu, denn nach den langen Wochen der Einsamkeit freute er sich nun doch ein wenig auf die gesellschaftliche Kurzweil, insbesondere zu diesem familiären Anlass.
"Polla?"
fragte er sodann, die linke Braue etwas empor hebend.
"Oh ja, sie ist eine überaus angenehme Person."
Zwar hatte Gracchus sie schon eine Zeit lang nicht mehr gesehen, doch auf familiären Feierlichkeiten gehörte Polla zweifelsohne zu jenen Frauen, welche etwas zu geistreicher Unterhaltung hatten beizutragen statt nur dekorativ neben ihrem Gatten zu sitzen. Weiters indes hatte er nichts zu ihrer Ankunft zu sagen, ging er in diesem Augenblick doch davon aus, dass sie zu Scatos Hochzeit war angereist.
"Nun, so will ich dich nicht länger von deinem Schlaf abhalten"
, lächelte er sodann wieder liebevoll und hob noch einmal die Hand, um über ihre Wange zu streichen, da es ihn drängte die verspürte Verbundenheit mit Prisca noch einmal inniglich zu genießen. -
Die Bemerkung ihres Gatten wischte jeglichen Zweifel ob einer möglichen familiären Diskrepanz hinfort. Wie Prisca bereits beim ersten Aufeinandertreffen vermutet hatte, schien Polla wirklich eine sehr sympathische Frau zu sein. Die Grundlage für ein harmonisches Miteinander wäre also vorhanden. Ob das so bliebe, würde sich zeigen, zumal die Frauenquote in der villa Flavia langsam (wieder) stieg und damit auch die potenzielle Gefahr vermehrter Reibungspunkte (unter anderem bedingt durch regelmäßig auftretende Stimmungsschwankungen). Bereits morgen würde eine Claudia hier einziehen und es blieb spannend, wie diese sich hier einleben würde.
Prisca würde die Neue ihrerseits offen und freundschaftlich empfangen, doch sollte sich heraus stellen, dass die junge Dame eine arrogante Schnepfe wäre, dann ... tja, dann könnte es in der Villa durchaus turbulent werden. Schließlich war Prisca alles andere als ein emotionales Kaltblut, auch wenn sie mittlerweile gelernt hatte sich zu beherrschen (naja so gut es eben ging).
“Ja wir sollten nun beide zu Bett gehen, damit wir morgen ausgeschlafen sind“, klang Prisca fast ein wenig enttäuscht darüber, dass ihr Gemahl sich schon wieder zurück ziehen wollte. Soll ich ihn bitten bei mir zu bleiben? ..Nein, …nicht heute …ich muss Geduld haben: “Gute Nacht, mein lieber Gemahl und schlafe gut“, mit einem Lächeln verabschiedete sie schließlich ihren Mann und ging zu Bett, wobei sie noch lange grübelnd wach lag, ehe Morpheus ein Einsehen mit ihr hatte … -
Wie aus einem Traum in den nächsten glitt Gracchus aus Priscas Cubiculum hinaus in den Korridor und schloss leise die Türe hinter sich. Wieder verharrte er kurz, atmete tief ein, sog den Duft nach trautem Heim durch seine Nase, schlenderte ein zufriedenes Lächeln auf seinem Antlitz tragend bis hin zu seinem eigenen Cubiculum. Er legte seine Handfläche auf die Türe als könne er das Atmen des Holzes spüren und verharrte so einige Herzschläge lang, ehedem er den Raum betrat - und somit nicht tiefer mehr in Zuhause konnte angelangen. Das Zimmer war ganz wie er es hinter sich hatte gelassen, doch als er das Bett ein wenig zur Seite zog war der Boden darunter gereinigt. Mit ein wenig Anstrengung rückte Gracchus das Bett gänzlich zur Seite, holte sodann ein Kästchen aus dem kleinen Regal neben der Türe und nahm daraus ein Stück feinkörnigen Kalkstein. Dort, wo das Bett üblicherweise seinen Platz hatte, ließ er sich langsam auf die Knie nieder und begann einen Kreis zu zeichnen, welchen er sukzessive mit Zeichen füllte, dabei leise Worte sprach, welche längst niemand mehr verstand, deren Bedeutung nur in ihren Formeln noch wenigen geläufig waren. Einige Linien und Symbole ergänzten das Konstrukt nach außen hin unter der gesamten Bettfläche und nachdem der Flavier den Pakt über den Schutz des Schlafenden mit der entsprechenden Formel hatte besiegelt, erhob er sich wieder und schob die Schlafstatt zurück. Tatsächlich schlief er in dieser Nacht tief, ruhig und erholsam bis zum nächsten Morgen der Hochzeit seines Neffen - allfällig ob des schützenden Heimes, allfällig ob der Müdigkeit der Reise, allfällig ob des gefälligen Gedankens zurück in Rom, im Schoß der Familie zu sein.
~~~ finis ~~~
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