Die Hundstage hielten Rom fest in ihrem Griffe, und Gracchus litt ein wenig darunter und träumte darob von der kühlen Brise des Meeres vor Baiae. Allfällig wäre es schlauer gewesen die gesamte Familie einzupacken und einige Wochen auf einen der Landsitze zu fahren, wenn nicht gleich nach Baiae, so zumindest in die Hügel vor den Toren Roms. Doch Gracchus war zu lange fort gewesen, dass er sein Zuhause nicht wieder verlassen wollte. Ohnehin, ein wahrer Römer liebte Rom immer, auch im Sommer. Gleichwohl war die flavische Villa zweifelsohne ein sehr angenehmer Ort auch bei Hitze, verglichen etwa mit den stickigen Mietshäusern in den kochenden, stinkenden Tälern der Stadt. In der Villa Flavia war das Arbeitszimmer des Hausherrn zudem einer der kühlsten Räume, so dass es sich dort durchaus aushalten ließ - einmal abgesehen von den ennuyanten Tätigkeiten, welche sich hier boten. Dennoch trug der Flavier trotz aller Annehmlichkeiten der Villa nur eine schlichte, leichte Tunika aus günfarbener Seide als er Duccius Callistus empfing - zweifelsohne ein wahrhafter Vorteil von Rang und Alter -, litt indes sogleich bei dessen Anblick ein wenig mit dem jungen Amtsmann in seiner offiziellen Toga.
"Salve, Decimvir Duccius. Bitte, nimm doch Platz"
, bot er ihm einen Stuhl auf der ihm gegenüberliegenden Seite des massiven Schreibtisches an. Der Sklave, welcher den Duccier hatte hereingeführt, goss diesem sogleich ein Glas voll mit Wasser verdünntem, kühlem Wein ein, nicht ohne dabei von Gracchus einen Augenblick lang gemustert zu werden.
"Du bist also aufgrund Furianus' Na'hlass hier?"
wandte der Flavier sich sodann an den Decemvir und schnitt sogleich die angekündigte Causa des Besuches an. Er kannte nicht einmal die Details seiner eigenen Besitzungen und Vermögenswerte, geschweige denn diejenigen der restlichen Familie, und konnte sich darob nicht imaginieren, was genau Furianus hatte hinterlassen, gleichwohl war er nicht sicher, weshalb ausgerechnet ihm sein Vetter sein Erbe hatte zugedacht. Da indes der Duccius in seinem Schreiben eine komplizierte Sachlage hatte erwähnt, fürchtete Gracchus gar, Furianus habe Schulden hinterlassen, welche es zu begleichen galt - zu was der Flavier eingedenk der Familienehre selbstredend ohne Zögern bereit wäre.
Officium | MFG et CDC - Erbschaftsangelegenheiten
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Das Innere der Villa Flavia beeindruckte Caius auch nach etlichen Saluationes noch immer. Heute allerdings war er für die Reize römischer Dekadenz nur bedingt empfänglich. Einerseits erschöpfte den jungen Duccier die unerträgliche Hitze in der ewigen Stadt, die innerhalb der Villa Flavia nur ein wenig geringer als in den Gassen Roms war. Andererseits empfing ihn heute der Senator Flavius Gracchus in einer Angelegenheit, die einfach viel zu kompliziert war. Caius hatte Angst, Fehler zu begehen, die ihn vor dem Senator lächerlich machen könnten.
"Ave Senator", erwiderte er den Gruß des Flaviers mit einem neidischen Blick auf die luftige Kleidung des Hausherrn. "So ist es. Ich bin mit der Erbsache Flavius Furianus betraut. Für gewöhnlich hätte ich die übliche briefliche Kontaktierung deiner Person gewählt, doch wollte ich in dieser Angelegenheit lieber den persönlichen Weg wählen. Mir erschien es sinnvoller, da ein Testament existiert, das nicht unbedingt an Komplexität mangelt."
Auf einen Wink hin kramte Polydorus aus einer Tasche ein Dokument hervor, das er seinem Herrn reichte. Dieser entrollte den Papyrus. Es war das Testament des Furianus. "Senator, das Testament des Flavius Furianus ist lang und weist eine Vielzahl an bedachten Personen auf. Noch vielzähliger ist die Aufstellung an Geldern, Waren und Grundstücken, die der Senator zu vererben gedachte."
An dieser Stelle wechselte Caius, dem der Schweiß am Haaransatz stand, von einem staatstragenden Gesichtsausdruck zu einem bedauernden. Freilich - sein hierbei nach außen hin sicheres Auftreten verriet nicht, dass ihm vor Aufregung geradezu speiübel war.
"Bedauerlicherweise bist du der einzige der einstmals im Testament gelisteten Erbberechtigten, der heute noch übrig ist. Hinzu kommt, dass das Geldvermögen des Senators schon vor seinem Tode bis auf eine Handvoll Münzen geschrumpft war. Schließlich ist auch der verbliebene Warenbestand bloß eine kleine Ansammlung von Wein- und Ölamphoren, Honigfässern und dergleichen."Nach kurzer Pause fügte Caius schlussendlich noch an: "Zuletzt ist da noch ein kleines Weingut, in meiner Liste als 'Vinae Flaviae' geführt. Und ein Schiff Namens 'Penelope'." Caius sah den Senator an. "Soweit ich die Rechtslage überblicken kann, würden alle diese Dinge dir zufallen, sofern du das Erbe annähmest." Während er dies sprach, reichte er dem Flavier das Schrifstück, damit er bei Unklarheiten gerne auch selbst einen Blick auf die vielen Zeilen werfen konnte. Dass die persönlichen Worte zu Beginn des Testaments wohl beim Tod des Furianus bereits verlesen worden waren, davon ging Caius aus.
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Der Flavier hörte sich an, was Duccius Callistus zu sagen hatte und nahm das Testament in Empfang. Sodann reichte er es an seinen Sklaven Sciurus weiter - Leibsklave, Vilicus, Sekretär und Mädchen für alles in Personalunion -, gänzlich die Länge des Schriftstückes übergehend und darob anweisend:
"Lies."
Das Testament war eine kleine, bisweilen etwas langatmige, Reise in die Vergangenheit, denn kaum jemand der erwähnten Personen weilte noch unter den Lebenden, es war eine Reminiszenz an - zumindest in der Erinnerung - schönere Tage, an eine größere Familie, an eine Jugend, welche das Alter nie hatte erblickt, eine Zeit, zu der auch Gracchus' Leben noch von größerer Unschuld war geprägt, einer Zeit vor dem Bürgerkrieg. Es dauerte lange bis der Sklave zu einem Ende kam, zu welchem Gracchus einige Augenblicke schwieg. Als sein Blick zurück aus der Vergangenheit in die Gegenwart wanderte kam er nicht umhin, den Duccier einen Augenblick besorgt zu betrachten.
"Ich honoriere deine Sorgfalt und dein Pfli'htbewusstsein, dass du ob dieser diffizilen Causa wegen gar persönlich den Weg hierher hast aufgenommen, gleichwohl in einer dem Staatsmanne angemessenen Apparenz."
Gracchus war sich durchaus bewusst, dass Konzilianz nicht in allen Konstellationen des römischen Lebens gefordert war, darum wandte er das Leides des jungen Amtsmannes in sein eigenes Problem, bei welchem dieser zur Lösung konnte beitragen.
"Dennoch möchte ich dir antragen, deine Toga hier im Hause der derzeitig extremen Umstände wegen abzulegen. Ich möchte nur ungern meinem Neffen erklären müssen, dass einer seiner er..folgreichsten Klienten ausgerechnet in meinem Officium der Hitze erlegen ist."
Nachdem dies geklärt war, ließ er ein kleines Seufzen echappieren.
"Furianus' Testament betreffend muss ich dir ehrlich gestehen, dass ich dir die verbindli'he Konsultation des Praetors würde empfehlen. Zweifelsohne könnte jener deiner Empfehlung folgen oder aber, er könnte das gesamte Testament anfechten aufgrund seiner Form, da das Erbe nicht in anteiligen Teilen aufgeteilt wird, sondern in ganz konkreten Summen und Mengen, welche in gegenwärtiger Zeit nicht mehr existieren. Ich meine mich zu entsinnen, dass in unseren Gesetzen zwar festgelegt ist, was mit einem größeren Erbe als testamentarisch verteilt geschieht, jedoch nicht mit einem geringeren. Wobei dies letztlich zwar aufgrund mangelnder weiterer Erben der im Testament genannten ohnehin irrelevant erscheint, indes könnte es dennoch zur Anfe'htung durch Agnaten oder Gentile ausreichen. Dies würde somit Scato betreffen, welcher kaum wohl zu meinem Nachteile klagen wird, dennoch würde ich bevorzugen, dass dies alles seine Richtigkeit hat."
Letztlich würde das kleine Vermögen des Furianus ohnehin dem Haushalt zugute kommen, doch die Tücken der Gesetze waren etwas, das Gracchus nur ungern zu seinen Gunsten mochte auslegen. -
Geduldig wartete Caius, während der Senator sich von einem Sklaven das Testament vorlesen ließ. Es dauerte eine ganze Weile, denn der Schrieb stellte sich recht ausufernd dar und betraf nicht bloß materielle Regelungen, sondern enthielt auch ausführliche Worte an die bedachten Angehörigen und Freunde. Schade, dass bloß einer übrig geblieben war, diese Worte anzuhören.
Schließlich wandte Senator Flavius sich mit der Aufforderung an Caius, die Toga abzulegen. "Du bist zu großzügig, Senator", entgegnete er glücklich. Auf einen Wink hin half Polydorus ihm beim entwinden des Stoffes von seinem Körper. Ob der Flavier einen Scherz gemacht hatte, was den unerwünschten Hitzetod anging, konnte Caius nicht recht beurteilen, weshalb er diesbezüglich bloß stumm schmunzelte. Er konnte sich jedenfalls gut ausmalen, wie sein Patron ob einer solchen Nachricht schäumen würde.
"Ich werde deine Überlegungen zur Wirksamkeit des Testamentes sorgsam in Betracht ziehen, Senator. Den Praetor werde ich anlässlich deiner Empfehlung gern aufsuchen, allein der angebrachten Sorgfalt wegen. In dem einen oder anderen Fall werte ich deine Aussage nun jedenfalls als Annahme der Erbschaft des Lucius Flavius Furianus. Zudem vermerke ich, dass mein Patron das Erbe ausschlagen würde." Er gab seinem Sekretär einen weiteren Wink, der eine entsprechende Notiz in der Akte machte. Das war so zwar nicht ganz korrekt gearbeitet, aber wer wollte das schon nachprüfen? Notfalls würde Senator Flavius Gracchus mit Sicherheit Zeugnis darüber ablegen, dass Senator Flavius Scato entsprechende Worte gesagt hatte.
"Womit wir bei einem weiteren Fall angelangt sind, wenn du erlaubst. Mir ist vor kurzem die Akte betreffend Iullus Flavius Fusus untergekommen. Mein Patron ist in dieser Sache Erbberechtigter. Befindet er sich derzeit im Hause? Falls nicht, kann ich auf dein Wort vertrauen, dass er das Erbe annehmen wird?" Caius erhoffte sich, derart gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.
Sim-Off: Da Scato aktuell leider desideratus ist, versuche ich gar nicht erst, das direkt mit ihm auszuspielen. Der Umweg über eine vertrauensvolle Zusicherung durch die Verwandtschaft erscheint mir allerdings als für römische Kungelei passende Handhabe.
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Den Fall Furianus quittierte Gracchus nurmehr mit einem Nicken. Es war ohnehin kaum zu erwarten, dass der Praetor der geringen Erbsumme wegen sich allzu lange damit würde befassen. Nach Furianus ging es indes sogleich mit Fusus weiter, was dem Flavier einen Stich ins Herzen stieß, denn während Furianus sein Leben in vollen Zügen hatte genossen und ausgekostet, hatten die Parzem dem schönen, klugen Fusus viel zu Wenig Zeit mit seiner Familie beschieden.
"Scato verbringt mit seiner Gemahlin ein paar Wochen auf dem Land."
Der Claudia war die extreme Hitze des Sommers nicht allzu gut bekommen, was sogleich im ganzen Hause Spekulationen auf baldigen Nachwuchs evozierte - außer in Gracchus' Gedanken, welcher für solcherlei Zustände nicht den geringsten Sinn aufbrachte.
"Doch du kannst dir dessen versi'hert sein, dass er das Erbe seines Bruders antritt."
Jeder Flavier würde das Erbe seines Bruders annehmen, im Gewinn oder Verlust, sofern jener nicht gerade in Ungnade gefallen und etwa ein christianischer Bischof geworden war - was auf Fusus glücklicherweise nicht zutraf.
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