Mit dem Wissen wächst der Zweifel

  • Aphorismus von Johann Wolfgang von Goethe


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    Bei all meinen Göttern, die mir heilig sind, ich werde nicht zulassen, dass dir oder dem Kind etwas geschieht! Das musst du mir glauben, Kleines! Genau das hatte ich zu ihr gesagt. So hatte ich es auch gemeint, zumindest zu dem Zeitpunkt, als ich es ihr gesagt hatte. In den Stunden danach hatten diese Worte immer noch in meinem Kopf nachgehallt. Und damit waren auch die Zweifel wiedergekommen. Aber wo waren all meine Götter abgeblieben? Warum konnten sie mich nicht mit der Gewissheit segnen. Tat ich wirklich das Richtige? Was wenn Iduna nun doch nicht die Frau war, mit der ich den Rest meines erbärmlichen Lebens verbringen wollte? Für Scato mochte die aktuelle Situation mehr als willkommen sein. Ich hatte mich verpflichtet, auf die Germanin auszupassen, damit sie keinen Unsinn mehr machte. Eh ich mich versah, war ich nun noch tiefer in diesen Sumpf der Verpflichtungen geraten. War das Kind tatsächlich von mir? Niemand konnte das mit Bestimmtheit sagen, nicht mal Iduna! Der Einzige, der davon profitierte war Scato. Spätestens in neun Monaten würde sein neuer Sklave das Licht der Welt erblicken, wenn alles gut ging. Ja, ein Sklave! Genau das würde Idunas Kind sein, wenn nicht… wenn nicht ein Wunder geschah. Es war wohl kaum zu erwarten, dass der Flavier Iduna vor der Geburt ihres Kindes freilassen würde. Dafür war er zu habgierig. Also was das Kind dazu verdammt, als Sklave sein Leben zu fristen.
    An diesem Punkt überkam mich dann wieder mein schlechtes Gewissen. Schließlich war ich es der sie in diese Lage gebracht hatte. Aber sollte ich dafür bis zum Ende meines Lebens bezahlen? Was also sollte ich tun? Mich davonstehlen, wie ein feiger Hund? Was hatte ich denn noch zu verlieren? Das sogenannte Ehrgefühl, von dem ich glaubte, es zu haben, war doch nur Augenwischerei! Einer wie ich hatte keine Ehre mehr. Also warum nicht davonstehlen? Und um alles perfekt zu machen, war es das Beste, wenn ich mich tatsächlich aus dem Staub machte. Einfach abhauen… irgendwo untertauchen… für eine gewisse Zeit, bis niemand mehr nach mir suchte… Ja, das war es!

  • Tage und Wochen vergingen und was zunächst nur als fixe Idee in meinem Kopf begonnen hatte, war inzwischen zu einem handfesten Plan herangereift. Nächtelang hatte ich wachgelegen und darüber nachgesonnen, wie ich es am besten anstellen sollte, zu fliehen.
    Ich hatte sofort die Idee verworfen, ein Schiff nach Gallia oder gar Britannia zu nehmen. In Ostia würden sie zuerst nach mir suchen. Jedes Schiff, das auslaufen wollte, würden sie durchsuchen. Nein, das war wirklich keine gute Idee!


    Dann erinnerte ich mich an meinen Ritt nach Ravenna, vor einigen Jahren. An die stillen Augenblicke, als ich den Apennin überquert hatte. Ja genau! Mit einem Pferd hinaus aus dieser verkommenen Stadt und dann irgendwo in den Bergen Zuflucht finden. Abseits der Straßen würde mich so schnell niemand finden. Verborgen in den zerklüfteten Bergen. Ich konnte vom Jagen leben und von dem, was die Natur sonst noch hergab. Zum Glück war ich nicht so verweichlicht, wie diese verdammten Römer.


    Ich begann, Vorkehrungen zu treffen und schloss sogar meinen Freund Cian ins Vertrauen, der mich unterstützen wollte, wo er nur konnte. Obwohl es für ihn und seine Familie gefährlich werden konnte.


    Und Iduna? Ich hatte mich in den letzten Wochen kaum blicken lassen. Als ob ich damit rechnete, sie könne irgendwie herausfinden, was ich vorhatte. Noch immer haderte ich mit mir selbst, ob ich sie zurücklassen oder doch mitnehmen sollte. Konnte sich denn eine Frau wie sie in der Wildnis zurechtfinden? Sicher konnte sie das! Daran hatte ich gar keine Zweifel. Wahrscheinlich würde es mit einem kleinen Kind schwieriger werden. Doch ich war fähig, für eine Familie zu sorgen. Die Frage, die sich mir allerdings stellte, war folgende: Wollte ich das wirklich? Auch meine Götter verhielten sich, was diese Sache anging, weiterhin ruhig, um nicht zu sagen total verstockt. Kein einziger Fingerzeig, der mit eindeutig klarmachte, ob ich mich meiner Verantwortung stellen sollte. Es war wirklich zum Haare raufen!

  • Es war still geworden in der Villa Flavia. Die hohen Herren und Damen hielten sich auf ihren Landgütern auf und auch Scato befand sich momentan nicht in Rom. Vermutlich ebenfalls in einer seiner Sommer-Residenzen. Doch darüber wusste Iduna nicht Bescheid. Genauso wenig über die Tatsache wann ihr Dominus wieder zurück kehren würde.


    Und so glich die flavische Villa in den letzten Monaten einer geisterähnlichen Villa. Wären da nicht die Sklaven die sich dennoch in Rom und in der Villa befanden. Und zu eben jenen Sklaven zählte die rothaarige Germanin. Ihre Hände hatte sie unbewusst schützend über ihrem Bauch gefaltet. Denn dort drin wuchs neues Leben heran. Neues Leben das schlußendlich dazu verdammt sein würde, als Sklave oder Sklavin der Flavier zu leben.


    Bei diesem Gedanken spürte Iduna wie ihr ein eisiger Schauer den Rücken hinabrieselte. Nein! Das durfte nicht geschehen. Doch was konnte eine einfache Sklavin an dieser unumstößlichen Tatsache schon ändern? Da fiel Iduna die Unterhaltung mit Angus wieder ein... Apropos Angus. Wo steckte der Kelte überhaupt? Hatte er sich etwa vor ihr versteckt und gab ihr dadurch zu verstehen das er sie nicht mehr sehen wollte?


    Nachdenklich schlich die zierliche Rothaarige somit durch die Gänge der Villa, wobei sie instinktiv hoffte auf den Kelten zu treffen.

  • Tag um Tag verging und ich versuchte die Vorkehrungen für meine Flucht weiter voranzutreiben. Immer wieder ging ich jeden einzelnen Punkt durch, denn je besser ein Plan war, umso besser funktionierte er hinterher. Zumindest wollte ich das so glauben. Jedoch gab es da etwas, was mir immer noch Kopfzerbrechen bereitete. Ich suchte immer noch nach einem passenden Anlass, der plausibel erklärte, warum ich die Stadt verlassen sollte. Einen Auftrag! Natürlich gab es den nicht. Scato war mit seiner Angetrauten in die Ferien entschwunden. Die beiden hatten dafür eine Schar erlesener Sklaven mitgenommen, zu der ich offenbar nicht gehört hatte. Das war mein Glück! Dummerweise hatte er keinen Siegelring da gelassen, mit Hilfe dessen ich mir sozusagen selbst einen „Auftrag“ hätte basteln können. Wenn die Stadtwachen mich am Tor kontrollierten, musste ich doch etwas vorweisen können!


    Doch dann geschah etwas, womit ich gar nicht mehr gerechnet hätte. Anscheinend hatten sich die Götter doch noch besonnen, denn der so langerwartete göttliche Fingerzeig kam eines Tages schließlich mit der Post. Ein Bote hatte einen Brief abgegeben, auf dem ein flavisches Siegel prangte und der für Scato bestimmt war.
    Diese Gelegenheit ließ ich mir nicht entgehen! Jetzt musste alles schnell gehen, falls sich doch noch jemand für diesen Brief zu interessieren begann. Also bereitete ich alles vor, so dass ich am nächsten Morgen noch vor Sonnenaufgang aufbrechen konnte.


    Geschäftig eilte ich durch die Villa und den Sklaventrakt und beachtete kaum meine Mitsklaven, die mir begegneten, bis jedoch ganz plötzlich Iduna vor mir stand.
    Als wäre ich einem Geist über den Weg gelaufen – genau das beschrieb meinen Gesichtsausdruck, als ich vor ihr erstarrte. War das ein weiterer göttlicher Fingerzeig?
    „Iduna“, brachte ich schließlich erstaunt heraus. Tausend Fragen schwirrten plötzlich durch meinen Kopf: Was machte sie hier? Wusste sie, was ich vor hatte? Ahnte sie etwas? Oder war gar etwas mit ihr oder dem Kind? Das Kind – natürlich!
    Endlich wich die Starre in mir und ich berührte sie sanft an ihren Armen. „Was ist los, Kleines? Alles in Ordnung mit dir?“, fragte ich besorgt.

  • Meine Augen lagen abwartend auf ihr. Warum sagte sie nichts? Oder kam es mir nur so vor, als zögere sie? Was es auch immer war, es würde vorerst ihr Geheimnis bleiben, denn bevor sie antworten konnte, drängten sich zwei Gestalten an uns vorbei. Sichtlich davon gereizt davon, wollte ich bereits meine Stimme erheben, als sich schon Astarte und Phrima zwischen uns aufbauten. Ausgerechnet Astarte! Diese hinterhältige Schlange! „Na? Probleme unter Liebenden?“, fragte sie spöttisch und grinste uns beide hämisch an.
    „Verzieh dich, du dämliches Miststück. Das hier geht dich gar nichts an!“, zischte ich zurück. Dann wandte ich mich an Phrima. „Nimm deine Freundin und dann seht zu, dass ihr Land gewinnt!“ Die Sklavin wollte etwas darauf erwidern. Eigentlich hatte ich nie Probleme mit Phrima gehabt und irgendwie tat es mir auch leid, sie so angefahren zu haben. Aber ich stand schon genug unter Druck wegen Iduna und der Flucht. Daher konnte ich gut und gerne auf Astartes Sticheleien verzichten.


    „Wir gehen nirgendwo hin. Jedenfalls nicht mit euch beiden Hübschen. Sciurus will euch sehen und zwar sofort! Wenn ich also bitten dürfte!“, entgegnete Astarte mit gleichbleibender Miene. Sie genoss es offenbar sehr, Iduna und mich herumkommandieren zu können.


    „Sciurus?!“, erwiderte ich erschrocken. Tatsächlich durchfuhr mich bei diesem Namen ein eiskalter Schauer. Ich wusste, dass es meist nichts Gutes bedeutete, wenn man zu dem Villicus zitiert wurde. Ich nickte nur still, ergriff Idunas Handgelenk und zog sie schweigend hinter mir her. Lediglich einen vielsagend Blick hatte ich ihr zugeworfen. Sie sollte sich keine Sorgen machen. Egal was kam, heute Abend würden wir von hier fortgehen.
    Die beiden Sklavinnen gingen voraus, so dass wir ihnen nur noch folgen mussten.



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