Lehre des Heils, Werke des Lichts | Der Gerechte wird aus Glauben leben

  • Die Gemeinschaft und ihre Gäste feiern die Abendandacht, versammelt im Atrium. Milder Kerzenschein liegt in verklärten Gesichtern. Kapuzenmäntel hängen im Vestibulum. Viele haben sich auf dem Weg zum Haus verhüllt oder verschleiert. Die Mitglieder der Gemeinschaft missionieren eifrig. Jede Woche sind neue Gesichter dabei. Neu Bekehrte, Sympathisanten, Sinnsucher, Rebellen im Geiste, Neugierige, oft auch Gäste aus den anderen christlichen Gemeinden der großen Stadt.
    Wo früher der Hausaltar der Casa Didia stand, ist nun eine Kapelle. Die Türen weit geöffnet. Laren und Penaten sind verschwunden, statt dessen hängt dort das Kreuz, daran der gemarterte Leib des Erlösers.
    Zuerst haben sie gemeinsam einen Psalm gesungen.
    Dann liest Philotima aus den Paulusbriefen. Fest und beseelt erfüllt ihre Stimme das Atrium.


    Vom Wunsch des Paulus nach Rom zu kommen:
    "Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!
    So schrieb der Apostel Paulus an uns Römer:
    Zuerst danke ich meinem Gott durch Jesus Christus für euch alle, dass man von eurem Glauben in aller Welt spricht. Denn Gott ist mein Zeuge, dem ich in meinem Geist diene durch das Evangelium von seinem Sohn, dass ich ohne Unterlass euer gedenke und allezeit in meinem Gebet flehe, ob sich's wohl einmal fügen möchte durch Gottes Willen, dass ich zu euch komme. Denn mich verlangt danach, euch zu sehen, damit ich euch etwas mitteile an geistlicher Gabe, um euch zu stärken, das ist, dass ich zusammen mit euch getröstet werde durch euren und meinen Glauben, den wir miteinander haben. Ich will euch aber nicht verschweigen, Brüder und Schwestern, dass ich mir oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen – wurde aber bisher gehindert –, damit ich auch unter euch Frucht schaffe wie unter andern Heiden. Griechen und Nichtgriechen, Weisen und Nichtweisen bin ich es schuldig; darum, soviel an mir liegt, bin ich willens, auch euch in Rom das Evangelium zu predigen."


    Vom Evangelium als der Kraft Gottes:
    "Und weiter schrieb uns der Apostel:
    Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben. Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: "Der Gerechte wird aus Glauben leben."

  • Roma war mit nichts zu vergleichen, was Sulamith bisher in ihrem Leben gesehen hatte. Lappa, Gortys oder auch Knossos waren rein gar nichts im Vergleich zur urbs aeterna. Darum gab es auch immer wieder Neues zu entdecken, wenn sie alleine oder zusammen mit Graecina die Stadt durchstreifte. Es machte auch einfach sehr viel Freude, die über die Plätze und durch die Straßen und Gassen zu wandern und dabei die vielen Gesichter Roms kennenzulernen. Menschen aus allen Teilen des Imperiums lebten hier in der Stadt am Tiber und jeder hatte ein kleines Stückchen seiner eigenen Kultur mitgebracht. Aber auch neue Lehren von exotischen Kulten hatten auf diesem Weg nach Rom gefunden. Seit einigen Jahren erblühte daher eine Gemeinschaft, die inzwischen schon mit zahlreichen Anhängern versehen war und die Lehren eines gewissen Jesus Christus aus Nazareth in der Provinz Iudaea verbreitete.Roma war mit nichts zu vergleichen, was Sulamith bisher in ihrem Leben gesehen hatte. Lappa, Gortys oder auch Knossos waren rein gar nichts im Vergleich zur urbs aeterna. Darum gab es auch immer wieder Neues zu entdecken, wenn sie alleine oder zusammen mit Graecina die Stadt durchstreifte. Es machte auch einfach sehr viel Freude, die über die Plätze und durch die Straßen und Gassen zu wandern und dabei die vielen Gesichter Roms kennenzulernen. Menschen aus allen Teilen des Imperiums lebten hier in der Stadt am Tiber und jeder hatte ein kleines Stückchen seiner eigenen Kultur mitgebracht. Aber auch neue Lehren von exotischen Kulten hatten auf diesem Weg nach Rom gefunden. Seit einigen Jahren erblühte daher eine Gemeinschaft, die inzwischen schon mit zahlreichen Anhängern versehen war und die Lehren eines gewissen Jesus Christus aus Nazareth in der Provinz Iudaea verbreitete.


    Dank Graecinas Großmütigkeit hatte Sulamith ihre hebräische Lebensweise so gut es eben ging, beibehalten können. So konnte sie immer den Schabbat ehren und die jüdischen Speisegesetze einhalten. Ihre Herrin hatte bereits in ihren Jugendjahren Interesse am jüdischen Glauben gezeigt, obwohl sie sich anfangs nicht vorstellen konnte, dass all die vielen Belange des menschlichen Daseins nur von einem einzigen Gott gelenkt werden konnten. Der Nazarener und seine Lehre war Sulamith zum ersten Mal in Gortys begegnet. Natürlich hatte sie auch Graecina von dieser geheimen östlichen Sekte berichtet und hatte damit große Wissbegirde bei der Iulia ausgelöst. Daher war es nicht verwunderlich, dass die beiden jungen Frauen bereits kurz nach ihrer Ankunft in Rom erste Kontakte zu der Gemeinde knüpften. Dass sie dabei vorsichtig vorgehen mussten, war ihnen bewusst.


    Durch Zufall hatte die Hebräerin von einer Zusammenkunft der christlichen Gemeinde in der Casa Didia gehört. Seltsam nur, dass dies auch das Haus des neuen Mercurius-Priesters war. Sie hatte ein eigenartiges Bauchgefühl auf dem Weg dorthin, zumal sie nicht allein war. Schnell huschten die beiden Frauen durch die Gassen und erreichten bald darauf die Casa. Sie traten ein und fanden sich bald im Atrium wieder, in dem sich schon eine größere Menge von Menschen angesammelt hatten. Eine junge Frau, die nur wenige Jähre älter war als sie und ihre Begleiterin, las etwas vor.

  • Eingehüllt in einen dunklen Mantel mit einer Kapuze, die ihr Gesicht verhüllte, war Graecina ihrer Sklavin gefolgt. Ihr Herz schlug wie wild in ihrer Brust. Wie sollte sie sich erklären, wenn man sie bei einer Christianer-Versammlung entdeckte? Doch sie konnte nicht anders, sie musste dort hin! Sie wollte einfach mehr erfahren über diese neue Lehre, die so vielen Menschen wieder neue Hoffnung und Kraft gab und die Verkommenheit des Molochs Rom so verurteilte. Die junge Iulia war sich sicher, dass sich etwas ändern musste. Nicht nur bei ihr selbst, auch bei allem um sie herum.


    Sie konnte sich glücklich schätzen, in Sula eine treue Freundin zu haben, der sie sich anvertrauen konnte und die zu dem stand, woran sie glaubte. Zwar war sie ihre Sklavin, doch als das sah sie sie nicht. Sie war ein Mit-Mensch und eine Freundin für sie.
    Manchmal beneidete sie die Hebräerin, wie standhaft sie in ihrem Glauben war, trotz aller Widrigkeiten. Ob sie auch so stark sein konnte, wenn man sie eines Tages vor die Wahl stellen sollte?


    Unterwegs zur Casa Didia waren ihnen zwei andere Frauen begegnet, die sich nicht weniger angsterfüllt durch die Straßen der Stadt bewegt hatten. Auch sie hatten sich ständig umgesehen, um sicher zu sein, dass sie niemand verfolgte. Zwar war es in den letzten Monaten kaum noch zu Verhaftungen oder gar Razzien gekommen, doch konnte niemand wissen, wann es wieder so weit war bis die Gemeinde erneut ins Visier der Staatsgewalt rückte.


    Die Porta stand für sie offen, so dass sie sich alsbald im Atrium mit etlichen anderen ‚Geschwistern‘ wiederfanden. Trotz der vielen Menschen war es still, lediglich die klare Stimme einer jungen Frau war zu hören. Graecina zog die Kapuze zurück, sah sich zuerst noch etwas verunsichert um. Diese Leute hier, waren aus demselben Grund hier, der auch Sulamith und sie hierher geführt hatte. Sie waren nicht allein! Eine Tatsache, die sie allmählich entspannen ließ.

  • Wenn Philotima predigte war das wie ein Wunder. Sie schaffte es alle in ihren Bann zu ziehen. Ihre Worte waren tröstend oder erhellend. Lehrreich oder liebevoll. Voll Hoffnung und Glaube. Oder Zorn gegen die Sünder. Auch wenn sie aus Schriften des Glaubens nur vorlas konnte man fast meinen dass der Schreiber durch sie selbst sprach. Und manchmal, da war ich mir ganz sicher, da sprach der Herr direkt mit ihrer Stimme zu uns!


    Unser Haus war heute Abend gut besucht. Vor unserer kleinen Kapelle sangen wir und Philotima las aus den Briefen des Paulus.
    "Der Gerechte wird aus Glauben leben." wiederholte ich unbewusst vor mich hin und meine Augen leuchteten vor Begeisterung. Ich schaute zu der Frau neben mir die heute zum ersten Mal hier war. Zumindest hatte ich sie noch nie in unserer Gemeinde gesehen.
    "So ist es!" lächelte ich ihr freundlich zu und war beseelt von meinem Glauben.

  • Weiter rezitiert Philotima aus dem Brief, nun von der Gottlosigkeit der Heiden.
    "So offenbart uns Paulus:
    Denn Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbart über alles gottlose Leben und alle Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten. Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart. Denn sein unsichtbares Wesen – das ist seine ewige Kraft und Gottheit – wird seit der Schöpfung der Welt, wenn man es wahrnimmt, ersehen an seinen Werken, sodass sie keine Entschuldigung haben. Denn obwohl sie von Gott wussten, haben sie ihn nicht als Gott gepriesen noch ihm gedankt, sondern sind dem Nichtigen verfallen in ihren Gedanken, und ihr unverständiges Herz ist verfinstert. Die sich für Weise hielten, sind zu Narren geworden und haben die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauscht mit einem Bild gleich dem eines vergänglichen Menschen und der Vögel und der vierfüßigen und der kriechenden Tiere. Darum hat Gott sie in den Begierden ihrer Herzen dahingegeben in die Unreinheit, sodass sie ihre Leiber selbst entehren. Sie haben Gottes Wahrheit in Lüge verkehrt und das Geschöpf verehrt und ihm gedient statt dem Schöpfer, der gelobt ist in Ewigkeit. Amen.
    Darum hat sie Gott dahingegeben in schändliche Leidenschaften; denn bei ihnen haben Frauen den natürlichen Verkehr vertauscht mit dem widernatürlichen; desgleichen haben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassen und sind in Begierde zueinander entbrannt und haben Männer mit Männern Schande über sich gebracht und den Lohn für ihre Verirrung, wie es ja sein musste, an sich selbst empfangen. Und wie sie es für nichts geachtet haben, Gott zu erkennen, hat sie Gott dahingegeben in verkehrten Sinn, sodass sie tun, was nicht recht ist, voll von aller Ungerechtigkeit, Schlechtigkeit, Habgier, Bosheit, voll Neid, Mord, Hader, List, Niedertracht; Ohrenbläser, Verleumder, Gottesverächter, Frevler, hochmütig, prahlerisch, erfinderisch im Bösen, den Eltern ungehorsam, unvernünftig, treulos, lieblos, unbarmherzig. Sie wissen, dass nach Gottes Recht den Tod verdienen, die solches tun; aber sie tun es nicht nur selbst, sondern haben auch Gefallen an denen, die es tun."


    Darauf lässt sie die Schrift sinken und fährt mit ihren eigenen Worten inbrünstig fort:
    "So schrieb uns Paulus, und in diesem Sündenpfuhl, Brüder und Schwestern, leben wir hier in Rom tagtäglich. Wie fragt ihr, sollen wir uns rein halten, umgeben von Schmutz? Wie fragt ihr, sollen wir nicht verzagen, angesichts der Schlechtigkeit unserer Mitmenschen? Was kann unser eigenes kleines Tun schon ausrichten, verlacht von den Narren und verfolgt von den Grausamen?
    Der HERR hat uns die Antwort schon gegeben.
    Wie Lichter in der tiefsten Nacht, so ist es an uns zu leuchten und auch unseren Nächsten Licht zu spenden. Schwache Sünder sind auch wir, doch bußfertig. Wohl keiner unter uns hier kann sagen, er oder sie wäre niemals gestrauchelt. Doch im Gebet fragen wir den HERRN, wie wir uns bessern und läutern können, und mit offenem Herzen vernehmen wir seine Antwort und gehorchen ihm. In unserer Gemeinschaft halten wir einander, lieben einander von Herzen und achten aufeinander.
    Der HERR hat uns seinen Sohn gesandt, der für unsere Sünden gestorben ist! So werden in seiner unendlichen Liebe und Gnade auch unsere Sünden vergeben, wenn wir redlich an ihn glauben und in seinem Namen Gutes tun.
    Finsterstes Heidentum herrscht in dieser Stadt! Nicht verzweifeln soll uns dies lassen. Es soll uns Ansporn sein! Ein jeder, eine jede von uns hat die Frohe Botschaft vernommen. Ein jeder, eine jede von uns, ist dazu ausersehen, sie zu verbreiten. Geht hin zu den Sündern, haltet sie ab von ihrem schändlichen Tun und sprecht zu ihnen vom HERRN, helft ihnen, auf den Pfad des wahren Glaubens und der Tugenden zu gelangen! Denn es gibt welche unter ihnen, in denen noch etwas Gutes ist, und die wir noch retten können vor der ewigen Verdammnis, diese dürfen wir nicht im Stich lassen!
    Denkt stets daran: dies irdische Sein ist kurz, und schon bald wird er über uns kommen, der Tag des jüngsten Gerichts. Das Licht des Herrn ist in uns, seinen auserwählten Kindern. Lassen wir es leuchten! Amen."


    Auch einige andere Brüder und Schwestern, die sich heute berufen fühlen, treten nacheinander vor die Gemeinschaft und predigen aus dem Herzen.
    Danach spricht Philotima die Segensworte über Brot und Wein, und die Gemeinschaft teilt das Abendmahl.

  • Die junge Iulia hatte kaum Zeit, sich umzusehen. Neugierig versuchte sie, ein Stück weiter nach vorne zu gelangen. Obwohl sie eine Fremde war, schien sie niemand als solches wahrzunehmen. Sie blickte auf milde und freundliche Gesichter, die aus dem gleichen Grund hier waren, wie sie.
    Nach einer Weile gelang es ihr schließlich, einen Blick auf die junge Frau zu werfen, die sprach. Sie hörte ihr aufmerksam zu. Doch dann sah sie sich nach Sula um, die eigentlich hinter ihr sein sollte. Doch statt ihrer erblickte sie einen jungen beleibten Mann. ‚Der Gerechte wird aus Glauben leben‘, hatte er soeben mehr zu sich als zu ihr gesagt. Graecina sann über diese Worte nach. Dann lächelte er sie freundlich an. Ja, so war es. Sie entgegnete sein Lächeln und fühlte sich mit einem Mal darin bestärkt, wie gut es doch gewesen war, hierhergekommen zu sein.


    Die junge Frau las einen Text über die Schlechtigkeit der Menschen, diejenigen, die nicht glaubten. Vieles von dem gehörte praktisch zur Tagesordnung, jedoch manches, von dem was sie hörte, erschien ihr fremdartig, ja gar ungeheuerlich. Graecina war sehr behütet aufgewachsen. Sie hatte zwar um die Pflicht der Frau in der Ehe gehört, jedoch nichts über die Begierde oder Leidenschaft, geschweige denn von gleichgeschlechtlicher Liebe. Gab es so etwas wirklich?
    Während sie sich darüber den Kopf zerbrach, spürte sie plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter. Erschrocken fuhr sie um. Doch es war nur Sula, die über das ganze Gesicht strahlte. „Da bin ich endlich…Und, wie findest du es?“ fragte sie Iulia leise.
    „Interessant… äh ja, gut… sehr gut“ antwortete sie leicht irritiert, da sie das Gehörte noch immer beschäftigte. Sula nickte überschwänglich und drückte Graecinas Hand.


    Die junge Frau hatte inzwischen die Schriftrolle sinken lassen, aus der sie vorgelesen hatte. Doch sie sprach weiter, mit ihren eigenen Worten. Was sie sagte, klang versöhnlich und hoffnungsvoll. Der Sohn Gottes war gesandt worden, um für die Sünden der Menschen zu sterben – auch für ihre Sünden. Sie sprach vom Licht des Herrn, das in ihr leuchtete. Sie, Graecina, war auserwählt! Neben sich hörte sie Sula und auch viele andere der Anwesenden, die ihrerseits mit „Amen“ antworteten.


    Der Abend schritt voran und sie hörte noch andere Mitglieder der Gemeinschaft. Letztendlich trafen sich alle zu einem Mahl, bei dem die beiden jungen Frauen auch teilnahmen.

  • Philotimas Predigt endete mit dem Abendmahl. Nachdem wir an Christus Leib durch Brot und Wein teilhatten folgte ein einfaches Essen. So wichtig wie Christus, so wichtig war die Gemeinschaft. Und wo entstand mehr Gemeinschaft als beim Essen?
    Es gab einen Hirse-Gemüseeintopf und Fladenbrot. Einfach, aber lecker. Und wir waren ja schließlich nicht zur Völlerei hier!


    Ich hatte mich strategisch gegenüber den beiden neuen Frauen gesetzt.
    "Ihr seid zum ersten Mal hier, oder?" sprach ich sie an. "Ich bin Volusus. Wie hat es euch gefallen? War das euer erster Gottesdienst?"


    Beim ersten Mal konnte so ein Gottesdienst auf Römer schon etwas befremdlich wirken. Ich erinnerte mich noch genau an mein erstes Mal. Andererseits hatte es mich auch tief bewegt. Und ich hoffte natürlich, dass auch jeder der zu uns kam tief bewegt wurde.

  • Es war ein einfaches aber schmackhaftes Essen. Graecina und Sula hatten nebeneinander Platz genommen. Die junge Iulia zierte sich anfangs etwas, da sie ja niemanden hier kannte. Für Sulamith aber war es selbstverständlich, sich nach dem Gottesdienst mit den Brüdern und Schwestern der Gemeinschaft zu einem Mahl zu treffen. Es erinnerte sie ein wenig an das Shabbath-Mahl, das ihre Mutter früher für gewöhnlich zu jedem Beginn des Shabbats am Freitagabend immer aufgetischt hatte.
    Sula ermunterte ihre Freundin und Herrin dazu, sich auch etwas vom Essen zu nehmen und somit Teil der Gemeinschaft zu werden. Schließlich nahm sich auch Graecina ein wenig von dem Eintopf und ein Stück vom Fladenbrot. Gerade als sie den letzten Bissen hinunter geschluckt hatte, sprach sie ein Mann an, der sich ihnen gegenüber gesetzt hatte.


    „Äh, ja. Heute zum ersten Mal,“ entgegnete die Iulia. Da ihr Gegenüber sich ihnen vorgestellt hatte, wollte sie dies erwidern. „Oh, es ist schön, dich kennenzulernen, Volusus. Ich bin Graecina und dies ist meine Freundin Sula… Sulamith.“ Dabei wies sie auf die Hebräerin, die ihm freundlich zunickte. „Ja, also für meinen Teil kann ich sagen, dass es sehr schön war und inspirierend,“ meinte Graecina.


    „Ich habe schon einigen Treffen beigewohnt. Einigen hier in Rom und zu Hause in Gortys. Unsere Heimat ist Kreta, musst du wissen,“ fügte Sulamith hinzu, die ihr Stück Fladenbrot beiseitegelegt hatte und Volusus antwortete.

  • "Graecina und Sula, schön dass ihr heute hier seid!" Das meinte ich wirklich so. Mit jedem der Teil der Gemeinschaft wurde oder ihr zumindest nicht abgeneigt war wurde die Welt ein Stück besser.


    "Kreta, toll!" tat ich dann ganz weltgewandt. Dabei war ich über Rom nie hinaus gekommen. Und meine Geografiekenntnisse waren auch mager. War das nicht eine Insel im Süden? Vor Mauretanien? Oder doch Ägypten? Na, egal. Am besten schnell das Thema wechseln.
    "Ich finds einfach super dass es auf der ganzen Welt schon christliche Gemeinden gibt. Also, das hören wir zumindest immer von Gästen." Nicht dass die zwei jetzt dachten ich wäre schon herum gekommen und mich irgendwas fragten.


    "Vor ein paar Jahren als ich dazu gekommen bin da hatte ich echt Angst dass das Christentum nur eine Sekte sein könnte. Ihr wisst schon so eine von denen man Schauermärchen hört. Dass sie einem nur das Geld aus der Tasche ziehen wollen. Oder einem die Kinder stehlen um sie irgendwelchen Unterweltgöttern zu opfern. Also, nicht dass ich schon Kinder hätte." Ich wurde ein bisschen rot. Ich hatte ja noch nicht mal eine Frau. Kein gutes Thema.
    "Oder so eine ganz abgedrehte Truppe bei der man am Ende oben von unten nicht mehr unterscheiden kann und auf irgendeinem Berg hockt und sich selbst köpft im Vertrauen darauf dass einen Osiris direkt mit dem Sonnenwagen abholt und ins Licht bringt." Das war jetzt vielleicht doch ein bisschen zu krass. Ich lachte verlegen.
    "Aber zum Glück hab ich schnell rausgefunden dass es hier anders ist. Eine echte Chance auf Veränderung! Eine eine echte Chance für eine bessere Welt für alle. Ein Gott der all seine Kinder liebt, so wie wir sind, ohne dass wir ihn dafür bestechen müssen. Und eine tolle Gemeinschaft in der jeder so willkommen und akzeptiert ist wie Gott ihn oder sie geschaffen hat."

  • Zwischen den Brüdern und Schwestern, an der Mitte der langen Tafel, sitzt Philotima. Während des Gottesdienstes hat sie gespürt, wie die Macht Gottes durch sie hindurch wirkt. Ein Strom, der sich Bahn bricht. Eine Botschaft, deren bescheidenes Gefäß zu sein ihr bestimmt ist.
    Nun ist sie wortkarg, wie stets nach dem Predigen. Still leert sie eine kleine Schale mit Eintopf. Volusus macht sich derweil mit den beiden neuen Gesichtern bekannt. Sulamith, ein schöner und großer Name. Es gibt, außer Binah, der guten Seele, vor allem "Heidenchristen", bisher nur wenig "Judenchristen" in der Gemeinschaft. Das hat sich so ergeben.
    Philotima lächelt mild. Obgleich der Bruder drastische Worte wählt, sein großes Herz scheint wie immer hindurch. Sie legt den hölzernen Löffel in die Schale. Tupft sich den Mund ab. Zu den Schwestern über den Tisch gebeugt, bekräftigt sie seine Worte:
    "Ihr seid hier sehr willkommen, Graecina und Sulamith, Schwestern aus Kreta. Mein Name ist Philotima. Ich komme ebenso wie ihr von weit her. An den Gestaden des Pontus Euxinus hat mich SEIN Ruf ereilt und hierher bin ich ihm gefolgt. Wir sind eine Gemeinschaft tätiger Nächstenliebe."

  • Im Gegensatz zu Sulamith, die sich sofort in dieser Gemeinschaft wohlzufühlen schien, konnte die junge Iulia ihre Beklommenheit nicht sofort ablegen. Was es genau war, was die junge Römerin zögern ließ, konnte sie so genau gar nicht sagen. Vielleicht war es die Furcht, hier bei dieser Versammlung entdeckt zu werden. Sie entstammte einer der angesehensten Familien Roms. Was würden ihre Verwandten sagen, wenn man sie fier fände? Andererseits konnte sie ihre Sympathie für die Lehren der Christen nicht verleugnen. Die Idee, dass jeder angenommen war, ganz gleich wer oder was er war, imponierte ihr. Ja, die Lehre des Nazareners war wirklich revolutionär!


    Graecinas Anspannung schwand allmählich, woran der junge Mann, der sich ihr gegenüber gesetzt hatte, nicht ganz unschuldig war. Er sorgte dafür, dass sie sich nicht länger als Fremdkörper empfand. Er nahm ihr alle Zweifel. Wobei sie es eigentlich nicht mochte, wenn jemand so auf sie einredete. Doch Volusus‘ Art war sie erfrischend anders. Er sagte, was er dachte. Auch wenn manches doch recht skurril war. Dennoch war sein Wesen weit davon entfernt, so gekünstelt, wie das geckenhafte und aufgeblasene Getue der sogenannten feinen Gesellschaft Roms zu sein.


    „Ich bin auch froh, dass wir beide heute Abend hier hergekommen sind“, antwortete sie und blickte dabei lächelnd zu Sulamith. „Meine Freundin hat mir davon erzählt. Du musst wissen, sie ist Hebräerin und als wir noch Kinder waren hat sie mir oft Geschichten aus der Tanach erzählt. Das Wort Gottes hat mich schon damals fasziniert. Wenn sie nicht wäre, dann wäre ich heute nicht hier.“ Sie richtete wieder ihren Blick auf Volusus und lächelte.


    Philotima, die junge Frau, deren Worten sie vorhin so eindringlich gelauscht hatte, erschien an ihrem Tisch. Graecina sah auf und nickte ihr anerkennend zu. Auch sie war so ganz anders, wie sie es von einer jungen Römerin gewohnt war. Eine Frau, die so offen das Wort ergriff und zu den Menschen sprach hatte sie noch nie erlebt. „Vielen Dank, Philotima! Für eure Gastfreundschaft. Ich muss gestehen, deine Predigt hat mich sehr beeindruckt! Ich bin dankbar dafür, dich kennenlernen zu dürfen.“ Eine Freu wie sie konnte ihr den Weg weisen, um die letzten Hürden zu nehmen, die sie noch davon trennte eine wahre Christin zu werden.

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