Das Nest der Krähe
Und da waren sie, direkt vor ihnen lag das Nest der Krähe. Sie waren der Hauptstraße Richtung Stadtmauer gefolgt bis zum Trinkwasserbrunnen. Dort waren sie rechts abgebogen, wie es ihnen der Junge gesagt hatte. Die verwinkelte Nebengasse hatten sie passiert und blickten direkt auf ein Haus mit mehreren Vorsprüngen. Zwei Etagen, ohne Fassadenschmuck und rau verputzte Wände.
Das Nest der Krähe.
Und wie sich herausstellte, war das Nest nicht unbewacht. Lurco gab Kyriakos ein Zeichen. Jetzt hieß es alles oder nichts. Lurco war dem Typen lautlos gefolgt und sprang er ihm aus den Schatten in die Knochen. Mit einem Brüllen drehte sich die Krähe um und erstarrte.
`Ein Urbaner? Ein einziger Urbaner?´, schoss es dem Mann durch den Kopf.
Unheimlich wie ein düsteres, überirdisches Wesen sah dieser Urbaner aus. Gesandt von seinem Kriegsgott um an ihnen Rache zu üben. Mit einem Gesicht blasser als der Marmor der Statuen starrte er binnen Sekunden dem Urbaner mit den stechend hellen Augen ins Gesicht und griff dann ohne zu zögern an.
Er war kein Idiot, er war eine ausgebildete Krähe, sie waren die Herren der Unterwelt, die Herrscher Suburas und dieser Urbaner hatte ihn angegriffen. Ein einzelner Mann mit Höhenkoller, der Kerl war so gut wie tot und er zählte schon die Sesterzen für die Ausrüstung.
Die Krähe griff sofort nach seiner Waffe. Doch dieser Urbaner stürzte sich bereits auf ihn und das unfassbar schnell. Der Kerl machte irgendwas mit ihren Händen, dass die Krähe nur als verschwommene, blitzartige Bewegung sehen konnte.
Richtig wahrnehmen konnte er es nicht. Kaum dass er seinen Dolch gezückt hatte, hatte Lurco bereits sein Handgelenk gepackt. Der Kerl versuchte seinen Dolch hochzureißen, aber der Urbaner war wesentlich stärker als er vermutet hatte.
Panisch griff er mit der freien Hand nach dem Arm von Lurco. Er war immerhin fast einen Kopf größer und sehr viel schwerer als diese männliche Furie.
Aber dieser hatte den besseren Stand und die besseren Tricks. Dann plötzlich die Erkenntnis auf dem Gesicht der Krähe, er wurde mit nur einer Hand von dem Urbaner festgehalten. Wo war die andere Pfote?
Als die Klinge in seinen Unterleib eindrang und mühelos Haut, Muskeln und Knochen durchtrennte, stockte dem Krähe der Atem.
Einen Sekundenbruchteil später, explodierte der Schmerz in seinem gesamten Körper. Bewegungsunfähig erschlaffte er und ließ seinen Dolch fallen. Er keuchte schwer, während Lurco die Klinge aus seinem Körper zog und sich die Klinge des Urbaners sofort wieder in die Brust der Krähe fraß. Die Waffe in seiner Brust wurde mehrfach herumgedreht, um größtmöglichen Schaden anzurichten.
Der Urbaner starrte ihn wie die Statuen im Park an, ein völlig ausdrucksloses, versteinertes Gesicht, während die Krähe zur Seite kippte und vor sich wie aus dem Nichts einen Mann mit lockigem Haar auftauchen sah.
Der Urbaner war noch nicht mit ihm fertig. Erneut wurde der Krähe eine Klinge in den Leib gestochen. Immer und immer wieder und dass in einer grauenvollen, unglaublichen Geschwindigkeit mit fast maschineller Präzision. Der Dolch des Urbaners drang so tief in seinen Körper ein, dass er die Spitze über den Beckenknochen schaben fühlte.
Vergeblich versuchte die Krähe ein letztes Mal Kontrolle über ihren Körper zu erlangen und die Arme nach dem Angreifer auszustrecken. Minimal konnte er wirklich die Arme heben, ehe er einen knochenbrechenden Faustschlag des Urbaners ins Gesicht kassierte.
Ein letztes Mal wurde die Klinge herausgezogen und der Urbaner ließ ihn einfach fallen. Die Krähe schlug der Länge nach auf den Boden und lag nun wie er mit Entsetzen feststellte in den Fetzen seiner eigenen Eingeweide.
Der Blick des Urbaners der seinem Sturz folgte war der eines Raubtiers. Die Löwen in der Arena musterten ihre Opfer mit dem gleichen Ausdruck. Sie wussten, dass ihre Opfer keine Chance hatten und dieser Urbaner wusste es ebenso.
Warmes Blut breitete sich unter der Krähe in einer großen Lache aus. Und bei all dem gab er keinen einzigen Laut von sich, da ihm sein Körper soweit überhaupt nicht mehr gehorchte.
Er wollte nur noch in der Schwärze versinken, als er erneut im Genick gepackt und in die Höhe gerissen wurde. Ein letzter prüfender Blick aus eiskalten, blauen Augen. Sein Schlächter verzog keine Miene. Der Kerl filzte seine Taschen und nahm den Schlüssel der Casa an sich. Erneut stürzte die Krähe zu Boden.
Das letzte was die Krähe in seinem Leben sah, war wie genagelte Urbaner-Sandalen achtlos über ihn hinweg stiegen, gefolgt von den Füßen des Lockenkopfs, ehe beide in der Dunkelheit der Gasse verschwanden...