• Lurco war über den Markt geschlendert und hatte sich alles mögliche angeschaut. Von den Bergen von Gewürzen, die zu bunten Spitzkegeln aufgehäuft waren, bis hin zu den Tieren die als Schlachtvieh angeboten wurden. In Rom gab es nichts, was es nicht gab.


    Er schaute einem Moment einen Handwerker zu, der mit geübten Handgriffen einen Topf in Form schlug, ehe er weiterging und an einem Stand mit Garum vorbeischlenderte. Die Geräusche und Gerüche waren so aufdringlich wie das Gedränge. Zu ihm als Urbaner hielt man trotzdem etwas Abstand. Dies lag einerseits an seinem Beruf und andererseits an seinen Sandalen. Jene der Urbaner und Legionäre waren mit Nägel unter den Sohlen versehen um besseren Halt zu finden. Sollte er jemanden damit auf die Füße latschen, war das schon etwas anderes als eine reine Ledersohle.


    Ein weiterer Stand kam in Sicht, ein Stand für Zeitmesser! Lurco war begeistert und trat näher heran. So etwas war nicht alltäglich und er nahm eine der Scheiben zur Hand. Er betrachtete sie genau, während der Verkäufer so freundlich und so falsch lächelte wie es nur Verkäufer konnten.


    "Was Du dort in Händen hältst, ist eine Reisesonnenuhr. Ein ganz besonderes Exemplar. Die Uhr kann auf Breitengrade eingestellt werden. Auf der Rückseite sind Orte und auch Provinzen mit ihren Breitengraden eingraviert.


    Die Reisesonnenuhr besteht aus zwei Scheiben, die kleinere obere Scheibe mit dem der eigentlichen Sonnenuhr und dem Schattenwerfer ist drehbar. Sie ist in die größere Scheibe eingelassen ist. Man trägt sie um den Hals mit einem Lederband. Das gibt es selbstverständlich dazu", erklärte der Verkäufer geflissentlich.


    Nach einer langen Verhandlung, an deren Ende beide der Auffassung waren der Gewinner zu sein, zog Lurco mit der Reisesonnenuhr glücklich von dannen und machte sich umgehend auf den Weg nach Hause. In der Casa Leonis angekommen, ging er schnurstracks nachdem er hineingelassen worden war ins Schlafzimmer. Die Sonnenuhr legte er auf das Bett und zückte eine seiner Wachstafeln.


    "Für meinen Sonnenschein eine Sonnenuhr.
    Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die schönen Stunden nur.
    Dein Lurco",
    schrieb er und legte die Tafel dazu.


    Nachdem er das Geschenk für Scato palziert hatte, macht er sich wieder auf den Weg zur Castra.



    Link Reisesonnenuhr:
    https://www.replik-shop.de/ima…s/popup_images/1343_0.jpg

  • << Baracke VII


    Scato war traurig, als er allein nach Hause kam. Zwar hatten Lurco und er sich nach den Ereignissen in den Trajansmärkten ausgesprochen, aber die Versöhnung hatte für Scato mehr den Charakter eines Trostverbands, der eine hässliche Wunde für die Augen des Betrachters kaschierte, während sie darunter noch immer blutete. Mit Scato hatte dieses aufdringliche Weib sich einen Feind fürs Leben geschaffen. Und Lurco? Scato war sich nicht sicher. Eine hässliche kleine Stimme in seinem Hinterkopf verlangte nach Rache, um seine befleckte Ehre wieder herzustellen, während eine andere, klügere Stimme warnte, dass die Situation durch weiteren Streit noch schlimmer werden würde. Aber vergessen konnte Scato nicht. Ihr gemeinsames Elysium, wurde wegen dieser blöden Kuh und Lurcos Dämlichkeit von dornigem Unkraut überwuchert, das jeden Schritt in Schmerzen verwandelte. Wie sollte er das ignorieren?


    Für heute wollte Scato niemanden mehr sehen außer seinen alten Lehrer Terpander. Terpander, der die einzige normale Person zu sein schien in einer Welt voller Deppen.


    "Terps", piepste er kläglich durchs Atrium, damit sein Sklave sofort hörte, dass er ihn beachten und trösten musste.


    ... und vielleicht hatte Terpander ja auch einen klugen Rat.

  • Terpander hielt inne und lauschte, als die weinerliche Stimme seines Herrn durch die abendliche Casa Leonis hallte. Er blickte zurück auf das Bett, in dem er gerade das Geschenk von Lurco gefunden hatte. In Kombination mit Scatos Laune zählte er eins und eins zusammen. Es hatte Streit gegeben, Lurco wollte sich mit der kleinen Aufmerksamkeit versöhnen und Scato schwelgte noch in tiefster Trauer. Bevor Scato das Geschenk fand, musste er herunterfahren, sonst verpuffte die Wirkung, vor allem musste verhindert werden, dass aus der Verzweiflung ein Wutanfall wurde. Menschen neigten dazu, im Zorn Dummheiten zu begehen. Aber das zu verhindern war leichter gesagt als getan. Terpander schritt ins Peristyl, wo er Scato antraf, der ihn offenbar suchte. An dessen verheulten Augen sah er, dass er richtig geraten hatte. Der Gesichtsausdruck seines jungen Herrn war eine einzige Anklage und gleich würde eine Tirade folgen, die vermutlich zu Ungunsten von Lurco ausgehen würde. Bevor hier Dummheiten geschahen, würde Terpander einschreiten.


    "Setz dich bitte da hin, ich bin für dich da", sagte Terpander und zeigte auf einen Stuhl. Dann pfiff er nach dem Pfau. Dem jungen Mann fehlte der Vater oder ein anderer älterer männlicher Verwandter, der ihm Rat geben konnte. Terpander übernahm diese Rolle als sein ehemaliger Lehrer nur zu gern. Als Scato saß, drückte er ihm den blauen Pfauenhahn Narcissus in die Arme. Jetzt konnte Scato weder herumschreien noch gestikulieren, denn er liebte seinen Pfau abgöttisch.


    "Und nun erzählst du mir in Ruhe, was los war. Sati wird uns gleich noch etwas zu Trinken bringen." Die letzten Worte waren lauter gesprochen, damit Satibarzanes sie auch hörte. Terpander zog sich einen eigenen Stuhl heran, um sich dazu zu setzen. Vor ihnen lag der Kräutergarten, der um die Abendzeit besonders duftete. Terpander lächelte mitfühlend. "Also?"

  • Scato leistete keinen Widerstand und ließ sich auf den Stuhl dirigieren. Wenn er schon in der Castra Praetoria den ganzen Tag von früh bis spät und sogar des Nachts beherrscht auftreten musste, so wollte er wenigstens in seinen eigenen vier Wänden seinen verletzten Gefühlen freien Lauf lassen können. Dass Terpander ihm Narcissus in die Arme drückte, damit hatte er allerdings nicht gerechnet. Scato, der sich darauf eingestellt hatte, eine Arie loszulassen, war gezwungen, seine schlechte Laune einmal mehr herunterzuschlucken. Genau darum war er eigentlich nicht hergekommen.


    Der Pfau machte ihm einen Strich durch die Rechnung, indem er sich warm und weich an ihn schmiegte und ein leises Gluckern von sich gab. Narciussus, der zutraulich war, weil man ihn von Hand aufgezogen hatte, rückte sich auf Scatos Schoß bequem, als wolle er dort brüten. Mit seinem dunklen, weiß umrandeten Auge sah er ihn an und hielt ihm dann den Kopf hin. Scato ließ sich breitschlagen und kraulte ihm mit einem Finger sanft den Nacken, so wie es zahme Vögel oft mochten, er kannte es von normalen Hühnern, so dass der Pfau nicht sein erster Vogel war. Narcissus war mit seinem würdevollen Schreiten und der schillernden Schönheit seines Gefieders etwas Besonderes, vor allem aber war er dermaßen zahm, dass er die Gegenwart von Menschen denen seiner Artgenossen vorzog.


    "Ausgestochen von einem dummen kleinen Flittchen", endete er. "Aber das verwundert mich bei genauerem Nachdenken gar nicht mehr. Mir hat er nämlich noch nie gesagt, dass ich schön wäre. Außerdem weiß ich, dass ich ihm zu dünn bin. Fürs Druck ablassen reiche ich gerade so. Jetzt hat er sich verraten und gezeigt, was er wirklich sucht. Lurco ist ein Arsch."


    Als er merkte, dass seine Augen heiß wurden, vergrub er sein Gesicht in den Federn von Narcissus.

  • Da war es wieder, das alte Übel: Scato war ins Grübeln verfallen. Vermutlich war gerade eine ruhige Zeit bei den Cohortes Urbanae, so dass er Zeit und Kraft fand, sich um so etwas Gedanken zu machen. Für Terpander bewies das erneut, wie unentbehrlich er für Scato war. Er genoss es, ihn so zermürbt zu sehen und sich nun wichtig machen zu können. Freundschaften und Liebschaften vergingen. Ein Lehrmeister war ewig.


    "Du gibst zu viel auf Worte", sprach Terpander ruhig. "Ein Mensch kann lügen. Er kann schmeicheln, um Gefälligkeiten herauszuschinden und beleidigen, um zu verletzen. Worte sind Schall und Rauch, Scato. Erst recht bei einer Quasselstrippe wie Lurco. Er redet gern, und wenn er gerade nichts zu sagen hat, zerrt er den erstbesten Inhalt herbei und walzt ihn breit wie einen Teig. Das entspannt ihn. Aber mit jedem überflüssigen Wort wird der Inhalt dünner. Wenn Lurco dieser Dame ein wortreiches Kompliment vorträgt, sagt das weniger aus, als wenn er sie schweigend von Kopf bis Fuß gemustert hätte mit einem Lächeln auf den Lippen. Nicht an ihren Worten, sondern an ihren Taten sollst du die Menschen messen. Ich dachte, das hätte ich dir schon vor Jahren beigebracht."


    Das erste, was man in Sparta zum Thema Sprache lernte, war, mit Worten zu geizen. Und warum das gut war, sah man gerade an dem Häufchen Elend, das von Worten verletzt wie von Pfeilen, in einem Gartenstuhl hing und trauernd seinen Pfau umklammerte. Die römische Erziehung war grausig. Terpander wartete, bis Scato wieder aufschaute. Er wies in einer umfassenden Geste auf den Garten und auf das Haus, das sie umgab.


    "Mit der Zunge ist Lurco ein Trampel. Das weiß er vermutlich. Darum hat er bei dir eine andere Sprache gewählt als bei dieser fremden Frau. Eine die nicht misszuverstehen ist. Du trägst seine Botschaft um den Hals, hältst sie in den Armen, du sitzt inmitten von ihr und blickst auf sie hinaus."

  • "Und was für ein Trampel", bestätigte Scato, der sich nun wieder aufsetzte und dem Pfau das Gefieder glattstrich, ehe er ihn auf den Boden setzte, wo Narcissus in den Spalten der Wegplatten nach Nahrung zu picken begann.


    Scato stand auf und streckte sich, sein Rücken knackte. Er fand immer noch, dass er im Recht war, musste aber zugeben, dass Terpanders Logik stichhaltig war. Je mehr Worte auf den Inhalt kamen, umso dünner wurde dieser. Ein ausuferndes Kompliment war demnach wertlos, verbale Inflation. Ein Löffel süßer Honig, aufgelöst in brackigem Ekelwasser. Ihm fiel auf, dass er selbst kaum Komplimente machte. Und auch dem alten Griechen hatte er nie gesagt, wie dankbar er ihm war für seinen Rat und seine Unterstütung. Stattdessen schenkte er ihm Geld und Freizeit über die Gebür hinaus. Insofern war Terpanders Unterricht keineswegs vergebens gewesen.


    "Scheiß Tag! Ich hau mich aufs Ohr. Vergiss nicht, die Kräuter zwei Mal am Tag zu wässern, es soll heiß werden. Und nicht auf die Blätter gießen, sondern an die Wurzeln."


    Damit latschte Scato unmotiviert ins Cubiculum, wo er eine Stunde die Einsamkeit genießen wollte, ehe es zurück in die Castra gehen würde. Irgendwas lag auf seinem Kissen. Eine Wachstafel und etwas Rundes? Scato nahm zuerst die Wachstafel und las.


    "Für meinen Sonnenschein eine Sonnenuhr.
    Mach es wie die Sonnenuhr,
    zähl die schönen Stunden nur.
    Dein Lurco"


    Der Sack war vor ihm schon hier gewesen. Er hatte gewusst, dass Scato schmollen gehen würde.


    Scato betrachtete die schön gearbeitete Reisesonnenuhr, die schon auf den richtigen Breitengrad eingestellt worden war. Wichtiger als die Funktion war die Botschaft. Lurco wünschte sich, das Scato den Streit vergaß, den einzigen, den sie bisher gehabt hatten. Scato schloss die Augen, die Finger um das kalte Eisen geklammert. Zich Monate war alles bestens gewesen. Ein verdammtes Weib besaß die Macht, ein Leben zu zerstören, wenn man ihm diese Macht einräumte. Seia Sanga hatte es fast geschafft, doch Scato hatte sie überlebt, indem er sich der Macht seiner Mutter entzogen hatte. Auch das Miststück aus den Trajansmärkten würde er überleben. Er war erst zwanzig, er hatte noch viel vor.


    Er öffnete die Augen wieder, sein Blick war bissig. Er legte das Lederband um seinen Hals, gemeinsam mit dem Amulett des Faunus und dem Fruchtbarkeitsamulett. Damit das Klappern nicht überhand nahm, hängte Scato die Sonnenuhr etwas tiefer als die anderen beiden Anhänger, ehe er sich mit dem Gesicht voran ins Bett warf.

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