Regnum obscurum | Oachkatzlkobel

  • Missmutig starrte Sciurus auf das vor ihm liegende Papyrus, das Garamander ihm vor einer gefühlten Ewigkeit zum Lesen gebracht hatte, ohne dass er nur ein einziges Wort las. Seit er in der Nacht der Tempelschändung durch die Kloake bis in das Reich des Vogelmannes geflohen war und hier festsaß versuchte er herauszufinden, was ihn hierher gebracht hatte. Philotima und Molliculus waren ihrem christianischen Wahn erlegen und schmorten im Kerker. Myron hatte das Weite gesucht als klar wurde, dass der Tempel nicht leer war. Hatte er sie verraten und die Anwesenheit der jungen Frau war Teil seines Planes gewesen? Oder hatte Sulamith sie verraten - die kleine, unschuldige Sulamith, die womöglich gar nicht so unschuldig war? Sciurus war es gleich, er würde sie beide finden und beseitigen sobald er diesen seinen selbstgewählten Kerker wieder verlassen konnte. Ebenso wie Decimus Serapio. Dieser elende Hund. Was hatte er mit dieser Angelegenheit zu tun, warum trieb sich ein Praetorianer des Nachts auf dem Quirinal herum?


    Ein Schlurfen ließ Sciurus aufhorchen. Garamander.
    "Na, wie gefällt's dir? Hab ich zu viel versprochn?" Der abgemagerte Gaetulier grinste breit und dümmlich. Er stellte eine Schüssel Puls auf den kleinen Tisch, dann hielt er Sciurus einen Aushang hin. "Hier, hab ich vom Forum Boarium mitgehen lassn. Die ham dich wirklich gut getroffn. Solltest besser nich so schnell vor die Tür, hängt an einigen Stellen in der Stadt."
    "Was ist mit dem König? Wann kann ich endlich mit ihm sprechen?" Bei seiner Ankunft hatte er den Mann mit der Vogelmaske nur kurz gesehen, ehedem er ihm diese Kammer im Labyrinth der Katakomben zugewiesen hatte.

    "Ach, der König will sich nich mit dir sehen lassn, du bist ihm zu heiß, kleines Eichhörnchen."
    Sciurus stieß seine Hand nach vorn, packte das knochige Gelenk des Gaetuliers und verdrehte ihm die Hand, dass dieser aufschrie. "Nenn mich noch einmal so, und dein Hals ist das nächste, was ich dir verdrehe."
    Er ließ Garamander los, der schnell seine Hand zurück zog und einen Schritt zürück trat.
    "Pezzo di merda! Verscherz es dir nich mit deinen letzten Freuden, sonst biste schneller gegen einen Sack Sersterzen ausgetauscht als de Eichhörnchen sagen kannst", giftete der Dürre ihn an.

  • Die Situation im Bruchteil eines Augenblickes abschätzend hob Sciurus beschwichtigend die Hände und setzte berechnend eine bedauernde Mine auf. "Entschuldige, Garamander! Das war nicht nett. Ich bin nur ... sehr angespannt wegen meiner momentanen Lage." Auch wenn die Narbe an seinem Auge, die er sich beim Sturz in den Montes Lucretili zugezogen hatte sein Antlitz ein wenig rau erscheinen ließ, so gelang es ihm doch eine unschuldige Miene aufzusetzen, die den Gaetulier tatsächlich rührte.

    "Ja, schon gut. Pass nur auf was de machst. Du weißt doch hier unten kann jede Regung deine letzte sein."

    "Ich weiß." Nach kurzem Zögern fragte er: "Wann war die letzte Inthronisierung des Königs?"

    Obgleich viele es vermuteten, so kannten nur wenige das Geheimnis des Vogelmannes. Garamander war einer dieser wenigen, die wussten wann der Mann hinter der Maske sich veränderte - und auch, wer den neuen Platz einnahm.

    "Ein Jahr vor Cornelius' Tod."

    Sciurus fluchte innerlich. Er hatte seine Kontakte in diese Welt lange Zeit schleifen lassen, war an der Seite seines Herrn weich und bequem geworden. Früher hatte er gute Geschäfte für den Vogelmann erledigt, war im Grunde Teil seines Imperium gewesen oder hatte zumindest seine Untertanen beschäftigt. Nach dem Bürgerkrieg jedoch hatte Gracchus ihn immer seltener mit Aufgaben außerhalb seiner Reichweite betraut und Sciurus war träge geworden. Dass der Vogelmann ihn nun behandelte wie einen lästigen Gast, war kaum verwunderlich.

    "Garamander, kannst du ihn nicht überzeugen, dass ich eine Audienz erhalte? Ich habe viele Informationen, die ihm nutzen können. Vergiss nicht die Kreise, in denen ich lebe."

    Der dürre Gaetulier schüttelte bedauernd den Kopf. "Lebtest. Du musst Geduld ham, Sciurus. Du bist nen toter Sklave und nen Verbrecher dazu. Die Praetorianer sin hinter dir her. Praetorianer, Mann! Du kannst froh sein, dass er dich überhaupt hier duldet. Also steig ihm nich aufs Dach, vergnüg dich mit der Lektüre und halt die Füße ne Weile still. Ich bring dir dein Essn und wenn de sonst was brauchst. Das wird dich am Ende schon noch genug kostn."

    Der gefallene Sklave unterdrückte ein grimmiges Schnauben und nickte nur stumm.

    "Ich komm heut Abend wieder. Lass's dir schmeckn."

    Garamander verließ den kleinen Raum und schloss die Türe hinter sich. Sciurus wartete einige Augenblicke, dann schlug er grollend mit der Faust auf den Tisch. Er würde sie umbringen, allesamt! Myron, Sulamith, Decimus Serapio, vielleicht sogar seinen Herrn. Aber allen voran Decimus Serapio!

  • Zäh floss die Zeit dahin in Sciurus' kleinem Raum, Stunden, Tage und Nächte ohne Unterschied, ohne Abwechslung, ohne Anfang und ohne Ende, trieben vorrüber wie Wolkenfetzen am Himmel, in gleicher Weise unbeeindruckt von Sciurus' Sentiment und Gedanken. Einzig Garamanders Erscheinen gab der Zeit eine lose Struktur - irgendwann am Morgen brachte er eine Schüssel voll Getreidebrei, am Abend ein karges Mahl, zumeist Brot und ein wenig Käse, manchmal etwas Gemüse dazu. Die wachen Stunden zogen sich so endlos dahin, boten Raum um Raum für nagende Erinnerungen, Analysen und Pläne, welche doch in ihrer Umsetzung so fern waren.


    "Einen wunderschön' gutn Abend, mein lieber Sciurus!" platzte Garamander an einem dieser endlosen Tage in die Stille der Isolation. "Heut hab ich einen besonderen Festschmaus." Er stellte einen Teller mit einem Stück Brot und einem Stück Fleisch auf den Tisch. "Mit freundlichen Grüßn vom Senator Anneus Florus, dem neuen Stern am Senatorenhimmel!" Ein breites Grinsen zog sich über das dürre Gesicht und formte daraus regelrecht eine Fratze.
    Sciurus hob eine Braue und suchte sich zu ensinnen, ob es bereits Zeit für die nächsten Wahlen war. "Der arme Senator, ich werde seinen Namen niemandem einflüstern können, so viel Fleisch er auch verteilt."
    "Aber nich doch, er hat seinen Lohn schon bekommen. Er hat ein Opfer durchgeführt, die Equirria stehen an. Ist doch immer wieder schön anzusehn wie die hohen Herrn von ihrem Ross steigen und barfuß durch die Stadt laufen. Auch wenn die Straßen leider vorher extra gesäubert werden, wär doch zu schön wenn sie mal mit den Füßen in der Scheiße stecken bleiben würden wie unsereins auch." Der Gaetulier winkte grinsend ab. "Aber rat doch mal, wer noch beim Opfer war?"
    Sciurus war nicht gewillt, Spielchen zu spielen, zumindest nicht solche, bei welchen er nicht die Spielregeln diktierte, daher schwieg er und blickte nur stumm Garamander an, in der Gewissheit, dass dieser seine Geschwätzigkeit nicht lange zurückhalten konnte. Dieser kicherte auch schnell und platzte schließlich heraus: "Senator Flavius Gracchus höchstselbst, der Schrecken aller ausgelassenen Straßenfeste!"
    Nur einen winzigen Augenblick zeigte sich eine Regung auf dem Antlitz des gefallenen Sklaven und in seiner Stimme lag ein Hauch von Ungeduld. "Wie sah er aus?"
    "Oh, es scheint ihm blendend zu gehn. Nach dem Opfer saß er mit Anneus am Tisch. Ich habs ja nur aus der Ferne gesehn, aber ich würd sagen er hat heftig mit den anwesenden Frauen geflirtet, der alte Charmeur."
    "Wohl kaum", warf Sciurus ein.
    "Ach, ich hab gehört als er jung war soll er ein echter Frauenschwarm gewesen sein. Zumindest für die Frauen, die auf Männer stehn die rumlaufen als hätten sie 'nen Stock verschluckt." Wieder kicherte der Gaetulier.
    "Danke für das Fleisch, Garamander", wechselte Sciurus das Thema. Doch in seinen Gedanken echoten Garamanders Worte noch eine ganze Weile, selbst als der Gaetulier längst wieder verschwunden war und das Essen in Sciurus' Magen lag. Pläne krochen aus der Tiefe seiner Seele. Pläne, die in ihrer Umsetzung fern waren. Aber doch Pläne.

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