​praehistoria - gēns annaea Mārci Annaei Cōnservātoris Gādibus (Vorgeschichte - Gēns Annaea des Mārcus Annaeus Cōnservātor aus Gādēs

  • Paulus Annaeus M. f. Camillus, pater

    diēs nātālis: a. d. v id. apr. anno 815 a.u.c. (9. Apr. 62)
    wohnhaft in: Gādēs, Prōvincia Baetica
    verheiratet mit: Servīlia Decula, seit kal. iun. Anno 839 a.u.c (1.Jun.86)
    Beruf: mercātor ac argentārius
    Auskommen: auskömmlich, aber was heißt das schon.


    Paulus Camillus wohnt in Gādēs durch die Ehe mit mit seiner Frau Servīlia Decula, die ihm drei Söhne schenkte, im Ansehen gestiegen Seine Vermögensverhältnisse jedoch sind weit ab davon, den großen Sprung zu wagen. Seinen Traum, nach Italia zu kommen hat er mittlerweile zu Gunsten eines sozialen Aufstieges in Gādēs selber aufgegeben. Paulus Camillus entstammt dem hispanischem Zweig der Gēns Annaea und gilt als arbeitsamer und strebsamer Mann. Die Familienverhältnisse gelten allgemein als gut, zumindest ist nichts anderweitiges an die Öffentlichkeit gedrungen. Er hat seine Söhne nach den ersten frühen Kinderjahre bei der Mutter zu sich genommen und ihnen die Werte vermittelt, die ein guter und göttergefälliger Römer zu erlernen hat, wenn er auch weiterhin den göttlichen Frieden bewahren will und ein anständiges Leben führen möchte. Auch wenn es nicht immer einfach war, hat er dafür gesorgt, dass seine Kinder eine gute Bildung genossen und sich Wissbegierde aneigneten. Paulus Camillus ist für seine konservative Einstellung bekannt und neigt zu zynischen Kommentaren über, in seinen Augen, Modeerscheinungen. Die Ordnung der Welt hält er für von den Göttern gewollt und seine Familienführung ist konservativ-streng. Von seinen Söhnen sind schon zwei verstorben und ihr noch einzig lebender Sohn ist Mārcus Annaeus Cōnservātor. Als dieser seinen Wunsch äußerte nicht nur die Familie in Rōma zu besuchen , sondern gar ebenfalls zu den Legionen zu gehen, kam es zu einem kurzzeitigen Bruch. Paulus Camillus hatte schon zwei Söhne an den Kaiser verloren und fand, dass es nicht drei sein müssen. Schließlich war sein jüngster nun der einzige Erbe. Mit ihm tauschen sie sich im Briefverkehr aus, wenn es die Zeit und Arbeit zu lassen. Unter geschickter Führung seiner Frau Servīlia Decula kam es zu einer klärenden Aussprache zwischen Vater und Sohn und Camillus erkannte dabei, wie sehr sein Sohn ihm glich. Nach einiger Zeit des Bedenkens emanzipierte er seinen Sohn, nicht ohne ihn vorher nochmals über die Wichtigkeit der Tugenden und Sitten zu belehren und nach einem feucht-fröhlichen Abendessen in geselliger Runde aller Freunde und Familienmitglieder, steckte er Mārcus Cōnservātor den extra für ihn gefertigten Siegelring an den Finger und ließ ihn am darauf folgenden Morgen ziehen. Dabei übermittelte er Cōnservātor Grüße an seinen Neffen Florus Minor und die Nachricht, dass der Familie gut geht. Er mochte es nicht, wenn andere Familienmitglieder zu viele Sorgen machten.


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    Gāius Annaeus P. f. M. n. Acratus

    diēs nātālis: a. d. xvi kal. iul. anno 838 a.u.c. (16. Jun. 85)
    diēs fātālis: 861 a.u.c.
    wohnhaft in: D.M. , Prōvincia Germānia
    verheiratet mit: caelebs
    Beruf: probātus legiōnis
    Auskommen: stipendium augusti


    Gāius Annaeus Acratus frāter Mārci Annaei Cōnservātoris (*1)

    zog es wie viele Männer der Gēns Annaea zum Heer. In verschlug es zur Legiō II Germānica in Mogontiacum, wo die Legiō ihr Stammlager hat.

    Acratus ist der älteste von drei Brüdern gewesen, die seine Mutter Servīlia Decula zur Welt brachte. Ihm folgte ein gutes Jahr später sein Bruder Faustus Milō, den es nach Rōma zu den urbānae verschlagen hatte.

    Das Schicksal des Acratus wurde nie vollständig aufgeklärt, doch aus seinen Briefen nach Hause war zu entnehmen, dass seine Grundausbildung in vollem Gange war. Gerüchten zu folge befand er sich auf einem Übungsmarsch im germanischen Spätwinter, als er durch bis jetzt ungeklärte Umstände verstarb und zu den Ahnen gegangen ist.


    Seine commīlitōnes (*2) errichteten ihm einen Grabstein mit Geldern aus der Sterbekasse. Sein Erbe viel, da es keiner beanspruchte, an die Staatskasse.


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    Faustus Annaeus P. f. M. n. Milō

    diēs nātālis: a. d. iv kal. okt, anno 840 a.u.c. (28. Sep. 87)
    diēs fātālis: 862 a.u.c.
    wohnhaft in: D.M. , Rōma, Italia
    verheiratet mit: caelebs
    Beruf: tirō cohortium urbānarum
    Auskommen: stipendium augusti


    Faustus Annaeus Milō frāter Mārci Annaei Cōnservātoris (*3)

    Milō ist der zweitälteste von drei Brüdern, von den nur noch einer lebt. Sein ältester Bruder verstarb 861 a.u.c. in der prōvinca germānia.

    Sein letzter Aufenthalt war bei den cohortes urbānae im praetōria castra in Rōma, wo er seine Ausbildung zu durchlaufen gehabt hätte. Leider ist der Familie nichts genaues bekanntgegeben worden, was Milō zugestoßen ist. Lediglich ein kurzer Brief teilte das Ableben seines Bruder mit, und das seine commīlitōnes (*2) ihm einen Grabstein errichtet hatten, der durch die Sterbekasse bezahlt worden ist. Sein Erbe viel, da es keiner beanspruchte, an die Staatskasse.


    Vor seiner Ankunft in Rōma hatte er bei einem seiner Bekannten auf dem Lande ausgeholfen, hielt sich aber häufig für besser, denn sich durch Feldarbeit zu adeln. Ein tragischer Fall von fehlgeleiteten Eitelkeiten, die zum Glück sehr selten in der Gēns Annaea auftreten.


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    Mārcus Annaeus P. f. M. n. Cōnservātor

    diēs nātālis: a. d. xii kal. apr. anno 851 a.u.c. (21. Mrz. 98)
    diēs fātālis: --- a.u.c.
    wohnhaft in: Rōma, Italia
    verheiratet mit: caelebs
    Beruf: ---
    Auskommen: ---


    Das Leben von Mārcus Annaeus Cōnservātor findet im Moment im Diesseits statt.
    Seiner Reise von Gādēs nach Rōma kann mann unter praehistoria - iter mārci rōmam (*4) nachlesen.




    Sim-Off:

    *1) Gāius Annaeus Acratus frāter Mārci Annaei Cōnservātoris - Gāius Annaeus Acratus, Bruder des Mārcus Annaeus Cōnservātor
    *2) commīlitōnes - (Kriegs-)kameraden (commīlitō - Kriegs-/Kamerad)
    *3) Faustus Annaeus Milō frāter Mārci Annaei Cōnservātoris - Faustus Annaeus Milō, Bruder des Mārcus Annaeus Cōnservātor
    *4) praehistoria - iter mārci rōmam Vorgeschichte - die Reise des Mārcus nach Rom

  • Servīlia Decula

    mater Mārci Cōnservātoris

    diēs nātālis: a. d. v id. okt, anno 821 a.u.c. (11. Okt. 68)
    wohnhaft in: Gādēs, Prōvincia Baetica
    verheiratet mit: Paulus Annaeus Camillus, seit kal. iun. anno 839 a.u.c (1.Jun.86)
    Beruf: unetbehrliche Stütze der Familie, hilft ihrem Mann bei seinen geschäftlichen Tätigkeiten
    Auskommen: darüber schweigt sie


    Servilia Decula ist die Tochter des Gnaeus Servilius Fīdus und die jüngste von zwei Töchtern. Ihre Kindheit verbrachte sie in Gādēs, Prōvincia Baetica, wo sie immer noch lebt. Bis zu ihrem 7ten Lebensjahr kümmerte sich, neben ihrer eigenen Mutter, noch eine serva familiāris um ihr Aufwachsen. Schon früh erhielt sie Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen, wobei sich mit dem Erreichen ihres 10ten Lebensjahres die erzieherischen Aufgaben mehr und mehr auf die traditionellen Erwartungen ausrichteten. So erlernte sie das Spinnen und Weben durch ihre Mutter und wurde sogar – manch böswilligen Unterstellungen sprechen sogar von einem Übermaß an trāditiō (*1) – mit 13 Jahren einer der Familie bekannten Weberin anvertraut, um Servīlia Decula in diesen Fertigkeiten noch besser auszubilden.

    In den folgenden zwei Jahren perfektioniert sie ihre Fertigkeiten, doch kam es durch die Pubertät zu vermehrtem Auftreten von Problemen zwischen Decula und ihrer Familie. In der Wohnstraße munkelte man, ihr Vater hätte eines Abends so den Hintern versohlt, dass er selber am nächsten Tage seinen Arm nicht richtig bewegen konnte. Aber wer gibt schon was auf Gerüchte – außer die Straße.


    Von da an war sie überwiegend im elternlichen Haus, wo sie ihr Interesse für Schriftrollen entdeckte, als sie bei ihrem Vater ein Abschrift von De origine et situ Germanorum (*2) des Historikers und Senators Publius Cornelius Tacitus fand. Hier konnte sie in ihren Gedanken reisen und ihr fremde Regionen erforschen. Ihr Vater war anfänglch weniger davon begeistert und gedachte, duch eine Verheiratung seiner Tochter, dem ganzen so ein Ende zu bereiten. So kam es zu einer Verlobung mit einem angesehen Mann aus dem ordo decuriōnum, der einen deutlichen Zugewinn an auctōritās für die Familie versprach und in einem gefestigtem Alter von 47 Jahren war. Die väterlichen Hoffnungen wurden jedoch durch die Götter zu nichte gemacht, denn der Verlobte verstarb bei einem Handgemenge auf dem Forum, was zu einer Hinrichtung des Täters im Nachgang führte. Nur half das dem Vater in diesem Moment nicht wirklich weiter mit seinen Nöten. Daher gewährte er seiner Tochter Servilia Decula das Schmökern und Stöbern in den Schriftrollen, hatte er sie doch so näher um sich und unter Kontrolle.


    Bevor sich die Familie in Sorgesfalten werfen konnte, da ihre Tochter immer noch nicht verheiratet war, bot sich die Gelegenheit, auf die keiner zu hoffen wagte: Paulus Annaeus Camillus.
    Er war nicht wesentlich älter als seine Tochter und strebsam, vor allem nicht von moderen Flausen belastet und, dies gab schlußendlich den Ausschlag, er verband Gnaeus Servilius Fīdus Familie wieder fester mit dem Mutterland Italia. Denn im Gegensatz zu seiner, hatte Annaeus Camillus einen Vater, der direkt aus Italia gekommen ist – um genauer zu sein aus Pompēī. Es würde also originär römisches Blut in die Familie kommen. Das der Annaeus auch nichts gegen eine belesene Frau hatte, wenn sie denn die Traditionen beherrschte, erleichterte das ganze ebenfalls.


    So kam es dann zur Vermählung der beiden an den kal. iun. anno 839 a.u.c. und Servīlia Decula gebar ihrem Mann seither drei Söhne, Gāius Acratus, Faustus Milō und Mārcus Cōnservātor, von denen nur noch Cōnservātor lebt und ist ihm seitdem eine tatkräftige Stütze, nicht nur zu Hause und im Schlafgemacht. Ebenfalls hilft sie auch bei der schriftlichen Abwicklung seiner Geschäfte und ist eine zuvorkommende Gastgeberin, wenn ihr Mann seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkommen muß. Da kann man nachsichtig sein, dass sie gerne, wenn es die täglichen Verpflichtungen erlauben, in Schriftrollen liest und so die Weiten der römischen Welt und darüber hinaus bereist.




    Sim-Off:

    *1) trāditiō – hier: Tradition, Lehre
    *2) De origine et situ Germanorum - Über Ursprung und geographische Lage der Germanen

  • disciplīnae Mārci Annaei Cōnservātoris - pars prima

    Die Lehren des Mārcus Annaeus Cōnservātor - Erster Teil



    "Wen die Götter lieben, der stirbt jung", waren die Worte seines Vaters, nachdem die Nachricht vom Tode seines zweiten Bruders Faustus Milō ihr Haus erreicht hatte. Dieser verstarb 862 a.u.c. in Rōma, da war Cōnservātor 11 Jahre alt. Der Satz seines Vaters klang noch in seinen Ohren nach, als er seine Mutter weinend im ātrium, auf einer Bank in der Nähe des impluvium sitzend vorfand. Sie schien der Verlust mehr zu treffen, als seinen Vater, dem Mārcus nichts anmerken konnte. Es wirkte auf ihn fast so, als wäre dies eine eingetroffene Erwartung für seinen Vater gewesen.


    Seine Mutter weinend vorzufinden irritierte ihn, da er sie ein Jahr zuvor beim Tode seines ältesten Bruders Gāius Acratus nicht so in Erinnerung hatte. Vielleicht war dieser doppelte Schicksalsschlag in so kurzer Zeit auch zu viel für Servīlia Decula gewesen. Als Servīlia ihren Sohn sah wischte sie sich schnell die Tränen aus ihrem Gesicht und versuchte ein unbesorgteres Gesicht aufzusetzten.


    "Komm her Mārcus.", winkte sie ihn zu sich. "Komm, setzt dich zu mir.", und Mārcus beeilte sich, da er seine Mutter sehr lieb hatte und er ihr diesen Gefallen gerne bereit war zu tun. "Hast du geweint Mama?" , fragte er sie, aber sie schüttelte nur schnell den Kopf und setzte ein Lächeln auf. "Nein Mārcus, ich habe eben etwas Staub ins Auge bekommen, den die serva bei der Reinigung hier aufgewirbelt hatte. Ich werde nachher mit ihr schimpfen, aber jetzt laß uns etwas Zeit zusammen verbingen.", und nahm ihn in ihre Arme. Marcus verspührte diese Wärme und Liebe, die seine Mutter ihm entgegenbrachte, auch wenn sie ihn diesmal etwas inniger und länger an sich drückte als gewöhnlich.


    Und so begannen sie über den Nachbarsjungen zu reden, mit dem Mārcus letztens auf der Straße gespielt hatte und den sein Vater für keinen angemessenen Umgang hielt, da seine Eltern in des Vaters Augen es an gebührendem Respekt vor den Göttern und an Bildung fehlen ließen. Mārcus genoß die Zeit mit seiner Mutter, sie war so verständnisvoller in seinen Augen. Und sie war stark, ja sogar sehr stark, wie Mārcus fand. Der Tod beider Brüder hatte sie nicht erschüttert, ihre Lebensfreude und Zuneigung nicht gemindert, so der Eindruck, den Mārcus erhielt. 'Mama ist so stark wie Papa! Sie ist sehr stark, tapfer und voller Liebe.' , dachte er und war davon überzeugt.


    Und so lernte Mārcus durch des Vaters Spruch und durch der Mutters Tat, daß man stark sein kann, ja stark sein muß, wenn die Götter einen prüfen. Und das servi immer einer ordnenden Hand bedürfen, da sie sonst ihre Arbeit ungewissenhaft erledigen.

  • disciplīnae Mārci Annaei Cōnservātoris - pars secunda

    Die Lehren des Mārcus Annaeus Cōnservātor - Zweiter Teil



    Sie spielte mit einem Reifen unter der straßenseitigen porticus. Es war Spätsommer, die Sonne brannte noch sehr warm und die porticus warf einen kühlenden Schatten auf den Gehweg, den sie überdachte. Ein idealer Platz, mit Stock und Reifen zu spielen. Dabei trieb sie mit dem Stock den Reifen in eine Laufrichtung, wobei dieser nicht umfallen durfte. Ihre welligen, fast schon lockigen braunen Haare wurden bei den schnellen Kopfbewegungen hin und her geworfen, und da wo sie in der Luft lagen und Licht durchließen, schimmerten ihre Haare in einem golden-bräunlichen Ton, fast wie Bernstein.
    Wie alt sie war wußte er nicht, aber seine jungen Augen, die eines 14 jährigen Jungen, der so gut wie heiratsfähig war nach den Gesetzen, bemerkten die sich abzeichnenden Brustformen, die die Tunica nach außen leicht wölbten. Nicht so wie bei seiner Mutter, die war ja auch älter, aber genug um aufzufallen. Ihre braunen Augen strahlten mit der Sonne um die Wette, sie leuchteten voller Freude und Spaß. Arme und Beine waren durch den Sommer gebräunt und ihre Füße steckten in einem Paar offener Schuhe.


    Als Mārcus sie so spielen sah, blieb er stehen und beobachtete sie. Ganz vergessen war in diesem Moment seine Arbeit, seine Ausbildung. Er fühlte sich hingezogen, um nicht zu sagen angezogen, zu ihr. Er beobachtete sie noch eine Weile, dann riß ihn der Ruf seines Namens wieder zurück in die Wirklichkeit. "Mārcus, wo steckst du? Beeile dich jetzt!", rief seine Mutter, die in Begleitung eines servus familiaris auf dem Weg zum Wochenmarkt war und ihn da so stehen sa. "Laß deinen Vater nicht so lange warten, du weißt doch, dass er das nicht mag. Mārcus, nun los!"

    "Ja Mama! Ich komme schon.", und Mārcus drehte sich in die Richtung, aus der seine Mutter ihn gerufen hatte und ging schnellen Schrittes zu ihr, lächelte sie an und wünschte ihr einen guten Markteinkauf und den Schutz der Götter. Danach rannte er nach Hause zu seinem Vater, der auf ihn wartete.


    Am folgenden Tage sah er das Mädchen erneut. Diesmal saß sie auf einer kleinen Bank und rupfte ein Huhn, wobei sie ein Lied vor sich hin trällerte. Mārcus näherte sich ihr und als er nicht mehr weit von ihr entfernt war, roch er es: einen zarten Mädchenduft, der in seine Nase stieg. Die Bewegungen ihrer Arme während des Rupfens sorgten für eine beständige Bewegung ihres Oberkörpers und so auch ihrer Weiblichkeit. Das Lied, das er aus ihrem Munde vernahm, wurde von einer zarten Stimme voller Honigsüße gesungen, die Worte teils gehaucht, teils gezogen. Er achtete nicht sonderlich auf die Worte an sich, denn der gesamte Eindruck ließ ihn dahinschmelzen wie Gebirgseis im Sommertal.

    Sie spührte die Nähe einer Person und sah hoch, ohne ihr Lied verstummen zu lassen, Stahlende Augen lächelten ihn an und Mārcus lächelte zurück. Was er in diesem Moment empfand ging im Durcheinander aller Eindrücke unter, aber zum Schluß fühlte er sich verliebt. Verleibt in ein Mädchen ohne Namen, denn den hatte er nicht erfragt, da sein Name gerufen wurde. Strenger und bestimmter als gestern.


    "Mārcus! … Mārcus! Bewege dich endlich, Sohn! Soll ich ewig auf dich warten? Bei allen Göttern, bist du ohne Sinn und Verstand? Mārcus!" Die Stimme seines Vater durchdrang ihn, gefühlt wie ein heißes Stück Eisen, und riß ihn aus seinen Gedanken. Er drehte sich von dem Mädchen weg und rannte seinem Vater entgegen.

    "Was ist mit dem Mädchen und dir, Mārcus? Sie taugt nichts, glaube mir. Es bringt dir nichts als Ärger, sich mit ihr einzulassen. Bleib ihr fern."
    "Vater, warum sagst du das, sie ist schön, sie strahlt, sie ist wunderbar."
    "Höre mir jetzt gut zu Mārcus. Ich verstehe deine Sehnsüchte, war ja auch mal in deinem Alter. Du hast das Gefühl voller Energie zu sein, wie ein junger Bock. Aber wir sind keine Böcke, wir bespringen nicht gleich jede, nur weil sie schön aussieht. Du mußt an die Konsequenzen denken, an die Familie und, was für dich noch wichtiger ist: an dich!
    Es gibt einige Mädchen aus gutem Hause, die sind nicht nur schön, sondern auch fleißig, ehrfürchtig den Göttern und ihrem zukünftigen Mann gegenüber. Und ihre Familien bieten uns, unserer Familie, und dir einen gute Verbindung und besseres Ansehen. Wenn Du etwas erreichen willst, dann ficke von mir aus irgendeine Lupa, oder wenn du wirklich willst kaufen wir dir eine eigen Leibsklavin. Da kannst du dir so häufig die Trompete spielen lassen wie du willst. Vor allem sind die Konsequenzen überschaubar. Im schlimmsten Fall haben wir einen Sklaven mehr. Den kann man behalten oder verkaufen.
    Aber laß dich nicht mit dem Mädchen von vorhin ein, Mārcus. Hast du mich verstanden?
    "
    Mārcus nickte seinem Vater bejahend zu "Ja Mārcus ich denke schon."


    Mārcus konnte das Mädchen aber nicht vergessen, und so schlich er sich eines abends, als Vater und Mutter in ihrem cubiculum laut scherzten, aus dem seinigen in das ātrium und wartete dort, bis er vertraute Geräusche aus dem cubiculum seiner Eltern vernahm. Das Holz ihres Bettes knarrte und quietschte vernehmbar und der Stimmer seiner Mutter war zu entnehmen: "Sei mein Stier, so wie ich deine Europa bin."

    Das war für ihn der Augenblick das Haus leise zu verlassen und sich da hin zu begeben, wo er das Mädchen immer gesehen hatte. Es lag nahe, auch ihr Haus dort in der Nähe zu verorten. Nur mit einer kleinen Lampe ausgestattet ging Mārcus schnellen Schrittes durch die Dunkelheit auf sein Ziel zu, huschte unter den porticus entlang, bis zu der Bank wo sie das Huhn gerupft hatte. Er blieb im Schatten einer Porticussäule stehen, und verdunkelte sein Licht.


    Was hatte er gehofft? Was zu tun? Einfach an die Tür klopfen und um Einlass bitten? Er war so unüberlegt hinausgelaufen, bereit die mahnenden Worte seines Vaters zu mißachten. Nun stand er hier, willig und beschämt zu gleich, nicht wissend, was genau nun er tun soll.


    Da öffnete sich unerwartet die Tür des Hauses und ein älterer Mann, dessen Haare schon licht und grau waren trat hinaus. Er drehte sich nochmals ur Tür hin um, während Mārcus sich gleichzeitig duckend hinter der Porticussäule versteckte und sein Licht löschte.

    "Danke dir, Lupercus.(*1) Du hast wirklich Glück mit deiner Frau.", hörte Mārcus den Mann sagen. "Sie ist ein Schönheit, du solltest eigentlich eine zufriedenstellenden Zukunft habe."

    "Danke dir Lascīvus,(*2) du wurdest deinem Namen gerecht." hörte er die Erwiderung in einem ebenso freundlichem Ton. "Aber sie ist nicht meine Frau."

    "Wie? Ist sie nicht?", erklang wieder die Stimme des Mannes, der als Lascīvus angesprochen wurde.
    "Nein sie ist die Tochter meiner Frau aus ihrer vorherigen Ehe.", ein dreckiges Lachen erscholl. "Ihr Mann rannte mir ins Messer. Was sollte ich also tun, wenn mich nicht um beide kümmern."

    "Du bist ein Schwein, Lupercus.", hörte Mārcus Lascīvus lachend sagen "aber du bist mein Schwein. Mach was du willst mit den beiden, solange ich das junge Ding nehmen kann wann ich will. Solange du dich an unsere Vereinbarung hältst, passiert dir nichts und deine Geschäfte laufen auch weiterhin."

    "Da mach dir keine Sorge Lascīvus.",erwiderte Lupercus, "du kannst sie haben solange du willst." Es entstand eine kurze Pause. "Salax,(*3) komm her, sofort." Mārcus hörte Schritte sich nähern. "Ja was ist denn?" Hörte er ihre Stimme, jene Stimmer die er beim Singen gehört hatte.
    "Kümmer dich zum Abschied um unseren Freund Lascīvus. Er hält große Stücke auf dich, enttäusche ihn nicht."
    "Hahaha ... ja und zwar ein großes Stück halte ich für sie."


    Mārcus schob seinen Kopf um die Porticussäule und sah zu seinem Erschrecken, wie das Mädchen, das seine Gedanken beschäftigte, welches ihn seine Pflichten vergessen machte, vor Lascīvus mit dem Kopf unter seiner Tunica kniete, von hinten durch Lupercus Hände unterstützt.


    Die Stimmer seines Vaters kam plötzliche zum Vorschein:

    'Sie taugt nichts, glaube mir. Es bringt dir nichts als Ärger, sich mit ihr einzulassen. Bleib ihr fern.'
    Mārcus duckte sich wieder hinter die Säule und schlich sich weg, Richtung eigenes Heim, wo er in seinem cubiculum den Kopf in sein Kopfkissen drückte und mit den Händen an die Wand trommelte.


    'Sie taugt nichts, glaube mir … Bleib ihr fern … Sie taugt nichts … Es bringt dir nichts als Ärger … Sie taugt nichts … Bleib ihr fern … glaube mir … glaube mir … glaube mir … mir', die Stimmer seines Vater begleitete ihn in seinen Schlaf.




    Sim-Off:

    *1) Lupercus - Herden- u. Fruchtbarkeitsgott
    *2) Lascīvus - zügellos, frech, ausschweifend, wollüstig
    *3) Salāx – geil, Geilheit erregend, geil machend

  • disciplīnae Mārci Annaei Cōnservātoris - pars tertia
    Die Lehren des Mārcus Annaeus Cōnservātor - dritter Teil


    Der 8 jährige Mārcus lag in seinem Bett, die Sonne hatte zuvor ihre Tagesbahn hinter dem Horizont beendet und der hereinziehenden Dunkelheit Raum gegeben, die Nacht anzukündigen. Die Flamme eines Öllichtes reckte sich gegen die Decke, hochstehend und ohne Zucken, wie ein gerade gewachsener Baum und tauchte den Raum in einen wohlig warmen Schein. Sie trieb Dinge zu Schattenwürfen an, die mal fantastische Tier bildeten, mal Bäume, mal Berge darstellten, jenachdem wie Mārcus guckte.


    Jetzt im Spätsommer der Baetica waren die Nächte noch warm und würden erst zum frühen Morgen hin in eine Milde abgleiten, daß man sich dann doch eine leichte Decke bis zum Kinn zog. Auf einem kleinen Tisch neben seinem Bett, stand ein kleine Schale mit Obst und Nüsse und ein Krug Wasser mit einem Becher daneben. Jeden Abend, wenn Mārcus ins Bett ging hatte sein Mutter Servīlia zuvor diese Kleinigkeit auf den Tisch gestellt, falls er noch etwas knabbern möchte oder Durst bekam. Und wie jeden Abend kam seine Mutter zu ihm, nachdem er sich in sein Bett gelümmelt hatte, setzte sich auf die Bettseite und strich mit einem Lächeln ihrem Sohn über den Kopf, bevor sie ihn fragte, ob er noch eine Geschichte hören wollte.


    "Ita mamma, ita"(*1) antwortete Mārcus voller Vorfreude, wie jeden Abend zuvor. Und Servīlia nahm eine Schriftrolle zur Hand, welche die Geschichte enthielt. Eigentlich brauchte sie diese nicht, denn sie kannte die Geschichte auswendig, nach all den Jahren und all den Wiederholungen. Es war Mārcus Lieblingsgeschichte: Die Aenēis von Publius Vergilius Marō.


    Und so begann Servīlia das abendliche Ritual, hielt die Schriftrolle in ihrer rechten Hand, kaum aufgerollt, und hielt ihre Augen geschlossen, als sich ihre Lippen begannen zu öffnen und ihr Atem die Stimmbänder bespielte und Worte formte, Worte, die den kleinen Mārcus jedesmal in ihren Bann zogen. Er hing an ihren Lippen und im Stillen sprach er mit. Ja er hatte irgendwann gar begonnen einzelne Wörter und ganze Abschnitte in seinem Innern zu betonen, noch mehr, als seine Mutter es tat. Und so nun sah er seine Mutter an, jene Frau, die ihn gebar, die er liebte und Abend für Abend Geschichten vorlaß, gar vortrug. Geschichten über Helden, über Götter, über fremde Länder und Provinzen. Dem kleinen Mārcus wurde so eine große Welt geboten, in die er sich abends hineinbegab, in seine Träume mitnahm und ihre Lehren aufsog.


    "Arma virumque canō, Trōiae quī prīmus ab ōris
    Ītaliam fātō profugus Lāvīniaque venit
    lītora, multum ille et terrīs iactātus et altō
    vī superum, saevae memorem Iūnōnis ob īram,
    (*2)


    Vieles erduldet' er auch im Krieg, bis die Stadt er gegründet

    Und die Penaten gebracht nach Latium, dem die Latiner,
    Albas Väter, entstammt und Roms hochragende Mauern.
    "


    […]


    Mārcus näherte sich mit dem Schiff jener Feste und Stadt, die Iūnō auserkoren hatte, selbst vor Samos. Seine anvertraute Familie umstand ihn, während er sich mit scharfen Blick übte zu erkennen, ob Landung oder Anlegen hier friedlich sei vorzunehmen. Von weit her kamen sie nun schon, aufgebrochen im Jahr, als die Heimatstadt Trōia fiel, durch List nur, den Griechen in die Hände. "Aenēās, meinst du, wir können hier anlanden und unsere Vorräte auffrischen.", fragte sein blinder Vater Anchises ihn. "Ja, ich denke schon.", antwortete Mārcus zuversichtlich und hielt seinen Vater fest.



    Sim-Off:

    *1) Ita mamma, ita - Ja Mama, ja.

    *2) Arma virumque canō, Trōiae quī prīmus ab ōris Ītaliam fātō profugus Lāvīniaque venit
    lītora, multum ille et terrīs iactātus et altō vī superum, saevae memorem Iūnōnis ob īram


    Waffen besing ich und ihn, der zuerst von Troias Gestaden Durch das Geschick landflüchtig Italien und der Laviner
    Küsten erreicht, den lange durch Meer' und Länder umhertrieb Göttergewalt ob des dauernden Grolls der erbitterten Iuno.

  • disciplīnae Mārci Annaei Cōnservātoris - pars quārta
    Die Lehren des Mārcus Annaeus Cōnservātor - vierter Teil


    Als Mārcus zwölf Jahre alt wurde, war es ein Jahr nach dem Tode seines zweitjüngsten Bruder Faustus Annaeus Milō. Er saß gerade im ātrium und war mit den Übungen beschäftigt, die ihm sein Lehrer aufgegeben hatte, da trat sein Vater Paulus Annaeus Camillus hinzu. Im Schlepptau einen ernst dreinschauenden Mann, in dessen Gesicht ein gepflegter kurzer Bart schon durchzogen war von grauen Haaren. Seine Augen waren leicht zusammengekniffen, kaum merklich, so als wenn man sich auf etwas besonders konzentrieren will. Sein Haupthaar war kurz geschnitten, so ein digitus, vielleicht auch zwei , lang. Seine Stirn hatte die typischen Falten des Lebens, eines Lebens, das auch die Abgründe gesehen hatte, doch um seinen Mund waren, zwar gut versteckt, die Falten lachender Menschen gezeichnet. Er hatte also schon mal Freude gekannt und lachen können.
    An seinem Hals war eine längere Narbe zu sehen, die sich vom hinteren rechten Ohr, so auf Höhe des Ohrläppchens, runter zog bis sie auf die Höhe des Schlüsselbeins. Die Haut dort war wesentlich heller als die gebräunte der nicht vernarbten Haut.
    Seine Arme, die aus seiner Tunica ragten, waren mit deutlich wahrnehmbaren Muskeln versehen. Nicht diejenigen, die nur Männer bekommen, die stupide irgendwelche Gewichte stemmten und heben, um dann zu ungelenk zu werde, diese auch nutzen zu können. Es waren vielmehr Muskeln, die sichtbar waren, weil es kaum einen Fettüberschuß gab. Sie waren deutlich an ihren Plätzen zu erkennen, doch flexibel, Kraft in Bewegung.
    Unten schaute ein Paar Beine aus der Tunica, die ebenfalls das Wort Fett nicht zu kennen schienen. Die Waden waren sehr muskulös und stramm. Sie schienen ihr Leben lang in Bewegung gehalten worden zu sein. Die Füße steckten in calceī (*1), aus denen kurze Strümpfe herauslugten. Seine gesamte Haltung war straff und gerade, die Beine breitbeinig, die Last seines Körpers tragend. Gekleidet war er in einer leicht rostfarbenen Tunica, die in bewährtem Fischgratmuster gewebt war und über mittellange Ärmel verfügte, die zwei, drei Finger über dem Ellbogen aufhörten. Gegürtet war er mit einem cingulum mīlitāre, an dem eine kleine Ledertasche aufgegurtet war, so daß sie vorne auf Höhe seiner linken Hüfte zu liegen kam. Auf seiner Linken hing ein pugiō, an seiner Rechten, an einem balteus hängend und durch das cingulum am Platz gehalten ein gladius.
    Ein sagum, bräunlich - ockerfarben, hing über seiner linken Schulter, mit einer fibulā über der Rechte geschlossen und zusammengehalten. Das sagum war zu einem Drittel in seinem Längsverlauf gefaltet, daß man bei Bedarf auch seinen Kopf bedecken konnte. Doch was am auffälligsten war, daß waren seine Augen. Augen wie scharfe Klingen, musternd, schätzend, beobachtend, geschult in Wahrnehmung und eben diese Augen musterten erst das ātrium, nahmen jede Einzelheit auf und ruhten schlußendlich auf Mārcus, die zwölfjährige Hoffnung der Familie. Sie durchdrangen ihn, bohrten sich in ihn hinein, schätzten seinen Wert, seine Veranlagung, seine virtūs (*2). Er krempelte mit ihnen Mārcus Innerstes einmal um, so daß Mārcus eine leichtes Frieren fühlte.


    "Mein Sohn, dies ist Mānius Ligārius Celer. Er hat kürzlich seine missiō honesta als optiō erhalten und war im Zweiten Dacer Krieg. Ich habe ihn für unsere Familie gewonnen und angestellt. Ligārius Celer wird cūstōs corporis (*3) der Familie und dein doctor gladiōrum (*4) sein. Sein 26-jähriger Dienst unter dem Adler wird dazu betragen, dich wenigstens in soweit auszubilden und zu schulen, daß diese Familie nicht auch noch dich frühzeitig verlieren wird. Anscheinend gehen meine Söhne wohl lieber zur Armee, denn ins väterliche Geschäft. Nun denn, wenn dem also so ist, und wenn ich ferner annehme, daß sich dies bei dir ebenfalls abzeichnen wird, bist du zumindest rechtzeitig vorbereitet und vermagst gar dort Erfolge zu verzeichnen."


    Mārcus hörte seinem Vater schweigend zu, während er die Musterung des Celer über sich erduldete. Er sah Celer direkt in die Augen, jene beiden ihn fixierenden Punkte im Gesicht, die den Begriff Wärme wohl nur aus einer Schriftrolle kannten.


    "Du wirst ab sofort täglich mit Ligārius Celer üben, neben deiner schulischen Ausbildung natürlich.", sagte sein Vater und legte ihm seine rechte Hand auf die linke Schulter. "Ich erwarte von dir, daß du dein Bestes gibst und dich wirklich bemühst. Celer wird dir nun deinen Übungsplan vorstellen, der ab morgen angegangen wird." Damit übergab sein Vater das Wort an den Mann, den optiō veterāna.


    Dieser schien festgewachsen an seinem eingenommenen Platz zu verharren. Es trat ein Augenblick der Stille ein, da sein Vater schwieg und Celer noch nichts gesagt hatte. Die Stille wiegte schwer für Mārcus, da es für ihn eine ungewohnte Situation war. Er konnte sein Herz schlagen hören … bum … bum bum … bum … bum bum … und es schien immer lauter zu werden. Sein Atem gesellte sich hinzu und gab die Begleitmusik zum Klang der Herzschläge. Er hatte das Gefühl, der Raum versinkt in den rhythmischen Tönen, so laut waren sie für ihn.


    "Dein Vater hat mich schon vorgestellt, Conservator. Du wirst von mir geschult und ausgebildet werden, und zwar so, als ob du eben als tīrō zur legiō gekommen wärst. Da du noch andere Verpflichtungen hast, und deine Mutter, die Götter wissen warum, dich anscheinend auch noch braucht, wird die Ausbildung für dich nicht leichter. Ganz im Gegenteil, da unsere gemeinsame Tageszeit begrenzt ist, leider. Höre gut zu. Vor allem merke dir, was ich dir jetzt sagen werde."

    Die Stimmer von Celer erscholl durch das ātrium, wie auf dem Übungsplatz einer castra. Sie war bestimmt noch in den Nachbarhäusern zu hören gewesen. Er sprach langsam, aber sehr deutlich. Dabei fixierte er Mārcus mit seinen Augen, durchdrang ihn und rang sein Inneres nieder.


    "Du wirst in wenigen Jahren zum Mann, also werde ich dir die noch vorhandene weibische Art nehmen und zeigen, was auf dich zukommen wird. Du wirst bluten, schwitzen, schreien und vielleicht gar sterben wollen. Dieser Wunsch, dieses weibische Nachgeben des sterben wollens, dies wird dein Tod sein, sei gewiss. Tausche ihn aus durch Biss, Willen, Fähigkeiten Dinge abzuschätzen, zu analysieren und rechtzeitig zu erkennen. Und lerne endlich, mit offenen Armen dein Schicksal anzunehmen, und wenn morta klopft wirst du dies frohen Herzens annehmen. Und zwar weil du pietās, virtūs und animus besitzt und du recht gehandelt hast, indem du deine Pflicht erfülltest."


    Die Worte waren noch nicht ganz verhallen da traf Mārcus ein donnernder Schlag gegen den Brustkorb, daß er einige Schritte nach hinten taumelte und fast gefallen wäre. Er rieb sich seinen Brustkorb und verzog sein Gesicht schmerzerfüllt. Seine Augen waren weit aufgerissen und noch eher er sich versah folgte ein neuer Schlag auf den Brustkorb, so daß er nach hinten auf den Boden fiel.

    "Du siehst, Jüngling, was deine Zukunft sein wird – Schmerz. Lerne damit zu leben und fange an zu lernen.

    Ab morgen werden wir gemeinsam dich zum Stolz deines Vaters machen. Wir fangen jeden Morgen mit Laufen an. Und zwar eine mille passūs (*5) schnelles Laufen und ein stadium (*6) Sprint. Danach wirst du 10 amphorae (*7) Wasser in ein Badebecken füllen, so daß du dich waschen kannst. Danach erfolgt die Waffenausbildung am Pfahl mit Übungsschwert. Wir beenden unsere gemeinsame Tageszeit wieder mir einer mille passūs schnelles Laufen und ein stadium Sprint beenden."


    So lernte Mārcus Mānius Ligārius Celer kennen – im ātrium, auf dem Boden liegend. Und es folgten noch viele Tage, an denen er am Boden lag, sich die Glieder rieb vor Schmerzen und er blaue Flecken sammelte, wie andere Blumen oder Knochenwürfel. Zu Beginn litt er sehr, da alles ungewohnt und neu für ihn war. Das Laufen strengte ihn ebenso an, wie der Sprint und da er noch nicht in einem eine amphora tragen konnte, mußte er sie unterteilen, was erneut laufen, laufen, laufen bedeutete. Doch aus Tagen wurden Wochen und Monate, in denen er täglich den Übungen und dem Drill des Ligārius Celer unterworfen war und mit jedem Tag, der verging, wuchs seine Ausdauer, wuchsen seine Kräfte und vor allem sein Wille zu zeigen das er kein Weib war. Das er ertragen konnte, das er, wenn nötig, leiden konnte und vor allem das er nicht klagen wollte. Er wurde schneller und besser und Celer ging mit der Zeit dazu über, ihn auch in der Wahrnehmung zu unterweisen, Dinge wahrzunehmen, die wichtig waren, die etwas andeuten konnten, Bewegungen zu antizipieren und darauf zu reagieren. Und mit den Fortschritten, die Mārcus machte, wurde Celer weniger herrisch. Zwar immer noch bestimmt und fordernd, aber eben weniger herrisch.


    Im zweiten Jahr der Ausbildung gingen sie täglich nach dem Laufen im Meer schwimmen und der Übungspfahl für die Fechtausbildung war da schon so abgenutzt, daß sie gemeinsam einen neuen einsetzten. Er hatte gelernt, wie er seinen Oberkörper in einer Linie mit seinem Oberschenkel des hinteren Standbeines zu bringen hatte, um den Stößen des Celer etwas entgegensetzen zu können. Und er sammelte immer noch blau Flecken und Schrammen, aber der Schmerz war verschwunden. Der Körper und er hatten sich an das Training und die Anforderungen so gewöhnt, daß Mārcus auch dann alleine seine Übungen machte, wenn Celer mit seinem Vater unterwegs war.


    Es war an einem Herbstmorgen, der Wind kam von See kälter als gewohnt heran, da saßen sie beide im ātrium. Es gab puls mit Speck. Seit Wochen nun schon aß Mārcus wie ein Soldat, wenn er mit Celer zusammen war. Es hat sich einfach so ergeben und es war nahrhaft und sättigend. Sein Körper war mittlerweile so geformt und gestählt, als hätte er schon immer sub aquila gestanden. Celer legte Mārcus einen Adler aus Ton in die Hand. Seine Schwingen breiteten sich erhaben aus und seine Krallen hielten die Blitzbündel des Iupiter Optimus Maximus.
    "Dies, Mārcus, ist Rōma. Hier war für lange Zeit mein Leben und ist es noch. Meine Brüder sind hier und starben hier. Wir sind viele, die das Licht vor der Dunkelheit schützen. Wenn du also eines Tages dich entschließen solltest mein Bruder zu werden, dann wird mich das sehr freuen. Ich weiß, unser Anfang war für dich hart. Doch du warst weich, du warst wie Kinderbrei in einer Welt, die von Dunkelheit umgeben ist. Nun sieh dich an. Du bist klug und gebildet, deine Familie hat dich gut unterrichten lassen. Du ehrst die Götter und die larēs praestitēs (*8), und du bist körperlich gestählt und bestens trainiert. Unsere gemeinsame Zeit hat aus dir einen Mann gemacht. Keine weibische Liederlichkeit und Jammerei, sondern einen, der einsteckt und austeilt, der ertragen kann, ohne zu jammern. Deine Muskeln sind wohl geformt doch dir nicht hinderlich. Du, Mārcus, hast nun alles, um mein Bruder sein zu können, wenn du es willst. Darum biete ich dir an, hier und jetzt, eben meine Bruder zu werden. Wir werden um so eifriger am Willen und Könne arbeiten, um auch weiterhin Roms Bestimmung zu erfüllen und die Dunkelheit der Barbarei zu verdrängen."

    Mārcus vernahm die Wort mit innerem Stolz und Freude. Er hatte all die Jahre seinen Geist und Körper trainiert, hatte Wettkämpfe gewonnen und den Respekt der städtischen Jugend sich erarbeitet, manchmal mit Worten, manchmal mit Taten. Hier nun bot ihm seine Ausbilder, sein Bruder zu werden, seine Waffenbruder. Er merkte wie stolz Celer auf sein Werk, auf Mārcus, war. Er hatte aus ihm einen idealen mīles geformt, so wie er idealerweise zu sein hätte – hart im Nehmen, hart im Geben und gebildet. An diesem Tag wurden sie Brüder, sie teilten Essen und Getränke, sie waren wie eine kleine eingeschworene Gruppe.

    Als Mārcus siebzehn wurde, waren sie seit 5 Jahren zusammen. An diesem Morgen wollte er gemeinsam mit Celer am Strand seinen Morgenlauf absolvieren, doch Celer kam nicht ins ātrium. Er ging zum Schlafgemach seines Waffenbruder und öffnete die Tür. Er fand Celer in seinem Bett liegend vor, die Decke bis zum Kinn hochgezogen. Mārcus näherte sich ihm, sprach ihn an, doch Celer stand der Schweiß auf der Stirn, die Augen fiebrig. Er murrte nicht, er klagte nicht, doch Mārcus merkte, daß es Celer sehr schlecht ging. Er holte einen Krug Wasser, Obst und Nüsse und begann sich um Celer zu kümmern. Zwischendurch laß er ihm aus iosephus vor und den Jüdischen Krieg, sprach über die Daker-Kriege, über Brüder und Freundschaft. Zwei Wochen lang war Mārcus an der Seite des Celer, eine Zeit in der er seinen Übungen nicht nachkam und sich nur um seinen Bruder kümmerte.
    Zur beginnenden dritten Woche holte morta Celer von hier und seine Augen schlossen sich für immer. Mārcus kümmerte sich um eine angemessene Bestattung und begann seinen Bart als Zeichen der Trauer lang wachsen zu lassen. Und er nahm seine Übungen wieder auf, verbissener und mit sich selbst noch strenger als zuvor. Celer hatte selbst im Augenblick des nahen Todes nicht geklagt, sondern es angenommen, was decima ihm bemessen und nona gesponnen hatte.


    Als Mārcus nach drei Monaten seine Trauer beendete und den Bart sich abnehmen ließ, war seine Ausbildung hier abgeschlossen. Nicht die körperliche. Er hatte gelernt Leid zu ertragen und beständig an sich zu arbeiten, seinen Körper zu straffen und wenn notwendig Leid zu erteilen, ohne Groll und ohne Mitleid. Er hatte gelernt, daß alle sub aquila und jene sub vēxillum seine Brüder werden, wenn er ebenfalls ihren Weg geht und daß das Licht vor der Dunkelheit geschützt werden muß und er der Beschützer werden kann. Und das alles bemessen und gesponnen wird, das nicht klagen hilft, nur die Tat zählt. Mārcus hatte von Celer gut gelernt und Celer hatte ihn zum Ideal geformt, daß häufig besungen und nur selten gefunden wurde. Doch er war nur Mācus und ob er den Vorstellung gerecht werden würde, lag in ferner Zukunft.



    Sim-Off:

    *1) calceus – Halbstiefel, Schuh

    *2) virtūs – Mannhaftigkeit, Stärke, Tugend

    *3) cūstōs corporis - Leibwächter

    *4) doctor gladiōrum – Fechtmeister

    *5) mille passūs – 1.000 passūs ~ 1,48 km

    *6) stadium ~ 185 Meter

    *7) amphora ~ 25,93 L

    *8) Larēs praestitēs - die schützenden Hausgötter

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