Von Krankheit, Schuld und Sühne

  • Es war heiss gewesen, die letzte Zeit in Roma, drückend heiss und schwül, feucht, nass. Es war eine Zeit gewesen, in welcher viele Bürger krank wurden und auch in den privaten Gemächern des Kaiserpaares lag nun ein kleiner Körper, der gegen das Fieber ankämpfte. Die Augusta war am Morgen erwacht und anstatt dass sie zuerst von ihrem kleinen Sohn begrüsst und freudig umarmt wurde, grüsste sie bedrückendes Schweigen aus dem Kinderzimmer.


    Ein Blick in das Zimmer zeigte ein zerwühltes Bett und den kleinen Jungen, in seinem eigenen Schweiss gebadet, der leise vor sich hin röchelte und sich im Fieberwahn hin und her wälzte.

  • Herz und Bauch rutschten der Kaiserin in die Knie, als sie ihr Kind erblickte. Die Luft blieb ihr weg und das Herz schlug wie ein Hammer. Sie ahnte instinktiv, dass hier nur ein Medicus helfen konnte. Ihre Möglichkeiten und ihre Liebe reichten nicht aus, zumal sie seit ihrer Rückkehr aus Germanien oft vergeblich um die Zuneigung ihres Kindes buhlte.

    Sie raste zur Tür, riss sie auf und schrie in den Gang. "Medicus! Wo ist der MEDICUS! Hilfe!" Der letzte Ausruf rutschte nach oben ab. Die Tür gegenüber flog auf. Aus ihr stürmte die Amme. Sie hastete zum Bett des Jungen und strich ihm sanft über die Stirn. "Alles wird gut, mein Kleiner! Alles wird gut!"


    Wie so oft kam Eifersucht in der Kaiserin auf. Ihr Sohn betrachtete seine Mutter bestenfalls wie eine gute Tante. Bezugsperson blieb die Amme. Sie gab ihm einst Nahrung und Wärme, während die leibliche Mutter für lange Zeit verreiste. Des Palastes verweisen wollte Serena die Amme nicht, aber sie scheute sich nicht, sie auf ihren Platz zu verweisen. "Gerade wirst du nicht gebraucht. Geh und treib den Medicus auf!"


    Es lag im eigenen Interesse der Amme, den Medicus schnellstmöglich zum kaiserlichen Kind zu führen, also kam sie ohne zu Zögern der Anweisung nach. Sie lief in den Gang, koordinierte die konfusen Sklaven und eilte davon. Einer der Sklaven unterrichtete den Kaiser.


    Serena beugte sich über das Bett ihres Sohnes und erhoffte eine Reaktion, doch die Wahrnehmung des Kindes richtete sich nicht auf sie, oder auf irgendetwas.

  • Während die Amme den Medicus holte, oder zumindest suchte, denn der Leibarzt des Kaiserpaares hatte manchmal auch noch andere Patienten und gerade in diesem speziellen Sommer war es häufig der Fall, dass er bei reichen Patienten ausserhalb des Palastes weilte, und die Sklaven den Kaiser informierten, wurde ebenfalls jeder aufgetrieben, der mit dem Jungen zu tun gehabt hatte.


    Von den Sklaven, welche die Kleidung des Kindes betreuten, bis zum Mundschenk und Vorkoster wurde jeder aufgetrieben, der irgendwie die Chance gehabt hätte, dem Kind ein Leid zuzufügen. Alle versammelten sich auf Befehl im Raum nebenan und alle waren gesund und munter, niemand war krank oder zeigte irgendwelche Symptome, welche darauf schliessen liessen, dass sie etwas mit der Erkrankung zu tun haben könnten. Auch der Vorkoster war gesund und zeigte keine Symptome irgendwelcher Art.

  • Während die Zeit verstrich und keine Hilfe nahte, wechselte die Befindlichkeit der Kaiserin von Angst über Frustration zu Hilflosigkeit. "Warum kommt denn niemand?" Sie hauchte die Worte, weil die Angst ihr die Luft abschnürte.


    Jeder Befehl verlor an Bedeutung, wenn der Empfänger nicht im Palast weilte. Die Suche nach dem Medicus lief auf Hochtouren und Serena wusste nicht, wie sie die Wartezeit überbrücken sollte. Sie streckte die Hand aus, um ihr röchelndes Kind zu trösten, scheute aber zurück und hielt mitten in der Luft inne. Aus Sorge, ihr Kind könne unnötig Kraft verlieren, wenn es sie abwehrte, zog sie die Hand wieder zurück. Seit Monaten arbeitete sie daran, den Kontakt zu ihrem Sohn zu verbessern, doch immer, wenn das Kind Hilfe brauchte, lehnte es die Mutter ab und flüchtete in die Arme der Amme.


    So hatte sie sich einst ihre Mutterschaft nicht vorgestellt. Sie liebte ihr Kind und glaubte, sie tat alles.


    "Lüge!", schrie es in ihrem Innern. Serena zuckte zusammen. Ihr stand vor Augen, dass der Junge Teil ihres Strebens nach Einfluss war. Sie wollte ein Kind mit dem Kaiser und dieses plante sie am Caesar vorbei auf den Thron zu bringen. Dafür baute sie ein Netzwerk auf, um an Macht zu gewinnen. Sie wurde Patronin und pflegte den Kontakt zu einflussreichen Männern aus Politik und Militär.


    Lange schien das Glück mit ihr zu sein, aber als ihr eigener Sohn sie ablehnte, dämmerte ihr, dass sie im Begriff war, das Wichtigste zu verlieren. Selbst unfähig, ihrem Sohn zu helfen, wünschte sie sich erstmalig die Amme her.

  • Durch die gross angelegte Suche nach dem Medicus gelang es derweil eigentlich unüblich schnell, diesen zu finden. Praktisch jeder freie Prätorianer, jeder nicht in Kontakt mit dem Kind stehende und gerade unbeschäftigte Sklave war auf der Suche nach dem Mann. Daher wurde er sehr schnell bei einem anderen Patienten aufgefunden und er rannte in ungebührlichem Tempo für seine Position mit dem Prätorianer der sie gefunden hatte zum Palast zurück. Die schweren Taschen mit den Instrumenten und Medikamenten waren dabei auf 3 Männer verteilt, den Medicus selbst, seinen Sklaven und den Soldaten. Dies ermöglichte eine höhere Geschwindigkeit. Ausserdem machten die Menschen ihnen Platz, als sie bemerkten, das dieser kleine Trupp, der in Windeseile durch die staubigen Strassen rannte, wichtig war.


    Im Palast angekommen waren sie derart verschwitzt, es war ja eben noch immer ein heisser, schwüler Tag, dass zuerst einmal die Kleidung gerichtet und Atem geschöpft werden musste. Erst als der Medicus einigermassen vorzeigbar war, wurde er zur Augusta und dem Kind vorgelassen.


    In der Zwischenzeit hatten die Befragungen des Personals längst begonnen. Im Zentrum standen unter Anderen auch der Mundschenk und der Vorkoster. Jeder wusste, dass über die Nahrung einer der einfachsten Wege war, um Unheil über eine Familie zu bringen.


    Vorbei an diesen Szenen drängte nun der Arzt ins Zimmer. Ohne spezielle Begrüssung der Augusta, ohne Verbeugung oder sonst etwas, ausser einem kurzen "Augusta", ging er direkt zum Patienten und begann seine Untersuchung:

    Kalter Schweiss rann dem Kind über die Stirn.

    Der Kopf war heiss, wenn er ihn anfasste.

    Auch der Körper war heiss, jedoch gleichzeitig von kaltem Schweiss gebadet.

    Es war kein Ausschlag sichtbar.

    Die Augen waren glänzend glasig, als er die Lider anhob, doch das Kind erwachte nicht.

  • Die Rettung nahte in Gestalt des Medicus und die Kaiserin atmete erleichtert auf. Wie der Mann grüßte, interessierte sie nicht, wenn er sich nur schnell genug um ihren Sohn kümmerte. Sie trat vom Bett zurück und ließ ihm bei der Untersuchung Raum, obwohl sie zu gerne jede Einzelheit verfolgt hätte. Ihr Blick hing an seinem Gesicht, um aus der Mimik frühzeitig Erkenntnisse ableiten zu können. Leider blieb jegliches Mienenspiel aus und auch keinerlei Erklärung folgte. Mit größter Anstrengung hielt sie sich für zwei Atemzüge zurück, dann platzte es aus ihr heraus.

    "Was hat mein Sohn?" Die viel wichtigere Frage folgte prompt. "Wie wird er behandelt?"

    Da ihr alles nicht schnell genug ging, sprudelte Weiteres aus ihr heraus. "Jetzt tu doch etwas!"

    Ihre Stimme schrillte, doch kurz darauf schalt sie sich für die Ungeduld, weil sie annahm, der Medicus überlegte und stören wollte sie ihn dabei nicht. Mit angehaltenem Atem wartete sie auf Antworten. In ihren Augen flackerte Angst, gepaart mit einem stillen Flehen.


    Der Grund für die Zeugung des Kindes und die Dankbarkeit, dass sie, passend für ihre Pläne, einen Junge gebar, rückte in Anbetracht der Situation in den Hintergrund. Mütterliche Gefühle brachen hervor und überwältigten sie. Ihr Herz blutete, weil sie ihr Kind leiden sah.

  • Der Medicus war überhaupt nicht zufrieden mit dem, was er sah. Dem Jungen ging es offensichtlich überhaupt nicht gut. Das Fieber war viel zu hoch und musste dringend gesenkt werden, sonst würde das Kind nie wieder erwachen. Ausserdem verlor es durch das Schwitzen viel zu viel Flüssigkeit, doch die konnte nur ersetzt werden, wenn das Kind in der Lage war zu trinken oder eine Suppe zu sich zu nehmen.


    Schliesslich drehte sich der Medicus zur Augusta um: Herrin, es sieht nicht gut aus. Das Fieber muss dringend gesenkt werden. Umschläge mit Kamille werden da helfen. Ich habe das nötige Mittel hier. Sobald der Junge aufwacht, muss er dringend trinken, sonst verliert er zu viel Flüssigkeit. Auch eine dünne Hühnersuppe würde ihm gut tun. Viel mehr können wir im Moment nicht tun, ausser beten und opfern. Erst wenn das Fieber sinkt können wir herausfinden, was der Grund dafür ist und diesen behandeln.

    Der Medicus kramte in einer seiner Taschen und entnahm ein Fläschchen, welches einen Korkstopfen hatte und um den Hals einen kleinen Papyrus, auf welchem "Chamaemelum nobile" zu lesen war.

    Hier, benutze dies um Umschläge zu machen. Lege sie auf die Stirn, um die Arme und auch um die Füsse, damit das Fieber möglichst schnell sinkt. Und bete zu den Göttern, dass es hilft. Dein Sohn ist schon auf halbem Wege zum Styx.


    Der Medicus hatte keine Angst vor der Augusta oder ihrem Zorn, also sprach er ruhig und sachlich. Sein Gesicht zeigte keine Regung, weil jede Regung die Angst der Mutter verstärkt hätte. Es war wirklich ernst und er hatte noch keine Ahnung woher das Fieber kam.

  • Der Augusta blieb keine Zeit, sich über den einleitenden Satz des Medicus aufzuregen, der sie mit schonungsloser Brutalität traf. Sie schnappte nach Luft und fragte sich, ob der Medicus den Verstand verloren hatte. Eine Mutter wollte Hoffnungsvolles hören!

    Die geäußerten Vorschläge zur Fiebersenkung leuchteten ihr ein, daher klatschte sie in die Hände, um die Sklaven zur Eile zu bewegen. Da in ihrem Kopf die Gedanken durcheinander stürzten, verstand sie zunächst nicht, ob das Mittel im Fläschchen für die Umschläge oder die erforderliche Flüssigkeitsaufnahme vorgesehen war.

    Die Amme strahlte trotz großer Sorge Ruhe aus und handelte umsichtig. Sie nahm dem Medicus das Medikament ab, lief zur Waschschüssel und gab Anweisungen, während sie etliche Tropfen in das Wasser rieseln ließ. "Die Laken, schnell. Auswinden, nicht zu sehr, sie müssen feucht sein und die gesamten Waden mit einwickeln. Du übernimmst die Stirn, ihr zwei die Arme und ihr die Beine. Regelmäßig wechseln. Wir brauchen mehr Laken und kühles Wasser!

    Du lässt eine Hühnersuppe vorbereiten." Jede der Angesprochenen beeilte sich. Die Sklavin für die Küche flitzte davon.

    Währenddessen stand die Kaiserin reglos. Sie brauchte Augenblicke, um aus der Starre zu erwachen, bevor sie zunächst langsam, dann immer schneller das Zimmer verließ und Richtung Hausaltar rannte. Dabei übersah sie Wassertropfen, die ein ebenfalls hastender Sklave aus Versehen verschüttet hatte, und rutschte aus. Den Aufschlag auf dem Natursteinboden spürte sie kaum, aber er löste eine Flut an Tränen aus. Sie rappelte sich auf und ging langsamer weiter. Das Schluchzen unterdrückte sie, als sie das Lararium betrat.


    "Die Räucherkohle entzünden!" Sie wurde vom Sklaven verstanden, trotz dünner Stimme. Er brachte unaufgefordert Weihrauchkörner und wartete, was die Kaiserin noch opfern wollte, denn ohne das Wissen um die Gottheit, konnte er nichts selbstständig vorbereiten.

    Die Kaiserin legte ein Tuch über ihr Haar und fasste die Statuette der Iuno ins Auge. Zeit verging, in der das Feuer die Kohle erfasste, und schließlich schien der Zeitpunkt gekommen. Sie griff in die gereichte Schale, entnahm ihr Weihrauchkörner und ließ sie in die Opferschale rieseln.

    "Mater Iuno." Ihre Stimme zitterte, daher atmete sie einmal durch und sprach weiter. "Mächtigste der Göttinnen, Gnädigste, Gütigste! Ich erbitte deine Hilfe, denn meinem Kind geht es schlecht. Du hast es mir einst geschenkt, bitte hilf, dass ich es behalte." Wieder griff sie zu Räucherkörnern und gab sie in die Schale. Währenddessen suchte sie nach Worten, was sie versprechen konnte, und hoffte, die Sklaven würden weitere Opfergaben herbeischaffen.

  • Iuno hatte schon länger ein Auge auf die dreiste Augusta geworfen. In astraler Gestalt hörte sie unter tausenden Gebeten die Augusta heraus und entschloß sich einfach mal zu hören was die impertinente, intrigante und wolllustige Augusta denn glaubte von ihr zu wollen.

    Gnädigste,...Gütigste,... Mater Iuno, wenn es euch dreckig geht, dann bin ich die Mater Iuno.

    Für sie war klar, daß sie ein Exempel statuieren musste.

    Heute war ihr nach Spiellaune,..ein Schalk saß ihr im Nacken.

    Sicher würde dieses verwöhnte Biest wieder einmal das Blaue von Himmel versprechen, Besserung geloben, Keuchheit, Gehorsam...pfah,...was hatte sie schon versprochen bekommen, aber sobald es dieser Augusta wieder zu wohl ging waren ihre Schwüre Schall und Rauch.

    Apropos Rauch. Sie wischte ein wenig mit ihrer Hand und der Rauch aus der Schale waberte zurück und hüllte die Augusta ein.

    Na warte du,...um den Kleinen tat es ihr beinahe Leid aber der stand schon nahezu neben Hades,...

  • Die Zuversicht, mit der die Kaiserin betete, zerplatzte in dem Moment, als der Rauch, anstelle stetig nach oben zu steigen, nach unten gedrückt wurde. Als bestünde er aus ätzenden Gasen, trat sie zurück, aber die Schwanden holten sie ein und umhüllten sie. Beraubt ihrer Hoffnung und Kraft gaben die Knie nach und sie sank auf den Boden. Ein Weinkrampf schüttelte sie.


    In einem letzten Aufbäumen richtete sie den Oberkörper auf, hob die Hände und begann mit nach oben geöffneten Handflächen ein weiteres Gebet. Ihr Blick hing an der Iuno-Statuette.

    "Gütigste Iuno, bitte hilf meinem Kind. Es ist doch unschuldig." Sie musste schlucken, weil Tränen die Stimme erstickten. "Ich werde tun, was du verlangst. Bitte gib mir ein Zeichen, wie ich dir für deine Hilfe danken kann." Mit einem Blick beauftragte sie einen Sklaven, Opfergaben nachzureichen. Sie wartete sehnsüchtig auf ein positives Zeichen, beobachtete den Abzug des Rauches, während sie am gesamten Körper zitterte.

  • Mmnaaah,...immer wieder der Kleine.

    Die noch nicht einmal persönlich dargebrachten Opfergaben imponierten ihr nicht, im Gegenteil, für eine Augusta hätte sie sich etwas raffinierteres erhofft.

    Das Greinen und Lamentieren würde ihr nichts nützen.

    Sie musste büßen. Sie mußte erkennen, daß alleine sie Schuld an ihrer Bestrafung trug, sie mußte erkennen, daß der Kleine sterben würde, auch ohne der Hilfe Iunos, sie musste auf einen guten, einen nützlichen Weg gebracht werden.

    Ach,...wieder Rauch? Kurz wurde ihr ein wenig anders als sie die Schatten des Todes in den Raum schwebten.

    Sollte sie weich werden? Was war schon ein kleiner Mensch gegen eine ehrfürchtige, keuche, gehorsame Augusta an der Seite des Imperators? Er könnte einen neuen Sohn zeugen, die Augusta war jung genug um wieder zu gebären.

    Nein, das Augenmerk der Götter lag nun einmal auf dem Kaiserhaus...ihrem momentanen Lieblingsspiel.

    Wieder ließ sie den Rauch zur Augusta zurückwabern, während sich der Schatten des Todes über das Bett des Kindes senkte.

  • Was sich beim Lararium des Kaiserpaares abspielte, wusste niemand der bei dem kleinen Jungen geblieben war und versuchte das Fieber zu senken. Der Medicus hatte der Kaiserfamilie schon lange gedient und immer die richtigen Tränke, Säfte und Rezepte gefunden. Er war sich sicher, dass er ein Fieber stoppen könnte und die ersten Reaktionen des Jungen stimmten ihn auch positiv. Die glasigen Augen sahen bei jeder Kontrolle besser aus, die Stirn und die Wangen fühlten sich nicht mehr ganz so glühend heiss an.


    Doch der Medicus wusste auch, dass dies bloss ein winziger kleiner erster Schritt war. Noch war überhaupt nichts überstanden. Es brauchte noch viele solche kleinen Schritte, sollte der Junge gerettet werden. Ein solcher Schritt war auch die Hilfe der Götter. Hoffentlich war die Augusta mit ihren Gebeten erfolgreich.

  • Eine kalte Hand griff nach ihrem Herzen, als die Rauchsäule ein weiteres Mal nicht aufstieg, sondern nach unten gedrückt wurde, um sie einzuhüllen. Keine Träne rollte mehr, weil alles in ihr erstarrte. Leichenblasse Haut spannte sich über eingefallene Wangen, während die Zähne leise aufeinander klapperten. Das Zittern des Körpers entzog sich ihrer Kontrolle, daher sah sie sich außerstande aufzustehen. Sie blieb am Boden und ließ einen Kälteschauer nach dem anderen über sich ergehen, unfähig sich zu rühren, oder Anweisungen zu geben. Niemand im Lararium traute sich zu sprechen, sich zu bewegen oder gar fortzugehen, um Hilfe zu holen. Zuweilen knackte die Kohle, die noch immer glühte, aber deren Wärme Serena nicht erreichte. Stattdessen kroch die Kälte des Bodens in ihren Leib.

    Das Zeichen, um das sie Iuno bat, wies auf sie.


    Der Blick der Kaiserin haftete am Boden, ohne die Struktur und Farbe des Materials wahrzunehmen. Gedanklich weilte sie nicht an diesem Ort, sie reiste durch ihr Leben. Als jüngste von drei Schwestern wuchs sie behütet auf. Ihre Ehe mit dem damaligen Statthalter Tiberius Severus wurde zwar arrangiert, aber sie basierte auf Respekt und Sympathie, sodass Serena gern an der Seite ihres Mannes weilte. Eines Tages wurde er zum Kaiser gewählt und ...

    Ihr Atem stockte. Sie erinnerte sich an ihren Auftritt nach seiner Wahl auf dem Forum Romanum. Der Tag sollte der größte in seinem Leben werden, aber vermutlich, so gestand sie sich heute ein, beging sie zu jener Stunde bereits den erster Fehler: Sie ritt hoch zu Ross auf dem Forum ein.

    Fehler im Auftreten konnten mit Unwissenheit nicht entschuldigt, aber erklärt werden, doch nur kurze Zeit später verließen Serena alle guten Geister und sie beschloss, heimlich nach Macht zu streben. Sie gab Audienzen und nahm sogar eine Klientin an. Der eigene Verstoß gegen die alten Sitten und Gebräuche paarte sich mit der Akzeptanz von Verstößen anderer Frauen. Wie selbstverständlich nahm sie es hin, dass Frauen Rittertitel trugen. Eine weitere Klientin namens Tiberia Lucia folgte und Serena scheute sich nicht, diesen Erfolg bei jeder Gelegenheit zu erwähnen, aber auch das reichte der Kaiserin noch nicht.


    Wieder hielt sie den Atem an, denn es fiel ihr wie Schuppen von den Augen. Ihr Sohn wurde nicht aus Liebe gezeugt und auch nicht aus dem Pflichtgefühl einer römischen Frau heraus, sondern in erster Linie, um ihre Machtposition zu stärken. Ein eigenes Kind mit dem Kaiser strebte sie rastlos an und bis zur Niederkunft schienen die Götter mit ihr gewogen. Ein Sohn, ein Thronfolger kam im Leben an, die Existenz des Caesars verlor an Bedeutung. Die Einsicht, ihr Kind als Mittel zum Zweck in die Welt gesetzt und ihm damit die Zukunft genommen zu haben, rollte wie eine Lawine über sie hinweg, aber sie kam zu spät. Ihr Kind kämpfte in diesem Augenblick um sein Leben und sie traf die Schuld!


    Sie wollte die ernüchternde Reise in die Vergangenheit abbrechen, aber etwas hielt sie zurück. Ein Gewicht beschwerte sie, blähte sich in ihrem Innern auf, kroch aus dem Bauch nach oben und hielt fortan die Lunge besetzt. Sie konnte kaum noch atmen. Die Schwester der Schuld, die Scham, bemächtigte sich ihrer. Der letzte ihrer vielen Fehltritte lag bis heute tief in ihrer Erinnerung versteckt. Sie bemühte sich sehr, nicht mehr an die Reise nach Germanien zu denken, doch der Mantel des Vergessens taugte nicht mehr. Es wäre ein Leichtes, die Schuld dieser Aglaia zuzuschieben, aber versagt hatte sie und sie ekelte sich dafür.


    Wäre sie doch bloß früher mit sich ins Gericht gegangen, dann läge ihr kleiner Sohn nicht im Krankenbett, sondern spielte in der Sonne. Sie wurde bestraft, weil sie nicht von allein den Weg zurück in die Anständigkeit fand und der Preis dafür zählte nicht einmal vier Jahre.

  • Iuno schwebte vor der Augusta und betrachtete sie wie ein neugieriges Kind einen interessanten Gegenstand. Sie spürte die Reue, aber war sie von Dauer? Oh, sie kannte diese Menschlein, stets voller Elan wenn sie in Not waren. Sobald es ihnen besser ging verstummten die Gebete und Beteuerungen.

    Nun, sie hatte durchaus auch Erfolge zu verzeichnen. Die Erfahrung zeigte jedoch, daß es gerade die reichen,...verwöhnten Frauen waren die sich schnell langweilten und dann nach Abwechslung suchten.

    Frauen wie diese kleine Augusta.

    Es war wohl hoffnungslos mit ihr und zeitlich begrenzt.

    Sie schwebte durch den Raum und der Rauch teilte sich durch ihre Bewegung. Langsam wurde es ungemütlich im Raum, Sie war die Mutter des Lebens,...der Tod, wenn er sie auch nicht persönlich traf behagte ihr nicht.

    Vor dem Bett des Jungen besann sie sich.

    Armes, unschuldiges Kind,...aber das war Claudius Nero aus oder der süße kleine Caligula.

    Sie strich ihm eine feuchte Strähne aus den Augen als niemand hinsah und sie wieder mal anfingen zu beten.

    Fiebrigglänzende Auge sahen sie an, das Gesicht entspannte sich, als würde der Kleine sie erkennen...Iuno setzte ihr liebevollstes Lächeln auf,...nein...sie lächelte wirklich. Der Kleine lächelte auch und nickte,...vielleicht hatte er eine alte Seele die nun wußte und akzeptierte was kam,...wer wußte das schon?

  • Als sich der Rauch teilte, erwachte die Kaiserin aus ihrer Starre. Zuerst hoben sich ihre Lider und anschließend mehrmals der Brustkorb, bevor Serena den Blick vom Fußboden losriss, um an der Iunostatuette zu verweilen. Das Götterurteil stand fest und viele Augen wurden Zeuge dessen. Augen, die sich nun, da der Rauch entschwand, auf die Kaiserin richteten. Ratlosigkeit stand in ihnen, gepaart mit Furcht und Mitgefühl.

    Die Bürde des Urteils lag wie ein Sandsack auf Serenas Schultern. Sie mühte sich aufzustehen, doch der erste Versuch misslang. Ihr fehlte es an Kraft, das Knie schmerzte seit dem Sturz im Gang und sie trug schwer an der aufgebürdeten Last. Ihr altes Ich flüsterte ihr ins Ohr, sie solle den Sklaven Stillschweigen befehlen, damit sich die Kunde von der Götterstrafe nicht im Palast verbreitete, oder gar durch Roms Gassen drang. Macht der Gewohnheit besaß der eigene Schutz Vorrang und schon klappte Serenas Mund auf, doch kein Ton drang heraus. Gedanken stürzten durch ihren Kopf, deren sie nicht Herr wurde und deren Sinn sie nicht verstand, bis ein Wispern im Innern ihre Aufmerksamkeit bannte und sie lauschte.


    Wie Gewissheit stand die Auswahl vor ihren Augen: Fall zurück oder geh geradeaus. Serena befand sich an einem Scheideweg. Sie konnte so weitermachen, wie bisher. Der alte Weg bot Sicherheit, denn er war bekannt. Die Tür zu einem neuen Weg stand nur einen Spalt breit auf. Die Kaiserin sah nicht, wo er hinführte, aber sie erkannte ein Licht. Schlug sie diesen Weg ein, brauchte sie all ihren Mut.

  • Der Junge kämpfte derweil weiter gegen das Fieber an. Die Umschläge halfen ihm dabei, denn sie kühlten seinen Körper herunter. Seine Wangen erhielten wieder etwas Farbe und für winzig kurze Momente schien er gar zu versuchen die Augen zu öffnen. Die Amme nutzte die Gelegenheiten, wenn sich sein Mund öffnete, ihm mit einem feuchten Schwamm die Lippen zu nässen und hoffte, dass so auch etwas Flüssigkeit in den Mund gelangte.


    Als der Medicus einige Zeit später wiederkehrte, er war in der Zwischenzeit bei anderen Patienten gewesen, fand er den Jungen halb wach vor. Er hatte etwas Suppe getrunken und fühlte sich besser, doch er war noch immer fiebrig und ganz sicher noch krank.

    Wir müssen dringend dafür sorgen, dass sein Kreislauf angeregt wird. Er ist viel zu schwach durch das hohe Fieber. befand der Medicus und befahl, einen leicht mit Wein versetzten Trank zu präparieren. Der geringe Alkoholgehalt sollte den Kreislauf anregen.


    Was der Medicus jedoch nicht wusste war, dass er damit das Todesurteil für den Jungen besiegelte. Niemand wusste das, doch die Substanz, welche den Jungen zuerst bloss in Fieberschüben erzittern liess, reagierte mit dem Alkohol und produzierte im kleinen Körper ein Gift, gegen welches der Medicus kein Mittel kannte.

  • Iuno empfand kein Mitleid, keine Trauer, keinen Schmerz. Wozu auch. Sie existierte jenseits menschlicher Moral. Sie hatte viele Kommen und Gehen sehen. Sie würde noch viele Kommen und Gehen sehen.

    Wie klein war doch das Wissen der Menschlein?!

    Sie wandte den Blick ab vom Bett und dem Todgeweihten.

    Nun da es nichts weiter zu tun gab als abzuwarten ob die Augusta geläutert war und auch so handelte, löste sie sich auf und überließ den Raum dem Handlanger Hades´

  • Bevor Serena das Lararium verließ, musste sie eine Entscheidung treffen. Sie ahnte, dass erst ein Entschluss ihr auf die Beine helfen würde, während die Unentschlossenheit sie am Boden hielt. Feststand außerdem, sie musste Konsequenzen ziehen, wenngleich ihr niemand erklärte, welche Wirkung jenen anhaftete. Da sie nichts riskierte, wenn sie sich dem Unbekannten öffnete, schob sie die imaginäre Tür weiter auf und sah sich um. Sie erblickte einen Pfad mit leichter Steigung. Steine lagen verstreut, knorrige Wurzeln verliefen quer über den Weg. Auf dem Gipfel der Anhöhe stand ihr Elternhaus. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, während sie überlegte, was ihr diese Vision sagen sollte.


    Sie glaubte, den Weg der Sittlichkeit mit dem Auszug aus ihrem Elternhaus verlassen zu haben. Diese Entwicklung umzukehren, bedeutete Anstrengung. Es galt Hindernisse zu überwinden und über sich hinauszuwachsen. Als sie bemerkte, nichts außer ihr selbst stand ihr im Weg, zog sie das schmerzende Bein heran, erhob sich auf die Knie, setzte der gesunden Fuß auf und drückte sich nach oben. Einen Moment wankte sie, danach fand sie das Gleichgewicht. Steif, aber weitgehend sicher, verließ sie das Lararium, ohne einem der Sklaven eine Anweisung gegeben zu haben. Sie musste zu ihren Fehlern stehen, sonst erreichte sie nie ihr Elternhaus. Fortan bewegte sie sich auf unbekanntem Terrain.


    Eine Sklavin kam ihr im Gang entgegengerannt.

    "Domina, dem Jungen geht es besser. Er ist schon halbwach!"


    Das Herz der Kaiserin sprang. Sie glaubte, die Göttin erteilte ihr nur eine Lehre, aber rettete trotzdem ihren Sohn. Sie lief, obwohl ihr Knie schmerzte, die letzte Strecke bis zum Zimmer ihres Kindes, trat voller Hoffnung ein und bemerkte nicht die ratlosen Gesichter. Die Augen nur auf das Bett gerichtet, strebte sie zu ihrem Sohn und beugte sich hinunter.

  • Während der nächsten Stunden und im Verlauf des nächsten Tages wechselten sich die Fortschritte und Rückschritte ab. Während das Fieber scheinbar dauerhaft durch die Umschläge gesenkt werden konnte und der Junge immer wieder kurz "wach" schien und zumindest etwas trinken und Suppe schlürfen konnte, wurde sein Allgemeinzustand immer schlechter und schwächer. Der Medicus tat was er wusste und konnte, doch es fehlte ihm das Wissen um die Wechselwirkung seiner Medikation mit einem bereits im Körper befindlichen Stoff.


    Der Junge entschwand erst in eine leichte, dann in eine immer tiefer werdende Bewusstlosigkeit, während sich das Gift in seinem Körper ausbreitete, von welchem niemand wusste dass es da war.


    Auch nach dem Kaiser wurde geschickt, damit er seinen Sohn noch einmal besuchen könnte.

  • Der Kaiser war unterwegs gewesen. Er hatte sich auf den Weg zum Golf von Neapolis gemacht, um dort ein Bauprojekt zu inspizieren und die Sorgen und Nöte der Bürger zu hören. Als er die Nachricht von der ernstlichen Erkrankung seines Sohnes erhalten hatte, war er aber postwendend umgekehrt.


    Als er endlich angekommen war, nachdem er die Nacht durchgeritten war, trat er übermüdet und noch im Reisemantel in das Gemach seines Sohnes.

    "Wie geht es ihm?" fragte er die Amme, die neben dem Bett wachte.

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