Hadamar ächzte. Ein Tag Straßenbau, und er fühlte sich, als hätte er drei Gewaltmärsche hinter sich. Am Ende der zwei Wochen, für die er seine Centurie gemeldet hatte, würde sein Kreuz wahrscheinlich halb auseinanderbrechen, vermutete er. Er müsste nicht selbst mit Hand anlegen, schon gar nicht so sehr, das wusste er, aber er war nicht die Art von Centurio. Jeder hatte seine eigene Art, sich Respekt zu verschaffen bei seinen Männern – oder sie das Fürchten zu lehren, je nachdem –, und Hadamar hatte im Prinzip all die Jahre die beibehalten, mit der er als Optio schließlich erfolgreich gewesen war.
Respekt. Das war etwas gewesen, was ihm anfangs nicht natürlich zu geflogen war. Er war blutjung gewesen damals, als er zum Optio befördert worden war, noch dazu direkt in die Prima der ganzen Legion hinein. Natürlich hatten die Jungs der ersten Centurie der ersten Cohorte keinen Respekt vor dem jungen Hänfling gehabt, der er damals gewesen war. Aber es waren Offiziere gebraucht worden, und der Primus Pilus, frisch befördert vom Centurio der II-IV, der er davor gewesen war und damit Hadamars Ausbilder, der ihn vom ersten Tag an kannte mit all seinen Ausrutschern und Fehltritten, seinem vorlauten Mundwerk, aber eben auch all seinen guten Seiten, hatte etwas in ihm gesehen.
Er konnte sich noch gut daran erinnern, was er ihm damals gesagt hatte, als er ihn danach gefragt hatte wie er sich Respekt verschaffen könnte. Variante eins, knallharter Einsatz der Vitis. Variante zwei, mühsam erarbeiten. Variante drei – kommt bei dir wohl nicht in Frage. Auf Hadamars Nachfrage hin hatte er es dann doch gesagt: natürliche Ausstrahlung. Und da hatte er dann zustimmen müssen, dass das für ihn nicht in Frage kam. Danach hatte er sich damals nicht im Mindesten gefühlt, er hatte ja daran gezweifelt, ob er überhaupt irgendwie jemals den Respekt dieser Milites bekommen würde, egal wie. Er hatte sich also für Variante zwei entschieden, die einzige, die ihm irgendwie gangbar für ihn selbst erschien – übermäßiger Einsatz der Vitis hätte ihn wahrscheinlich nur verzweifelt aussehen lassen –, und er hatte damals so geackert wie noch nie davor und kaum je danach. Aber er war erfolgreich gewesen damit. Es war nicht wirklich Ehrgeiz gewesen, der ihn angetrieben hatte; der war schon auch da gewesen... aber nicht der treibende Faktor. Es war der Drang gewesen nicht aufzugeben. Und er hatte sich durchgebissen, hatte sich mit Blut und Schweiß und purem Willen den Respekt der Männer damals erarbeitet. Und obwohl die Zeit schon lange hinter ihm lag, obwohl er sich in den Jahren, mit zunehmendem Alter und Erfahrung, auch die dritte Variante angeeignet hatte, und er natürlich auch die Vitis einsetzte, wenn es angebracht war – dem zweiten Weg war er treu geblieben.
Weshalb er sich schlechterdings kaum rausziehen konnte beim Straßenbau. Der einzige Trost: den Milites ging es noch schlimmer, vor allem den Saufköpfen, dafür hatte er gesorgt.
Anstatt jetzt abends aber endlich in sein Zelt fallen zu können, wie es seine Leute wahrscheinlich gerade alle taten, hatte er das Castellum nochmal verlassen – nicht ohne sich abzumelden mit der Info, wo er zu finden war –, um nach Tariq zu sehen. Gestern war er nicht dazu gekommen, deswegen musste das heute jetzt sein, zumal es die kommenden zwei Wochen nicht besser werden würde, wie kaputt er sich abends fühlte. Er platzte also reichlich unzeremoniell bei Soufian hinein, einem Kumpel von ihm, bei dem er Tariq damals untergebracht hatte, als er ihn aus Caesarea ziemlich spontan mitgeschleppt hatte. Soufian war... gefühlt konstant fröhlich, und er redete gern und viel. Und er konnte so ziemlich alles besorgen, wonach einem der Sinn stand, so lange es nicht zu teuer oder exotisch war. Damit verdiente er seinen Lebensunterhalt, er fungierte als Zwischenhändler hauptsächlich für die Soldaten hier, die entweder zu faul waren, selbst durch Satala zu laufen auf der Suche nach einem passenden Geschäft – oder die etwas wollten, wofür man beispielsweise nach Caesarea oder so müsste.
Soufian strahlte, als er sah wer hereinkam. „Bruder! Schön dich wiederzusehen!“ Er umarmte Hadamar, und der klopfte ihm auf den Rücken, während sein Blick schon nach Tariq suchte und ihn fand. Er grinste den Kleinen an, während Soufian schon weiterredete. „Ich muss noch mal weg“, entschuldigte er sich, und Hadamar bemerkte, dass er tatsächlich einen Mantel übergeworfen hatte, „aber du bleibst, ja, ich hab dir viel zu erzählen!“
„Sicher hast du das“, schmunzelte Hadamar.
„Lasst mein Haus stehen. Bis später!“ Soufian zwinkerte Tariq zu und winkte, bevor er dann auch schon verschwunden war. Hadamar sah ihm kurz hinterher, dann wandte er sich Tariq zu und begrüßte ihn ebenfalls mit einem Grinsen und einer kurzen Umarmung. „Tut mir leid, dass ich erst heut komm“, fuhr er auf Germanisch fort. „Wir sind gestern erst abends zurückgekommen, und der Bericht hat gedauert, weil wir nen paar Scharmützel hatten diesmal. Danach war’s dann zu spät.“