• Vier Sommer und Winter war es her, da man Catualda als einzigen Sohn der Familie an Rom ausgeliefert hatte.


    Unter fremden Göttern hatte er kämpfen sollen. Vergebens protestierte seine Mutter dagegen, ihren einzigen Sohn ziehen zu lassen. Catualda war nicht zum Krieger geboren, er besaß die Gabe und war bereits als Gehilfe des hochbetagten Sehers tätig. Auch hatte er während weite Reisen unternommen, um bei unterschiedlichen Männern in die Lehre zu gehen, hatte seine Gabe geschärft und die Heilkunst erlernt, war dabei bis nach Hispania gereist. Der alte Seher seines Heimatdorfes lag im Sterben und sein Nachfolger wurde dringend benötigt. Doch sah der Vertrag keine Ausnahmen vor. Jede führende Familie musste einen Sohn in die Dienste des Imperiums stellen und Catualda war der einzige Sohn.


    So wurde der junge Mann, der bis dahin ein Leben im Dienst der Götter führte, aus seiner Familie gerissen, musste seine Frau und seinen Sohn zurücklassen. Das Leben im Militärlager glich für den sensiblen Catualda einer Reise durch den Tartaros.


    Die Seherin, die im Dienste der Römer stand, hatte gelogen. Man musste seinerseits kein Seher sein, um die Finte zu entlarven, denn warum fragte man keinen Seher der Chatten, sondern eine gebrochene Sklavin, ihrem Volk schon seit Jahren fremd, deren römischer Herr während des Things auch noch hinter ihr stand? Über so viel Unvernunft konnte Catualda nicht schweigen.


    Seine Renitenz und seine Zweifel an der Weissagung der mit den Römern verbundenen Seherin kamen den Offizieren bald zu Ohren. Natürlich werteten sie es so, dass er den Kampfgeist der Truppe zersetzte. Sie schunden ihn in Gewaltmärschen, bis er zusammenbrach, und prügelten ihn bei Kampfübungen mit Holzschwertern grün und blau, damit er aus Angst den Mund hielt. Catualda wusste, dass sie in ihm keinen Mann sahen, der sich für die Wahrheit und für Gerechtigkeit aussprach, sondern einen Verräter. Sie würden ihn umbringen, wenn nicht schon während der Ausbildung, dann indem sie ihn beim ersten Gefecht nach vorn schickten.


    Noch in den ersten Wochen desertierte Catualda, schwer ramponiert an Körper und Geist. Er hinkte und ging an einem Stab. Von dem Zeitpunkt an, da er sich absetzte, war Rom sein Todfeind, denn für Fahnenflucht gab es nur eine Strafe. Zuerst würde Rom nach dem Deserteur bei seiner Familie suchen. Dort aber würden sie ihn nicht finden, denn Catualda floh in die entgegengesetzte Richtung, fort von der Heimat in Richtung der untergehenden Sonne.


    Eine neue Heimat fand er nicht, er suchte auch nicht danach. Doch es gelang es ihm, ein Auskommen zu finden, denn man vertraute seinen Weissagungen und seiner Heilkunst. In beiden waren seine Kenntnisse weit fortgeschritten. Catualda machte sich als wandernder Seher und Heiler einen Namen, denn beides war eins. Beide Welten spiegelten einander, jedes Unbill hatte eine Entsprechung in der Welt der Geister.


    Er lernte, den Menschen Trost und Mut zuzusprechen, so dass sie ihm Nahrung und Unterkunft zur Verfügung stellten. Je älter er und sicherer Catualda in seinen Handlungen wurde, umso mehr vertraute man ihm. Opfer an ihn waren Opfer an die Götter, denn er war ihr Botschafter. Manchmal erbaten die Leute auch die Heilung von der Gegenwart lästiger Mitmenschen. Er legte sich eine furchterregende gehörnte Schädelmaske zu und verwandelte sich in ein Untier, das sehr genau wusste, wie Flüche funktionierten. Catualda meisterte alle Extreme, denn nur so konnte am Ende ein harmonischer Ausgleich geschaffen werden.


    Als die vier Jahre des Exils vorbei waren, als der Vertrag seine Gültigkeit verlor und die Jünglinge aus den Diensten Rom heimkehrten, lenkte auch Catualda seine Schritte endlich wieder in Richtung Heimat, gestählt an Körper und Geist, selbstbewusst und das Herz voller Finsternis, wenn er an Rom dachte und an die Unversehrtheit, die ihm geraubt worden war. Rom hatte ihn zum Krüppel geschlagen, doch zu einem Krüppel, der seine eigene Art hatte, sich zu rächen. In den vier Jahren in der Fremde war er ebenso gereift, wie die Männer, die unter dem römischen Adler die römische Kriegskunst gelernt hatten.


    Verstohlen lächelte man sich zu. Und mit Sicherheit war es kein Zufall, dass zu jener Zeit Catualdas alter Meister im Sterben lag.

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