Vorboten des Sturms - Vorbereitungen auf die Operation Sommergewitter

  • Vorboten des Sturms

    Vorbereitungen auf die Operation Sommergewitter


    Die Zeit des Wartens war vorüber. Germania würde brennen. Allgegenwärtig schienen die Reiter der Turma Secunda. Die Kontrollen von Reisenden und Händlern wurden verschärft. Die Einheit bereitete sich systematisch auf die Strafexpedition vor. Die Patrouillen erfolgten dichter, unbarmherziger, drangen in Gebiete vor, die bislang vernachlässigt wurden. Das tägliche Training war hart für Mensch und Tier und nicht jeder war dem gewachsen. Schwache Soldaten wurden gegen stärkere Männer ersetzt, Pferde gegen bessere getauscht.


    Mit dem Verschwinden der Turma Prima rückte die Turma Secunda auf den Platz an der Spitze. Doch fehlte ihr das Ehrgefühl, das die Prima unter Germanicus Varro charakterisiert hatte. Nur den zähesten, willensstärksten und skrupellosesten Kriegern wurde die Ehre zuteil, in der Turma Secunda zu dienen. Decurio Matinius Sabaco besetzte seine Turma mit einem Trupp von menschlichen Raubtieren, die nach Feindesblut lechzten, und nährte ihre Skrupellosigkeit. Die Operation Sommergewitter würde ein Ansturm von entfesselten Bestien werden.


    Die Dunkelheit nahm zu. Mit der Turma Prima hatte die Ala ihr Licht verloren.

  • Der Regen hörte von einem Tag auf den anderen auf. Beinahe erstaunt blickten die Soldaten an diesem Morgen in den blauen Himmel, die Augen gegen das Licht zusammengekniffen, als hätten sie vergessen, dass es eine Sonne gab. Nach dem finsteren Winter wirkten ihre Gesichter bleich und kränklich, man sah deutlich ihre Augenringe und jede Hautunreinheit.


    Die heutige Patrouille hatte den Charakter eines Ausritts. Weder Germanen noch Römer waren an diesem ersten Frühlingstag auf Kampf aus. Die Reiter freuten sich über die Sonne und den süßen Duft der Wildkirschen, der geradezu pervers durch den Geruch von Leder, Eisen und Schweiß der Soldaten verunreinigt wurde. Manch einer zog die Alkoholfahne des Vorabends hinter sich her. Ihre Frühlingsgefühle äußerten sich in besonders derben Sprüchen und darin, dass am Abend die meisten auf der Suche nach einer Gelegenheit in den Gassen von Mogontiacum verschwinden würden.

  • Die morgendliche Kälte kroch durch die Kleidung der Soldaten, als sie die Baracken verließen. Die Patrouille der Ala kam gut voran. Trügerische Stille lag über der Provinz. Der Feind schwieg, doch er schlief nicht. Anschließend war kein Feierabend: Es stand noch eine Waffenübung mit Pfeil und Bogen auf dem Dienstplan. Sabaco beobachtete und zog seine Schlüsse.


    Besonders gut machte sich der Winzling namens Iullus Seius Iunianus Fango. Der Bursche war sensibel und wäre er nicht der Junge von Stilo, hätte Sabaco ihn aus der Secunda gekickt. Doch nun war er eben hier und schießen, das konnte Fango von den Equites dieser Turma am besten. Sabaco erkannte auch, warum das so war. Der Kleine war ein Kopftyp, klug und konzentriert. Das kam ihm für das Schießen - eine Kampfdisziplin, in der seine geringe Körpergröße kein Nachteil war - entgegen. Einen Pfeil präzise ins Ziel zu bringen, erforderte einen wachen Geist.


    Sabaco trat bei passender Gelegenheit an Andriscus und Cimber heran und wies unauffällig auf Fango, als dieser nicht hinsah. Sabaco sagte jedoch nichts, die Ausbilder würde selbst sehen, warum der Decurio ihre Aufmerksamkeit auf diesen Schützen lenkte. Diesen jungen Eques galt es, im Auge zu behalten und ihn weiter zu testen.

  • Cimbers Blick folgte dem von Decurio Sabaco, kein Geringerer als Fango hatte sich durch seine besondere Zuverlässigkeit und seinen Fleiß hervorgetan. Im Bogenschießen war Fango erstklassig und Cimber konnte Sabaco nur beipflichten. Auch er schaute zu Fango, jedoch als alle Blicke bereits wieder von ihm abließen, schenkte Cimber seinem Mündel ein Lächeln und nickte anerkennend. Die Fähigkeiten die er schon jetzt so vortrefflich beherrschte musste Fango ausbauen und genau darauf aufbauen.


    Er hatte seine Nische gefunden, das was ihm lag. Möglicherweise wusste es Fango noch nicht einmal selbst. Aber Sabaco wusste was er gesehen hatte und Cimber auch. Umbrenus war stolz auf die Leistung von Fango.

  • Der Raureif auf den Gräsern schmolz im Licht der aufgehenden Sonne. Ein weiteres Mal zog die Patrouille an der Grenze entlang. Heute hatte Sabaco ein paar frisch von der Tertia in die Secunda versetzte Neulinge dabei, die sich recht gut machten. Der Decurio war zufrieden. Die Zusammensetzung seiner Einheit näherte sich der Vollendung.


    Natürlich gab es auch Streit und Machtgerangel, das gehörte zum Zusammenleben dazu, besonders bei einer so durchsetzungsstarken Truppe. Während der Patrouillen, aber auch bei den Übungen gewöhnte man sich aneinander, aus vielen wurde eins. Es kam nicht darauf an, dass sich immer alle vertrugen. Da war die Secunda wie jede andere Turma: Sie durchlebte Grüppchenbildung und Fehden, Rivalitäten und Eifersüchteleien. Entscheidend war, dass sich im Ernstfall trotzdem alle aufeinander verlassen konnten. Daran durfte niemals je gerüttelt werden.


    Nicht immer mit dem Wind zu segeln, sondern gemeinsam dem Sturm zu trotzen: Das war die Bedeutung von Kameradschaft.

  • Der weiße Morgennebel kroch vom Fluss über das Land. Auf der Römerstraße herrschte reger Handelsverkehr, der die Reiter der Ala aufhielt. Sie kamen aufgrund der Karren langsam voran, und wenn sie noch so sehr ihren Platz beanspruchten und manch Händler im Straßengraben landete. Als die Sonne sich neigte, war die Castra noch nicht zu sehen. Die Turma II fürchtete um den wohlverdienten Feierabend.


    Als die Dämmerung sich zu Anthrazit verdunkelte, erreichten sie endlich das Standlager der Ala I Aquilia Singularis. Vor den Toren erwartete die Soldaten eine Menge Zelte und Wagen fahrender Händler, die allerlei Waren und Dienstleistungen feilboten. Dass es Nacht wurde, tat dem Geschäft gut, denn jetzt genossen die Soldaten eine Stunde Freizeit. Außer die Turma II, die nach dem langen Ritt gerade erst heimkehrte und noch ihre gesamte Ausrüstung wieder einsatzbereit herrichten und in die Therme gehen musste.


    Als sie endlich alle Pflichten hinter sich gebracht hatten, war die kurze Gelegenheit zur Freizeit vorüber und jeder hatte in seinem Bett zu liegen. Nach dem anstrengenden Tag waren sie allerdings zu müde, um deswegen schlechte Laune zu schieben.

  • Es hatte in der Nacht geregnet und die Morgenluft duftete frisch. Auf der Römerstraße überholten die Reiter eine Centuria der Legio XXII Primigenia, die einen Übungsmarsch durchführte. Man grüßte, doch hielt sich nicht auf. Beide Einheiten hatten ihre Aufgaben zu erledigen. Tief drang die Turma Secunda heute nach Germania vor. Sabaco ging alles zu langsam. Die Vorbereitungen zogen sich in die Länge. Er riss sich sehr zusammen, seinen Frust nicht an den Männern auszulassen, sondern den Dingen die Zeit zu geben, die sie brauchten.


    Die Nacht mussten seine Soldaten unter den aufmerksamen Augen von Wachposten in einem Feldlager auf dem feuchten Boden verbringen. Sie waren zu weit ins Hinterland vorgedrungen, um heute noch umzukehren. So nutzten sie ihren Schild und das Sattelfell als Liege, den Mantel als Decke. Sabaco fand keinen Schlaf, Unruhe trieb ihn auf die Beine und er witterte in die Nacht hinaus. Unter der Sichel des abnehmenden Mondes setzte er sich zu Brandolf, der Wache schob, und leistete ihm Gesellschaft. Leise unterhielten sie sich, wie Sabaco es oft getan hatte in den letzten Wochen, um seine Equites kennen zu lernen. Diese Männer hatte er handverlesen dürfen. Diesmal hatte er darum mehr Glück oder vielleicht lag es an seiner größeren Erfahrung, aber die Turma II harmonierte besser mit ihm als seine Einheit bei der Classis.


    Nach einer Weile war Sabaco entspannt genug, sich auf seinem Schild zur Ruhe zu legen. Er fühlte in sich hinein, ob er Ocellas Nähe spürte, redete sich ein, der Bruder sei nah. Sie müssten nur noch weiter reisen, noch tiefer vordringen in die Wälder von Germania Magna ... hinein in die Schatten der uralten Bäume.

  • Feuchte Erde und Moos.Catualda presste sich in den Schatten des Waldbodens. Nasses Laub bildete sein Bett, wo er an Ort und Stelle lautlos niedergesunken war. Genau vor ihm schlugen sie ihr Lager auf. Er wagte nicht, sich davonzuschleichen, um die nächste Ortschaft noch vor Sonnenuntergang zu erreichen. Seine physische Reise war für heute vorbei. Sein Weg setzte sich auf andere, unsichtbare Weise fort, einem Schicksal zustrebend, zu dem ihm noch keine Zeichen offenbart worden waren.


    Diese Nacht wurde eine Zerreißprobe für seine Nerven. Er kannte den Decurio. Er kannte einige Gestalten, mit denen Phoca sich umgab. Und sie kannten ihn, den Deserteur. Wenn er in ihre Hände fiel, würden sie von ihm nichts übrig lassen. Als unfreiwilliger Lauscher lag er flachgepresst im Unterholz, mit bebendem Herz, die Geister anrufend, damit sie ihn auch diesmal sicher wieder nach Hause führten.

  • Fango fiel es schwer, bei der Nachtwache die Augen offen zu halten, als er an der Reihe war. Noch immer zehrte die Erschöpfung des Gefechts an ihm, obgleich das mittlerweile ein wenig her war. Etwas tief in seinem Inneren war zerstört worden, das nun scherbengleich schneidend in seiner Seele lag. Lange dachte er darüber nach, was das wohl wäre, um sich wach zu halten. Mit brennenden und zwiebelnden Augen starrte er in die Finsternis. Ein Kauz rief, der Wind zerrte an den jungen Blättern. Obwohl es nach Frühling duftete, waren die Nächte noch eisig.


    Fango zog seinen Mantel fester um sich, ohne dass ihm deswegen wärmer wurde. Die Haudegen, die Sabaco in der Secunda um sich geschart hatte, schienen gegen die Witterung gänzlich unempfindlich zu sein. Warum war Fango wieder mal der Einzige, der Probleme hatte? Warum traf es immer ihn, warum war er anders, was machte er falsch? Es konnte doch nicht der angebliche Wahnsinn sein, der diese Männer von innen heraus wärmte.


    Aber er konnte nicht schon wieder Cimber mit seinen Gedanken belästigen. Er wollte, dass der Ausbilder ihn für tauglich hielt, damit er aufhörte, sich um ihn zu sorgen. Zwar war das Gefühl der Fürsorge ein angenehmes, doch Cimber hatte etliche Rekruten und Soldaten zu betreuen. Da wollte nicht Fango derjenige sein, der alle Kapazitäten für sich beanspruchte, und wenn das noch so gut tat.


    Müde, mit den Füßen im Dunkeln tastend, ging er einmal außen um das Lager herum, damit ihm warm würde.

  • Der Morgen brach an, als wäre es der erste Morgen überhaupt. Ein einsamer Reiter war so gut wie lautlos durch die Nacht geritten. Seine Waffen wie alles was unnötig Lärm verursachen konnte, war in Leder eingeschlagen worden. Nun zeichnete sich das erste zaghafte Rot am Himmel ab und gab den Blick auf eine im Umhang vermummte Gestalt preis die sich erstaunlich schnell dem Lager näherte.


    Was wohl die wenigsten wussten, oder nur jene die sich mit Pferden befassten war, dass die Tiere besser als Menschen in der Dunkelheit sahen. Nächtliches Reiten bot nicht nur Abwechslung und Spaß, sondern verlangte auch besondere Vorsicht. Üblicherweise kennzeichnete man sich und sein Tier, so dass man von anderen gut gesehen wurde. All jene wichtigen Maßnahmen hatte Cimber umgedreht, so das er und Impetus mit der Nacht verschmolzen waren.


    Sein Hengst war an Ausritte in der Dunkelheit gewöhnt und wo das Pferdeauge mehr sah als das menschliche, da verließ sich Cimber auf sein Tier. Manche mochten darüber den Kopf schütteln, aber Umbrenus fragte niemanden. Impetus kam im Lager zum Stehen, Cimber stiegt von seinem Tier und führte es am Zügel.


    "Salve Decurio Matinius, melde mich zurück vom Erkundungsritt. In der Nähe von gut 20 Minuten befindet sich in nord-westlicher Richtung ein Dorf verborgen in einem kleinen Wald. Um diese Zeit werden vermutlich die ersten ihrem Tagewerk nachgehen. Wir könnten uns dort mit Proviant ausrüsten. Kaufend oder plündernd", erstattete Cimber Bericht und Impetus unterstricht die Aussage mit einem Schnauben.

  • Noch stand die Sonne nicht hoch genug, um viel zu erkennen. Sobald das Licht genügte, würde der Weckruf erklingen. Aber Sabaco schlief nicht mehr. Er strich leise durch das dunkle Lager. Schaute sich um, fand kleine Fehler im Aufbau. Ging weiter, betrachtete die Pferde, nörgelte gedanklich an der Ausrüstung herum, dachte nach. Die Secunda bestand weitestgehend aus erfahrenen Männern, aber sie waren neu zusammengewürfelt und mussten sich noch besser einschleifen.


    Als Cimber zurückkehrte, erwiderte Sabaco den Gruß, hörte der Meldung zu. Ein zuverlässiger und guter Mann, dieser Cimber. "Uns kaufend mit Proviant ausrüsten? Du meinst, die Bärte dürfen ihr Leben freikaufen, indem sie uns mit allem ausstatten, was wir benötigen!" So weit kam es noch, dass er das knappe Budget seiner Turma für Essen ausgab, das er genau so gut umsonst erhalten konnte.


    "Nach dem Weckruf haben die Männer eine halbe Stunde, dann bauen wir das Lager ab. Du wirst den Vorgang bei den jüngeren Kameraden beaufsichtigen. Das muss noch schneller und besser werden.


    Anschließend reiten wir auf direktem Weg zum Dorf. Geben die Bewohner uns ohne Mätzchen alles, was wir wollen, reiten wir weiter. Machen sie Probleme, statuieren wir ein Exempel. Ich habe es satt mit diesem Kuschelkurs, der hier jahrelang gefahren wurde.


    Und sammle den sinnlos herumspazierenden Iunianus Fango ein und erkläre ihm, was ein Wachposten macht. Wegtreten."

  • Cimber nickte knapp, zum Zeichen das er verstanden hatte.


    "Decurio in einer halben Stunde ist es bereits zu hell. Du möchtest das Dorf daran erinnern, wem die Vorräte gehören? Dann würde ich vorschlagen wir ziehen sofort die besten und schnellsten Männer zusammen und erleichtern das Dorf sofort. Heißt hinein im Schutze der Dunkelheit, wo bestenfalls einige wenige wach sind. Die Frühaufsteher halt. Und wir sind draußen, bevor sie wissen was geschah. Marschieren wir dort ein Decurio, dann bekommen sie von uns einen Vorteil geliefert. Wir liefern ihnen eine Stärkeaufstellung unserer Einheit.


    Du möchtest nichts kaufen und Du möchtest nicht verhandeln, dann dürfen wir keinen noch so geringen Vorteil aus der Hand geben. Gib mir eine Handvoll Männer und wir klären die Sache auf unsere Art. Die Frage ist, wie hättest Du es gerne? Nur Aneignung der Waren, einige Zeugen oder Asche?", bot Cimber leise an.

  • Catualda hatte genug gehört. Die ersten Meter schlich er auf allen vieren, dann ging er tief geduckt weiter. Seine Bewegungen waren zunächst sehr langsam und äußerst bedächtig, auch wenn die Zeit drückte. Erst, als er außer Sicht- und Hörweite war, begann er zu rennen. Sein volles Reisebündel schlug bei jedem Schritt um sich. Der lange Wanderstab, an dem es hing, gab Catualda bei der Dunkelheit Halt im unwegsamen Gelände. Zu Fuß konnte er einen kürzeren Weg nehmen als die Reiter. Ächzend und schnaufend brach Catualda durch das Unterholz des Waldes, der in der beginnenden Morgendämmerung grau und schwarz getönt war. Je nachdem, wie der Decurio entschied, blieb ihm vielleicht Zeit, die Dorfbewohner zu warnen.

  • Mit Dreck beschmiert und in den Gebüschen verborgen hatte Albwin ausgeharrt und eine seltsame Gestalt beobachtet. Zuerst konnte er sie gar nicht richtig zuordnen. Dann hatte er begriffen, dass es sich nicht um eine Wesenheit gehandelt hatte, sondern um einen Reiter samt seinem Pferd. In völlige Finsternis gehüllt, Tier wie Mann war es zwischen den Bäumen und Sträuchern hergeschlichen, wie kein Pferd schleichen sollte. Seine Schritte waren leise, dass es Albwin einen Schauer über den Rücken gejagt hatte. Übernatürlich war daran sicher nichts, der Reiter hatte die Hufe in Tücher eingeschlagen oder das Pferd trug diese seltsamen Schuhe, wie sie manche Reiter verwandten.


    Ruhig war das Tier gewesen, so als wüsste das Pferd um die Gedanken seines Reiters. Doch die Gedanken des Finsteren musste niemand lesen können. Wer sich im Schatten der Nacht verbarg, hatte nie lichte Absichten.


    Albwin hatte sich noch tiefer in die Schatten verborgen, um nicht von dem Reiter versehentlich entdeckt zu werden. Reglos hatte er dort verharrt, in der Hoffnung der Mann würde an ihm vorbeiziehen. Sein Blick blieb stets auf das Duo gerichtet, damit er keine böse Überraschung erlebte. So schnell wie dieser Mann aufgetaucht war, war er auch wieder in der Nacht verschwunden.


    Das Herz von Albwin schlug ihm immer noch bis zum Hals und er hatte das Gefühl, dass es derart laut pochte, dass ihn der Reiter sicher gehört haben musste. Länger als notwendig blieb er in dem Gebüsch hocken. Dann, ganz langsam, richtete er sich etwas auf und schlich in geduckter Haltung aus dem Versteck. In alle Richtungen lauschend versicherte Albwin, dass der Reiter fort war.


    Das Dorf! Es war sein Ziel gewesen und vermutlich auch das des Reiters!


    Albwin schoss in die Höhe und rannte im ersten Morgengrauen los, wobei das Wort Morgengrauen für ihn von nun an eine andere Bedeutung haben würde, nach dieser Begegnung. Weit kam er nicht, als er im letzten Augenblick einen Mann mit Wanderstab sah, bevor er im vollen Lauf beinahe in ihn hineinkrachte. Mit Mühe und Not konnte er seinen Lauf bremsen und sich abfangen, um nicht der Länge nach hinzuschlagen.


    Schlitternd kam er zum stehen und starrte den anderen Mann an. Garantiert keiner der zu diesem Reiter gehörte.


    "Das Dorf", sagte er nur mit bitterem, ernsten Blick.

  • Die beiden Reiter folgten ihrem Weg und ein Mann, blieb im Dickicht des germanischen Urwaldes zurück. Nein, zwei waren es! Noch ein Wanderer prallte beinahe gegen ihn. Catualda, seit jeher von empfindsamer Natur, sah an der Körpersprache des fremden Mannes sofort, dass dieser kein Feind war. Die beginnende Dämmerung färbte den Himmel im Osten Anthrazit. Sie hatten einander gleichzeitig bemerkt. "Es sind nicht nur zwei Reiter. Das ist eine ganze Turma, die auf das Dorf zuhält! Kennst du dich hier aus, wohnst du hier?" Catualda hoffte, er würde Ja sagen. Gleichzeitig hoffte er es nicht, denn dann würde es umso schrecklicher werden.

  • Albwin war froh die Stimme des Mannes zu hören, in den er beinahe hinein gelaufen war. Die gesprochenen Worte nahmen der unwirklichen Situation einen Teil ihres nächtlichen Schreckens. Er versuchte sich an einem Lächeln, was ihm kläglich misslang.


    "Eine ganze Turma?", echote Albwin und schüttelte den Kopf.


    "Nein, ich wohne nicht im Dorf. Ich hatte vor es in den ersten Morgenstunden zu betreten und mir einen Schlafplatz zu suchen. Mit harter, ehrlicher Arbeit bin ich noch immer satt geworden und habe einen warmen Ort für die Nacht gefunden. Allerdings stieß ich unterwegs auf eine Gestalt, eine Wesenheit, die sich dann als Reiter enttarnte. Eine ganze Turma von diesen Männern bewegt sich auf das Dorf zu, sagst Du? Du weißt so gut wie ich, was das heißt. Das Dorf das wir beide aufsuchen wollten ist so gut wie vernichtet. Noch können wir die Dorfbewohner warnen. Aber wo sind meine Manieren, mein Name ist Albwin", antwortete er und streckte dem Fremden die sehnige, schwielige Hand hin.


    Eine Hand die hartes Arbeiten gewöhnt war, oder ein Schwert zu führen.

  • Catualda ergriff die raue, harte Hand des anderen Mannes. "Catualda." Seine eigene Hand fühlte sich in einer Gegend wie dieser zart an für die eines Mannes. Im romanisierten Teil Germaniens würde man ihn vielleicht für einen Scriba oder dergleichen gehalten haben. "Bist du schnell? Dann solltest du die Menschen warnen! Dieser Kampf ist verloren, bevor er begonnen hat. Sie sollen vor der Ankunft der Römer ihre Frauen mit dem Schwert töten und ihre Kinder ertränken. Die Gebäude müssen sie allesamt in Brand stecken. Dann sollen sie sich dem letzten Kampf stellen und so viele Römer mitnehmen wie möglich!"

  • Albwins Blick wurde eisig, geradezu steinern. Was bei den Göttern redete dieser Mann da? Kinder ertränken, Frauen erschlagen, das Dorf vernichten? Die freie Hand von Albwin verkrampfte sich zur Faust, doch dann schlich sich ganz langsam die Erkenntnis des tatsächlichen Grauens in seine Gedanken. Der Mann vor ihm, Catuala, er wusste was geschah. Er wollte den Römern zuvor kommen, bevor diese das Dorf auslöschten. Bevor alles zu spät war und Frauen und Kinder versklavt wurden, während die Männer und Greise niedergemacht wurden.


    Der Blick von Albwin wurde weicher, aber war dennoch ernst. Etwas lag in ihm, ein Leid dass nicht zum Alter seines Gesichts zu passen schien. Er nickte knapp.


    "Du weißt was geschieht nicht wahr? Du hast es gesehen, hast es erlebt. Du bist keiner von ihnen. Ich musste Dich auf die Probe stellen, ob Du nicht einer von ihnen bist. Es ist mein Dorf, ich war einige Zeit fort und nun komme ich gerade rechtzeitig, um seinen Untergang mitzuerleben. Was ist mit den Wäldern? Vielleicht haben sie in den Wäldern eine Chance?", fragte Albwin, aber Catuala sah ihm an, dass sein Gegenüber selbst keine Hoffnung hegte.

  • "Ja, ich habe es erlebt. Das und vieles anderes. Ihr könnt nicht davonlaufen, weil das Bündnis unter den Stämmen nicht fest genug ist, um einen Haufen fremder Mäuler ohne Gegenleistung durchzufüttern. Ihr würdet entehrt sein und man euch bald als lästige Parasiten wahrnehmen. Ihr wärt als Gäste in so großer Zahl kaum besser als Sklaven. Wie lange sollten sie euch nähren? Es gibt Hoffnung, Albwin. Doch du findest sie nicht auf der Flucht."


    Er starrte auf die Stelle, wo die Reiter verschwunden waren.


    "Wir haben keine Zeit, zu diskutieren. Wenn das dein Dorf ist, dann entscheide dich, auf welche Weise ihr sterben wollt - mit dem Schwert in der Hand oder einem Speer im Rücken. Ich werde hier warten, eure Körper im Anschluss bestatten und Opfer für euch bringen, damit ihr gut auf der anderen Seite ankommt. Leb Wohl, Albwin."


    An Ort und Stelle ließ Catualda sich im Schneidersitz nieder, legte die Hände auf die Knie und schloss die Augen.

  • Albwin schaute auf Catualda herab, der sich im Schneidersitz niedergelassen hatte. Die Götter alleine wussten, wie weit die Römer noch entfernt waren. Die Römer, eine Plage die der Welt ihren Stempel aufdrückte und Freund wie Feind verschlang. Es gab keine Neutralität in der Welt der Römer. Entweder war man für oder gegen Rom. Und selbst jene, die sich für Rom entschieden hatten, war nicht davor gefeit, von Rom vernichtet zu werden.


    Noch vor dem ersten Hahnenschrei war das Dorf vernichtet worden. Sie alle da unten waren im Grunde schon tot, ohne es zu wissen. Albwin setzte an, etwas zu sagen, doch dann wandte er sich ab und rannte so schnell ihn seine Beine trugen hinab ins Dorf. Zuerst geschah nichts, doch dann sah und hörte Catualda, wie schlagartig Leben in das Dorf kam.


    Ein Leben, dass zeitgleich den Untergang verhieß. Es dauerte nicht lange, dann stand Albwin erneut vor ihm, diesmal mit einem Schwert in der Hand, aber nicht um Catualda zu richten.


    "Tot nützen wir niemandem etwas. Bete und bete auch für die Römer. Wir werden überleben und wir werden uns einem nach den anderen von ihnen holen. Sie werden ihre Frauen nicht erschlagen und ihre Kinder ertränken müssen Catualda, das erledigen wir für sie. Steh auf und komm mit", verlangte Albwin.

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