Anfechtung einer Scheidung

  • Nun stand ich also mit meinem ersten Fall zum Eherecht in der Basilica Ulpia. Ich hatte mich mit allem vertraut gemacht, was ich herausfinden konnte. Der Advocatus der Gegenseite sah mich skeptisch an, als ich mit meinem Freund Quintus Betucius Firmus, seinem Bruder Gnaeus Betucius Lepta und dessen Frau Albina Calvia die Basilioca betrat. Auch der Praetor Urbanus sah mich skeptisch an und signalisierte Firmus und mir, dass wir zu seiner Sella Curulis herantreten sollten.


    "Was genau soll das?" fragte er.


    "Wenn ich das erläutern dürfte," ergriff ich das Wort, "mein Studienfreund Betucius Firmus bat mich, ihn in diesem Fall zu unterstützen. Da es sich um die Ehe von dessen Bruder handelt, ist er emotional betroffen und erhofft sich, so den Prozess professioneller zum Abschluss zu bringen."


    Firmus nickte.


    "Nun gut, ich erlaube es. Dir ist bewusst, dass es nur noch die Plädoyers gibt, Aule Iuni Tacite?"


    "Ja, Praetor."


    Der Magistrat signalisierte uns, wieder auf unsere Plätze zurückzukehren. Als wir dort angekommen waren, wurde die heutige Sitzung eröffnet.


    "Quirites, wir sind heute hier, um den Fall Gnaeus Betucius Lepta versus Sixtus Albinus Tullus zwecks Aufhebung der durch Sixtus Albinus Tullus für geschieden erklärten Ehe von dessen Tochter Albina Calvia mit Gnaeus Betucius Lepta zu verhandeln. Die Klageseite hat Aulus Iunius Tacitus als weiteren Advocatus hinzugezogen. Darf ich erfahren, welcher der Advocati das Verfahren für die Klageseite zu führen gedenkt?"


    "Das Verfahren führt Advocatus Aulus Iunius Tacitus," erklärte Firmus kurz und knapp.


    "Dann erteile ich hiermit Aulus Iunius Tacitus das Wort."


    Ich trat vor. Natürlich war ich nervös, denn ich hatte faktisch keine Vorbereitungszeit. Ich musste also improvisieren. Die Nervosität ließ ich mir aber nicht anmerken.


    "Ehrenwerter Praetor, Quirites, ich danke für die Gelegenheit, sprechen zu dürfen. Beginnen wir mit dem Unstreitigen. Primo. Gnaeus Betucius Lepta und Albina Calvia wurden anerkanntermaßen wirksam verheiratet, und zwar mit Zustimmung von Sixtus Albinus Tullus. Secundo. Sixtus Albinus Tullus hat seine Tochter Albina Calvia weder an Gnaeus Betucius Lepta manzipiert, noch hat er sie auf sonst eine Art aus seiner Patria Potestas entlassen. Tertio. Das Ehepaar ist seit weniger als einem Jahr verheiratet, weshalb eine Usucapio ausscheidet."


    Ich ließ eine kurze Pause, damit alle Anwesenden diese Fakten noch einmal verinnerlichen konnten.


    "Streitig ist aber die Frage, ob Sixtus Albinus Tullus diese funktionierende Ehe aus Gründen, die ausschließlich in seiner Person liegen, auflösen kann."


    "Einspruch!" rief der Advocatus der Gegenseite. "Er stellt meinen Mandant als selbstsüchtig dar!"


    "Ist dem so?"


    Ich zog eine Augenbraue hoch und ließ eine kurze Pause.


    "Das Ehepaar hat unstreitig und unabhängig voneinander bezeugt, dass die Ehe intakt sei und funktioniere. Ein Grund in den Personen der Eheleute fällt folglich aus. Sixtus Albinus Tullus wiederum hat unstreitig ausgesagt, dass er Albina Calvia nur deshalb zurückgeholt hatte, um sie in eine neue Ehe zu vermitteln, von der er sich größere politische Vorteile erhofft als von der bestehenden Verbindung. Folglich liegt der Grund für die Zurückholung seiner Tochter in den persönlichen politischen Ambitionen des Sixtus Albinus Tullus. Das ist dann aber unstreitig ein Grund, der in seiner Person liegt. Und da wir keine weiteren Gründe gehört haben, ist das auch ausschließlich der Fall. Oder irre ich mich?"


    "Ich lehne den Einspruch ab," entschied der Praetor Urbanus, "bitte, fahre fort, Aule Iuni Tacite."


    "Danke, Praetor. Nun mag Sixtus Albinus Tullus anführen, dass ihm mangels Mancipatio weiterhin die Verfügungsgewalt über seine Tochter zustehen würde. Wenngleich das im Prinzip richtig ist, so sei doch an dieser Stelle angemerkt, dass die Mancipatio unabhängig von dem Rechtsgeschäft der Ehe zu sehen ist. Dies legte ich in meinem in der hiesigen Sammlung vorliegenden Kommentar unstreitig an Hand des Beispiels des Kaufvertrags dar. Folglich hat Sixtus Albinus Tullus zwar die Patria Potestas inne, kann damit aber nicht die Ehe scheiden lassen. Das können nur die Ehepartner. Somit hätte die Ehe weiterhin bestand und eine erneute Verheiratung von Albina Calvia wäre als Adulterium nach Lex Iulia et Papia strafbar. Und damit wären wir auch schon beim Stichwort: Die Lex Iulia et Papia. Diese wurde hier allem Anschein nach noch gar nicht angemessen gewürdigt, weil sich die Parteien viel zu sehr auf die Mancipatio konzentriert haben. Der Kern liegt aber in genau diesem Gesetz."


    Wieder ließ ich eine Pause, damit das Gesagte verinnerlicht würde. Das anwesenden Anhänger beider Seiten fingen an, miteinander zu diskutieren. Damit war der erste Punkt schon einmal erreicht. Das Publikum sah den Fall nicht mehr so klar, wie es bis vor wenigen Momenten wohl noch der Fall war.


    "Warum liegt der Kern dieses Falles aber in der Lex Iulia et Papia? Zunächst einmal deshalb, weil die Lex Iulia et Papia einen Eheschluss auch gegen den Willen des Pater Familias zulässt. Das ist ganz unstreitig und bedarf keiner Erläuterung. Wenn aber ein Pater Familias eine Ehe nicht verhindern kann, wenn das Paar diesen Eheschluss will, warum sollte er dann die Ehe ohne gewichtigen Grund beenden können? Bei einer funktionierenden Ehe kann so ein Grund nicht vorliegen. Natürlich kann die Verteidigung vorbringen, dass das persönliche politische Vorankommen der Industria eines wahren Römers entspricht. Jedoch wird hiermit zugleich die Honestas und Veritas des Pater Familias beschädigt. Und auch die Clementia gegenüber der eigenen Tochter würde hierunter leiden. So kann man sicher festhalten, dass die persönlichen Gründe nicht gewichtig genug sind, um dem Mos Maiorum zu genügen.


    Doch damit nicht genug. Was ist denn der Zweck der Lex Iulia et Papia? Zweck ist es vor allem, dass Kinder mit römischem Bürgerrecht gezeugt werden. Diese sind essentiell für das Funktionieren des Imperium Romanum. Nun ist es aber so, dass aus einer funktionierenden Ehe häufiger Kinder entstehen, als aus einer unglücklichen Ehe. Außerdem, und das ist nicht weniger wichtig, soll die Ehe auch unter den besonderen Schutz des Gesetzes gestellt werden. Der Schutz ist, wie erwähnt, sogar so stark, dass davor die Rechte des Pater Familias davor zurückzutreten haben. Wieso sollte dann aber der Pater Familias auf einmal Rechte erhalten, die Ehe aufzulösen? Wäre es zum Wohle seiner Tochter, die er aus einer nicht funktionierenden Ehe zurückholte, wäre es vertretbar. Das ist hier aber nicht der Fall. Deshalb halte ich im hier verhandelten Fall ein Recht des Pater Familias, die Scheidung zu erzwingen, als der Lex Iulia et Papia widersprechend und deshalb nicht gegeben.


    Natürlich kann sich Sixtus Albinus Tullus darauf berufen, dass er immer noch aus der Patria Potestas das Recht habe, seine Tochter nach Hause zu holen. Doch sollte erwähnt werden, dass er hiermit seine Tochter ihrem Ehemann entziehen würde. Das wiederum wäre erneut ein Verstoß gegen die Lex Iulia et Papia und den Mos Maiorum, der meinen Mandanten zum Schadensersatz berechtigen würde. Ebenso würde eine erzwungene Scheidung meinen Mandanten zum Schadensersatz berechtigen, weil seine Interessen, auch im Sinne der Lex Iulia et Papia, ernsthaft verletzt würden.


    Deshalb ersuche ich den Praetor Urbanus, den Bestand der Ehe zu erklären und anzuordnen, dass Albina Calvia unverzüglich wieder bei ihrem Ehemann Gnaeus Betucius Lepta einzuziehen hat. Sollte der ehrenwerte Praetor doch der Patria Potestas den Vorzug vor der Lex Iulia et Papia geben, so ersuche ich ihn in diesem Fall, den Sixtus Albinus Tullus zur Zahlung eines Schadensersatzes in Höhe von eintausend Aurei an Gnaeus Betucius Lepta zu verurteilen. Durch diesen Schadensersatz soll der Vertrauensschaden, der durch den Wortbruch des Sixtus Albinus Tullus durch den Rückzug seines Eheeinverständnisses verursacht wurde, sowie die Risiken, die Gnaeus Betucius Lepta aus dem hieraus resultierenden widerrechtlichen Unverheiratetsein entstehen, kompensiert werden. Sollte der Schadensersatz dem Praetor zu hoch erscheinen, möge er diesen anpassen."


    Das Publikum auf unserer Seite applaudierte, während das Publikum der Gegenseite weiter diskutierte. Auch der Advocatus der Gegenseite diskutierte mit seinem Mandanten. Vermutlich fragten sie, ob sie das Risiko des Schadensersatzes eingehen wollten, selbst wenn dieser reduziert würde. Nun hatte die Gegenseite das Wort und anschließend würde der Praetor Urbanus entscheiden. Wenngleich es nicht mein bestes Plädoyer war, hatte die Gegenseite nur noch die Patria Potestas als Argument, die sie aber gegen meine Angriffe in diesem konkreten Einzelfall verteidigen musste.

  • Da mich dieser Fall aus Gründen meiner eigenen Pläne sehr interessierte, sass ich ebenfalls in der Basilica Ulpia und machte mir eifrig Notizen. Die Lex Iulia et Papia ins Spiel zu bringen war vermutlich die einzige Chance, welche Iunius Tacitus in diesem Fall hatte. Dass er als Anwalt auftrat erstaunte mich, hatte er doch gar nichts davon erzählt. Doch wie mir schnell klar wurde, war er vermutlich erst ganz kurz vor diesem letzten Gerichtstag angefragt worden, denn auch der Praetor schien nichts von seinem Auftritt zu wissen.


    Wie dem auch sei, die Lex Iulia et Papia gab dem Praetor das Recht, einen Pater Familias gegen dessen Willen dazu zu zwingen, die Zustimmung zu einer Ehe zu geben, welche von beiden Ehepartnern gewünscht wurde. Entsprechend konnte ein Praetor natürlich auch eine Ehe vor der Auflösung schützen und den Pater Familias zwingen, die Ehe weiter gelten zu lassen. Gepaart mit der Androhung des Schadensersatzes war dies eine starke Argumentation, welche Iunius Tacitus in kurzer Zeit gefunden hatte.


    Gespannt wartete ich nun auf die Antwort der Gegenseite und natürlich am Ende auf die Entscheidung des Praetors.

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    DOMINUS FACTIONIS - FACTIO ALBATA

    SODALIS - AUGUSTALES

    Klient - Marcus Decimus Livianus

  • Der Advocatus der Gegenseite diskutierte eine ganze Weile mit seinem Mandanten, bis der Praetor ihn ermahnte:


    "Wir haben hier nicht den ganzen Tag Zeit, Mann! Halte jetzt dein Plädoyer oder verzichte darauf."


    Zerknirscht machte sich der Advocatus auf, seine Argumente, welche gerade an Gewicht verloren hatten, noch einmal zu nennen.


    Auch wenn mein Gegner mit der Benennung der Lex Iulia et Papia in den Köpfen der Zuhörer für Unsicherheit gesorgt hat, so darf dies den werten Praetor nicht beschäftigen. In diesem Fall geht es nicht um das augusteische Eherecht. In diesem Fall geht es einzig und allein um die Patria Potestas meines Mandanten. Er gab seine Zustimmung zu dieser Ehe, ohne jedoch seine Tochter aus seiner Gewalt zu entlassen. Die Frau ist noch sehr jung und es ist nur normal, dass ein Vater seine junge Tochter nicht einfach so in die Gewalt eines Fremden übergeben will, ohne eine Chance sie in den Schutz der eigenen Familie zurück zu holen. Und genau um dies geht es hier. Als Gewaltinhaber hat mein Mandant das RECHT, seine Tochter zurück zu holen, zumal die Ehe noch kein Jahr geschlossen ist und sie auch kein Kind hervorgebracht hat.


    Wie mein Gegner selbst gesagt hat, soll man die Lex Iulia et Papia würdigen. Nun gut, ich will dies auch tun, obwohl sie in meinen Augen keinerlei Einfluss auf den Fall hat. Doch der göttliche Augustus hat die Lex erlassen, damit legitime römische Bürger gezeugt werden, denn diese entstehen eher aus einer intakten Ehe, als aus einer nicht intakten Ehe. Nun entstand aus dieser Ehe aber kein römischer Bürger und entsprechend ist auch der Sinn dieses Gesetzes nicht erfüllt. Daher steht das Recht meines Mandanten wiederum über der Lex Iulia et Papia.


    Was den geforderten Schadensersatz der Gegenseite angeht, so ist dieser unverschämt. Der einzige Schaden, welcher diesem Mann hier entsteht ist, dass er eine andere Frau nehmen sollte, die ihm legitime Kinder schenkt. Sein Name wird eher darunter leiden, ohne Kinder in einer Ehe zu leben, als dadurch, dass er eine kinderlose Ehefrau losgeworden ist.


    Der Advocatus setzte sich wieder, wirkte aber alles andere als siegessicher.


    Der Praetor seinerseits beriet sich kurz mit seinen Beratern, bevor er das Wort ergriff.


    "Durch die neue Sachlage, die Einbringung der Lex Iulia et Papia in die Argumentation, erlaube ich dem Advocatus Aulus Iunius Tacitus eine kurze Erwiderung auf die Argumente des Beklagten."

  • Jetzt war er fällig. Ich hatte meinen Gegner da, wo ich ihn haben wollte.


    "Ich danke dem ehrenwerten Praetor Urbanus für die Möglichkeit der Erwiderung. Beginnen möchte ich allerdings mit dem letzten Argument der Gegenseite. Zu erwähnen, dass der Name meines Mandanten eher darunter leiden würde, wenn er in einer kinderlosen Ehe leben würde. Durch lange Abwesenheit in Alexandreia scheint mir etwas entgangen zu sein. Bislang dachte ich immer, dass man seine Heiraten nutzt, um Allianzen zu schmieden. Nach deinen Äußerungen, werter Kollege, scheint es nun aber auch akzeptiert zu sein, eine Heirat zum Schaden zu nutzen. So will dein Mandant also seine Tochter also neu verheiraten, um einem Gegner zu schaden? Für so perfide hielt ich ihn bislang nicht."


    Das Publikum auf meiner Seite lachte und selbst beim Publikum der Gegenseite tat sich der eine oder andere schwer, ein Schmunzeln zu unterdrücken.


    "Der Advocatus Aulus Iunius Tacitus möge bitte beachten, dass dies eine Gerichtsverhandlung ist und keine Komödie!"


    Die Worte des Praetors verhinderten, dass ich noch einmal nachlegte.


    "Selbstverständlich, Praetor. Ich bitte um Verzeihung. Mir ist unerfindlich, wie die Gegenseite der Meinung sein kann, dass die Ehegesetze unseres Divi Augusti keine Bedeutung in diesem Fall hätten. Es geht um eine Ehe. Ehe - Ehegesetze... und da sieht man keinen Zusammenhang? Ernsthaft?"


    Zu gerne hätte ich die juristischen Kenntnisse meines Kollegen öffentlich angezweifelt, doch wäre das ein schlechter Stil gewesen und hätte mich Sympathien kosten können. So wandte ich mich direkt an den Praetor.


    "Das muss ich nicht erklären, oder?"


    Der Praetor schüttelte kaum merklich den Kopf. Dann drehte ich mich zum Advocatus der Gegenseite.


    "Oder doch?"


    "Einspruch!"


    Ich drehte mich wieder zum Praetor.


    "Ich ziehe die Frage zurück. Da es somit unstreitig um die Anwendung der Lex Iulia et Papia geht, will ich fragen, worüber wir hier nun diskutieren? Darüber, dass die Manus-Ehe faktisch nicht mehr praktiziert wird? Darüber, dass Scheidungen im allgemeinen Rechtsgebrauch Sache der Ehepartner sind? Darüber, dass beides eben eine Folge der Ehegesetze des Divi Augusti sind? Denn wenn die Zustimmung des Pater Familias zur Eheschließung nicht nötig ist, so steht es erst recht nicht in dessen Macht, die Ehe zu scheiden. Seien wir ernsthaft, liebe Anwesenden, wessen Ehefrau wurde manzipiert? Oder wer würde seine Tochter gegen deren Willen aus einer Ehe herauslösen?"


    Dabei breitete ich die Arme aus und drehte mich langsam um meine Achse, um so alle Anwesenden einzuladen, sich zu melden. Hin und wieder fixierte ich jemanden direkt mit meinem Blick, vor allem bei der Klientel meines Gegners. Als ich meinen Patron erblickte, nickte ich ihm kurz zu. Niemand meldete sich aber auf meine Frage. So nahm ich wieder Haltung an.


    "Das dachte ich mir. Doch selbst unter der Annahme, dass alle diese Argumente irrelevant wären, was sie nicht sind, so könnten wir immerhin noch über die vermeintliche Kinderlosigkeit sprechen. Ist es üblich, dass die Ehefrau in weniger als einem Jahr nach Eheschließung ein Kind erwartet? Ist es der häufigste anzutreffende Fall? Ich denke nicht. Aber ich mag mich irren. Doch sag du mir, Sixtus Albinus Tullus, ob deine Ehefrau schon nach wenigen Monaten der Ehe ein Kind erwartete?"


    "Einspruch! Die Ehe meines Mandanten ist irrelevant! Außerdem sind die Befragungen bereits abgeschlossen!"


    "Zurückgezogen. Der Einspruch ist Antwort genug."


    Der Praetor lehnte sich in seiner Sella Curulis nach vorne.


    "Aule Iuni Tacite, strapaziere nicht meine Geduld!"


    Ich musste jetzt definitiv vorsichtig sein. Also beschloss ich, meine Argumente noch einmal zusammenzufassen.


    "Ich bitte um Verzeihung, Praetor. Wie ich bereits erwähnte, ist die Lex Iulia et Papia unstreitig anzuwenden und nach dieser hat die Patria Potestas keinerlei Bedeutung für die Eheschließung oder Auflösung derselben. Bedeutung hat ausschließlich der Wille der Ehepartner. Dies wird auch ganz selbstverständlich von uns Quirites gelebt. Und es sei für die juristischen Laien auch noch erwähnt, dass eine Berufung auf älteres Recht unzulässig ist. Denn es ist nach ganz herrschender Meinung anerkannt, dass das neuere Gesetz das ältere Gesetz verdrängt. Einer Aufhebung des älteren Gesetzes bedarf es hierzu nicht. Welches Argument hat dann noch die Gegenseite? Keins! Kein einziges Argument bleibt! Und deshalb, Praetor, ist die Ehe des Gnaeus Betucius Lepta mit der Albina Calvia aufrecht zu erhalten. Außerdem ist die Patria Potestas als durch die Eheschließung aufgehoben zu betrachten. Denn nicht die Lex Iulia et Papia, sondern die Patria Potestas ist in diesem Fall bedeutungslos. Also bitte ich dich, urteile nach der Lex Iulia et Papia. Doch sollte es dir zu dünn begründet erscheinen, nach diesem Gesetz des Divi Augusti zu urteilen, so urteile wenigstens nach dem herrschenden Rechtsbrauch."


    Natürlich war der herrschende Rechtsbrauch deckungsgleich mit der Lex Iulia et Papia. Erwartungsvoll sah ich den Praetor an.

  • Der Praetor schaute zum Angeklagten und dessen Advocatus. Jener war in seinem Stuhl zusammengesunken und versuchte möglichst nicht gesehen zu werden. Danach drehte er sich zu seinen Beratern um. Nach kurzem Austausch nickte reihum jeder der dort sitzenden. Dann erhob sich der Praetor.


    "Im Namen des Kaisers, des Senates und des Volkes von Rom ergeht folgendes Urteil. Die Ehe des Gnaeus Betucius Lepta mit Albina Calvia bleibt rechtsgültig."


    Als dieser Satz gefallen war, brach ein Tumult auf der Bank der Verlierer aus.

    "Du bist nicht länger meine Tochter!" brüllte Sixtus Albinus Tullus wutentbrannt in den Saal, versuchte sich gegen die ihn zurückhaltenden Arme seines Advocatus zu erheben und sich auf seine Tochter zu stürzen.


    Sogleich eilten die für das Gericht zuständigen Soldaten herbei, zerrten ihn zurück auf seine Bank und hielten ihn dort unter Bewachung fest.

    Der Praetor trat auf ihn zu und blickte den Mann streng an.


    "Bis soeben gab es keinen Anlass, Sixtus Albinus Tullus, um dir deine Patria Potestas über deine Tochter abzuerkennen, auch wenn dies von der Gegenseite gefordert worden war. Eine Ehe führt nicht zwingend sofort zur Emanzipation der Braut von ihrem Vater, auch wenn sie de iure nicht durch den Vater geschieden werden kann. In diesem Punkt hat Aulus Iunius Tacitus nämlich recht. Die Lex Iulia et Papia hält fest, dass eine Ehe nur durch die Eheleute geschieden werden kann, ausser es lässt sich nachweisen, dass diese nicht intakt ist. Nur im Falle einer missbräulichen oder nicht intakten Ehe kann der Vater seine Tochter aus der Ehe zurückholen. Dieser Fall liegt hier aber nicht vor. Daher bleibt die Ehe bestehen."


    Der Praetor machte eine kurze Pause und fixierte den wütenden Vater erneut.

    "Durch deine soeben getätigte Äusserung, vor Zeugen und in Anwesenheit eines Praetors, befürchte ich jedoch, dass deine Tochter unter deiner Patria Potestas nicht sicher wäre. Ich entnehme deinen Worten den Willen, deine Tochter zu manzipieren und deine Patria Potestas aufzugeben."


    Der Mann schreckte auf als er dies hörte, sank jedoch, als er die Hände der Wachen auf seinen Schultern spürte wieder zurück auf seinen Platz.


    "Dein Schweigen spricht Bände, Sixtus Albinus Tullus. Als amtierender Praetor erkläre ich hiermit, vor all diesen Zeugen, dass ich deine Tochter, Albina Calvia, mit dem heutigen Tage sui iuris erkläre und deine Patria Potestas hiermit, gemäss deinem eigenen Willen, aufhebe."


    Dann wandte er sich dem ganzen Saal zu.


    "Es muss jedoch festgehalten werden, dass dies lediglich auf das Verhalten des Angeklagten zurückzuführen ist und nicht als Teil dieses Prozesses zu betrachten ist. Die Lex Iulia et Papia legt fest, dass die Ehe nicht durch den Vater geschieden werden kann. Sie legt jedoch nicht fest, dass die Patria Potestas mit Eingehen einer Ehe erlischt. In diesem Punkt sind unsere gültigen Gesetze inkonsequent. Die Dos geht hiermit definitiv in die Ehegemeinschaft ein.


    Hiermit ist diese Verhandlung geschlossen."


    Der Praetor warf einen letzten abschätzigen Blick in Richtung des Häufchen Elends, welches vom stolzen Vater übrig geblieben war. Dann zog er sich mit seinem Beraterstab zurück.

  • Lächelnd ging ich zur Bank meines Mandanten. Firmus nickte anerkennend.


    "Ich danke dir, mein Freund. In deinen Adern fließt wahrhaftig das Blut deines Vaters."


    Das konnte er natürlich so sehen. Ich für meinen Teil sah hier hingegen die Erfüllung meiner Bitten, die ich an Minerva und Iustitia gerichtet hatte. Ob dazu die fünf Aurei reichen würden? Eher nicht. Aber das war auch nicht wichtig.


    Gnaeus Betucius Lepta saß noch immer auf der Bank. Seinem Gesichtsausdruck nach konnte er sein Glück nicht fassen. So sprach ich ihn an.


    "Du schuldest mir fünf Aurei. Dein Bruder hat dich über mein Honorar informiert, nehme ich an?"


    Er nickte, stand auf und umarmte mich. "Liebend gerne. Ich... ich schulde dir mehr. Du hast meine Frau emanzipiert!"


    Streng genommen hatte ich damit nichts zu tun. Doch würde ich auch nicht nein zu einem höheren Honorar sagen.


    "Was auch immer es dir wert sein mag. Du kannst das Honorar zur Domus Iunia bringen, sobald du soweit bist. Doch nun solltest du erst einmal deine Frau nach Hause holen. Ich muss noch mit jemandem reden."


    Während Firmus und sein Bruder sich von den umstehenden Menschen gratulieren ließen, drängte ich mich durch die Menschen zu meinem Patron.


    "Patrone, ich bedaure, dass ich es heute morgen nicht zur Salutatio geschafft habe. Ebenso wenig wie Betucius Firmus, wenngleich ich denke, dass er dich vorab informierte. Ich wurde leider erst gestern von ihm angesprochen und um Hilfe gebeten, so dass ich mich vollends auf den Fall konzentrieren musste."

  • Ich war innerlich hoch erfreut über das Urteil des Praetors. Nicht weil ich die Familie gekannt hätte oder dem Vater den Verlust seiner Tochter gewünscht hätte oder gar weil mein Klient das Plädoyer geführt hätte. Nein, ich war erfreut, weil der Praetor dieselbe Lücke angesprochen oder vielleicht sogar aufgezeigt hatte, auf welche ich sowohl in meinem Gespräch mit Iunius Tacitus, als auch mit meinem Gesetzesentwurf hinaus wollte. Mancipatio, Emancipatio, Ehe, die 12 Tafeln, die augusteischen Ehegesetze und die tatsächliche Handhabung durch die Menschen standen sich unter gewissen Umständen entgegen, wiedersprachen sich oder liessen zumindest viel Spielraum für Interpretationen. Nun gab es einen Präzedenzfall, auf den ich mich definitiv stützen konnte und dieser war erst noch brandneu.


    Als Iunius Tacitus zu mir kam, war ich schon fast daran den Saal zu verlassen.


    Ah, Glückwunsch, Aulus Iunius Tacitus. Du hast nicht nur deinen Fall gewonnen, sondern mir gerade einen Präzedenzfall geliefert, auf dem ich meinen Gesetzesentwurf aufbauen kann. Ausserdem glaube ich, dass du gerade meine Argumente in Bezug auf die Ehe gefestigt hast.

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    DOMINUS FACTIONIS - FACTIO ALBATA

    SODALIS - AUGUSTALES

    Klient - Marcus Decimus Livianus

  • "Ich mag gewonnen haben, aber es war ein unnötiger Sieg. Wären bereits die Gesetze der Realität angepasst, wäre der ganze Prozess unnötig gewesen."


    In der Zeit, die mich der Fall gekostet hatte, hätte ich mich auch sinnvoller beschäftigen können. Der einzige Vorteil lag vielleicht darin, dass ich nun auch als Advocatus für Eherecht eine gewisse Bekanntheit hatte. Bislang hatte ich nur Fälle aus dem Sachenrecht vertreten. Auch die Tatsache, dass ich einen verloren geglaubten Fall noch gewonnen hatte, würde meinen Wert als Advocatus sicher steigern.


    "Es ist ganz offenkundig, dass es hier nicht etwa eine Gesetzeslücke, sondern eine Diskrepanz zwischen Gesetzen gibt. Das muss behoben werden. Nur widerspruchsfreie Gesetze finden breite Zustimmung. Ohne diese ist jedoch eine Rechtstreue der Bürger nicht zu erwarten."


    Da war sie wieder, meine philosophische Herangehensweise an die Juristerei. Das Museion hatte eben doch bleibende Spuren hinterlassen.

  • Ganz genau so ist es, mein Werter Iunius Tacitus und deswegen werde ich diese Diskrepanz zu tilgen versuchen! Gesetze müssen klar sein und wenn ein derartiger Unterschied entdeckt wird, dann müssen sich Senatoren und Juristen darum bemühen, ihn zu beheben. Doch heute sollst du feiern und morgen beginnt für mich dann die Arbeit, welcher ich heute so erfreut zugesehen habe. Mein Urteil wäre kein anderes gewesen! Komm, wir trinken einen auf deinen Erfolg!


    Es war mir eine Freude, meinen Klienten zu einem Wecher Wein oder Mulsum einzuladen.

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  • Das konnte ich wohl schlecht ablehnen. Also gingen wir noch gemeinsam etwas trinken, wobei ich mich für Mulsum entschied. Das war bei der kalten Witterung auf jeden Fall angenehmer als Wein. Wir unterhielten uns dann noch etwas über den Fall, bevor sich die Wege meines Patrons und meiner Wenigkeit trennten. In den nächsten Wochen würden wir noch genügend Zeit damit verbringen, uns über Ehegesetze zu unterhalten.

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