Zelle VI - Kyriakos

  • Zelle VI


    Von der Sella Curulis des Praetor Urbanus aus wurde Kyriakos auf direktem Wege an die Cohortes Urbanae überstellt. Dort führte man ihn in den Carcer. In diesem Fall handelte es sich um eine Form der Haft, die verhindern sollte, dass Kyriakos entkam oder Beweise verschwinden ließ. Die Schuld hingegen galt als noch nicht erwiesen, weshalb er eine der besseren Zellen erhielt, die sogar einen Lichtschlitz in weiter Höhe außerhalb der Reichweite besaß. An der Wand stand ein gemauertes Bett in Form einer Wanne, in der frisches Stroh lag. Für die Notdurft stand in der gegenüberliegenden Ecke ein Eimer bereit. Die Urbaner verhielten sich - wie immer in einem solchen Fall - vollkommen neutral gegenüber dem Gefangenen. Zeigte er sich kooperativ, würde es für ihn keine Probleme geben, davon abgesehen, dass er inhaftiert war. Von unnötigen Schikanen sah man hier ab und wahrte Professionalität. Sollte er sich jedoch störrisch gebärden, würde man ohne Zögern den notwendigen Zwang anwenden.


    Mit diesem Gefangenen war Miles Nero Germanicus Ferox betraut.

  • Kyriakos, der die Entscheidung getroffen hatte, keinen weiteren Anlass zur Klage ob seiner Person zu bieten, ließ sich ohne Gegenwehr in seine Zelle verbringen. Stoisch ertrug er das, was er als großes Unrecht empfand, froh darüber, nicht länger der Obhut des Vigintivir ausgeliefert zu sein. Mit einer solchen Wendung hatte er nicht gerechnet, als er die Münzen zur Überprüfung in die Münzprägeanstalt brachte. Doch der Scriba im Vorzimmer des Prätors hatte Anweisung gegeben, ihm juristischen Beistand zu gewähren.


    So versuchte Kyriakos, von diesem Recht Gebrauch zu machen, als seine Zelle aufgeschlossen wurde, damit er sie betreten konnte: »Miles, in der Basilica verfügte man, mir sei juristischer Beistand zugänglich zu machen. Ich bitte dich um einen Advocatus, um Schaden für meine Person und mein Geschäft abzuwenden.«


    Bei den Cohortes Urbanae war sein Name nicht unbekannt. So hoffte er, dass man sich dessen erinnern und seiner Bitte stattgeben würde. Doch wer vermochte schon zu sagen, welche Pläne während des letzten Jahres innerhalb der Mauern der Castra Praetoria gereift waren und ob Kyriakos noch einen Wert für sie besaß? Kalt strömte die Luft aus dem Inneren der Zelle um seine Füße und ließ ihn frösteln, während er dem Miles unverändert in die Augen sah.

  • Über dieses Anliegen war Ferox froh. Er würde es nicht gern gesehen haben, ihren Informanten ohne Advokaten den Mühlen des römischen Rechts auszusetzen. Leider hielten sich die Möglichkeiten zur Intervention für die Cohortes Urbanae in diesem Fall sehr in Grenzen, da Kyriakos nicht wichtig genug war, als dass ein Offizier seinen Ruf riskieren und sich für ihn einsetzen würde. Andererseits waren die Informationen zu gehaltvoll, als dass man Kyriakos in seiner Not gänzlich ignorieren würde.


    "Miles, bring Tinte und Pergament. Kyriakos erhält die Gelegenheit, einen Brief an einen Advokaten seiner Wahl zu adressieren." Kaum war sein Kamerad weg, sah Ferox den Gefangenen an. "Wenn ich dir einen Rat geben darf, und es ist ein guter Rat, dann wähle Aulus Iunius Tacitus." Unter den Cohortes Urbanae waren die wichtigsten Adressen in Sachen Recht natürlich bekannt. "Er ist ein Experte für schwierige Fälle und gilt als engagiert und zuverlässig. Schreib den Brief möglichst schnell, damit der Advokat ihn noch heute lesen kann, denn die Verhandlung ist bereits für morgen zur vierten Stunde angesetzt."


    Der Miles kam mit den Schreibutensilien zurück. Das Licht in der Zelle würde genügen. Zudem erhielt Kyriakos ein Brett als Unterlage. Damit schloss sich die Tür, doch Ferox würde in einer Stunde nach dem Gefangenen sehen kommen, um den Brief in Empfang zu nehmen.

  • »Mögen die Götter dir's vergelten, Miles«, sprach Kyriakos dankbar, und begann sogleich mit dem Verfassen des Briefes.


    De

    Kyriakos

    Carcer der Cohortes Urbanae



    Ad

    Advocatus

    Aulus Iunius Tacitus



    DRINGEND: Bitte um Rechtsbeistand



    Hochverehrter Advocatus Aulus Iunius Tacitus,


    hier schreibt Kyriakos von Sparta, der im Vertrauen auf das römische Rechtssystem in große Not geriet. Aus bitterer Haft heraus ersuche ich deinen Rechtsbeistand, um arge Unbill für mich abzuwenden.


    Da der Termin zur Anhörung vor dem Praetor peregrinus schon morgen zur vierten Stunde anberaumt ist, vergib mir, dass ich dir im Folgenden bereits den vollen Umfang meiner Situation darlege, denn eine weitere Gelegenheit zur Konversation werde ich nicht erhalten.



    **************************************************



    Ich brachte am heutigen Tage einem jungen Vigintivir, dem Tresvir monetalis Nero Aemilius Secundus, im Vertrauen auf das römische Recht fünf Goldmünzen zur Überprüfung. Mir war daran gelegen, untersuchen zu lassen, ob es sich womöglich um Falschgeld handelte, denn ich betreibe ein Geschäft, das Lupanar Ganymed, und wünsche keinen Konflikt mit dem Gesetz. Ich hatte die Aurei aus zweifelhafter Quelle erhalten.


    Als ich in der Münzprägeanstalt vor der Herausgabe jedoch um eine Quittung für die fünf Münzen bat, nahm das Unheil seinen Lauf. Mit sofortiger Wirkung verwandelte ich mich vom Zeugen in einen Angeklagten. Warum, das wissen die Götter allein. Meiner Kleider, meiner Sandalen und meines Geldes wurde ich beraubt, gleichsam jedweder Würde. Man hängte mich kopfüber auf und misshandelte mich, verabreichte mir ein Gift und drohte, mich aufzuschneiden.


    Unter dieser Behandlung war es mir nicht länger möglich, eine Herausgabe der Münzen ohne Erhalt einer Quittung zu verweigern. Da sich bei der folgenden Überprüfung vermutlich einige der Münzen tatsächlich als Falschgeld offenbarten, brachte der Vigintivir mich nach Abschluss dieser Quälerei vor die Sella curulis des Praetor urbanus. Aemilius Secundus wählte diesen Magistrat, obgleich dieser, wie ich dem Gespräch entnahm, für Cives zuständig sei und ich als Peregrinus dem Rechte nach dem Praetor peregrinus zugeteilt werden müsse. Mutmaßlich entschied er so, weil er Günstling des Praetor urbanus ist, wenn die Aussage seines Mitarbeiters stimmt, denn jener höhnte in diesem Sinne ob meiner Machtlosigkeit, sollte ich das Wort vor dem Prätor zu erheben wagen.


    Darüber hinaus kündigte der Tresvir monetalis an, von nun an sei der Besitz von Falschgeld eine Straftat. Aemilius Secundus versuchte weiterhin zu verhindern, dass mir ein Advokat beiseitegestellt würde. Dies sind zwei Dinge, die mir besondere Sorge bereiteten, sind sie doch geeignet, jeden Glauben an die Unität von Rechtswesen und Gerechtigkeit zu zerschlagen.


    Doch beraumte der Scriba des Praetor urbanus ein Anhörung vor dem Praetor peregrinus an und verordnete, mich in die Obhut der Cohortes urbanae zu überstellen und mir einen Advocatus zur Seite zu stellen.


    So ungeheuerlich dies alles klingen mag, ich schwöre bei dem Namen von Herakles, von dem die Könige Spartas abstammen, und bei den göttlichen Zwillingen Castor und Pollux, Söhne der Königin Leda von Sparta: Jedes Wort entspricht der Wahrheit. Für meine Aussagen gibt es zahlreiche Zeugen, von den Mitarbeitern der Münzprägeanstalt an begonnen, auch wenn sie kaum gegen ihren Herrn aussagen werden, bis hin zum Scriba des Praetor urbanus, der an jenem Tage wahre Größe bewies.


    Und so begab es sich, dass ich in die Gefangenschaft der Cohortes urbanae geriet. Im Carcer empfahl ein Soldat mir deinen Namen und ich bitte dich sehr, dich meines Falls anzunehmen. Ich versichere, dass ich in der Lage bin, dir ein angemessenes Honorar zu entrichten.



    **************************************************



    Ich verbleibe in der Hoffnung auf einen positive Entscheid, denn du bist in der Tat meine letzte Hoffnung.


    So bitte ich innig um dein Erscheinen morgen zur vierten Stunde vor dem Praetor peregrinus.


    Hochachtungsvoll

    Kryriakos



    PS: Für den Fall, dass du die Aussage meiner Mitarbeiter benötigst, lege ich dir die Adresse meines Lupanars bei. Der Ansprechpartner ist Pollux.


    Lupanar Ganymed

    Clivus Suburanus

    IV. Regio

    Roma


  • Wie versprochen kam Ferox nach einer Stunde, um den Brief in Empfang zu nehmen. Sicherheitshalber las er ihn, so wie alle Post der Gefangenen geprüft wurde, damit das Entgegenkommen nicht rechtswidrig benutzt würde, fand jedoch keinen Grund zur Beanstandung. Er sorgte eigenhändig dafür, dass der brief noch heute in die Hände des Adressaten gelangen würde. Sein Kamerad währenddessen nahm Kyriakos das Brett und die Schreibutensilien wieder ab.


    Dann blieb der Gefangene erneut allein mit sich und seinen Gedanken.

  • Die Zellentür öffnete sich und ein Streifen Licht fiel in die graue Dämmerung der Zelle. "Es ist Zeit."


    Kyriakos war in der kurzen Zeit seiner Haft anständig behandelt worden, da er tadellos kooperiert hatte. Natürlich kam ihm auch entgegen, dass man ihn hier kannte. So musste er nicht hungrig vor dem Prätor sprechen. Anstelle des Gefangenenkittels durfte er eine gegürtete Tunika und saubere Sandalen tragen, die man ihm lieh. Zuvor hatte er die Gelegenheit erhalten, sich zu waschen, zu rasieren und zu frisieren.


    Heute hatte Ferox Tarpa dabei. Zu zweit würden sie den Gefangenen zur Anhörung begleiten.

  • Kyriakos, der die Gelegenheit genutzt hatte, sein Aussehen in bestmöglichem Einklang zu seinem persönlichen Ideal zu bringen, hatte stehend seiner Abholung geharrt. »Ich bin bereit, Miles.« Als Musterbild eines kooperativen Gefangenen begleitete er seine Wächter durch Rom an den Ort, wo Recht über ihn gesprochen werden würde.

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