[Triclinium] Cena zur Ankunft der Seia Fusca

  • Ob Seius Stilo das "Noch nicht" auf sich selbst oder andere bezog, vermochte ich nicht zu erkennen. Für mich selbst schätzte ich die Wahrscheinlichkeit äußerst gering ein. Ebensowenig erschloss sich mir, dass sein Breites Lächeln sich nicht auf mich bezog. Wer würde auch darauf kommen?


    Ich lächelte Seius Stilo kurz zu, bevor ich mich mit meinem strahlendsten Lächeln an Fusca wandte.


    "Ich denke, dass ich in den nächsten Tagen noch einen freien Nachmittag habe. Gibt es etwas, das du in Athen besonders vermisst hast?"


    Kurz dachte ich nach, bevor ich etwas hinzufügte.


    "Korrektur oder eher Präzision: Gibt es etwas in Rom, das du in Athen besonders vermisst hast? Ein bestimmtes Gebäude, eine bestimmte Straße, ein bestimmter Markt?"


    Ich nahm mir einen Happen und aß diesen. Immerhin war das hier eine Cena.

  • Na, mal sehen, was die werte Schwester nun sagen würde. Was gab es in Rom, das Athen nicht bieten konnte, was fehlte, wenn man dem Haupt der Welt den Rücken kehrte? Vielleicht den Circus Maximus, andererseits hatte Athen dafür die Olympischen Spiele. Stilo hätte die Frage nicht ohne längeres Nachdenken beantworten können und war gespannt, wie Fusca die Dinge wahrgenommen hatte. Auch er ließ es sich schmecken. Da Terpander mal wieder Fresse zog, ließ er außerdem ein Lob verlauten, wie gut das Essen gelungen sei.

  • Zu fortgeschrittener Stunde erschien ein Überraschungsgast im Eingang des Tricliniums, das Haar noch feucht, und setzte sein charmantestes Lächeln auf. «Salvete, liebe Gastgeber. Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen.» Ravilla war angetan mit der Tunika mit dem breiten Purpursaum, welche ihn als Angehörigen des Ordo senatorius auswies. Darüber trug er die reinweiße Toga des römischen Bürgers. Die zur gesäumten Tunika gehörende Toga praetexta würde er erst ab jenem Tag anlegen, an welchem er sich Senator nennen durfte.


    Sein Blick strich über die Anwesenden, er nickte den beiden jungen Männern zu. Das Lächeln wurde eine Spur breiter, als er seinen Bruder auf einer der Klinen liegen sah, und strahlend, als er seiner Schwester gewahr wurde. «Ich darf mich korrigieren: Ich erscheine genau pünktlich.» Die übrigen Anwesenden ausblendend ging er vor seiner Schwester auf ein Knie, um sie aufs Herzlichste zu begrüßen, die Hände auf ihre Schultern gelegt und ihr einen für Geschwister sinnlichen Kuss schenkend, der ihn innerlich wärmte wie süßer Wein. Zärtlich strich er eine Strähne aus ihrem Gesicht. «Welch erfreuliche Überraschung», sagte er sanft bevor er sich seinem Bruder widmete, der sich neben Fusca aalte und zufrieden mit sich wirkte.


    «Stilo», grüßte er, das Lächeln nun fast ein Grinsen, und drückte ihm den Unterarm. «Du hast zugenommen», fügte er in lobendem Tonfall hinzu, und nur wer Geschwister besaß oder die Menschen gut zu beobachten verstand, erkannte die Bedeutung der Stichelei.


    Hernach widmete Ravilla sich den übrigen beiden Anwesenden, denen er nacheinander die Hand reichte. «Ich bin Galeo Seius Ravilla, Bruder der beiden anderen Seii. Mit wem habe ich die Freude?» Den Gesetzen der Höflichkeit würde es am ehesten entsprochen haben, zuerst den Gastgeber ausfindig zu machen und diesen an erster Stelle zu begrüßen, rief Ravilla sich innerlich zur Ordnung, doch was Fusca betraf, so war sie seine Ferse des Achill. Ravilla hoffte, man würde es ihm nachsehen.

  • Stilo, dem die Stimmen draußen nicht entgangen waren, hatte ab diesem Zeitpunkt geahnt, wer gleich erscheinen würde. Und natürlich war ihm auch klar, wie die Reihenfolge der Begrüßung ausfallen würde, insbesondere, wenn Männer im heiratsfähigen, und noch schlimmer, heiratswilligen Alter zugegen waren.


    Stilo umfaste nun seinerseits den Unterarm seines Bruders, der zur Begrüßung brüderlich eine Prise grobkörniges Salz in eine seiner wenigen Wunden rieseln ließ und mit seinem Lächeln genüsslich verrieb. "Die Legio hat dich offensichtlich nicht nur das Schläfenhaar, sondern auch die Manieren gekostet", konterte Stilo grinsend. "Willkommen in Roma. Schön, dich gesund wieder im Kreis der Familie zu wissen."


    Für jemanden, der in Germania diente, war eine gesunde Heimkehr in den Kreis seiner Lieben nicht selbstverständich, auch nicht für Stabsoffiziere, die entgegen aller Gerüchte keine reinen Schreibtischsoldaten waren. Germania superior galt als eine der gefährlichsten Provinzen, durch eine bessere militärische Schule konnte man kaum gehen. Stilo musste eingestehen, dass das Tribunat Ravilla gut getan hatte: Sein Auftreten wirkte geerdet. Hätte die Vorstellung von Ravilla als Feldherr vor dessen Abreise noch zu Magenkrämpfen bei Stilo geführt, so erschien sie ihm heute nicht mehr so abwegig. Schade, dass er ihn nie in Rüstung gesehen hatte.

  • Ein Angehöriger des Ordo Senatorius war natürlich ein besonderer und gern gesehener Gast in diesem Haus. Ich beschloss ob der späten Stunde und der fortgeschrittenen Feier aber, nicht aus Höflichkeit aufzustehen. So beobachtete ich, wie er zunächst Fusca begrüße und dann Seius Stilo. Der Kuss, den er Fusca gab, erschien mir vielleicht etwas zu sinnlich, doch mochte dies der Überschwang des Wiedersehens nach langer Abwesenheit sein. Oder aber es war im fernen Cappadocia so üblich, wer wusste das schon? Auch die Begrüßung seines Bruders fiel recht vertraut aus. Da ich selbst keine Brüder hatte, konnte ich hier nur wenig einschätzen.


    Als der neue Gast seinen Namen nannte, war mir bereits klar, um wen es sich handeln musste. Doch nickte ich respektvoll als Zeichen der Kenntnisnahme, nachdem er diesen nannte.


    "Ich bin Aulus Iunius Tacitus und dies ist mein Vetter Sextus Iunius Stilo. Willkommen in der Domus Iunia. Zu deiner Information feiern wir gerade die Ankunft deiner Schwester, so dass sie die eigentliche Gastgeberin dieser Cena im kleinen Kreis ist. Bitte, nimm Platz und ehre uns mit deiner Gesellschaft. War deine Reise angenehm?"


    Ich hoffte, so die Missachtung der üblichen Begrüßungsreihenfolge aus der Welt geschafft zu haben und Ravilla das Gefühl zu geben, hier mehr als willkommen zu sein. Denn an der Gastfreundschaft der Iunier sollte es keinen Zweifel geben.

  • «Sehr angenehm, ihr Lieben.» Im Kreis der Familie durften durchaus vertraulichere Töne klingen, welche die professionelle Maske, die Ravilla im Alltag trug, aufweichte zugunsten einer Annäherung an sein wahres Selbst. «Ich bedanke mich für den zuvorkommenden Empfang, trotz meines unerwarteten Erscheinens in dieser Runde. Oh, ich müsste mich der Lüge schuldig machen, eine Reise als angenehm zu deklarieren. Sie war, wie alle Reisen, abscheulich. Lang, schmerzhaft, monoton.» Ravilla lächelte trotz des Lamentos, denn es war nun überstanden, und der Empfang entschädigte ihn für so manch erlittenes Ungemach. «Hätte ich freilich geahnt, welch Zusammenkunft meiner harrte, wäre sie halb so grauenvoll gewesen.»


    Als Ravilla Anstalten machte, sich auf der anderen Seite seiner Schwester niederzulassen, musste ein Sklave herbeieilen, um seine Toga neu zu sortieren. «In der Hoffnung, keine Wiederholungen zu provozieren - ich weiß nun euer beider Namen, doch wer sind die Menschen dahinter? Was meine Person betrifft: Wahrscheinlich ist es bereits zu euch durchgedrungen, aber ich komme gerade frisch von meinem Militärtribunat aus Mogontiacum.»

  • "Nun, was meine Person anbelangt: Ich bin Jurist und habe einige Kommentare verfasst, darunter einen, der Aufnahme in die Basilica Ulpia fand. Aber immerhin hat deine Frage eine Frage beantwortet, die mich beschäftigt. Ich fragte mich nämlich, ob der Name, den ich mir im letzten Jahr in Rom als Jurist erarbeitet hatte, schon bis in die Provinzen vorgedrungen ist. Anscheinend ist dies nicht der Fall. Oder sollte ich sagen: Noch nicht?"


    Als nächstes überließ ich es meinem Vetter, sich etwas näher vorzustellen.

  • «Dann müssen deine Kommentare gut sein, denn nur renommierte Werke finden in der Basilica Ulpia ihre Aufnahme. Und was den Hall deines Ruhmes in der Provinz betrifft: Was nicht ist, kann noch werden», antwortete Ravilla, was er nicht als Floskel meinte. «Bislang habe ich noch nichts von deinen Taten vernommen, muss jedoch einräumen, dass ich als Tribun der Legio andere Schwerpunkte hatte. Die Rechtssprechung über die Soldaten gehörte dazu, jedoch sprechen wir hier von Angelegenheiten des Militärrechts und nicht der zivilen Gerichtbarkeit.»


    Mehr wollte Ravilla vorerst nicht sagen, um auch dem jungen Vettern des Tacitus Gelegenheit zu einer Wortmeldung zu geben. Er signalisierte dies, indem er sich den kredenzten Köstlichkeiten zuwandte.

  • Auch Ravilla wurde mit Blumen bekränzt. Wahrscheinlich war er derjenige, dem der Kranz am besten stand. Er sah damit jünger aus, und Terpander fühlte sich umso älter, umso einsamer, umso verbitterter. Doch dass Anaxis hier war, tröstete ihn. Die nächsten Tage würden heller sein. Das waren sie immer, wenn Anaxis da war.

  • "So, ihr Lieben. Meine abendliche Stunde Freizeit ist um und die Pflicht ruft." Stilo stopfte sich rasch noch ein paar Häppchen in den Mund und spülte sie mit dem Wein hinunter. Er gab jedem zum Abschied die Hand, außer Ravilla, dem brachte er mit einem Wuscheln die Frisur durcheinander, danach gab er ihm einen Kuss auf die Stirn. "Ich freue mich, dass du gesund wieder da bist, kleiner Bruder", waren seine letzten Worte, viel weniger frotzig als zuvor, sondern ganz und gar ernst gemeint. Im Hinausgehen klopfte er Terpander noch die Schulter, dann verschwand er - bis zu ihrem nächsten Treffen.

  • Als der Abend fortschritt, verkündete auch Ravilla - müde von der langen Reise - seinen Abschied und zog sich in das vorbereitete Gemach zurück. Es dauerte nur wenige Herzschläge, bis er in das Reich der Träume entschwebt war. Wie Ravilla es zugesichert hatte, durfte derweil Anaxis die Zeit der heutigen Nacht nach eigenem Gutdünken gestalten und es mochte sein, dass der junge Perser den älteren Terpander nach Ende der Cena in seine kleine Kammer einlud, um einige Stunden gemeinsam in schützender Dunkelheit zu verbringen, fern von den Herren, fern von Verpflichtungen.

  • Nachdem sich alle zurückgezogen hatten, begab ich mich ebenfalls in mein Cubiculum. Jedoch nicht, ohne vorher Terpander meine Zufriedenheit über die Organisation mitgeteilt zu haben. Ich hoffte, dass die Verbundenheit der Gentes Seia und Iunia, die an diesem Abend zu erkennen war, auch in Zukunft erhalten bliebe und möglicherweise noch vertieft würde.

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