[Imperium Sinarum] Changanum

  • Nachdem wir den Jadepass passiert hatten, reisten wir zwischen zwei Gebirgszügen weiter. Schließlich erreichten wir fruchtbares Kulturland mit Feldern und Obstwiesen. Die Wege wurden auch zunehmend besser, wenngleich wir erst am Ende auf Straßen reisten, die mit den Straßen des Imperiums mithalten konnten.


    Arpan und ich fielen deutlich auf. Arpan hatte sich bereits vor dem Aufstieg nach Kaschgar skythisch eingekleidet. Das schien einigen Leuten hier nicht geheuer zu sein, doch schien es auch nicht extrem ungewöhnlich zu sein. Ich fiel da schon mehr auf. Einerseits wegen meiner Gesichtszüge, die so deutlich anders als die der Serer waren. Andererseits auch wegen meiner Kleidung. Zwar verzichtete ich trotz der sommerlichen Temperaturen darauf, römische Kleidung anzuziehen. Doch waren die Kombination aus skythischen Stiefeln und Hosen und einer einfachen Leinenjacke der Hàn sicher ungewöhnlich.


    Immerhin hatte ich von meinem Freund Jì Dé inzwischen gelernt, mit Stäbchen zu essen und mich angemessen nach Art der Serer zu verbeugen. Beides war hier hoch angesehen. Inzwischen besaß ich sogar ein Paar Essstäbchen aus Jade, die ich in einer Schachtel aus Rosenholz transportierte. Das stieß wohl noch mehr auf Verwunderung, weil es einen Wohlstand zeigte, der nicht zu meiner Kleidung passte. Und dass ich ein zur leichten Unterhaltung geeignetes Serisch beherrschte, traf die meisten auch unvorbereitet. Jì Dé brachten die Reaktionen seiner Volksgenossen hierauf regelmäßig zum Schmunzeln.


    Die Siedlungen wurden immer größer und wohlhabender und oft waren es Städte, die sich mit denen in der römischen Provinz messen konnten. Und dann, der Sommer wurde zum Herbst, näherten wir uns einer wirklich großen Stadt. Die Blätter der Bäume färbten sich langsam bunt. Die Stadt war vielleicht nicht so groß wie mein geliebtes Rom, das ich inzwischen schmerzlich vermisste, aber doch beeindruckend, mit großen Gebäuden und einer Stadtmauer, die sich mit der Mauer Roms messen konnte. Ich hatte das Gefühl, das Ziel meiner Reise zu erreichen. Obwohl ich mir nicht sicher war, ob nicht der Weg das Ziel war.


    Jì Dé lehnte sich von seinem Kamel zu mir herüber. "Willkommen in Cháng'ān, der westlichen Hauptstadt. Das ist meine Heimat. Es gibt größere Städte, aber keine schöneren." Dabei lächelte er und zwinkerte mir zu.


    "Ich erkenne an, dass du hier nicht ganz neutral bist, mein Freund. Aber ich erkenne auch an, dass es eine schöne Stadt zu sein scheint." Nach kurzem Nachdenken musste ich etwas fragen. "Du sagst, es sei die westliche Hauptstadt. Heißt das, ihr habt zwei Hauptstädte?"


    Jì Dé lachte. "Erwischt! Nein, wir haben nur eine, Luòyáng. Aber die ist weiter östlich. Cháng'ān war früher die Hauptstadt. Da war sie wohl auch noch größer, aber das macht nichts. Die Stadt ist immer noch wichtig, du wirst sehen. Willst du hier bleiben? Ich lade dich ein, sei mein Gast."


    Ich verneigte mich leicht. "Ich danke dir für die Ehre, dein Gast sein zu dürfen, und nehme die Einladung mit Freude an."


    Arpan war natürlich auch gemeint, so dass wir beide uns zumindest für die Nacht keine Gedanken um eine Unterkunft machen mussten.


    Vergnügt plaudernd kamen wir beim Stadttor an, wo wir durchsucht wurden und man uns schließlich passieren ließ. Jì Dé schien hier bekannt zu sein und ein wichtiger Kaufmann zu sein. Wir ritten mit unseren Kamelen gemächlich durch die Straßen, vorbei an Garküchen, Geschäften und Tempeln, bis wir schließlich an einem Tor halt machten. Jì Dé öffnete das Tor und wurde kurz darauf herzlich von einer Frau und drei Kindern begrüßt. Auch sein Sohn wurde herzlich empfangen. Er stellte mich und Arpan vor und man begrüßte uns respektvoll mit Verneigungen. Schließlich wies man uns Zimmer zu und ich besprach mit Jì Dé, dass er meine Waren am besten gegen eine Provision verkaufte. Ich versprach mir daraus höhere Erlöse, als wenn ich die Waren und Kamele selbst verkaufen würde.


    Während wir zusammen aßen, klopfte es an das Tor und Soldaten traten ein. Sie erklärten, dass sie der Statthalter von Cháng'ān geschickt hätte, weil er von den Fremden erfahren hätte. Er würde die Fremden gerne kennenlernen und uns zu einer Audienz einladen. Mir war schnell klar, dass es zwar als höfliche Einladung vorgetragen war, sich aber real um einen Befehl handelte. Ich bat nur darum, dass Jì Dé uns begleiten dürfe, um notfalls übersetzen zu können. Der Bitte wurde stattgegeben. Zwar schienen die Soldaten damit gerechnet zu haben, dass wir sofort losziehen würden, doch bestand Jì Dé's Frau darauf, dass wir erst zu Ende essen. Dafür bekamen auch die Soldaten etwas zu essen, was sie wohl dazu brachte, uns die Zeit zu geben.

  • Ohne mich umzuziehen nahm ich mein Schwert und wir begleiteten die Wachen zum alten Kaiserpalast, in dem nun der Statthalter residierte. Von der Stadt, die wir durchquerten, nahm ich nur wenig wahr. Das lag daran, dass ich mir mehr Gedanken darum machte, was für ein Mensch der Statthalter war, aber auch daran, dass es langsam dunkel wurde. Am Haupttor zum Palast wurde ich höflich darum gebeten, mein Schwert abzugeben. Natürlich folgte ich dieser Bitte, kannte ich doch ein ähnliches Vorgehen beim Betreten des Palatins. Wir wurden über einen großen Hof die Stufen hinauf zu einer großen Halle geleitet, wo wir zunächst warten mussten. Jì Dé erklärte uns, wie tief die korrekte Verneigung zu sein hatte und dass wir nur das Wort ergreifen sollten, wenn man uns ansprach. Auch erklärte er uns, dass er selbst noch nie so nah an den Statthalter herankam.


    Schließlich ließ man uns eintreten. Ich ging drei Schritte in die Halleund verneigte mich in der Art, wie es mir Jì Dé gezeigt hatte, so tief, dass mein Oberkörper fast im rechten Winkel zu meinen Beinen war.


    "Statthalter, wir danken für die Ehre Eurer Einladung." Meine Sprache war deutlich und ich hoffte, alles richtig ausgesprochen zu haben. Während ich sprach, verharrte ich in meiner Verbeugung. Es fühlte sich komisch an, sich zu verbeugen, vor allem so tief. Immerhin war ich ein Römer. Aber hier, fernab von Rom und in einer anderen Kultur, erschien es mir dennoch irgendwie richtig.


    "Bitte, tretet vor und erhebt euch." Der Statthalter sprach mit einer tiefen, freundlichen Stimme. Als ich mich wieder aufrichtete, betrachtete ich ihn aufmerksam. Seine dunkle Kleidung schien aus Seide zu sein. Sein Gesicht war schmal und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Sein Bart wurde langsam grau. Seine Haare verbargen sich unter einer dunklen Mütze.


    Nachdem wir ein paar Schritte hervorgetreten waren, stoppten wir drei Schritte vor den Stufen, die zum Thron des Statthalters hinauf führten.


    Der Statthalter betrachtete uns ebenso aufmerksam, wie ich ihn betrachtet hatte. Arpan stand einen Schritt hinter mir, ebenso Jì Dé. Damit war ich dann wohl der Hauptansprechpartner.


    "Gestattet mir, mich vorzustellen, ich bin Liú Jié, ein Verwandter des Sohns des Himmels und der Statthalter dieser Stadt. Ihr dürft mich als 'Prinz Jiénzĭ' ansprechen. Wie darf ich euch nennen?"


    "Es ist mir eine Ehre, Euch kennenzulernen, Prinz Jiénzĭ." Ich verneigte mich noch einmal, nachdem ich diesen Satz gesagt hatte, richtete mich danach aber wieder auf. "Mein Name ist Aulus Iunius Tacitus. Ich bin ein Gelehrter aus Rom, welches ihr Daqín nennt. Zu meiner Rechten seht Ihr meinen Freund Arpan, aus Skythien. Er ist zugleich mein Beschützer. Zu meiner Linken seht Ihr meinen Freund Jì Dé, einen Kaufmann, dem ich auf meiner Reise begegnete. Er war so freundlich, mich zu Euch zu begleiten. Mein Chinesisch ist leider nicht sehr gut. Jì Dé wird deshalb übersetzen, wenn mir die richtigen Wörter nicht einfallen."


    "Aulù Yún Yiù…" Prinz Liú zuckte leicht mit den Schultern. "Ich darf Euch Yún Yiù nennen?"


    Ich lächte höflich. "Gerne."


    Der Prinz nickte kurz. "Euer Freund, Er Pá. Und der Kaufmann Jì Dé, sehr schön, von ihm habe ich bereits gehört. Nun, Yún Yiù, was treibt einen Gelehrten nach Cháng'ān?"


    "Neugier?" Fragte ich, was der Prinz mit einem leichten Grinsen quittierte. "Ganz ehrlich, über die Länder, die Alexander der Große erobert hatte, ist viel bekannt. Aber die enden noch vor Shūlè. Alles, was östlich davon liegt, kennen wir nicht. Wir wissen, dass die Seide von hier kommt. Wir wissen auch, dass manche Gewürze und Aromen von hier kommen. Aber sonst wissen wir nichts, nicht einmal, wie die Menschen hier aussehen. Das musste ich ändern. Wenigstens ich wollte es wissen."


    Der Prinz hörte aufmerksam zu. "Und warum gerade Ihr? Hat Euch Euer Kaiser geschickt? Die Reise ist sicher nicht einfach gewesen. Unser Feldherr Bān Chāo hatte vor einer Generation eine Gesandtschaft nach Westen geschickt, doch kamen sie nur bis in die Nähe der östlichen Küste des Meeres, das sich bis Daqín erstreckt. Sie kehrten um, weil der Weg über das Meer zu lang und zu gefährlich gewesen wäre und die Reise schon sehr lange gedauert hatte."


    "Die Reise hat lange gedauert. Ich war fast ein Jahr lang unterwegs. Es war schwierig, oft gefährlich und sehr anstrengend," bestätigte ich die Vermutung des Prinzen, "doch bin ich kein offizieller Gesandter und nur deshalb unterwegs, weil ich selbst neugierig bin. Ich will mein Wissen aber mit dem Museion in Alexandria teilen. Dort wird dem Gott Apollon und der Musen gedacht und dort habe ich einst einen großen Teil meines Wissens erworben."


    Der Prinz nickte und ich konnte ihm ansehen, dass er mich verstand. "Ihr wollt Eure Lehrer und Eure Götter ehren. Gut, das kann ich befürworten. Habt Ihr bereits von unseren Gelehrten gehört?"


    "Nein, Prinz Jiénzĭ."


    "Das werde ich ändern." Der Prinz winkte einen anderen dunkel gekleideten Mann heran und besprach etwas mit ihm im Flüsterton, so dass ich nichts verstehen konnte. Die Besprechung dauerte länger, als eine einfache Anweisung. Schließlich wandte er sich wieder an mich. "Yún Yiù, Ihr hattet ein Schwert dabei. Dürfte ich es sehen?"


    "Gerne, Prinz Jiénzĭ."


    Er gab ein kaum merkliches Zeichen und man hörte im Hintergrund schnelle Schritte die Halle verlassen. Nach einem Moment kamen wieder schnelle Schritte herein und eine Wache brachte meine Spatha zum Prinzen. Dabei blieb der Soldat so auf den Stufen stehen, dass er das Schwert mit einer Verneigung mit beiden Händen überreichen konnte. Der Prinz nahm es an sich und begutachtete die Scheide und den Griff. Dann sah er mich fragend an, während er den Griff mit seiner Rechten umschloss. Ich nickte ihm zu, woraufhin er meine Spatha zog und die Klinge genau betrachtete. "Eine gute Klinge, möchte ich meinen. Einhändig geführt, von einem einzelnen Krieger. Vielleicht vom Pferd aus. Schade, dass ich an eine Klinge genau dieser Machart hier nicht herankomme. Sie würde sich gut in meiner Sammlung machen. Ihr werdet sie aber auf Euren Reisen benötigen." Er steckte die Spatha zurück in die Scheide und winkte seine Wache wieder herbei.


    Obwohl ich nicht gefragt wurde, ergriff ich das Wort. "Prinz Jiénzĭ, wenn Ihr gestattet, würde ich Euch mein Schwert gerne schenken. Es hat mir gute Dienste geleistet, doch gibt es hier bessere Klingen. Wenn es Euch erfreut und in Eure Sammlung passt, würde ich mich freuen, Euch ein Geschenk machen zu dürfen. Ich werde mir hier eine neue Klinge kaufen."


    Der Prinz sah mich an, während er seiner Wache das Schwert übergab. Schließlich lächelte er kaum merklich. "Ich erlaube Euch, mir dieses Geschenk zu machen und danke Euch. Ich werde mich bei Gelegenheit erkenntlich zeigen."


    Lächelnd verneigte ich mich.


    "Wir hatten ein sehr gutes Gespräch, Yún Yiù. Vielleicht können wir das in Zukunft wiederholen. Seid willkommen in meiner Stadt und studiert gerne, weshalb Ihr herkamt. Wo kann ich Euch finden, wenn ich nach Euch suche?"


    "Er wohnt bei mir," sagte Jì Dé, bevor ich etwas sagen konnte.


    Der Prinz erhob sich von seinem Thron. "Ich danke Euch für Euren Besuch." Dann verließ er den Saal.


    Wir hatten uns wieder verbeugt, als er sich vom Thron erhoben hatte. Nun verließen wir ebenfalls die Halle und den Palast, um zu Jì Dé’s Haus zurückzukehren. Er sah sehr stolz aus.


    "Yún Yiù, hmm?" meinte Jì Dé schließlich. "Mich lässt du mühsam deinen unaussprechlichen Daqín-Namen aussprechen, aber ihm erlaubst du es, dir einen Namen zu geben, den man auch aussprechen kann. Ein schöner Freund bist du!" Dann lachte er herzlich. "Du weißt aber, dass du eben einen mächtigen Freund gewonnen hast, oder? Das Schwert hat ihn sehr gefreut. Er hat es nicht gezeigt, aber ich bin davon überzeugt Er sammelt exotische Waffen und ein Schwert aus Daqín hatte er sicher noch nicht. Wenn ich dir einen Tipp geben darf, kaufe dir kein neues Schwert."


    "Warum?" fragte ich instinktiv.


    "Hast du nicht zugehört? Er will sich bei Gelegenheit erkenntlich zeigen. Das heißt, dass er ein Schwert für dich in Auftrag geben wird."


    "Meinst du?" Ein Blick in das Gesicht meines Freundes zeigte mir aber, dass ich das nicht hinterfragen sollte. Gut, es war seine Kultur, hier kannte er sich aus.


    Im Haus von Jì Dé unterhielten wir uns noch bis spät in die Nacht, bevor ich mich zufrieden zu Bett begab. Mein Freund hatte wirklich gute Betten und ich schlief zum ersten Mal seit meinem Aufbruch richtig gut und bequem.

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